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MEMORIAL/050: 19.6.1972 - Ermordung Zehntausender unschuldiger Vietnamesen enthüllt (Gerhard Feldbauer)


Was Newsweek vor 40 Jahren enthüllte:

USA-Botschafter William Colby ließ in Vietnam Zehntausende unschuldige Menschen foltern und ermorden

von Gerhard Feldbauer, 19. Juni 2012



Am 19. Juni 1972 enthüllte The Newsweek Magazin, dass in Vietnam im Rahmen des "Phönix"-Programms" Zehntausende unschuldige Vietnamesen gefoltert und ermordet wurden. Verantwortlich für dieses entstellend nach dem ägyptischen Sagenvogel benannte Mordprogramm war der damalige US-Botschafter in Saigon, William Colby, der später zum Direktor der CIA aufstieg. Bei einer Befragung vor dem Kongress hatte er angegeben, dass im Verlaufe des "Phönix"-Programms 20.941 Personen getötet wurden. Wie News Week berichtete, musste Colby einräumen, dass es nicht möglich gewesen sei, "diese Menschen als schuldig oder unschuldig zu identifizieren". Zu den Zahlen hatte die Saigoner Regierung bereits 1971 bekannt gegeben, dass seit 1968 durch "Phönix"-Operationen 41.000 "verdächtige feindliche Zivilisten ausgeschaltet" worden waren.

Folter und Mord, ja Massenmord waren nichts Neues in der USA-Praxis. Ihre unzähligen Interventionen und Aggressionen waren stets davon begleitet. Die Offiziere wurden systematisch darauf vorbereitet. Eines der Ausbildungszentren der Mörder war die 1946 geschaffene "US-Militärakademie beider Amerikas" in Fort Benning/Georgia. Angeblich im Dezember 2000 aufgelöst, wurde die in Südamerika nur "Escuela de los Assesinos" genannte "Mörderschule" als "Western Hemisphere Institute for Security Co-Operation" weiter geführt und ihr Wirkungskreis weltweit ausgedehnt. Die bis dahin ausgebildeten rund 60.000 Militärs dienten in ihren Ländern reaktionären Diktaturen oder stellten sich selbst an ihre Spitze, formierten konterrevolutionäre Banden, organisierten Mord und Terror.

Fort Benning absolvierten die früheren Militärdiktatoren Argentiniens Roberto Viola und Leopold Galtieri, Boliviens Hugo Banzer, El Salvadors Juan Rafael Bustillo und der Chef der salvadorianischen Todesschwadronen, Roberto D'Aubuisson. Hier wurden die Chefs der gegen die sandinistische Revolution rekrutierten Contras ausgebildet, kubanische Konterrevolutionäre trainiert, chilenische Offiziere instruiert, die unter Pinochets Diktatur nach unvollständigen Angaben 35.000 Menschen folterten, Tausende ihrer Opfer dabei umbrachten. Unter der Herrschaft der in Guatemala errichteten Militärdiktaturen wurden 140.000 Menschen ermordet oder verschwanden spurlos. Leopold Galtieri ließ 30.000 Oppositionelle umbringen.

Folterhöllen wie nach dem USA-geführten NATO-Überfall auf Irak in Abu Ghraib gab es bereits in Südvietnam. Die berüchtigtste war das KZ auf der Insel Con Son, wo 10.000 Menschen eingekerkert waren. Dort gab es bereits die berüchtigten Tigerkäfige, die heute - kaum verändert - auf Guantànamo installiert sind. Zu den sadistischsten Methoden gehörten Folterungen und Vergewaltigungen der weiblichen Häftlinge. Männer und Kinder wurden gezwungen, dabei zuzusehen. Frauen wurden Coca-Cola-Flaschen in die Vagina gestoßen. In dieser Größenordnung existierten in Südvietnam über ein Dutzend KZs und Zuchthäuser sowie Hunderte von Lagern und Gefängnissen der örtlichen US-Kommandanturen und der Marionettenverwaltungen, in denen nach einem Bericht von "Amnesty International" 1972 zwischen 200.000 und 300.000 politische Gefangene schmachteten.

Der im "Phönix-Programm" eingesetzte CIA-Mitarbeiter Barton Osborne, der den Geheimdienst verließ, sagte, es ging darum, "jeden aus der Bevölkerung zu neutralisieren, der vietcongverdächtig war." 80.000 Zivilisten wurden auf Listen als "verdächtig" erfasst, was hieß: Sofortige Ermordung oder Einweisung in ein KZ. Sie konnten, so Osborn, "alle wie Tiere abgeschossen werden". Der westdeutsche Arzt Erich Wulff, der sechs Jahre in Südvietnam arbeitete, schrieb unter dem Pseudonym George W. Alsheimer in seinem Buch "Vietnamesische Lehrjahre" (Frankfurt/Main 1968/1972), "dass Folterungen von Verdächtigen - und verdächtigt werden konnte jeder Vietnamese, der nicht selber im Dienste des Terrorapparates der USA stand - keine Ausnahme, sondern die Regel waren." (S. 448).

Osborne schilderte Foltermethoden: Häftlingen "wurde ein Holzpflock von fünfzehn Zentimeter Länge in den Gehörgang getrieben. Auf dessen Ende wurde dann gehämmert, bis er ins Hirn eindrang". Er habe bei allen Vernehmungen niemanden gesehen, "der da lebend herauskam". Bei sogenannten "Luftvernehmungen" wurden in einem Hubschrauber ein "Vietcongverdächtiger", der vernommen werde sollte, und ein "Individuum", das "als eliminierbar eingestuft war" transportiert. In 500 Fuß Höhe wurde mit dem zu Eliminierenden vor der offenen Tür des Helikopters nochmals eine Scheinvernehmung durchgeführt, um den anderen einzuschüchtern. "Unter Anbrüllen und Warnungen, sie würden ihn rausschmeißen, wenn er nicht rede, gaben sie ihm dann einen Stoß, und er fiel über Bord." Dann sei das zweite "Individuum" meist bereit gewesen, alles zu sagen, was verlangt wurde.

Für die Liquidierung "Vietcongverdächtiger" erhielten die CIA-Abteilungen eine Quote, die festlegte, wie viel Leichen zu erbringen waren. Man nannte das "Bodycount", Körperzählen. Zur Erfüllung ihrer Mordquote heuerten die regionalen CIA-Chefs verurteilte Kriminelle, darunter auch Mörder an, die sie aus den Gefängnissen holten und aus ihnen "Aufklärungsteams" zusammenstellten. Sie durchstreiften die Dörfer, "pickten sich die zu Vietcong erklärten heraus und ermordeten sie an Ort und Stelle. Zum Beweis, dass sie die Richtigen erwischt hatten oder überhaupt irgendeinen Menschen, mussten sie ein Ohr mit zurückbringen oder einen Finger und ihren US-Beratern zeigen, als Beweis für die Ausführung des Befehls." Osborne trat in Westdeutschland in den 1970er Jahren mit Vertretern der Antikriegsbewegung der USA, darunter dem Verteidiger von US-Deserteuren und Black Panthern, Stanley Faulkner, in Vietnam Hearings auf, über die in der Frankfurter Rundschau, den Nürnberger Nachrichten und selbst dem Handelsblatt berichtet wurde.


Weitere Informationen finden Leser/Nutzer des Schattenblick in dem Buch Irene und Gerhard Feldbauers: Sieg in Saigon. Erinnerungen an Vietnam. Pahl Rugenstein, 2. Aufl., Bonn 2005, ab S. 201 "Das US-amerikanische Mord- und Terrorsystem".

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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2012