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AGRAR/1667: EU-Agrarpolitik wieder stärker in der Diskussion (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 403 - Oktober 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

EU-Agrarpolitik wieder stärker in der Diskussion

Erwartungen über die Zeit nach 2020 und was heute schon mögIich ist

von Ulrich Jasper, AbL-Bundesgeschäftsführer


Die Zukunft der EU-Agrarpolitik wird wieder stärker diskutiert, sowohl auf europäischer Ebene als auch in Deutschland. Unterschiedliche Akteure melden sich mit Kritik, Forderungen und Vorschlägen zu Wort. Während einige vor dem Hintergrund der schweren Marktkrisen in den Bereichen Milch, Schweinefleisch und Obst Änderungen bei den Kriseninstrumenten der Gemeinsamen Marktorganisation der EU fordern, nehmen sich andere vor allem das Geld im EU-Agrarhaushalt vor die Brust.

Die Milchmarktkrise lässt kaum eine andere Bilanz zu, als dass die Gemeinsame Marktorganisation versagt hat. Sie hat weder auf den starken Absturz der Erzeugerpreise noch auf die außergewöhnlich lange Dauer des Preistiefs wirksame Antworten gegeben. Das lag zum einen daran, dass es in der EU-Verordnung keine konkreten Instrumente zur Vermeidung oder Bekämpfung solcher Krisen gibt. Der vom EU-Parlament im Zuge der 2013er Reform eingebrachte Vorschlag eines mengenwirksamen Bonus-Malus-Systems in Krisenzeiten war damals maßgeblich am Widerstand Berlins gescheitert. Zum anderen hat es aber auch jetzt wieder am politischen Willen von EU-Kommission und EU-Agrarministerrat gemangelt: Sie haben die in der Verordnung immerhin angelegten Optionen nicht genutzt, um schnell Maßnahmen zur Reduzierung des Überangebots zu beschließen. Das nun angelaufene finanzielle EU-Programm kommt reichlich spät und schwächlich daher. Was also sind die Lehren aus diesen Krisen? Wird es mehr geben als Versuche, die äußerst schwache Position der Bauern in der "Lebensmittelkette" zu diskutieren und darauf ausgerechnet mit einer Stärkung der (Molkerei-)Genossenschaften zu reagieren? In Deutschland hat die größte Genossenschaft, das Deutsche Milchkontor DMK, Selbstbilfemaßnahmen verweigert und zahlt den schlechtesten Erzeugerpreis.


Lehren aus den Krisen

Das Versagen der Marktordnung aus Sicht der Mehrheit der Bauern wird aber auch anders genutzt: Im härter werdenden Kampf um die Gelder des EU-Haushaltes werden die Marktkrisen als Argument dafür eingesetzt, dass an der Höhe der Direktzahlungen in der 1. Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nicht gerüttelt werden darf. In so einer Situation verbiete es sich, Umschichtungen hin zu zielgerichteten Programmen in der 2. Säule oder Differenzierungen der Gelder zu fordern. So klingt es beim Deutschen Bauernverband, bei der CDU, beim Bundeslandwirtschaftsministerium BMEL, und so spricht auch der dienstälteste SPD-Landesminister Till Backhaus aus Mecklenburg-Vorpommern. Andere dagegen betonen, dass die Agrarausgaben mit jährlich rund 55 Milliarden Euro den größten Einzelposten im EU-Haushalt ausmachen. 75 Prozent davon gehen in die Direktzahlungen, und weil diese Gelder auch nach Einführung des Greenings nicht wirklich an besondere Leistungen für Natur-, Umwelt- und Tierschutz gebunden sind, werden die Direktzahlungen als Fundgrube gesehen, oder als finanzielles Potenzial, um die erforderlichen Mehrleistungen von Bauern und anderen Akteuren im Ländlichen Raum zu bezahlen. Nicht mehr die Fläche soll Maßstab für Zahlungen sein, sondern die Erbringung besonderer Leistungen. Die ewige Debatte um eine gerechtere Verteilung der Zahlungen unter den Betrieben, um Staffelungen, Obergrenzen und Berücksichtigung der Arbeit wird dabei gar nicht mehr erwähnt. Übersetzt wird das dann mit "Abschaffung der Direktzahlungen", was eine gewisse Aufmerksamkeit in der Fachöffentlichkeit verspricht. So ist das zu lesen hei beim Grünen-Minister aus Schleswig-Holstein Robert Habeck und dem EU-Abgeordneten Martin Häusling, bei der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, und so argumentieren Bioverbände und Naturschutzverbände. Ihre Zielmarke dabei ist das Jahr 2020. Dann endet nach bisherigem Plan die derzeitige EU-Förderperiode (2014-2020), und eine neue Ära mit grundlegend anderer EU-Agrarpolitik soll beginnen - so die Hoffnung. An "die Reform 2020" werden große Erwartungen geknüpft.


EU ohne Reformeifer

Es scheint so, als sei bei der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) automatisch von einem großen Reformwillen in Brüssel auszugehen. Schließlich gab es mit EU-Kommissar Fischler eine große Reform 1999 (Agenda 2000) und nach der BSE-Krise gleich noch eine Halbzeit-Reform 2003, Fischer Boel legte 2008 einen "Gesundheits-Check" hin und Ciolos erreichte 2013 eine viel diskutierte Reform.

Die Europäische Union ist aber heute eine deutlich andere als noch 2014. Finanzkrise, Bankenkrise, Verschuldungskrise (nicht nur in Griechenland), Jugendarbeitslosigkeit, Ukraine-Konflikt und Russlands Importstopp, zunehmender Nationalismus in vielen EU-Mitgliedstaaten, der von gegenseitigem Unverständnis geprägte Umgang mit Hunderttausenden Flüchtlingen vor allem aus Kriegsregionen in Europas Nachbarschaft und nicht zuletzt die "Brexit"-Abstimmung in Großbritannien: Vor diesem Hintergrund hat unsere EU vor allem damit zu tun, nicht auseinander zu brechen. Die Fliehkräfte sind gewaltig. Da ist es unwahrscheinlich, dass ausgerechnet in der Agrarpolitik ein gemeinsames Anpacken für eine grundlegende Reform der Marktregeln und Geldströme auftaucht. Oberste Maxime der Staats- und Regierungschefs, des Europäischen Parlaments und der Kommission wird vielmehr sein, den Laden irgendwie zusammen zu halten und auf die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten einzugehen, nicht zuletzt beim Geld.

16 der bald 27 Mitgliedstaaten sind im EU-Agrarhaushalt Netto-Empfänger. Sie erhalten mehr an Direktzahlungen und Mitteln aus der 2. Säule (Ländliche Entwicklungsförderung), als sie über ihre nationalen Beiträge an die EU zur Finanzierung der GAP beitragen. Viele der Netto-Empfänger sind bisher auch überfordert damit, für die Umsetzung der ganzen Bandbreite an zielspezifischen Fördermaßnahmen der 2. Säule die erforderlichen Verwaltungsstrukturen zu schaffen. Es ist einfacher, Geld pro Hektar zu verteilen als zur Honorierung für bestimmte Leistungen einzusetzen. Fünf Mitgliedstaaten schichten sogar EU-Mittel aus der 2. Säule in Direktzahlungen um (Polen sogar 25 Prozent).


Was daraus folgt

All das löst keines der Probleme, weder für die Mehrheit der Bauern, noch für Umwelt, Tierschutz und ländliche Entwicklung. Die Kritik an der GAP bleibt notwendig. Aber der Blick auf die GAP sollte erweitert werden. Denn die bestehende GAP bietet den Mitgliedstaaten heute viele Möglichkeiten, um in der Marktordnung und weit mehr noch in der Verwendung der EU-Gelder im Sinne von Bauern und gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen große Fortschritte zu erzielen:

Deutschland kann den Molkereien heute schon vorschreiben, in Verträgen mit den Milcherzeugern oder in den Lieferordnungen Mengen, Preise, Qualitäten und Vertragslaufzeit festzulegen. Deutschland kann im kommenden Jahr die Umschichtung von Direktzahlungen z.B. in Agrarumwelt- und Tierwohlprogramme der 2. Säule von heute 4,5 auf 15 Prozent erhöhen und damit eine Qualitätsstrategie mit mehr Wertschöpfung auf den Höfen vorantreiben. Deutschland kann jedes Jahr die Umschichtung auf die ersten Hektar je Betrieb von heute 7 auf 30 Prozent erhöhen, was Betriebe mit bis zu 100 ha stärken würde. Deutschland könnte bis zu 8 Prozent umschichten in eine an Weidehaltung von Schafen, Ziegen und Rindern gebundene Direktzahlung. Deutschland kann in der 2. Säule die Förderung in Höhe von bis zu 40 Prozent für immer größere Stallanlagen beenden und sich auf einen Umbau der Tierhaltung zum Wohle von Tieren und bäuerlichen Betrieben konzentrieren.

Je mehr davon umgesetzt wird, bevor auf EU-Ebene über die nächste GAP-Reform entschieden wird, umso größer sind die Chancen, dass die GAP-Reform in diesem Sinne gelingt. Die größten Bremser hierfür finden wir im eigenen Land.

Ulrich Jasper,
AbL-Bundesgeschäftsführer

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 403 - Oktober 2016, S. 6
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2016

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