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MEMORIAL/042: 3.4.1867 - Erste Sektion der Internationale entstand in Italien (Gerhard Feldbauer)


Vor 145 Jahren entstand die Erste Sektion der Internationale in Italien

In der Auseinandersetzung mit dem Anarchismus wurde sie eine der Stärksten in Europa

von Gerhard Feldbauer, März 2012



Auf die Formierung der Arbeiterbewegung in den 1860er Jahren in Italien nahm zunächst der russische Revolutionär und spätere Anarchist Michail Bakunin großen Einfluss. Der frühere zaristische Offizier nahm an der Revolution 1848/49 teil und war im Mai 1849 in Dresden Mitglied der revolutionären Regierung und Befehlshaber der aufständischen Truppen. In Gefangenschaft geraten, wurde er in Russland in der Peter-Pauls-Festung inhaftiert, anschließend nach Sibirien verbannt, von wo ihm 1861 die Flucht gelang. Bakunin begab sich nach London, wo er Marx und Engels kennen lernte und ein Anhänger der Internationalen Arbeiterassoziation, der Ersten Internationale, wurde. Als er 1864‍ ‍ nach Italien ging, bat Marx ihn, dort für die IAA zu wirken (MEW, Bd. 31, S. 16). Noch 1868 schrieb Bakunin an Marx: "Mein Vaterland ist jetzt die Internationale, zu deren Hauptbegründern Du gehörst. Du siehst also, lieber Freund, dass ich jetzt Dein Schüler bin - und ich bin stolz, es zu sein."

Bakunin ging nach Neapel, wo er ein führender Vertreter des Anarchismus wurde, für den dort ein fruchtbarer Nährboden bestand: Geheimbünde und Freimaurerlogen, eine deklassierte Intelligenz, die zu Verschwörungen neigte, eine bäuerliche Masse, die zu den Verlierern der Revolution zählte und im sozialen Elend dahinvegetierte, ein "Lumpenproletariat", die Lazzaroni (Lumpen, Lumpenkerle). Hier wurde der Held des Dresdner Aufstandes, der 12 Jahre im Kerker des Zaren schmachtete, zum gefeierten revolutionären Führer.

Am 3. April 1867 entstand in Neapel die erste Sektion der IAA. 1874‍ ‍waren 129 Organisationen mit zirka 26.000 Mitgliedern eine der stärksten Vertretungen in der Internationale, in der, wie auch in Spanien, die Anhänger Bakunins jedoch "eine Zeit lang tatsächlich die Arbeiterbewegung" beherrschten, schrieb Engels in "The Labor Standard" (New York) im März 1878.

In den Büchern: "Staatlichkeit und Anarchie" und "Gott und der Staat" legte Bakunin seine anarchistischen Ansichten nieder: Die Zerstörung "jeglicher politischer Macht" und die Ablehnung der Diktatur des Proletariats. Als revolutionäre Kräfte betrachtete er die bäuerlichen Massen und das "Lumpenproletariat". Mit einer Geheimorganisation "Allianz der sozialistischen Demokratie" wollten die Bakunisten, ihre Linie in der IAA durchzusetzen. Nach ihrer Weigerung, einem Beschluss des Generalrates nachzukommen und sie aufzulösen, schloss der Haager Kongress 1872 Bakunin und seine Parteigänger wegen statutenwidriger Fraktionstätigkeit aus der Internationale aus.

Auf die Auseinandersetzung mit dem Bakunismus wie mit dem Reformismus nahm Friedrich Engels, der seit 1871 als Korrespondierender Sekretär des Generalrates für Italien faktisch die Anleitung der italienischen Sektion wahrnahm, persönlich großen Einfluss. Einbezogen wurden jetzt auch die industriellen Regionen des Nordens. 1877 sagte sich die norditalienische Föderation der Sozialisten auch offiziell von den Bakunisten los und beschloss, eine sozialistische Partei zu bilden. Im "Vorwärts" vom 16. März 1877 schrieb Engels: "Endlich ist auch in Italien die sozialistische Bewegung auf einen festen Boden gestellt und verspricht eine rasche und siegreiche Entwicklung". In Italien erschienen nun Standardwerke des Marxismus: "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft", "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates", der Erste Band des "Kapital" und das "Manifest der Kommunistischen Partei". 1892 schlossen sich die drei regionalen Organisationen zur einheitlichen Partei der Italienischen Arbeiter zusammen, die 1893 den Namen Partito Socialista Italiano annahm.

In seinen letzten Lebensjahren nahm Bakunin, wie die französische Historikerin Madeleine Grawitz in ihrem Buch "Bakunin - Ein Leben für die Freiheit" (Nautilus 1998) festhielt, Abstand von seinen anarchistischen Ansichten über Aufstand und Revolution um jeden Preis und der Ablehnung der Theorie der Partei (S. 477 ff.). Ungeachtet seines negativen Wirkens hat Franz Mehring ihn nach seinem Tod am 1. Juli 1876 als Revolutionär und Anarchisten gewürdigt, der für die Arbeiterklasse "so tapfer gekämpft und so schwer gelitten hat", und geschrieben, "bei all seinen Fehlern und Schwächen wird ihm die Geschichte einen Ehrenplatz unter den Vorkämpfern des internationalen Proletariats sichern." Zu dem von Marx's Gegnern gern kolportierten Anhalten von dessen erbitterter Feindschaft zu Bakunin stellte Mehring klar: "Trotzdem hatte Marx dem alten Revolutionär seine freundschaftliche Gesinnung bewahrt und sich Angriffen widersetzt, die aus seiner näheren Umgebung gegen Bakunin gerichtet worden waren oder werden sollten" (Mehring, Werke, Bd. 3, Dietz Verlag Berlin 1960, S. 508.).

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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2012