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ENERGIE/128: Maghreb - Warten auf die "grüne Utopie", Wüstenstromprojekt Desertec kommt nicht voran (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Dezember 2012

Maghreb: Warten auf die "grüne Utopie" - Wüstenstromprojekt Desertec kommt nicht voran

von Julio Godoy



Berlin, 13. Dezember (PS) - Als die 'Desertec Industrial Initiative' (DII), ein Konsortium aus 21 großen europäischen Unternehmen, erstmals die Pläne für den Aufbau eines Netzwerks aus Solarwärme-, Fotovoltaik- und Windanlagen in der Maghreb-Region vorstellte, wurde das europäisch-afrikanische Gemeinschaftsprojekt als 'grüne Utopie' gefeiert.

Bis 2050 soll die 400 Milliarden Euro schwere Investition 100 Gigawatt Strom bereitstellen. In einer im Sommer veröffentlichten Studie versprach Desertec, dass Europa durch das Vorhaben 95 Prozent seines CO2-Emissionsziels für den Energiesektor durch den Import von bis zu 20 Prozent Wüstenstrom erfüllen werde und dadurch 33 Milliarden Euro im Jahr einsparen könne.

In der Zwischenzeit sollten die Länder in Nahost und Nordafrika in die Lage versetzt werden, ihren eigenen Energiebedarf durch die reichlich vorhandenen Sonnen- und Windkraftressourcen der Region zu decken und eine 50-prozentige CO2-Reduktion im Energiesektor trotz steigender Nachfrage herbeizuführen. Die Region würde an dem Stromexportgeschäft jährlich 63 Milliarden Euro verdienen, hieß es.

Doch drei Jahre nach Vorstellung der Initiative konnte der Traum nicht verwirklicht werden. Die anfängliche Begeisterung ist in Frust umgeschlagen und hat dem Projekt den Spitznamen 'Desperate tec' ('Desolattec') eingetragen.


Enormes Potenzial

Im sogenannten Weißbuch wagt die DII die Prognose, dass das wirtschaftliche Potenzial der erneuerbaren Energien in EUMENA (Europa, Nahost und Nordafrika) die derzeitige Nachfrage bei weitem übersteigt und dass allein das Potenzial der Solarkraft das der anderen erneuerbaren Energien in den Schatten stellen werde.

Wie aus dem Weißbuch weiter hervorgeht, das sich auf Zahlen deutscher Forschungseinrichtungen und dem 'Club of Rome' beruft, könnten mit Hilfe konzentrierender Kollektorsysteme in den MENA-Staaten pro Quadratkilometer und Jahr bis zu 250 Gigawatt Strom generiert werden. Das entspräche dem Energie-Äquivalent von 1,5 Millionen Barrel Rohöl. Ein Sonnenkollektorenfeld von der Größe des ägyptischen Nasser-Sees (6.000 Quadratkilometer) würde das Energie-Äquivalent der derzeitigen Ölproduktion in der Region Nahost erwirtschaften.

Marokko, das als Standort für das Desertec-Pilotprojekt ausgewählt wurde, ist besonders interessiert daran, dass das Vorhaben endlich Form annimmt. Der nordafrikanische Staat erwartet von dem Vorhaben enorme Impulse für seine Wirtschaft und den Arbeitsmarkt.

2009 sind in etlichen Städten des Königreichs einschließlich Casablanca 'grüne Netzwerke' mit der Absicht entstanden, die für das Projekt notwendigen Infrastrukturen zu schaffen. "Wir haben Firmen gegründet und an Fortbildungskursen teilgenommen, doch nichts ist geschehen", kritisiert Abdellah Benjdi, einer der Jungunternehmer, im IPS-Gespräch.

Marrokaner ächzen derzeit unter der Last astronomisch hoher Stromkosten. Für sie kann die grüne Utopie nicht schnell genug Realität werden. Doch derzeit sieht es nicht danach aus, als würde ihre Geduld belohnt werden.

Offen zutage traten die Schwierigkeiten, mit denen sich Desertec konfrontiert sieht, am 7. November in Berlin bei der Vorstellung der für die südzentralmarokkanische Provinz Ouarzazate bestimmten Solarwärme-, Fotovoltaik- und Windanlagen. Diese sollen bis spätestens 2014 ans Netz gehen. Doch der Projektpartner Spanien muss noch dem Transport des in Ouarzazate zu generierenden Stroms zustimmen.

Die spanische Regierung, die derzeit mit einer schweren Rezession geschlagen ist, sieht sich außer Stande, dem Vorhaben seine Unterstützung zuzusagen. Daran dürfte sich in naher Zukunft auch nichts ändern, zumal das südeuropäische Land ein Netto-Strom-Exporteur Marokkos ist. Eine erfolgreiche Umsetzung des Pilotprojekts in Ouarzazate hätte zur Folge, dass Spanien auf dringend benötigte Einnahmen verzichten müsste.

"Das Geschäftsmodell für ein von uns und der marokkanischen Solaragentur 'Masen' vorbereitetes Desertec-Referenzprojekt wurde in den vergangenen zwei Jahren ausgiebig mit (dem beteiligten spanischen Stromnetzbetreiber) 'TSO Red Eléctrica' und der Europäischen Kommission besprochen und für machbar erklärt", berichtete der DII-Geschäftsführer Paul van Son während der Präsentation in Berlin.

Das erste Projekt unter Leitung des deutschen Energieriesen RWE hätte eine installierte Kapazität von 100 Megwatt Strom aus Sonnen- und Windkraft. Ein zweites Sonnenthermie-Vorhaben unter Leitung der saudischen Firma 'ACWA Power International' soll über eine installierte Stromerzeugungskapazität von 160 Megawatt verfügen.

Wie van Son erklärte, wurden Investoren gefunden, Anfangssubventionen angeschoben und das Interesse der Industrie geweckt. Doch Spanien habe sich geweigert, Vertreter nach Berlin zu entsenden, und Projekt mit Marokko noch nicht gegengezeichnet. Der DII-Chef war aber zuversichtlich, dass die anderen involvierten Parteien - von Marokko bis zur EU - Spanien noch zum Umdenken bewegen könnten - nicht zuletzt weil Madrid von dem Projekt profitieren würde.


Koordinationsdefizite

Doch der spanische Widerstand ist nur ein Beispiel für die ungeheuren politischen, technischen und finanziellen Hürden, die Desertec überwinden muss. Auch die Ankündigung von DII-Gründungsmitglied Siemens im Oktober, sich aus der Initiative zurückzuziehen, hat das Vorhaben zurückgeworfen. Die Entscheidung des deutschen Elektrokonzerns wurde von vielen als ein Indiz interpretiert, dass Desertec zum Scheitern verurteilt ist.

Nach Ansicht von Friedrich Führ, Gründungsstifter und Vorstandsmitglied von Desertec, fährt die DII die falsche Strategie. Wie er gegenüber IPS erklärte, sollte die DII ursprünglich einen politischen Fahrplan erstellen, um internationalen Koordinationsschwierigkeiten vorzubeugen und Steuer- und Subventionsfragen vorab zu klären.

Wie Führ weiter erklärte, sollte man von einer Koalition aus so einflussreichen und fähigen Privatunternehmen wie der Deutschen Bank, UniCredit, RWE und SCHOTT Solar eigentlich erwarten dürfen, dass sie innerhalb von drei Jahren den erforderlichen politischen Rahmen hinbekommen würde, um Desertec Wirklichkeit werden zu lassen.

Das den sei die DII schuldig geblieben, meinte Führ. Stattdessen habe man sich auf den Start eines einzigen Modellprojekts in Ouarzazate konzentriert. Die Energierevolution, die die Welt in Zeiten des Klimawandels so dringend brauche, sei bereits in Gang. "Doch Desertec ist nicht dabei." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.desertec.org/
http://www.desertec.org/fileadmin/downloads/WhiteBook_Excerpt_Trieb_Steinhagen.pdf
http://www.ipsnews.net/2012/12/dreams-of-a-green-utopia-wither-in-the-maghreb/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. Dezember 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2012