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AGRAR/1291: 85.000 europäische Milchbauern, ein Ziel (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 313 - Juli/August 2008
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

85.000 europäische Milchbauern, ein Ziel
Für kostendeckende Milchpreise und flexible Mengensteuerung:
Bauern aus sechs Ländern lieferten zeitgleich ihre Milch nicht mehr ab

Von Sonja Korspeter


Gesagt hat es zunächst nur Einer: "Ich liefere ab morgen meine Milch nicht mehr ab." Romuald Schaber, Vorsitzender des BDM und Präsident des European Milk Board, beendete am Montag, den 26. Mai 2008 mit diesen Worten seine Rede bei einer Kundgebung vor der Molkerei Müller in Freising. Am nächsten Tag schon, Dienstag, den 27. Mai, taten es ihm Sieta van Keimpema vom Dutch Dairymen Board in den Niederlanden und Martin Haab von BIG-M in der Schweiz gleich. Sie kündigten in Versammlungen ihrer Verbände an, dass sie als Person die Milchlieferung einstellen würden, da sie nicht bereit seien, zu den aktuellen Milchpreisen weiter Milch zu verkaufen. Die Kollegen schlossen sich an und bereits am Mittwoch, den 28. Mai, lieferten in den drei Ländern etwa 30.000 Milcherzeuger ihre Milch nicht mehr ab. Gehen wir weiter in der Chronologie: In Österreich stand man vor dem Problem, dass die Molkereien zu diesem Zeitpunkt noch hohe Preise zahlten. Es war absehbar, dass die Preise in kürzester Zeit ebenso wie in den Nachbarländern fallen würden, doch bestreikt man eine Molkerei, die 43 Cent/Liter bezahlt? Ernst Halbmayr von der IG-Milch erläutert: "Für uns war klar, dass wir mit den deutschen, schweizerischen und niederländischen Kollegen solidarisch handeln wollten. Es geht schließlich um eine europäische Auseinandersetzung. Deshalb forderten wir die Bauern zunächst auf, nur noch 50 Prozent ihrer Milch abzuliefern, um ein Zeichen zu setzen und zugleich den Export von österreichischer Milch in Streikländer zu verhindern." Dann wurden Gespräche mit Politik, Bauernverband, LEH und Milchindustrie geführt. Ohne ausreichende Ergebnisse, und so - schlossen sich die österreichischen Bauern ab dem Wochenende in großer Zahl dem Milchlieferstopp an. Auch viele Nichtmitglieder beteiligten sich. Innerhalb von zwei Tagen fehlten den Molkereien knapp 50 Prozent der Milch. In Luxemburg und in Belgien traten die Milcherzeuger an ihre Verbände heran und beriefen Versammlungen ein, auf denen die Beteiligung am Streik beschlossen wurde. Wie ein Lauffeuer breitete sich die Teilnahme aus. In allen Streikländern fanden Veranstaltungen statt, oft mit mehreren Tausend Bauern. In Frankreich wurden Molkereien und Tankwagen blockiert und man zog mit Faironikas vor die Rathäuser und Präfekturen, um den Verbrauchern und der Politik die Ziele der Milcherzeuger darzulegen. Insgesamt haben sich etwa 85.000 Milcherzeuger in Europa am Milchlieferstopp beteiligt. Zusätzlich gab es eine Vielzahl von Aktionen in Richtung der Molkereien und der Verbraucher. In Dänemark, Schweden, Italien, Irland und England machten die Mitgliedsorganisationen des European Milkboards (EMB) eine intensive Pressearbeit, um ihre Forderungen und die Aktionen der europäischen Kollegen bekannt zu machen.

Die Milchbauern in Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und Deutschland zeigten sich auch in Bezug auf Aktionen vor Molkereien höchst solidarisch. "Nach unserer Kundgebung fuhren wir aus Belgien mit etwa 30 Treckern zur Molkerei MUH in Pronsfeld, um die Blockade der deutschen Kollegen zu unterstützen", berichtet Erwin Schöpges aus Belgien. Auch jetzt nach dem vorläufigem Ende des Streiks gibt es weiterhin bi- und trinationale Veranstaltungen. Am 20. Juni fand eine französisch-spanische Pressekonferenz der Verbände Prolec und OPL im südfranzösischen Pau statt.

Vom 26. Mai bis zum 5. Juni 2008 - zehn Tage dauerte die sichtbar gelebte Solidarität und sie hat Bestand. Die Milcherzeuger sind sich einig, was sie erreichen möchten, und sie sind auch weiterhin bereit, etwas dafür einzusetzen. Für viele ist der Kollege im Nachbarland nicht mehr Konkurrent, sondern Mitstreiter für die gemeinsame Sache. Das ist nicht nur für die Milcherzeuger, sondern auch für Milchindustrie und Politik eine neue Situation.

Beide versuchen, in den aktuell europaweit stattfindenden Verhandlungen weiterhin anzuführen, dass eine nationale Mengensteuerung den Milcherzeugern im Nachbarland Tür und Tor auf den eigenen Markt öffne. Hierzu erläutert Sieta van Keimpema, Vizepräsidentin des EMB: "Dieses Argument zieht nicht mehr, denn über die im EMB vertretenen Organisationen wissen wir, dass die Bauern in den Nachbarländern dieselben Ziele verfolgen: eine flexible Mengensteuerung als Grundlage eines Preisfindungssystems, das auf den Produktionskosten beruht und ein Basispreis von 43 Cents." Die EMB-Organisationen sind nun während der Unterbrechung der Aktionen bereit, in Verhandlungen mit Politik und Milchindustrie die Grundvoraussetzung für kostendeckende Preise zu schaffen. Hierzu zählen Maßnahmen wie die Abschaffung der Saldierung, das Parken und flexible Einsetzen der zusätzlichen 2 Prozent-Quote und die Einrichtung einer erzeugerfinanzierten Umlage zur Mengensteuerung.

Im nächsten Schritt, wenn die Verhandlungen auf nationaler Ebene, die teilweise unter Beteiligung von EMB-Vorstandsmitgliedern stattfinden, vorangeschritten sind, will man länderübergreifend verhandeln und auch die Agrarpolitiker in Brüssel in die Pflicht nehmen.

Was dieser europäische Streik und die vielfältigen Aktionen zum selben Zeitpunkt gezeigt haben, ist, dass die Milcherzeuger geschlossen für ihre Interessen auftreten können und dass sie auf eine breite Solidarität in der Bevölkerung, aber auch in vielen Verbänden und anderen Teilen der Welt bauen können. Nun gilt es, Schritt für Schritt in den in allen EMB-Ländern parallel laufenden Verhandlungen die Strukturen für kostendeckende Milchpreise und damit eine nachhaltige Milcherzeugung in Europa zu legen.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 313 - Juli/August 2008, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2008