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MEMORIAL/061: Vor 50 Jahren eröffnete Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil (Gerhard Feldbauer)


Vor 50 Jahren eröffnete Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil

Zum herausragenden Wirken dieses Papst des Friedens genannten Pontifex

Gegen die Konzilsbeschlüsse führt der deutsche Ratzingerpapst eine menschenfeindliche Gegenoffensive

von Gerhard Feldbauer, 29. September 2012



Vor 50 Jahren, am 11. Oktober 1962, eröffnete Johannes XXIII. in Rom das Zweite Vatikanische Konzil. Es war die herausragende Leistung, die dieser Papst in der nur fünf Jahre währenden Zeit seines Pontifikats vollbrachte und die ihn, wie der US-amerikanische Schriftsteller und Vatikankenner Lawrence Elliott(1) schrieb, zu "einem der (wenigen, d. Autor) großen Päpste" werden ließ.


Er wollte überholte Leitsätze der katholischen Soziallehre reformieren

Johannes XXIII wollte, wie Norbert Sommer, schrieb, "die längst überfällige Öffnung der Kirche gegenüber der Welt" einleiten.(2) Sein Ziel war, sie auf realistischen Grundlagen neuen Entwicklungsbedingungen anzupassen, sie damit weniger anfällig zu machen und so zu stärken. Keinesfalls ging es ihm darum, ihren weltweiten Einfluss abzubauen. 1959 - ein Jahr bevor in Afrika 17 Staaten die nationale Unabhängigkeit errangen und damit der völlige Zerfall des alten Kolonialsystems einsetzte - sprach sich Johannes XXIII. für die Anpassung der katholischen Kirche an den Entkolonisierungsprozess aus und sicherte dem autochthonen Klerus der Dritten Welt volle Gleichberechtigung zu.

In der 1961 erlassenen Enzyklika "mater et magistra" (Mutter und Lehrmeisterin)(3) erörterte er Fragen von "Christentum und sozialem Fortschritt" und wollte eine vorsichtige Reform einiger überholter Leitsätze der katholischen Soziallehre einleiten, welche die "unerbittliche Hütung des Privateigentums"(4) postuliert hatte. Er trat natürlich nicht für dessen Beseitigung ein, setzte aber einige neue Akzente. Seine Enzyklika ging auf die Ärmsten in den Industrienationen ebenso wie auf die noch Ärmeren in den Entwicklungsländern und in den noch bestehenden Kolonien ein. Er erwähnte ihren Bedarf an Grundgütern, aber auch ihre Menschenwürde und forderte soziale Gerechtigkeit, die er als Teilnahme aller Menschen am Wohlstand definierte. Giovanni Ventitre sprach vom Recht auf Privateigentum im Zusammenhang mit dem Recht auf Mitbestimmung am Arbeitsplatz und mit den Problemen der "Vergesellschaftung". Er gebrauchte den Begriff der "Sozialisation" und nannte ihn "Ausdruck eines sozusagen unwiderstehlichen Strebens der menschlichen Natur; des Strebens, sich mit anderen zusammenzutun, wenn es darum geht, Güter zu erlangen, die von den einzelnen begehrt werden, jedoch die Möglichkeiten und Mittel des einzelnen überschreiten". Das waren reformistische Gedanken, die aber die meisten sozialdemokratischen Parteien zu dieser Zeit aufgegeben hatten. Johannes XXIII. unterschied sich in dieser Haltung von der antikommunistischen Kreuzzugsideologie und -praxis seiner Vorgänger.


Friedensappell während der Kubakrise

In "mater et magistra" wandte er sich auch Problemen zu, die später als Nord-Süd-Konflikt zusammengefasst wurden. Die mit Reichtum und Überfluss gesättigten Staaten mahnte er, jene Völker nicht zu vergessen, die "vor Elend und Hunger fast zugrunde gehen". Es war eine Kritik am imperialistischen System, wie sie kein Papst vor und bis heute nach ihm übte. In Italien widmete er sich der Arbeiterfürsorge, suchte den Ausgleich mit den Sozialisten und scheute auch nicht vor Kontakten mit den Kommunisten zurück. Giacomo Manzù, einem der großen Bildhauer der Welt, von dem bekannt war, dass er als Katholik mit den Kommunisten sympathisierte, beauftragte er, ein amtliches Porträt in Büstenform von sich zu schaffen. Manzú nahm später Johannes auch die Totenmaske ab.

Nikita Sergejewitsch Chruschtschow übermittelte ihm zu seinem 80. Geburtstag im November 1961 persönliche Grüße "mit dem aufrichtigen Wunsch für gute Gesundheit und Erfolg bei dem edlen Bemühen zur Stärkung und Festigung des Friedens in der Welt durch Lösung der internationalen Probleme durch freimütige Verhandlungen". Der Papst hörte nicht auf die Ratschläge, diese Grüße unbeantwortet zu lassen. Er sandte dem sowjetischen Führer seinen aufrichtigen Dank, dem er hinzufügte, "ich werde für das Volk Russlands beten." Im Oktober 1962 nahm er zur Kubakrise, welche die Gefahr des Ausbruchs eines atomaren Weltkrieges in sich barg, Stellung. Nach Rücksprachen mit Chruschtschow und Kennedy sandte er am 25. Oktober einen Friedensappell in die Welt.


Audienz für Chruschtschows Schwiegersohn

Vom Tauwetter in den Beziehungen zwischen dem Vatikan unter Johannes XXIII. und dem sozialistischen Block zeugte, dass die Bischöfe der sozialistischen Staaten am Konzil teilnahmen. Am 7. März 1963 gewährte der Papst die erste Audienz für einen prominenten Kommunisten, den Chefredakteur der sowjetischen Regierungszeitung "Iswestija" und Schwiegersohn Chruschtschows, Alexej Adschubei, den er zusammen mit seiner Frau, der Tochter des KPdSU-Generalsekretärs, empfing.(5) Gewiss fügte sich auch die Ostpolitik Johannes XXIII. ein in die Strategie der Aufweichung der sozialistischen Staaten, aber zweifellos unterschied sie sich substanziell von der eines Karol Wojtyla und Joseph Ratzinger.

In Giovannis Todesjahr erschien seine dritte Enzyklika, "pacem in terris" (Frieden auf Erden), in der er für ein Verbot der Atomwaffen und für das Ende des Wettrüstens eintrat, die Rassendiskriminierung verurteilte, sich für den Schutz von Minderheiten und die Rechte politischer Flüchtlinge einsetzte.


Gegen den Widerstand des reaktionären Klerus

Die konservativen Kreise des Klerus, darunter der einflussreiche New Yorker Kardinal Spellman, waren gegen ein neues Konzil. Gegen ihren Widerstand setzte Johannes XXIII. die Versammlung der Erzbischöfe, Bischöfe und Ordensoberen aus aller Welt durch. Die Vorbereitung der Versammlung, die er bereits drei Monate nach seinem Amtsantritt einberief, betrieb Johannes mit Vehemenz und - im Gegensatz zur üblichen Praxis des Vatikans - in großer Öffentlichkeit. Im Juni 1959 ernannte er eine erste vorbereitende Kommission, die den 3.500 Bischöfen, Prälaten, Ordensoberen sowie den 37 katholischen Universitäten in aller Welt die notwendigen Materialien übermittelte und von ihnen Vorschläge erbat. Die eingehenden Antworten sollen 2000 Aktenordner gefüllt haben.

Da das Erste Vatikanische Konzil 1870 das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit in allen Angelegenheiten des Glaubens und der Sitte dekretiert hatte, stand die Frage, welchem Ziel das einberufene Konzil dienen sollte. Es ist überliefert, dass Giovanni, als er in seinem Arbeitszimmer danach gefragt wurde, zum Fenster ging, es öffnete und sagte: "Wir erwarten vom Konzil, dass es frische Luft hereinlässt."(6)


Für ein neues Verhältnis zu den Gläubigen

Von ausschlaggebender Bedeutung waren besonders die Beschlüsse des Vatikanums zur Toleranz unter den Religionen, die in dem Dekret "Über die Religionsfreiheit" ihren Niederschlag fanden. Dazu gehörte vor allem die Absage an den Antijudaismus, in der es hieß, die Kirche beklage "alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgendjemandem gegen die Juden gerichtet haben". Diese Erklärung führte dann nach dem Machtantritt Benedikt XVI.(7) mit seiner Rücknahme des gegen die Piusbischöfe verhängten Kirchenbanns zu einem Wiederausbruch der Auseinandersetzung über die Konzilsbeschlüsse. Der 1991 verstorbene französische Erzbischof Marcel Lefebvre, der spätere Begründer der Piusbruderschaft, nannte die Beschlüsse des Konzils eine Folge des satanischen Einflusses auf die Kirche und verweigerte seine Unterschrift unter das Toleranzdekret. Er verwarf auch die beschlossene Erklärung "gaudium et spes" (Freude und Hoffnung). Diese "Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute" sollte ein neues Verhältnis zu den Gläubigen, ein Eingehen auf ihre Bedürfnisse und ihre Entfaltungswünsche einleiten.(8) Ebenso lehnte Lefebvre das Dekret über den Ökumenismus "Unitatis redintegratio", die Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen "Nostra aetate" und die Lehre über das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen ab.

Johannes konnte das Konzil nicht zu Ende führen. Er starb während der Versammlung am 3. Juni 1963. Seine Nachfolger Paul VI. und nach ihm der polnische Papst Karel Wojtyla sorgten dafür, dass die von ihm ins Auge gefassten Reformen, wo sie nicht rückgängig gemacht wurden, stagnierten. Einen Schwerpunkt der Offensive, die Benedikt XVI. seit seinem Amtsantritt führt, bildet die Aufhebung von Konzilsbeschlüssen. Vor allem im Lichte seiner Nachfolger Wojtyla und Ratzinger wird ersichtlich, dass Giovanni Ventitre während der kurzen Zeit, in der er den Stuhl Petri inne hatte, Spuren eines Wirkens für Frieden und Menschlichkeit hinterlassen hat, wie sie von keinem Papst vor und nach ihm bekannt wurden.


Karfreitagbittgebet für die Juden wie unter der Naziherrschaft

Unter Wojtyla kehrte das ursprünglich Lefebvre-hörige altritualistische Benediktinerkloster Sainte Madelaine in Le Barroux bei Avignon 1989 wieder in den "römischen Mutterschoß" zurück. Es bekannte sich formell wieder zum Papst, den es wie seinen Obersten Glaubensrichter Joseph Ratzinger nicht störte, dass weiterhin das Zweite Konzil missachtet und die Messe im Ritus des 16. Jahrhunderts zelebriert wurde oder Kloster-Abt Gerard Calvet seinen Beziehungen zum französischen Front National nicht entsagte. Für das konzilsfeindliche Messbuch, das die Mönche von Sainte Madelaine 1990 herausgaben, in dem auch angewiesen wurde, am Karfreitag für die "abtrünnigen Juden" zu beten, schrieb Ratzinger das Vorwort. Dieses Gebet wurde während der ganzen zwölf Jahre der Naziherrschaft in deutschen Kirchen gesprochen.


Seit an Seit mit Kollaborateuren des Hitlerregime

Widerspruchslos konnte der dem Kloster verbundene Jean Madiran 1995 für den bekannten französischen Kollaborateur der deutschen Besatzungsmacht, den Schriftsteller Robert Brasillach, eine Gedenkfeier abhalten. Brasillach war als Generalkommissar für Filmwesen in der Vichy-Regierung 1945 zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Ebenso verhielt es sich mit dem Pfarrer der Kirche Saint Nicolas du Chardonnet in Paris, dem ehemaligen Lefebvre-Priester Philippe Laguérie, der für den antisemitischen Chef der Miliz, zuletzt Missionschef im Staatssekretariat der Petain-Regierung, Paul Touvier, ein Requiem hielt. Touvier, der zahlreiche Widerstandskämpfer aufs Schafott oder in Konzentrationslager brachte, darunter viele Juden, wurde 1994 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, während der er 1996 verstarb. Laguérie hatte 1987 auch Le Pen offen verteidigt, als dieser - ganz wie Richard Williamson - behauptete, es habe keine Gaskammern gegeben. Im September 2006, nunmehr Pontifex, erteilte Ratzinger dem ebenfalls faschistoid ausgerichteten "Institut du Bon Pasteur" in Bordeaux dem als oberster "guter Hirte" Laguérie vorstand, die päpstliche Zulassung. Aber die Liste der den rechten und rechtsextremen Freundeskreisen Ratzingers zuzurechnenden Personen ist viel länger, als hier angeführt.(9)


Fast mit der Reformation vergleichbar

Zu den Zugeständnissen Benedikts an die Piusbrüder gehörte 2007, dass er auch deren Kernforderung akzeptierte, die Messe nach altem Ritus wieder öfter in Latein zu halten. Mit der Erfüllung dieser Forderung geht es zurück ins Mittelalter, an die Beseitigung der Errungenschaften der Reformation, welche die katholische Kirche mit den Beschlüssen des Vatikanum II in gewisser Weise berücksichtigte, so durch die Zulassung der Nationalsprachen im Gottesdienst und die Hinwendung des Priesters zur Gemeinde. Waren die liturgischen Veränderungen in der Reformation mit dem Kampf um revolutionäre gesellschaftliche Umwälzungen verbunden, so ging es auf dem Konzil Johannes XXIII. zwar nicht so weit, aber dieser Papst versuchte generell eine Öffnung der katholischen Kirche gegenüber Fragen des Friedens, die Ausdruck fanden in "pacem in terris", der sozialen Verfasstheit in "mater et magistra", in der Haltung zum Entkolonialisierungsprozess, diesem Bestandteil weltweiter revolutionärer Veränderungen im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges, der vorsichtigen Infragestellung von Aspekten der katholischen Soziallehre, in einer gewissen Abkehr von der antikommunistischen Kreuzzugsideologie, um nur die wesentlichsten Gesichtspunkte zu nennen. Damit wird die Tiefe der Niederlage des reaktionären Klerus in der Amtsperiode Johannes XXIII. und auf dem Konzil sichtbar. Dagegen richtet Benedikt XVI. vom Ausgangspunkt, von der Liturgie her, seine Angriffe. Der Historiker und Vatikanspezialist, Verfasser einer Ratzinger-Biografie Klaus Rüdiger Mai, schätzte dazu ein: "Liturgiefragen sind am allerwenigsten theologische und ästhetische Angelegenheiten, sondern es geht um Zeichen von Macht und Herrschaft". Gegenüber den gläubigen Katholiken stellen die sakral-schillernden Zeremonien, die regelrecht dramaturgische Gestaltung der Messen seit Jahrhunderten ein Instrument dieser Machtausübung und damit bedingungsloser geistiger Unterordnung dar. Darin, dass der Pfarrer der Gemeinde bei der Messe wieder den Rücken zuwendet, kommt die Abwendung von den Menschen, in übertragenem Sinne vom Volk überhaupt zum Ausdruck. Das ist auch in Ratzingers autobiografischem Buch "Aus meinem Leben" nachzulesen, in dem er meint, die heutige Kirchenkrise beruhe "weitgehend auf dem Zerfall der Liturgie".


Nur wer "glaubt, was Benedikt XVI. glaubt, hofft richtig"

Uta Ranke-Heinemann hob aus der Enzyklika Benedikts "spe salvi" (auf Hoffnung hin sind wir gerettet) einen wenig beachteten Aspekt der Haltung zu den Gläubigen hervor, den ihrer regelrechten Ignorierung. In seinen Ausführungen über Liebe, Hoffnung und Trauer werde der "Mensch wie Du und ich" ausgeschlossen. Aber nicht nur das, der Papst beschreibe genau "wie die Trauer zu sein hat. Und wie sie nämlich nicht die richtige Trauer ist". Er lege also fest, "wie wir zu trauern haben, damit unsere Trauer die richtige ist". Nur wer "glaubt, was Benedikt XVI. glaubt, hofft richtig". Es ist eins von unzähligen Beispielen, wie der Gläubige entmündigt und zum absoluten Gehorsam selbst in den einfachsten Dingen seines Lebens gezwungen wird und wie am Ende, so Ranke-Heinemann, "seine Hoffnung ganz Elend klein" werde.(10) Das steht im völligen Gegensatz zu der vom II. Vatikanum, angenommenen Erklärung "gaudium et spes".


Der Teufel ist wieder des Juden Vater

Im Januar 2009 löste Benedikt mit seinem Dekret über die Rücknahme der Exkommunikation den über den als Holocaustleugner bekannt gewordenen britischen Bischof Ricard Williamson und drei seiner Gefolgsleute verhängten Kirchenbann, um sie zusammen mit ihrer faschistoiden Piusbruderschaft in die Gemeinschaft der katholischen Kirche zurückzuführen.(11) Das geschah, obwohl Williamson bei einem Deutschlandbesuch im Januar 2009 gegenüber dem schwedischen Fernsehen seine Geschichtslüge, "kein einziger Jude ist in einer Gaskammer umgekommen" bekräftigt hatte.(12) Bereits im Mai 2008 hatte Benedikt die Piusbruderschaft als Vereinigung der Kurie anerkannt.

Rückgängig gemacht wurde auch die Modifizierung des Konzils, das ein "völlig neues Kapitel in den christlich-jüdischen Beziehungen aufgeschlagen (hat), indem es christliche Schuld an den Juden eingestand, Antijudaismus und Antisemitismus verurteilte und mit der Feststellung, Gottes Bund mit Israel sei ungekündigt, eine theologische Kehrtwende vollzog".(13) Das schloss ein, dass aus der seit 1570, geringfügig verändert bis 1962, so praktizierten antijüdischen Karfreitagsfürbitte das Wort von der Gottlosigkeit bzw. Treulosigkeit der Juden gestrichen wurde. Der Ratzingerpapst ordnete 2008 an, in der Karfreitagsfürbitte in Latein wieder zu verkünden: "Lasst uns auch beten für die Juden. Dass unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Retter aller Menschen. Allmächtiger, ewiger Gott, der du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Gewähre gnädig, dass beim Eintritt der Fülle der Völker in deine Kirche ganz Israel gerettet wird durch Christus unseren Herrn. Amen." Verglichen mit der Gottesdienstreform des Konzils stellt das - wenn auch ein wenig milder als in den Texten von 1570 und 1962 - "einen Rückfall in antijüdisches Denken dar: "die Herzen der Juden seien nicht erleuchtet und die Juden seien noch nicht zu der Erkenntnis der Wahrheit gelangt; nach wie vor wird ihre Bekehrung zu Jesus Christus erwartet."(14) Wenn auch nicht in aller (formulierten) Schärfe geht es unter Joseph Ratzinger im Grunde zweitausend Jahre zurück in die Zeit, da in der Geburtsstunde des Christentums der Hass gegen die Juden gesät und sie zu den angeblichen "Gottesmördern" abgestempelt wurden. Damit sind wir beim Kirchenvater und Bischof Cyprian von Karthago, der den Grundsatz verkündete "der Teufel ist des Juden Vater". Diesen Bischof zählt Benedikt XVI. ausdrücklich, ohne irgendwelche Abstriche, zu seinen Leitbildern.


Fußnoten

(1) Johannes XXIII. Das Leben eines großen Papstes, Herder 1974.

(2) Norbert Sommer : Tradition, Tradition... In: Norbert Sommer/Thomas Seiterich: Rolle rückwärts mit Benedikt XVI.. Wie ein Papst die Zukunft der Kirche verbaut. Oberursel 2009, S. 196. Der Mitherausgeber der "Rolle rückwärts mit Benedikt XVI." studierte u. a. Politische Wissenschaften und Sinologie und ist Verfasser zahlreicher Bücher zum Vatikan.

(3) Erschienen zum 70. Jahrestag von "rerum novarum". Siehe "mater et magistra", Freiburg 1961.

(4) Zu den Zitaten siehe auch Elliott, passim.

(5) Das Handeln des Papstes in der Kubakrise hat der US-amerikanische Regisseur Ricky Tognazzi eindrücklich in den Mittelpunkt seiner Filmbiografie "Johannes XXIII. für eine Welt des Friedens" gestellt, während die anderen Seiten von dessen Wirken eher unterbelichtet blieben oder auch gar nicht erwähnt wurden. Und das, obwohl an dem Drehbuch mit Marco Roncalli ein Großneffe des Papstes mitgewirkt hat. Siehe dazu die Filmkritik von Ingolf Bossenz "Falsches Spiel mit Johnnie Walker" (so nannten die US-Amerikaner Johannes wegen seiner häufigen Besuche in Roms Krankenhäusern, Kirchen und Gefängnissen), Neues Deutschland, 4. Aug. 2005.

(6) Elliott, S. 269.

(7) Der heutige deutsche Papst nahm als theologischer Berater des Kölner Kardinal Joseph Frings während der ganzen drei Jahre am Konzil teil.

(8) Andrea Günter: Theologie des Geborgenseins. Gaudium et Spes und die Geschlechter im Christentum. In: Sommer/Seiterich, S. 95.

(9) Vgl. Sommer/Seiterich, passim.

(10) Uta Ranke-Heinemann, Der Papst und die anderen. Junge Welt, 6. Dezember 2007.

(11) Sie waren von dem 1991 verstorbenen französischen Erzbischof Marcel Lefebvre 1988 ohne päpstliche Erlaubnis geweiht worden, was automatisch die Exkommunikation nach sich zog.

(12) Der Spiegel, Nr. 6/2009.

(13) Johannes Brosseder, Professor für Ökumene: Schlimmer Rückfall. In: Sommer/Seiterich, S. 171.

(14) Ebd., S. 173.


Ausführlich zum Thema das Buch Gerhard Feldbauers: Der Heilige Vater. Benedikt XVI. - Ein Papst und seine Tradition. Papyrossa, Köln 2010, S. 70 ff., 82 ff., 142 ff., 170 ff. 194 ff.

Zum Wirken von Papst Johannes XXIII. siehe auch den folgenden Artikel von Gerhard Feldbauer:
www.schattenblick.de → Infopool → Geisteswissenschaften → Geschichte → MEMORIAL/059: Johannes XXIII. rettete unzählige Juden vor dem Hitlerregime (Gerhard Feldbauer)

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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2012