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AGRAR/1475: Im Konkreten droht die Kommission die Linie zu verlieren (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 347 - September 2011
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Im Konkreten droht die Kommission die Linie zu verlieren
Die durchgesickerten Vorentwürfe zur EU-Agrarreform bewertet der AbL-Vorsitzende Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf

von Ulrich Jasper


BAUERNSTIMME: Erste Vorentwürfe für die konkreten Verordnungsvorschläge zur Reform der EU-Agrarpolitik sind durchgesickert. Ist das Glas halb voll oder schon wieder halb leer?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Auf den ersten Blick finden sich einige zentrale Vorschläge der AbL in den Papieren wieder. Es ist eine Staffelung mit Obergrenze und Berücksichtigung der Arbeitskraft im Ansatz drin, das Greening wird nicht beliebig ausgestaltet und nicht auf Kosten der zweiten Säule bezahlt und es beinhaltet die Fruchtfolge als eine von drei vorgegebenen Anforderungen. In der konkreten Ausgestaltung aber sind die Vorschläge stark abgeschwächt, zum Teil sogar ins Absurde verdreht. Es sind Vorentwürfe, die schon einige Wochen alt sind, so dass noch Spielraum für Nachbesserungen vorhanden ist. Wir haben Agrarkommissar Dacian Ciolos aufgefordert, notwendige Änderungen noch vorzunehmen, bevor die Vorschläge veröffentlicht werden.

BAUERNSTIMME: Fangen wir mit der Staffelung der Direktzahlungen an. Ab 150.000 Euro pro Betrieb soll gekürzt werden, bei 300.000 wird ganz gekappt, wobei die vollen Lohnkosten des Betriebes kürzungsmindernd angerechnet werden. Was stimmt da nicht?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Erstens wird mit der Kürzung und Kappung zu hoch angesetzt, es handelt sich ja um die Basisprämie, also um höchstens 70 Prozent der heutigen Direktzahlungen, die da begrenzt werden sollen. Wir hatten 150.000 Euro vorgeschlagen, aber nicht als Einstieg für die Staffelung, sondern als Obergrenze. Die Kürzungsschwellen müssen also deutlich unterhalb dieser absoluten Obergrenze von 150.000 gesetzt werden. Zweitens, und das ist fast noch wichtiger, ist es falsch, wenn die Betriebe, die von einer Obergrenze betroffen sind, ihre vollen Lohnkosten zu 100 Prozent anrechnen können, um die Kürzung zu mindern. Das kann bzw. wird dazu führen, dass solange Leute eingestellt werden, bis die Kürzung aufgehoben ist. Das ist Unsinn. Es muss ein wesentlicher Anreiz für den Betrieb vorhanden sein, Betriebszweige mit einer marktfähigen Wertschöpfung aufzubauen, die zur Honorierung eines wirtschaftlich sinnvollen Arbeitskräfteeinsatzes führen. Deshalb fordern wir, dass maximal 50 Prozent der Lohnkosten kürzungsmindernd anrechenbar sind.

Aber schon heute beziehen rationalisierte flächenstarke Ackerbaubetriebe EU-Zahlungen, die ihre vollen Lohnkosten sogar um ein Vielfaches übersteigen. Das folgt der grundsätzlichen Logik der bisherigen EU-Agrarpolitik, dass die Betriebe am meisten von den Brüsseler Geldern profitieren, wenn sie Arbeitsplätze wegrationalisieren. So kommt es, dass heute ein rationalisierter 2.000 Hektar-Ackerbaubetrieb, der mit nur noch fünf Arbeitskräften auskommt, bei angenommenen 300 Euro Direktzahlung pro Hektar umgerechnet 120.000 Euro pro Arbeitskraft aus Brüssel zieht, während bäuerlich wirtschaftende Betriebe nur ein Zehntel davon pro Arbeitskraft bekommen. Mit ihrem Vorschlag bricht die Kommission bei den Großbetrieben mit der alten Logik der faktischen Rationalisierungsförderung und führt nun einen Bezug zum Faktor Arbeit ein. Dafür haben wir 20 Jahre lang hart gestritten. Auch wenn die Ausführung, wie die Kommission das umsetzen will, nicht hinreichend ist, so ist der Ansatz doch eine Umkehrung der alten Logik, allerdings nur für das eine Prozent Großbetriebe, die immerhin 30 Prozent aller Zahlungen erhalten. Auch hier muss die Kommission für die große Mehrheit der Betriebe nachlegen.

BAUERNSTIMME: Wie?

GRAEFE ZU BARINGDORF: Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten arbeitsintensiver bäuerlicher Wirtschaftsweisen gibt es auch unterhalb der diskutierten Obergrenzen. Wir fordem EU-Kommission, EU-Parlament und Agrarministerrat deshalb auf, den Mitgliedsstaaten und Bundesländern das Recht einzuräumen, über die vorgeschlagene Regelung hinauszugehen und auch für kleine und mittlere bäuerliche Betriebe einen Bezug zwischen Direktzahlungen und dem Faktor Arbeit zu schaffen. Dass das technisch geht, zeigen die vom Bauernverband dominierten Berufsgenossenschaften, die für jeden Betrieb jetzt den Beitrag zur Unfallversicherung nach dem kalkulatorischen Arbeitszeitbedarf des Betriebes berechnen, mit dem Ergebnis, dass dort die arbeitsintensiven kleineren und mittleren bäuerlichen Betriebe nun in die höchsten Beitragsbemessungen kommen und damit relativ die größten Beiträge zahlen.

BAUERNSTIMME: Kommen wir zum "Greening". Laut Vorentwurf will die Kommission 30 Prozent der Direktzahlungen daran binden, dass der Betrieb auf dem Acker eine Mindestfruchtfolge einhält, Dauergrünland nicht umbricht und 5 Prozent der Fläche als ökologische Schwerpunktfläche ausweist.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Die volle Prämienauszahlung aus der ersten Säule mit diesen Auflagen zu konditionieren ist vernünftig. Nur, wenn es im Konkreten tatsächlich zu den durchgesickerten Vorschlägen kommen sollte, bleibt diese Konditionierung in der Fläche wirkungslos. Es ist geradezu lächerlich, eine dreigliedrige Fruchtfolge zu fordern, in der eine Frucht 70 Prozent der Ackerfläche ausmachen darf. Die AbL hat bewusst eine Grenze von maximal 50 Prozent für eine Frucht vorgeschlagen, weil erst das in der Regel einen jährlichen Fruchtwechsel bedeutet. 50 Prozent sind nicht einfach nur 20 Prozent weniger als die 70 Prozent, sondern sie markieren den notwendigen qualitativen Sprung hin zu dem ackerbaulich sinnvollen jährlichen Fruchtwechsel. Genauso ist es mit der Anforderung, dass zwei weitere Früchte einen Mindestanteil von jeweils nur 5 Prozent umfassen müssen, und das sogar ohne nähere Bestimmung. Die AbL fordert verbindlich 20 Prozent Leguminosen in der Fruchtfolge, d.h. praktisch auf einer Fläche alle fünf Jahre. Alle Argumente sprechen dafür. Es ist falsch, wenn die Kommission sich darum drückt und heimische Eiweißpflanzen mit zusätzlichem Geld aus der zweiten Säule konkurrenzfähig machen will. Das hat schon bisher nicht geklappt und verschleudert außerdem wertvolle Haushaltsmittel. Apropos zweite Säule. Die Kommission will dort unter der Überschrift Risikomanagement offenbar eine neue Form von Einkommensausgleich einführen. Die EU soll Fonds zur gegenseitigen Hilfe fördern, aus denen Bauern bei einem Einkommensrückgang um mehr als 30 Prozent im Vergleich zu drei vorangegangenen Jahren dann 70 Prozent des Ausfalls ausgeglichen wird.

Davon halte ich nichts. Den Nachweis für solche Einkommensrückgänge für den Einzelbetrieb zu führen wird den großen Betrieben immer leichter fallen als kleineren bäuerlichen Betrieben. Wenn die Mitgliedschaft in solchen Fonds für die Betriebe faktisch verpflichtend wird, werden also die bäuerlichen Betriebe mehr einzahlen, als sie davon haben, auch weil das saisonale Betriebsrisiko bei diesen Höfen geringer ausgeprägt ist als bei agrarindustriellen Großbetrieben. Außerdem wirkt eine staatliche Absicherung von betriebswirtschaftlichen Risiken wie ein Anreiz, Risiken einzugehen und auf Vorsorge zu verzichten. Dringend verhindert werden muss aber auch, dass eine solche Risikoförderung finanziell zu Lasten der zweiten Säule geht. Wenn Mitgliedsstaaten das fördern wollen, dann muss das aus der ersten Säule bezahlt werden, aber mit nationaler Kofinanzierung.

BAUERNSTIMME: Was ist, wenn die Kommission bei all den genannten Vorschlägen bleiben sollte? Bisher galt die Kommission im Vergleich zum EU-Parlament und besonders zum Agrarministerrat als fortschrittlicher.

GRAEFE ZU BARINGDORF: Bei der Staffelung und dem Greening hat die Kommission bisher die Vorschläge aus der gesellschaftlichen Debatte stärker aufgegriffen als Parlament und Rat. Dass aber die Kommission in der konkreten Ausgestaltung unter Druck gerät, zeigt, wie stark die Profiteure der bisherigen Prämienvergabe schon wieder Einfluss genommen haben. Wir werden sehen, was genau die Kommission im Oktober schließlich vorlegen wird. Ein wesentlicher Unterschied zu den letzten Reformen ist, dass der Prozess der Entscheidungen jetzt erheblich länger dauert, auch weil das Parlament diesmal die Mitbestimmung hat. Das heißt, uns bleibt auch mehr Zeit und Raum, auf die Entscheidungsträger einzuwirken. Unser Mittel dabei ist die öffentliche Auseinandersetzung. Die werden wir weiter führen. Ich bin überzeugt, dass die Entscheidungsträger nicht mehr einfach darüber hinweggehen können.

BAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Gespräch


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 347 - September 2011, S. 13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2011