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MEMORIAL/054: Römische Gemeinde ehrt Mussolinis Kriegsminister Graziani (Gerhard Feldbauer)


Denkmal für einen Kriegsverbrecher

Römische Gemeinde ehrt Mussolinis Kriegsminister Graziani

von Gerhard Feldbauer, 15. August 2012



Für Mussolinis Kriegsminister, Marschall Rodolfo Graziani, im Oktober 1922 Teilnehmer des faschistischen Putsches "Marsch auf Rom", einen der grausamsten Kriegsverbrecher und Massenmörder Italiens, ist jetzt in seinem Geburtsort in der Gemeinde Affile in der römischen Region (Land) Lazium am Rande der Hauptstadt eine Gedenkstätte errichtet worden. Für die faschistische Kultstätte stellte die Ministerpräsidentin der rechtsextremen Regionalregierung, Renata Polverini, 130.000 Euro öffentliche Gelder zur Verfügung. Die aus der Mussolininachfolgerpartei MSI, später AN hervorgegangene Polverini wurde 2010 auf der Liste der faschistoiden Freiheitspartei (PdL) Berlusconis gewählt. Sie entsandte zur Einweihung einen ihrer Minister. Auch der Bürgermeister von Affile gehört der PdL an.


Hunderttausende Opfer des Massenmörders

Bei der Eroberung der Kyrenaika (heute Libyen) 1930 ließ Graziani als Gouverneur der Kolonie 80.000 Nomaden in Konzentrationslager sperren, wo viele verhungerten oder Seuchen zum Opfer fielen. Den lebend in die Hände der Kolonialisten gefallenen Anführer der Beduinen, den legendären "Sohn des großen Zeltes" genannten Stammesführer Omar Mukhtar, ließ Graziano öffentlich aufhängen. 20.000 Menschen wurden zusammengetrieben, der Exekution zuzusehen.

Während der Eroberung Abessiniens (Äthiopien) 1935/36 war Graziani Befehlshaber eines Armeekorps der Kolonialarmee. Während des Feldzuges fanden etwa 275.000 Äthiopier den Tod, viele durch das eingesetzte Giftgas Yperit. Nach dem Zusammenschluss Äthiopiens mit Eritrea und Italienisch Somaliland zur Kolonie Italienisch Ostafrika ernannte Mussolini den zum Marschall aufgestiegenen Graziani zum Generalgouverneur und adelte ihn zum Grafen von Neghelli. Später wurde er als Vizekönig Stellvertreter Vittorio Emanuelle III., der sich selbst die äthiopische Kaiserkrone aufsetzte.

Nach einem erfolglosen Attentat auf ihn befahl Graziani am 19. Februar 1937 ein Massaker, dem allein in der Hauptstadt Adis Abeba 30.000 Menschen zum Opfer fielen. Er ließ die äthiopische Intelligenz als einen potentiellen Oppositionsherd liquidieren, unzählige christlich-koptische Geistliche und alle Kadetten der Militärakademie von Addis Abeba umbringen, etwa 300 Ordensbrüder des Klosters Debra Libanos erschießen.


Erbarmungsloser Krieg gegen die italienische Bevölkerung

Die letzte Etappe der Karriere Grazianis begann unter dem Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht in Mussolinis Marionettenrepublik von Salò. Als Kriegsminister stellte er die Camice Nére (Schwarzhemden), eine italienischen SS, und die Miliz auf, die als Erfüllungsgehilfen mit der Wehrmacht, SS, SD, Gestapo und Sicherheitspolizei gegen die italienische Bevölkerung einen grausamen und erbarmungslosen Krieg führten. Im statistischen Mittel wurden in der Salò-Republik, ohne die gefallenen Partisanen und regulären Soldaten einzubeziehen, täglich 165 Kinder, Frauen und Männer jeden Alters umgebracht.


Vom Nationalen Befreiungskomitee zum Tode verurteilt

Am 25. April 1945 wurde Graziani zusammen mit Mussolini und weiteren 1.732 führenden Faschisten, die der Aufforderung, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben, nicht nachkamen, vom Nationalen Befreiungskomitee Norditaliens der antifaschistischen Einheitsregierung wegen der begangenen Verbrechen zum Tode verurteilt. Während das Urteil an Mussolini am 28. April durch ein Kommando der Garibaldibrigaden vollstreckt wurde, gelang es Graziani, sich den Amerikanern zu stellen. Im Mai 1950 wurde er von einem Gericht der Republik Italien zu 19 Jahren Haft verurteilt, aber bereits nach wenigen Monaten begnadigt. Wie in Deutschland nutzte die 1949 gegründete NATO auch in Italien die Erfahrungen der faschistischen Militärs in der nunmehrigen Konfrontation mit der UdSSR und dem sozialistischen Block. Da konnte man auch einen Kriegsverbrecher und Massenmörder Graziani nicht gut im Gefängnis lassen. Graziani schloss sich sofort nach der Wiedergründung der Mussolinipartei in Gestalt der MSI dieser an.

Der neuerliche Akt faschistischer Rehabilitierung hat starke Proteste hervorgerufen. Der Präsident des Partisanenverbandes ANPI in Rom, Francesco Polcaro nannte die Würdigung dieses "blutrünstigen Verbrechers eine Schmach und Beleidigung für das gesamte demokratische Italien".

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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2012