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AGRAR/1387: Eine umfassende Reform der EU-Agrarpolitik ist nötig (AbL)


Gemeinsame Pressemitteilung von
AbL, BUND, Forum Umwelt & Entwicklung, eed, MISEREOR - 1.7.2010

Eine umfassende Reform der EU-Agrarpolitik ist nötig

Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern Abkehr von Agrarpolitik im Dienste der Agrarindustrie


Berlin, 1. Juli 2010. Globale Verantwortung und Ernährungssouveränität müssen künftig in der Europäischen Agrarpolitik fest verankert und mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden: Das ist die Kernforderung des Forums Umwelt und Entwicklung, das heute anlässlich des Deutschlandbesuchs von EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos in Berlin sein Positionspapier vorstellte. Als weltweit größter Exporteur und zweitgrößter Importeur von Agrarprodukten trage die EU maßgeblich Verantwortung für die Eindämmung von Landraub in Ländern des Südens, für faire Handelsbedingungen und für den Schutz natürlicher Ressourcen. Die bisherige Agrarpolitik versage hinsichtlich internationaler Verpflichtungen zum Menschenrecht auf Nahrung ebenso wie beim Klima- und Artenschutz, heißt es weiter im Positionspapier. Die EU-Agrarreform für die Zeit nach 2013 müsse daher grundlegend sein und dürfe nicht nur kosmetische Korrekturen anbringen.

"Unter dem Vorwand der weltweiten Ernährungssicherung setzt die Bundesregierung in ihrem bisherigen Reformvorschlag einseitig auf Produktions- und Exportsteigerung", kritisiert Armin Paasch, Agrarhandelsexperte des katholischen Hilfswerks MISEREOR. "Künstlich verbilligte Agrarexporte stillen nicht den Hunger, sondern verschärfen ihn. Sie verbauen Kleinbauern, die ohnehin zu den Ärmsten gehören, den Marktzugang und damit ihre wichtigste Einkommensgrundlage." Paasch kritisiert zudem die massiven Futtermittelimporte vor allem von Sojaschrot, die in Ländern des Südens fast 18 Millionen Hektar Land beanspruchen. "Dieses Land wird dringend zur heimischen Nahrungsversorgung benötigt."

"Die europäische Agrarpolitik verursacht mit ihren derzeitigen Instrumentenimmer noch Dumpingexporte in Entwicklungsländern", fügt Rudolf Buntzel vom Evangelischen Entwicklungsdienst (eed) hinzu. "Viele Formen der Agrarsubventionen führen dazu, Exporte künstlich zu verbilligen. Die massive Unterstützung unserer Ernährungswirtschaft führte erst zu der Exportoffensive. Die entwicklungspolitische Verantwortung der EU erfordert, dass die internationale Agrarpolitik umgehend als eigenständiger Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik etabliert wird."

"Die Exportorientierung schadet auch bäuerlichen Betrieben in Europa. Sie richtet sich gegen die regionale Erzeugung und Vermarktung", sagt Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). "Die jetzige unqualifizierte Verteilung der Agrarzahlungen bevorzugt durchrationalisierte flächenstarke Betriebe mit agrarindustrieller Produktion. Gleichzeitig benachteiligt sie jene, die Arbeitsplätze auf dem Land erhalten oder schaffen, Tiere artgerecht halten, die Umwelt schützen und die Artenvielfalt stärken. Diese Wettbewerbsverzerrung zu Lasten bäuerlicher Betriebe wird auch über den so genannten Weltmarkt in den Ländern der Dritten Welt wirksam. Deshalb müssen staatliche Zahlungen an soziale und ökologische Leistungen gebunden und gestaffelt werden."

Reinhild Benning, Agrarexpertin des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): "Wenn die EU und die deutsche Bundesregierung ihre eigenen Ziele für Ernährungssicherung, Klima- und Artenschutz und die Schonung begrenzter Ressourcen ernst meinen, muss die EU-Kommission mit ihren Reformvorschlägen im Herbst eine Kehrtwende der Agrarpolitik einleiten und Deutschland darf diese Reformen nicht länger blockieren. Die exportfixierte EU-Agrarpolitik ist gescheitert. Die Bevölkerung fordert für die öffentlichen Gelder sichtbare, nachhaltige Gegenleistungen, statt etwa Massentierhaltungen zulasten von Mensch, Tier und Umwelt."

Das Positionspapier (siehe Anhang) ist abrufbar unter www.forumue.de.
Es wurde von folgenden Organisationen unterzeichnet: AbL, Brot für die Welt, BUND, Agrar-Koordination, EED, Germanwatch, FIAN Deutschland, Inkota Netzwerk, MISEREOR, Oxfam Deutschland, WWF und Weltladendachverband.


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Die Zeit ist reif für eine neue EU-Agrarpolitik:

fair, umweltgerecht und global verantwortlich!

Positionspapier des Forums Umwelt und Entwicklung

Arbeitsgruppe Landwirtschaft und Ernährung

zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach 2013

1. Juni 2010


Die Zeit für die große Reform ist gekommen. Die Landwirtschaft steht vor gewaltigen Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt: der Klimawandel, der massive Verlust der Artenvielfalt, die ungelöste Wasserproblematik, die immer größere Kluft zwischen gesellschaftlichen Anforderungen und weltmarktorientierter Landwirtschaft, die in einigen ländlichen Gebieten zunehmende Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit sowie zunehmende globale Agrarkrisen. Jegliche Reformmaßnahme der Europäischen Union hat globale Implikationen. Als größter Akteur auf dem Weltagrarmarkt muss die EU ihrer globalen Verantwortung gerecht werden. Ein "Weiter So" ist aus bäuerlicher, Umwelt- und Entwicklungsperspektive keine Option! Im Vordergrund dieses Papiers stehen die entwicklungspolitischen Anforderungen an die Reform der europäischen Agrarpolitik verknüpft mit bäuerlichen und umweltpolitischen Anliegen.

Die EU hat sich selbst einen weltmarktorientierten Reformkurs auferlegt und sich der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Agrar- und Ernährungsindustrie verschrieben. Die Lösung aller Agrarprobleme wird in der Produktions- und Exportsteigerung sowie einer Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung gesucht. Dies hat gravierende Folgen:

Agrarexporte von Milchprodukten, Schweine- und Hühnerfleisch sowie Tomatenpaste und anderen Produkten zu Preisen weit unterhalb der Erzeugungskosten beeinträchtigen erheblich die Einkommensgrundlage und das Recht auf Nahrung von Kleinbauern in Entwicklungsländern.

78 Prozent der Eiweißfuttermittel für die europäische Massentierhaltung stammen aus Importen, vor allem Soja und andere Ölfrüchte. In den Herkunftsländern von Soja, vorwiegend Südamerika, führt dies häufig zur Verdrängung kleinbäuerlicher Nahrungsmittelproduzenten und traditioneller Landnutzer, zur Expansion der Landwirtschaft in Amazonasgebiete und zur Landumnutzung auf Kosten der biologischen Vielfalt.

Die Fixierung auf Produktionssteigerung und die mangelnde Kopplung von Subventionen an wirksame ökologische Standards erlauben und fördern den Verlust der Artenvielfalt, die Nitratverseuchung im Grundwasser, die Entwässerung von Mooren und Feuchtwiesen, die Bodenerosion, eine nicht artgerechte Massentierhaltung und exzessive Treibhausgasemissionen, welche das Klima belasten. Unter den Folgen der Klimaerwärmung haben vor allem die Landwirte im globalen Süden zu leiden; die Kosten der Anpassung und Vermeidung haben primär sie zu tragen, obwohl sie die wenigste Schuld am Klimawandel trifft.

Die Fixierung der europäischen Agrar- und Ernährungsindustrie auf den Weltmarkt mit ihren stark weiterverarbeiteten Nahrungsmitteln bedingt eine weitere Produktionssteigerung von landwirtschaftlichen Rohstoffen in der EU. Das führt im Fall des Exports von tierischen Veredelungsprodukten zu einem Mehrverbrauch von noch mehr Futtermittelimporten aus anderen Kontinenten. Die europäischen Bauern drängt die Weltmarktorientierung in die Abhängigkeit von Vertrags- und Verbundsystemen innerhalb einer zunehmend integrierten Wertschöpfungskette. Daraus erwachsen starke Zwänge zum Wachsen oder Weichen. Die Marktmacht der aufkaufenden Hand erlaubt es vielfach die Erzeugerpreise unterhalb der Erzeugungskosten zu drücken. Profiteure dieser Politik sind vor allem Unternehmen im Agrobusiness, exportorientierte Weiterverarbeiter und Handelskonzerne.

Die europäische Agrarpolitik misst mit zweierlei Maß: Einerseits nimmt sie für sich den Schutz ihrer Landwirtschaft und insbesondere ihrer Ernährungsindustrie in Anspruch. Andererseits drängt sie arme Länder bei den bilateralen und multilateralen Handelsabkommen zur weitgehenden Marktöffnung für europäische Agrarprodukte. Die EU ist der weltweit größte Agrarexporteur. Diese Stellung zu halten und auszubauen ist erklärtes Ziel der bisherigen EU-Agrarpolitik. Darauf war auch der Großteil der vielfältigen, milliardenschweren Unterstützungsprogramme der EU-Agrarpolitik über die letzten 50 Jahre ausgerichtet. Die landwirtschaftliche Primärproduktion und die verarbeitende Ernährungsindustrie wurden stark rationalisiert und in ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit gestärkt. Angesichts der Vielfalt der Agrarstrukturen und der Standortbedingungen innerhalb der EU zum Beispiel im Vergleich zu Neusiedlungsgebieten und Savannen Süd- und Nordamerikas ist eine solche internationale Wettbewerbsfähigkeit für die meisten Produkte nur auf Kosten der Umwelt, der Steuerzahler und eines massiven Verlustes an landwirtschaftlichen Betrieben und Arbeitsplätzen aufrechtzuerhalten. Schon von daher ist die Weltmarktorientierung und internationale Wettbewerbsfähigkeit als Ziel der Gemeinsamen Agrarpolitik ein verfehlter Ansatz.


A. Die bisherige EU-Agrarpolitik hat sich nicht bewährt

Armutsbekämpfung und Ernährungssicherung

Vielfach wird von staatlicher Seite in der EU die Sicherung der Welternährung als ein Hauptanliegen der Gemeinsamen Agrarpolitik und der eigenen Reformvorschläge angeführt. Dafür müsse die europäische Landwirtschaft weiterhin ihre Produktivität und Agrarexporte steigern, um ihren Beitrag zur Deckung des weltweit steigenden Kalorienbedarfs zu leisten. Dieses Argument ignoriert jedoch die wichtigste Lehre aus der Nahrungsmittelkrise, die allein die Anzahl der Hungernden um 100 Millionen hat ansteigen lassen: Eine nachhaltige Ernährungssicherung ist nur dann möglich, wenn die Entwicklungsländer ihre eigene Produktion stärken, ihre Abhängigkeit von Importen reduzieren und sich vor zunehmenden Preisschwankungen und Billigimporten auf den Weltagrarmärkten schützen können. Es ist nicht Aufgabe unserer Land- und Ernährungswirtschaft, die Welt zu ernähren. Dieser Anspruch wäre auch deshalb absurd, weil die europäische Landwirtschaft in hohem Maße auf Futtermittelimporten beruht, und insofern ist sie derzeit nicht einmal in der Lage, die eigene Bevölkerung zu ernähren.

Die Stärkung der Ernährungssicherheit der Entwicklungsländer spiegelt sich in den Agraraußenbeziehungen der EU nicht wider. Vielmehr unterminiert die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) durch ihre aggressive Exportoffensive und ihre vielfältigen Mechanismen der Markteroberung den notwendigen Aufbau einer heimischen Nahrungsmittelproduktion in den Entwicklungsländern. Die Exportsubventionen sind für Dumpingeffekte eine wichtige Ursache, nicht aber die einzige.

Die Quotenanhebung für Milch beispielsweise erhöht den Anreiz zum Angebotsüberhang und beschleunigt den Verfall europäischer Erzeugerpreise, auf denen die niedrigen Exportpreise wesentlich basieren. Die völlige Freigabe der Erzeugungsmenge, wie sie mit einer ersatzlosen Streichung der Quote von der Milchindustrie angestrebt wird, würde diese Entwicklung weiter beschleunigen.

Dumpingeffekte entstehen auch durch die derzeitige Praxis pauschaler Direktzahlungen. Denn Zahlungen, die sich weitgehend am Umfang der Betriebsfläche orientieren, ermöglichen es stark rationalisierten Betrieben, ihre Erzeugnisse unterhalb ihrer Erzeugungskosten zu verkaufen. Gleichzeitig kann der Großteil der weniger begünstigten Betriebe zu diesen Preisen trotz der Direktzahlungen kein ausreichendes Einkommen erzielen. Die ungleiche Wirkung der Zahlungen versetzt die weiterverarbeitende Agrar- und Ernährungsindustrie in die Lage, die Erzeugerpreise unterhalb der Erzeugungskosten der meisten Landwirte zu drücken; ein Großteil der Direktzahlungen wird von der Landwirtschaft auf die Ernährungswirtschaft überwälzt und landet somit auch beim Agrarexport. Das gilt auch, wenn diese pauschalen Direktzahlungen von der Produktion (Mengen, Preisen, Inputs, produktbezogenen Kriterien, Verpflichtung zur Erzeugung) entkoppelt sind. Dumpingeffekte entstehen ferner durch einige Investitionsfördermaßnahmen der zweiten Säule, etwa die Investitionsförderung für Stallneubauten, die bis zu 40 Prozent der Gesamtkosten ausmacht.

Jenseits von Subventionen kommt im Falle von Geflügel, Schweinefleisch und Gemüse hinzu, dass Restprodukte, die bei den europäischen Konsumenten keinen ausreichenden Absatz finden, weil sie den anspruchsvollen Präferenzen oder Qualitätsstandards nicht mehr entsprechen, im Ausland zu Schleuderpreisen veräußert werden. Mit Hilfe einer Produktdifferenzierung werden Preise auf Teilmärkten gedrückt und Exportchancen vor allem in arme Länder, wo noch Verbraucher mit einfachen oder anderen Ansprüchen existieren, wahrgenommen. Solche Vorgänge werden noch staatlich gefördert, wenn gleichzeitig die Hauptproduktlinie mit Hilfe von Importzöllen auf dem europäischen Markt im Preis relativ hochgehalten wird. Die so staatlich gestützten Inlandspreise erlauben den Lebensmittelkonzernen eine Quersubventionierung der Exporte der weniger gefragten Teilprodukte.

Durch all diese Praktiken übt die EU erheblichen Druck auf die Weltmarktpreise aus, bringt arme Kleinbauern anderswo um ihre Existenz und verschärft so Hunger und Armut in Entwicklungsländern. Fallstudien belegen, dass EU-Exporte beispielsweise von Milchpulver nach Burkina Faso, Kamerun und Bangladesh, von Tomatenpaste nach Ghana und von Geflügelteilen nach Ghana, Benin, Togo und Kamerun die dortigen lokalen Märkte empfindlich gestört haben. Das Recht auf Nahrung wird dadurch in zweierlei Hinsicht gefährdet: Zum einen werden Absatzmöglichkeiten, Erzeugerpreise und Einkommen von Kleinbauern und damit ihr Zugang zu angemessener Ernährung erheblich reduziert. Zum anderen wird die Abhängigkeit von Entwicklungsländern vom Weltmarkt vertieft. Wenn die Weltmarktpreise aber steigen, ist die Versorgung mit Lebensmitteln zu erschwinglichen Preisen für arme Konsumenten im höchsten Maße bedroht.

Entwicklungspolitisch problematisch ist neben der Exportorientierung der europäischen Agrar- und Ernährungswirtschaft auch ihre damit untrennbar verbundene starke Abhängigkeit von billigen Futtermittelimporten. Die EU importiert derzeit fast 80 Prozent ihrer Eiweißfuttermittel. Allein der Sojaanbau für europäische Tierhaltung beansprucht 20 Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche im Ausland, was mehr als einem Zehntel der europäischen Agrarfläche entspricht. 65 Prozent der europäischen Sojaimporte stammen dabei allein aus Argentinien und Brasilien. Die EU-Importe von Soja, Hülsenfrüchten und Ölsaaten für die Erzeugung von Kraftfutter, aber auch neuerdings der massive Import von Energiepflanzen zur Agrartreibstoffherstellung, erfolgen in der Regel großbetrieblich und verdrängen kleinbäuerliche Nahrungsmittelproduzenten. Der zukünftige Beitrag unserer Landwirtschaft wird in den nächsten Jahrzehnten deshalb auch eine Reduzierung unserer Nachfrage nach Futtermitteln und Agrartreibstoffen aus Entwicklungsländern beinhalten müssen, damit die frei werdenden Produktionskapazitäten zur Verbesserung der Ernährungssicherheit der eigenen Bevölkerung genutzt werden können.



Klimaschutz

Den geltenden europäischen Umweltstandards zum Trotz sind in der EU rund 15 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen von Erosion betroffen. 13 Prozent der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen in Deutschland werden durch die Landwirtschaft verursacht, vor allem durch den Einsatz von Mineraldünger, die Ackernutzung von Moorböden und Grünlandstandorten, sowie durch die Methanproduktion von Wiederkäuern. Zieht man die Treibhausgasemissionen infolge der Importe von Eiweißfuttermitteln und die damit einhergehende Abholzung von Tropenwäldern zusätzlich in Betracht, so erhöht sich der Anteil der Landwirtschaft an den europäischen Emissionen erheblich.

Das deutsche Landwirtschaftsministerium hat Anfang 2010 erklärt, es müssten vermehrt Treibhausgase aus der Nahrungsmittelproduktion in Kauf genommen werden, damit genügend Lebensmittel für alle Menschen verfügbar seien. Für den Klimaschutz macht es jedoch einen bedeutenden Unterschied, ob synthetische Düngemittel und Pestizide oder agrarökologische und standortangepasste Anbauverfahren eingesetzt werden. Lachgas-Emissionen beim Ausbringen von Mineraldünger sowie der Humusabbau durch eine zu intensive Landbewirtschaftung tragen mit zum Klimawandel bei. Wichtig ist ein klimapolitischer Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft hierzulande. Das Ziel muss sein: weniger Fleisch- und Milcherzeugung, weniger klimaschädliche Intensivdüngung, mehr Bodenschutz und mehr Grünlandbewirtschaftung.

Die Landwirtschaft für den Klimaschutz in die Pflicht zu nehmen, ist auch aus entwicklungspolitischer Perspektive geboten, weil der Klimawandel besonders in Afrika und Lateinamerika die Ernteerträge und damit auch die Ernährungssicherheit schon jetzt massiv beeinträchtigt.


Arbeitsplätze und Einkommenssicherung auf dem Land

Die Wachstums- und Weltmarktorientierung der Gemeinsamen Agrarpolitik schadet nicht nur den Kleinbauern in Entwicklungsländern, sondern auch vielen bäuerlichen Betrieben in Europa. Der Preisverfall landwirtschaftlicher Produkte bedroht das Überleben der meisten Betriebe massiv. Seit 1992 wurde in den alten 15 EU-Mitgliedstaaten die Hälfte aller landwirtschaftlichen Betriebe aufgegeben. Die Anzahl der beschäftigten Vollzeitstellen hat umgerechnet um 30 Prozent abgenommen. Die prekäre soziale Lage deutscher Bäuerinnen und Bauern drückt sich auch in ihren niedrigeren Einkommen im Vergleich zu anderen Beschäftigten aus. Die durchschnittlichen Agrareinkommen betrugen 2005-2007 in Deutschland weniger als die Hälfte eines deutschen Durchschnitteinkommens. Völlig inakzeptabel sind zudem die prekären Arbeitsverhältnisse, denen viele SaisonarbeiterInnen in der europäischen Landwirtschaft ausgesetzt sind. Die Ausbeutung vieler ArbeitsmigrantInnen aus Afrika und Osteuropa bei der Obst- und Gemüseproduktion in Italien oder Spanien sind dafür Extrembeispiele.

Die bisherige Subventionspraxis der EU begünstigt eine Rationalisierung von Betrieben, die mit einer Reduzierung von Arbeitsplätzen einhergeht. So erhalten industrialisierte und flächenstarke Betriebe pro Arbeitskraft bis zu 120.000 Euro an Direktzahlungen, während im Durchschnitt aller Betriebe lediglich 10.000 Euro auf eine Arbeitskraft entfallen. Die Direktzahlungen versetzen somit rationalisierte Betriebe in die Lage, noch zu Preisen mitzuhalten, zu denen die Mehrzahl der Betriebe auch unter Einrechnung der Direktzahlungen unrentabel wirtschaftet. Die pauschalen, rein an die Betriebsgröße gebundenen Zahlungen führen daher nicht nur zu Wettbewerbsverzerrungen zulasten arbeitsintensiver bäuerlicher Betriebe in der EU, sondern ermöglichen gleichzeitig, dass die Erzeugerpreise auf ein Niveau absacken, das nur den besonders rationalisierten Betrieben noch ausreicht. Die Direktzahlungen werden somit strategisch als ein weiteres Instrument eingesetzt, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Ernährungsindustrie zu stärken und den Export zu Preisen unterhalb der tatsächlichen Erzeugungskosten zu ermöglichen.


B. Forderungen des Forums Umwelt und Entwicklung

Ein "Weiter so wie bisher" ist keine Option. Stattdessen fordert das Forum Umwelt und Entwicklung eine grundlegende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Ernährungssouveränität muss darin Vorrang vor Exportinteressen haben. Die Zukunft der europäischen Landwirtschaft liegt in ihrer Nähe zu den riesigen einheimischen Verbrauchermärkten und den Verbraucherpräferenzen. Für das dicht besiedelte Europa ist allein eine regional angepasste und qualitätsorientierte Lebensmittelerzeugung zukunftsfähig, nicht jedoch eine industrialisierte Massenproduktion von Rohstoffen oder tierischer Erzeugung für die europäische Ernährungsindustrie.

Nur eine Agrarreform, die die Vielfalt der Strukturen erhält, den Umwelt- und Naturschutz fördert, eine artgerechte Tierhaltung sicherstellt, Kulturlandschaften pflegt und die gleichzeitig ihren konstruktiven Beitrag zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele (MDG) und zur Umsetzung sozialer Menschenrechte wie des Rechts auf Nahrung leistet, kann einen umfangreichen EU-Etat aus Steuermitteln in Höhe von mehr als 50 Milliarden Euro pro Jahr rechtfertigen. Die EU muss ihre internationale Verantwortung für eine ausgewogene Entwicklung der Weltagrarmärkte und Welternährung anerkennen.


Unsere Kernforderungen sind:

1. Die Wahrnehmung internationaler Verantwortung muss als ein grundlegendes Ziel der Gemeinsamen Agrarpolitik wie folgt festgeschrieben werden: "Als weltgrößter Agrarimporteur und Agrarexporteur übernimmt die EU eine Verantwortung für die zukunftsfähige Ausgestaltung der internationalen agrarpolitischen Rahmenbedingungen, für die langfristige Sicherung der Welternährung und die ausgeglichene Entwicklung der Weltagrarmärkte. Die Gemeinsame Agrarpolitik räumt dem Recht auf Nahrung auch international Vorrang ein." Dazu gehört auch die Kohärenz der europäischen Agrarpolitik mit den Millenniums-Entwicklungszielen, eine entwicklungspolitisch sensible Weiterentwicklung internationaler Produkt- und Prozessstandards sowie die völkerrechtliche Verpflichtung, die Umsetzung sozialer Menschenrechte wie des Rechts auf Nahrung auch außerhalb der EU nicht zu behindern, sondern zu befördern.

2. Alle Exporterstattungen müssen abgeschafft und als Rechtsinstrument aus den Marktordnungen gestrichen werden. Dieser Schritt darf nicht von einer Einigung im Rahmen der WTO und entsprechenden Vorleistungen anderer Akteure abhängig gemacht werden. Die Exportsubventionen dürfen nicht durch andere Exportförderungsmaßnahmen, wie etwa Exportkredite, Absatzförderinstrumente oder Public Private Partnerships mit Markterschließungswirkung ersetzt werden. Definitiv auslaufen müssen auch alle Unterstützungsformen, die an die Produktion gekoppelt sind, insofern diese nicht ökologisch zu rechtfertigen sind.

3. Die GAP-Reform muss Rahmenbedingungen schaffen, damit Bäuerinnen und Bauern in Zukunft wieder faire Preise für ihre Erzeugnisse erhalten und nicht mehr in so hohem Maße auf Subventionen angewiesen sind. Öffentliche Zahlungen sollen nur noch für öffentliche Leistungen erfolgen. Dazu gehören die Erfüllung wirksamer Kriterien im Umwelt-, Natur- und Tierschutzbereich sowie der Erhalt und die Schaffung von vollwertigen Arbeitsplätzen. Die jetzige pauschale Verteilung der Subventionen, die all jene benachteiligt, die Arbeitsplätze auf dem Lande erhalten oder schaffen, Tiere artgerecht halten, die Umwelt schützen und die biologische Artenvielfalt erhalten, muss durch eine soziale und an der ökologischen Leistung der Betriebe orientierten Staffelung ersetzt werden.

4. Um die Niedrigpreisspirale auf dem Binnenmarkt und Dumpingexporte auf Drittmärkte ebenso wie exzessive Preisausschläge nach oben zu verhindern, sind für den Milchmarkt Formen der flexiblen bedarfsorientierten Mengensteuerung erforderlich. Ziele dieser Steuerung müssen eine Ausrichtung auf die Binnennachfrage, die Vermeidung von Dumpingexporten, faire Erzeugerpreise, eine ökologisch förderliche Milcherzeugung und zugleich erschwingliche qualitätsorientierte Verbraucherpreise sein. Die EU muss dazu einen gesetzlichen Rahmen schaffen, in dem Bauern und Verbraucher an der regelmäßigen Ermittlung und Festlegung der Produktionsmenge angemessen und wirksam beteiligt werden.

5. Maßnahmen zur Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, die nicht der ökologischen Modernisierung von Betrieben dienen, müssen gestrichen werden. Insbesondere Investitionsbeihilfen zur Kapazitätssteigerung in exportorientierten Bereichen, wie z.B. der Schweinehaltung, Milch-, Geflügel- und Getreideproduktion, sind abzuschaffen. Programme zum Umweltschutz, Landmanagement, für benachteiligte Gebiete und zur ländlichen Entwicklung, die derzeit nur einen Teil der zweiten Säule ausmachen, müssen zum Kernstück der Förderpolitik ausgebaut werden.

6. Die Stützung oder der Schutz von Agrarprodukten durch produktspezifische Subventionen, Zölle oder Mengenregulierungen darf nicht zur Quersubventionierung von Exporten beitragen. Für stark gestützte Produktlinien, die von einem Schutzzoll von mehr als 20 % profitieren, ist der Export von Teilprodukten zu verbieten oder mit einer Exportsteuer zu belegen, welche das Unterstützungsniveau abschöpft, oder die Mengensteuerung entsprechend restriktiv anzupassen. Das gilt auch anteilsmäßig an der Wertschöpfung von weiterverarbeiteten Produkten dieser Warenkategorie.

7. Die Reform muss einen klimapolitischen Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft in Europa einleiten. Sie muss Regeln und Anreize schaffen zur Abkehr von der Massentierhaltung und einer klimaschädlichen Überdüngung hin zum Schutz von Böden (Erhöhung des Humusgehaltes) und des Grünlands. Sie muss die Abhängigkeit von importierten Futtermitteln reduzieren, indem der Anbau heimischer Eiweißfuttermittel (Leguminosen) in der Fruchtfolge honoriert wird. Dazu muss das Blair House Abkommen mit den USA aufgekündigt werden, das unter anderem in der EU Schutzzölle auf Sojaimporte unterbindet. Zudem muss die Landwirtschaft für den Klimaschutz in die Pflicht genommen werden. Ihre Treibhausgasemissionen sollen bis 2020 um 40 Prozent reduziert werden.

8. Öffentliche Interventionskäufe und die Förderung privater Interventionskäufe dürfen nur in engen mengenmäßigen und zeitlichen Grenzen geschehen. Unbeschadet davon sollte durch ein Gesetz eine Mindestreservehaltung in der EU für Krisenzeiten geregelt werden, die gut abgestimmt werden muss mit der Lagerhaltungspolitik anderer Staaten.

9. Die EU muss im Agrarbereich von ihrer handelspolitischen Strategie "Global Europe" Abstand nehmen, die einseitig auf eine umfassende Marktöffnung für europäische Güter, Dienstleistungen und Investitionen abzielt. Insbesondere die Spielräume von Entwicklungsländern zur Umsetzung sozialer Menschenrechte und zum Umweltschutz dürfen nicht beschränkt werden. Dazu gehört auch die Möglichkeit, dass sie ihre Agrarmärkte vor Billigimporten schützen und die Niederlassung europäischer Supermarktketten regulieren können.

10. Für Produkte, bei denen die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und international anerkannte ökologische Standards, wie beispielsweise der internationalen Dachorganisation des ökologischen Landbaus (IFOAM), eingehalten werden, soll die EU im Sinne eines qualifizierten Marktzugangs Vorzugskonditionen bei Importzöllen gewähren. Darüber hinaus ist die Zolleskalation abzuschaffen, welche den Import weiterverarbeiteter Produkte aus Entwicklungsländern gegenüber unverarbeiteten Rohstoffen benachteiligt. Die Eskalation muss auch bei der Standardsetzung abgebaut werden.

11. Die EU und die Mitgliedstaaten müssen das Wettbewerbsrecht nutzen und verschärfen, um den raschen Konzentrationsprozessen in der Ernährungsindustrie und im Einzelhandel entgegenzuwirken, denn sie sind für die wachsende Kluft zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreisen wesentlich mitverantwortlich. Europäische Regierungen müssen unfaire Einkaufspraktiken durch europäische Supermärkte und Zwischenhändler verbieten, welche zur Verletzung von Arbeits- und Menschenrechten entlang der Lieferkette oder zu Umweltschäden innerhalb oder außerhalb der EU führen können. Damit dies überprüfbar wird, müssen europäische Unternehmen zur Offenlegung ihrer Lieferketten und zur Rechenschaftslegung über die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards verpflichtet werden.

12. Zur Wahrnehmung ihrer internationalen Verantwortung muss die EU die internationale Agrarpolitik als eigenständigen Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik etablieren. In internationalen Verhandlungen im Agrarbereich muss die EU sich für günstige Rahmenbedingungen und Regeln zum Schutz natürlicher Ressourcen, für eine klimaverträgliche Landwirtschaft, zur Sicherung der biologischen Vielfalt an Nutzpflanzen, für Menschenrechte und Gewerkschaftsrechte, für gute Regierungsführung bei Landpolitiken, für eine entwicklungspolitisch sensible Standardsetzung und für eine ausgeglichene Entwicklung der Weltagrarmärkte einsetzen. Die EU muss den am wenigsten entwickelten Ländern Gelder zur Verfügung stellen, damit diese ihre Verhandlungskapazitäten im Agrarbereich verbessern und ihre Interessen bei internationalen Verhandlungen besser einbringen können. Sie müssen darin aus Mitteln des Agraretats unterstützt werden, um den technisch und juristisch gewachsenen Anforderungen an Produktqualität und Prozessstandards zu entsprechen und um neue internationale Regulierungen, wie z.B. zu Seuchenpolitik, Biosicherheit, Umweltgesetzgebung und Handelspolitik, umsetzen zu können.


Das Positionspapier ist abrufbar unter www.forumue.de.
Es wurde von folgenden Organisationen unterzeichnet: AbL, Brot für die Welt, BUND, Agrar-Koordination, EED, Germanwatch, FIAN Deutschland, Inkota Netzwerk, MISEREOR, Oxfam Deutschland, WWF und Weltladendachverband.


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Quelle:
AbL - Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V.
Bahnhofstraße 31, D - 59065 Hamm/Westf.
Telefon: 02381-9053171, Fax: 02381-492221
E-Mail: jasper@abl-ev.de
Internet: www.abl-ev.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2010