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ENERGIE/199: Erdölembargo gegen Russland - Teil 2 (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 17. Mai 2022
german-foreign-policy.com

Erdölembargo gegen Russland (III)

EU-Erdölembargo gegen Russland könnte an Interessensgegensätzen in Europa scheitern. Experten rechnen erst mittel- bis langfristig mit Einbrüchen bei Russlands Öleinkünften.


BRÜSSEL/MOSKAU - Zwei Wochen nach Ursula von der Leyens stolzer Ankündigung eines EU-Erdölembargos gegen Russland steckt die Einigung darauf innerhalb der EU immer noch fest. Ursache sind große Interessensgegensätze in Europa, die Brüssel bisher nicht überwinden kann. Mehrere Binnenländer, die russisches Pipelineöl nicht durch Importe per Tankschiff ersetzen können, fordern Fristverlängerungen und Finanzhilfen, die ihnen die EU-Kommission nicht zugestehen will. Der Kompromissvorschlag, lediglich Schiffsimporte russischen Öls mit einem Embargo zu versehen, scheitert an Einwänden auch der am stärksten proukrainischen Staaten, die Konkurrenznachteile für ihre Unternehmen fürchten, wenn Firmen in Ungarn, der Slowakei und Tschechien weiter billigeres russisches Öl nutzen können. Der Forderung, Schiffstransporte russischen Öls zu verbieten, verweigert sich Griechenland, dessen mächtige Reeder dank der Sanktionen gegen russische Schiffe immense Gewinnsprünge erzielen. Gegen den Versuch, russische Ölexporte mit dem Verbot lukrativer Versicherungsleistungen zu verhindern, wehrt sich die Londoner City. Moskau kann dieses Jahr mit Rekordeinnahmen aus dem Ölverkauf rechnen.

Zusatzkosten in Zentraleuropa

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte ihre Pläne für das Erdölembargo gegen Russland bereits am 4. Mai, vor beinahe zwei Wochen, offiziell vorgestellt und angekündigt, die erforderliche Zustimmung sämtlicher EU-Mitgliedstaaten binnen weniger Tage einzuholen. Das ist ihr bis heute nicht gelungen. Auch beim gestrigen Treffen der EU-Außenminister zeichnete sich kein Fortschritt ab. Ursache ist unverändert, dass vor allem Ungarn, aber auch die Slowakei und Tschechien auf erheblich längeren Übergangsfristen beharren, weil sie als Binnenländer auf eine Versorgung mit Pipelines angewiesen sind und über keine Alternative zu russischem Öl verfügen. Pipeline-Neubauten - etwa eine Leitung aus Kroatien nach Ungarn - verursachen hohe Kosten. Teuer ist auch die Umrüstung der Raffinerien, die auf die spezifische chemische Zusammensetzung des russischen Öls ausgelegt sind und jetzt für viel Geld an Erdölsorten aus anderen Lieferländern angepasst werden müssen. Aus diesem Grund weigert sich auch Bulgarien, dem Erdölembargo zuzustimmen. Alle vier Länder fordern neben längeren Übergangsfristen auch erhebliche finanzielle Beihilfen für den Umbau ihrer Erdölinfrastruktur. Zu beidem ist Brüssel bisher nicht bereit.

Konkurrenznachteile im Nordosten

Umgekehrt stößt ein Gegenvorschlag Ungarns auf Widerspruch in anderen EU-Staaten. Er sieht vor, Lieferungen russischen Erdöls per Schiff zu untersagen, Lieferungen per Pipeline aber vom Embargo auszunehmen. Das EU-Erdölembargo wäre damit unter Dach und Fach, ohne Ungarn, die Slowakei und Tschechien übermäßig zu schädigen. Dagegen allerdings protestieren nicht zuletzt diejenigen Staaten, die am energischsten auf ein Embargo dringen. So wird ein Beamter eines "Hardlinerlandes" - mutmaßlich Polen, Estland, Lettland oder Litauen - mit der Äußerung zitiert, der Vorschlag sei "keine gute Idee", da er "eine Bedrohung für die Wettbewerbsregeln" der EU darstelle: Die Käufer russischen Pipelineöls profitierten von einem erheblich günstigeren Preis, sie hätten also einen Vorteil gegenüber denjenigen Staaten, die teureres Öl bei anderen Lieferanten erwerben müssten.[1] Aus Sicht selbst der erwähnten "Hardlinerländer" darf dies nicht der Fall sein; die innereuropäische Konkurrenz geht vor. Der Konflikt dauert unvermindert an. Beobachter spekulieren mittlerweile, er könne erst auf dem EU-Gipfel Ende Mai gelöst werden.

Griechenlands Tankerflotte

Bereits aufgegeben hat die EU-Kommission Berichten zufolge den Plan, jeden Transport russischen Erdöls mit Tankschiffen aus der EU zu untersagen. Beabsichtigt war, das Verbot in enger Absprache mit den G7 einzuführen - in der Hoffnung, die USA seien in der Lage, Länder wie Liberia, die Marshallinseln oder Panama, unter deren Flagge zahlreiche Handelsschiffe fahren, zur Übernahme des Embargos zu zwingen. Allerdings habe dazu bei den G7 keine Einigkeit geherrscht, heißt es.[2] In der EU wiederum haben sich vor allem griechische Reeder der Maßnahme widersetzt. Griechenland besitzt nach Branchenangaben mit 716 Öltankern die größte Tankerflotte der Welt. Seit russische Schiffe aus westlichen Häfen zunehmend ausgesperrt werden, übernehmen vor allem griechische Tanker ihre Transporte; vom 1. bis zum 27. April nahm die Zahl der griechischen Tanker, die Erdöl aus zentralen russischen Häfen exportierten, um über das Zweieinhalbfache gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 76 von insgesamt 190 Schiffen zu.[3] Auf Druck der einflussreichen Reeder weigert sich Athen, einem Transportverbot für russisches Öl zuzustimmen, das insbesondere der griechischen Branche zusätzlich zu konkreten Einbußen ernste Konkurrenznachteile brächte.

Die Londoner City

Hoffnungen setzen die Befürworter eines Erdölembargos gegen Russland nun stattdessen in hohem Maß auf den Plan der EU-Kommission, allen Firmen aus der EU Versicherungs- und andere Dienstleistungen für russische Öltransporte zu untersagen. Das gilt als aussichtsreich, da der unversicherte Öltransport von gewaltigen Risiken belastet ist. Experten sprechen von einem "weltweiten Embargo auf russisches Öl durch die Hintertür".[4] Allerdings müsste dazu Großbritannien zur Mitwirkung veranlasst werden: In London ist die International Group of P&I Clubs ansässig, ein Zusammenschluss von 13 sogenannten P&I Clubs, die mit dem Schiffstransport verbundene Risiken versichern; die International Group of P&I Clubs kontrolliert rund 90 Prozent des Weltmarkts. Die Londoner Branche widersetzt sich nun aber den Sanktionsplänen nach Kräften - und weist ausdrücklich darauf hin, dass Versicherer in anderen Ländern, insbesondere in Russland und China, bereitstehen, um einzuspringen und westlichen Versicherern Marktanteile abzunehmen.[5] Darüber hinaus erinnern Experten daran, dass Versicherungsverbote auf Schattenmärkten umgangen werden können - oder dadurch, dass russischem Öl auf hoher See Öl anderer Herkunft beigemischt wird: Offiziell zählt Russland dann nicht mehr als Ursprungsland.[6]

Steuerrekorde

Unabhängig von den Schwierigkeiten der EU, ihr stolz angekündigtes Erdölembargo zu verhängen, gehen Experten mittlerweile nicht mehr wirklich von kurzfristigen Einbrüchen bei den russischen Einnahmen aus dem Erdölexport aus. Wegen des stark gestiegenen Ölpreises könne Moskau in diesem Jahr auf Steuereinnahmen aus dem Ölverkauf in Höhe von rund 180 Milliarden US-Dollar hoffen - 45 Prozent mehr als 2021, sogar 181 Prozent mehr als 2020, sagt die Osloer Energieberatungsfirma Rystad Energy voraus. Hinzu kämen Steuereinkünfte aus dem Erdgasverkauf in Höhe von rund 80 Milliarden US-Dollar - auch dies erheblich mehr als im Vorjahr.[7] Daran werde auch eine drastische Reduzierung der Öl- und Gaskäufe der EU nichts ändern: Vor allem China und Indien weiten ihren Ölimport aus Russland aus; Indien etwa hat von dort im März 274.000 Barrel pro Tag, im April schon 627.000 Barrel pro Tag eingeführt, das Zwanzigfache des Jahresdurchschnitts von 2021 - zwar mit einem 30-prozentigen Abschlag, aber dennoch erheblich über dem langjährigen Durchschnittspreis; das sichert das russische Einnahmewachstum. Tiefe Einbrüche halten Experten allerdings auf längere Sicht für möglich: Wie eine Expertin von Rystad Energy urteilt, werde Russland den Verlust seiner Exporte in den Westen nur mit massiven Investitionen in die Ölinfrastruktur - insbesondere Pipelines - in Asien auffangen können; das koste viel Geld und werde die Gewinne drastisch schrumpfen lassen. Das sei aber erst mittelfristig der Fall.[8]


Mehr zum Thema:

Erdölembargo gegen Russland
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8911
(nicht im Schattenblick veröffentlicht)

und Erdölembargo gegen Russland (II)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8914
siehe im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → Infopool → Europool → Wirtschaft
ENERGIE/197: Erdölembargo gegen Russland (german-foreign-policy.com)


Anmerkungen:

[1] Jorge Liboreiro, Efi Koutsokosta, Shona Murray: Talks on a EU-wide Russian oil ban could drag on until end of May, diplomats tell Euronews. euronews.com 13.05.2022.

[2] Eleni Varvitsioti, Sam Fleming, Harry Dempsey: EU drops plans to ban shipping of Russian crude in face of opposition. ft.com 09.05.2022.

[3] Michelle Wiese Bockmann: Russian sanctions provide opportunity for Greek shipowners. lloydslist.maritimeintelligence.informa.com 29.04.2022.

[4] Eleni Varvitsioti, Sam Fleming, Harry Dempsey: EU drops plans to ban shipping of Russian crude in face of opposition. ft.com 09.05.2022.

[5] Michelle Wiese Bockmann: Russian sanctions provide opportunity for Greek shipowners. lloydslist.maritimeintelligence.informa.com 29.04.2022.

[6] Anna Hirtenstein: The West Is Still Buying Russian Oil, but It's Now Harder to Track. wsj.com 21.04.2022.

[7] Lifting the curtain on Russia's oil and gas sectors that will bring in an estimated $260 billion in 2022. rystadenergy.com 02.05.2022.

[8] Steven Mufson: Where are Russia's barrels of oil going? washingtonpost.com 11.05.2022.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 21. Mai 2022

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