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FUNDSTÄTTEN/017: Sizilien - Ausgrabungen sind kein Campingurlaub (forsch - Uni Bonn)


forsch 1/2012 - Februar 2012
Bonner Universitäts-Nachrichten

Ausgrabungen sind kein Campingurlaub

Studierende helfen, antikes Gewerbegebiet auf Sizilien freizulegen

von Ulrike Eva Klopp


Nicht immer ging es den Griechen wirtschaftlich so schlecht wie heute: Bei Ausgrabungen in Sizilien haben Bonner Archäologen eines der größten Handwerkerviertel der griechischen Antike entdeckt. Eine Chance für Studierende, vor Ort "learning by doing" zu arbeiten und mit steigender Erfahrung selbst jüngere Semester zu betreuen.


Die griechische Koloniestadt Selinunt auf Sizilien stammt aus der Zeit vom 7. bis 3. Jahrhundert vor Christus. Die Bonner Altertumswissenschaftler haben dort unter der Leitung von Professor Dr. Martin Bentz im Herbst 2010 und 2011 begonnen, eines der größten Handwerkerviertel der griechischen Antike auszugraben. Vor Ort sind auch Studierende aus Bonn und Rom aktiv. Ihre Arbeit ist beschwerlich - denn sie kann nur in der vorlesungsfreien Zeit im August und September stattfinden, wenn die Hitze am größten ist. "Das ist eine echte Herausforderung und kein Campingurlaub", sagt Grabungsleiter Professor Bentz. Völlig bei Null anfangen sollten bei einem solchen Auslandseinsatz auch die neuen Teilnehmer nicht, ein paar erfahrene und ein paar italienische Studenten machen die Mischung des Teams konstruktiv und interessant.

Axel Miß ist Masterstudent im siebten Fachsemester und war von Anfang an in Selinunt dabei. Inzwischen entlastet er zusammen mit einer ebenfalls erfahrenen Kommilitonin den Grabungsleiter und die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter - und ist begeistert: "Selinunt ist nicht nur spannend, sondern auf uns Studenten zugeschnitten. Wir sammeln allmählich Erfahrung, bis wir selbst Verantwortung übernehmen und andere anleiten können. Außerdem lernen wir das Motto 'Vom Groben ins Kleine arbeiten' von allen Seiten kennen." Nachdem die Deckschicht vorsichtig mit dem Bagger abgeräumt ist, wechseln sich zwei Studentengruppen beim "Buddeln" und im Magazin ab. Denn jeder sollte alles einmal gemacht haben, besondere Begabungen werden aber genutzt und gestärkt.


Euphorie und kleine "Hänger"

So ein Einsatztag mit Spaten, Hacke, Kelle und Pinsel, mit Säubern, Zeichnen, Fotografieren, Vermessen zur Dokumentation macht müde - sollte man meinen. "In der ersten Woche muss ich den Studenten abends schon mal sagen 'Ab ins Bett, damit ihr morgen fit seid.' Nach ein paar Tagen gehen sie freiwillig", schmunzelt Professor Bentz. Axel Miß ist Arbeit gewohnt: Vor dem Studium war er schon einige Jahre berufstätig. Die Euphorie der ersten Tage in Selinunt kennt er von sich selbst - aber auch, dass jeder im Verlauf der sechs Wochen mal einen "Hänger" hat. "Bei viel Arbeit in großer Hitze und nur einem freien Tag ist das kein Wunder. Aber wir sind ein harmonisches Team und haben das bisher gut auffangen können." Gewohnt wird direkt auf dem großen, umzäunten Ausgrabungsgelände in renovierten Bauernhäusern - eher spartanisch, aber mit Büros, Bädern und Mehrbettschlafräumen. Bekocht werden die Archäologen von einer Italienerin, aber nur bis Samstag mittags. Deshalb geht das Team einmal die Woche in den benachbarten Ferienort zum Essen aus und versorgt sich ansonsten selbst.

Spannend sind auch die Inhalte. Denn hier wird die Suche zwar nicht mit kostbaren, aber sehr aufschlussreichen Funden belohnt. "In welchem Maß es bei den alten Griechen schon so etwas wie 'Gewerbegebiete' gab, wird in Fachkreisen bis heute diskutiert", sagt Dr. Gabriel Zuchtriegel. Zusammen mit Dr. Jon Albers koordiniert er das Projekt zu diesem bislang wenig beachteten Lebensbereich der antiken Stadt. Sie arbeiten dabei mit den italienischen Behörden und dem Deutschen Archäologischen Institut zusammen. "Die Konzentration von bestimmten 'Industrien' und Handwerkern in speziellen Vierteln setzt nicht nur vorausschauende Planung voraus. Sie hängt auch mit der Vorstellung zusammen, wie man eine Stadt am besten organisiert - in praktischer, aber auch in sozialer und politischer Hinsicht." Vor allem die Töpfereien mit Qualm, Gestank und Lärm wurden in Selinunt am Rand der Siedlung an der Stadtmauer konzentriert. Gleichzeitig schlossen sich zum Beispiel die Töpfer zu Kooperativen zusammen, die riesige Öfen von bis zu sieben Metern Durchmesser gemeinsam benutzten. Das Handwerkerviertel zog sich wahrscheinlich über mehr als 600 Meter entlang der Stadtmauern und gehört damit zu den größten, die bislang bekannt sind. "In der letzten Woche gibt es bei allen immer viel Adrenalin, weil wir neue Funde noch bearbeiten und die Grabung ordentlich abschließen wollen", erzählt Axel Miß. "Und weil wir uns schon auf das freuen, was wir beim nächsten Mal untersuchen." Zum Beispiel Werkstattreste unter den Töpferöfen des 5. Jh. v. Chr., die noch ein Jahrhundert älter sind. Bis es soweit ist, werden die Grabungsstellen sorgsam abgedeckt und zugeschüttet - sonst würden die sizilianischen Schafe auf dem Gelände ihre eigenen Grabungen veranstalten.


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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Nr. 1, Februar 2012, Seite 30-31
Herausgeber:
Rektorat und Senat der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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forsch erscheint viermal pro Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2012