Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → WIRTSCHAFT

AGRAR/1270: Milchgipfel in Brüssel - Ziellos in die Verhandlungen (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 308 - Februar 2008,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Ziellos in die Verhandlungen
Die Kommissarin lud zum Milchgipfel nach Brüssel

Von Marcus Nürnberger


"Ich bin hier, um Ihre Sichtweisen und Ideen zu hören." Mit diesen Worten eröffnete die EU-Kommissarin Mariann Fischer-Boel die Anhörung der Verbände des Milchsektors anlässlich des Gesundheitscheck der EU-Agrarpolitik. Zumindest einen konkreten Vorschlag hatte die Kommissarin dennoch mitgebracht. Nach Vorstellung der Kommission soll die Milchquote zum 1.4.2008 um 2 Prozent ausgeweitet werden. Dies sei allerdings noch keine vorbereitende Maßnahme zur Abschaffung der Quote, sondern eine Reaktion auf die gestiegene Nachfrage. Es dürfe nicht sein, dass die Quote die Exportchancen der Milcherzeuger behindere.


Marschrichtung der EU-Kommission

Fischer-Boel machte deutlich, dass an einem Auslaufen der Quote 2015 kein Weg vorbei führe. Es gehe jetzt vor allem darum, die Zeit bis dahin zu nutzen. Derzeit könne man noch entscheiden, ob man eine harte oder weiche Landung anstrebe. Harte Landung, das klingt nicht gut. Gemeint ist, das Quotensystem für die nächsten acht Jahre ohne Aufweichung beizubehalten. Für diesen Fall, zeigt eine von der Kommission in Auftrag gegebene Studie, stiegen die Preise um weitere 7 Prozent an. Im Jahr 2015, nach Wegfall der Quote, käme es zum rapiden Preisverfall. Favorisiert wird von der Kommission die "weiche Landung". Eine schrittweise Ausdehnung der Quote mit dem Ergebnis, dass die Preise in naher Zukunft wieder auf das Niveau von Anfang 2007, mindestens aber um 4 bis 5 Prozent absinken. Während zu Beginn der Quotendiskussion immer wieder die Argumente der Marktliberalisierer zu hören waren, deren Überzeugung nach jegliche politische Regulation überflüssig sei, ist inzwischen sogar die Kommission davon überzeugt, dass es "flankierender Maßnahmen" bedarf, wenn man eine Milchproduktion in der Fläche gewährleisten will. Finanziert werden soll diese mit Geldern aus der 2. Säule. Auch müsse man an die Junglandwirte denken, die aktuell Quote teuer kaufen müssten, ohne dass noch genug Zeit für eine Erwirtschaftung der Investition bleibe. Deshalb seien Maßnahmen wie die Ausdehnung der Quote, die Senkung der Superabgabe, eine europaweite Saldierung oder auch eine länderübergreifende Handelbarkeit der Quote denkbare Maßnahmen.


Handel und Verarbeiter für Abschaffung

Die Vertreter von Milchindustrie und Handel sprachen sich für eine Abschaffung der Quote aus. Der finnische Präsident der European Dairy Association, Veijo Merilainen, forderte aus Sicht der Verarbeitet eine Absenkung der Superabgabe und eine Ausweitung der Milchquote. Für die Zeit nach 2015 bestünde dann die Notwendigkeit, auf Molkereiseite ein Liefermanagement-Systeme, also eine Art Molkereiquote, einzuführen. Für die sozialen und strukturellen Folgen des Quotenausstiegs sei indes die Kommission zuständig. Der Milchhandel wurde durch den Präsidenten Jacques Baines von Eucolait vertreten. "Die EU-Kommission soll künftig als Aufsichtsorgan und nicht mehr als aktiver Marktteilnehmer agieren." Baines sprach aber auch von zu erwartenden Mehreinnahmen im Handel. Höhere Ausgaben, zum Beispiel durch gestiegene Milcherzeugerpreise könnten somit kompensiert werden.


Wasch mich, aber mach mich nicht naß!

Henri Brichart, der französische Prasident der COPA, dem Ausschuss der berufsständischen landwirtschaftlichen Organisationen, betonte die besondere Verletzlichkeit des Milchsektors. Sein Verband akzeptiere die Vorgabe der Kommission, die Quote abzuschaffen, forderte aber: "Globale Wettbewerbsfähigkeit darf keine Preisabsenkungen verursachen." Brichart übte außerdem Kritik an der von der Kommission vorgelegten Studie. Er machte deutlich, dass eine Abschaffung der Quote den Einfluss der Milcherzeuger in der Produktionskette weiter schwächt.


Kritische Stimmen

Mehrere Vertreter der COPA äußerten noch deutlichere Kritik. Während die Vertreter aus Österreich und Finnland einen Quotenausstieg generell ablehnten, plädierte der französische COPA-Vertreter zumindest für die "harte Landung". So könne man immerhin noch bis 2015 von einem hohen Milchpreis profitieren.


Alternative Organisationen

Vertreter der CPE aus verschiedenen europäischen Ländern und das European Milk Board (EMB) sprachen sich für die Fortführung eines reformierten Quotensystems aus. Für das EMB kündigte Romuald Schaber an: "Milch und erst recht mehr Milch wird es nur noch bei kostendeckenden Milchpreisen geben." Aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft stellte Bernd Voß klar, dass es bei den jetzigen Entscheidungen nicht nur um eine harte oder weiche Landung gehe, wie es der die Versammlung leitende stellvertretende Generaldirektor Lars Hoelgard mehrmals betonte. Vielmehr, so Voß, gehe es um die Zukunft der Milchproduktion in Europa. Zwar seien Bauern und Regierungen in der Vergangenheit gleichermaßen unzufrieden mit der Quotenregelung gewesen, dies schließe jedoch eine sinnvolle Anschlussregelung nicht aus. Zur Quotenerhöhung führte der AbL-Vertreter die Analysen der Niederländischen Rapro-Bank an. Demnach entscheiden derzeit 2 Mio Tonnen, ca. 0,3 Prozent der Milch auf dem Weltmarkt über deren Preis. Bei einer Quotenerhöhung um 3 Prozent würden 3 Mio Tonnen Milch zusätzlich produziert. Das habe eindeutig Auswirkungen auf den Milchpreis.


Nach 2015?? - Keine Idee

Die zentralen Fragen der Landwirte blieben in der Diskussion unbeantwortet. Wie soll es nach einer Quotenabschaffung weitergehen? Wie sollen die Kräfteungleichgewichte zwischen Erzeugern, Verarbeitern und Handel ausgeglichen werden? Und auch die Vorstellung der EU-Kommissarin für den Milchsektor nach 2015 bleibt offen. Auf der Grünen Woche sagte sie auf Nachfrage der Bauernstimme: I have no idea. - Keine Ahnung.


*


Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 308 - Februar 2008, S. 6
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de

Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,00 Euro
Abonnementpreis: 36,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2008