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PARTEIEN/297: Camerons Tories gewinnen britische Wahlen haushoch (SB)


Camerons Tories gewinnen britische Wahlen haushoch

Schottland und England auf getrennten Wegen?


Die britischen Parlamentswahlen, die am gestrigen 7. Mai stattfanden, haben ein ganz anderes Ergebnis erbracht als allgemein erwartet. Wochenlang hatten die Demoskopen eine Pattsituation prognostiziert, derzufolge die Konservativen von Premierminister David Cameron und die oppositionelle Labour Party um Ed Miliband mit jeweils rund 280 Sitzen beide die absolute Mehrheit im 650sitzigen Unterhaus verfehlen und es deshalb zu einem erbitterten Kampf um die Bildung einer Koalition oder einer Minderheitsregierung kommen würde. Aufgrund des erwarteten politischen Clinches rechneten politische Beobachter bereits mit Neuwahlen noch vor Ende dieses Jahres. Statt dessen ist die Auszählung der Stimmen mehr als eindeutig ausgefallen. Die Konservativen haben 331 Sitze errungen und können damit für die nächsten fünf Jahre allein regieren.

Für Cameron, der bereits am Morgen, vor Bekanntgabe des offiziellen Endergebnisses, Königin Elizabeth II. im Buckingham Palace besuchte und von ihr den Auftrag zur Regierungsbildung erhielt, ist der Ausgang der Wahl ein grandioser Erfolg. Seit den Unterhauswahlen von 2010, als die Tories die absolute Mehrheit knapp verfehlten und deshalb eine Koalition mit den Liberaldemokraten eingehen mußten, haftete Cameron innerhalb der eigenen Partei der Makel an, nicht konservativ und vor allem als Führungsperson nicht resolut genug zu sein. Seit längerem intrigiert der rechte Flügel bei den Tories im berüchtigten 1922 Committee gegen ihren Partei- und Regierungchef, den man am liebsten gegen den Londoner Bürgermeister Boris Johnson ausgetauscht hätte. Der ständigen Nörgelei aus den eigenen Hinterbänken überdrüssig, hat Cameron noch vor wenigen Monaten angekündigt, im Falle eines Wahlsieges - von dem man damals annahm, er würde wie 2010 erneut knapp ausfallen - eventuell vor Ende der Legislaturperiode die Number 10 Downing Street für seinen Nachfolger zu räumen.

Solche Gedankenspiele dürften nach dem überragenden Sieg der Konservativen bei den Unterhauswahlen jede Relevanz verloren haben. Den Tories ist es zum ersten Mal seit Jahrzehnten in der britischen Politik gelungen, als Regierungspartei die Anzahl der Abgeordnetenmandate zu erhöhen. Zu den bisher 307 Sitzen sind weitere 24 hinzugekommen. Um ihre Macht zu festigen und sie für die nächsten fünf Jahre gegen die Kapriolen einzelner Tory-Hinterbänkler zu schützen, werden Cameron und sein Finanzminister George Osborne sich vermutlich durch irgendwelche Zugeständnisse die Unterstützung aller acht Abgeordneten der protestantisch-reaktionären Democratic Unionist Party (DUP) aus Nordirland sichern. Entsprechende informelle Sondierungsgespräche zwischen den britischen Konservativen, die ohnehin in ihrem Namen die Bezeichnung "unionistisch" führen, und der DUP-Führung um Peter Robinson und Nigel Dodds finden bereits seit Monaten statt.

Camerons bisher stärkste politische Rivalen, der Labour-Parteivorsitzende Ed Miliband sowie LibDem-Chef Nick Clegg und Nigel Farage, Gründer der EU- und einwanderer-feindlichen United Kingdom Independence Party (UKIP), haben ihre Konsequenzen aus der Niederlage gezogen und sind noch vor Bekanntgabe des offiziellen Endergebnisses als Führer ihrer politischen Formationen zurückgetreten. Labour hat in Großbritannien insgesamt 26 Sitze verloren und kam am Ende auf 232. Sie hat in England zwar 14 Sitze hinzugewonnen, in Schottland dagegen 40 abgeben müssen. Aus Schottland, wo die britische Labour Party vor mehr als 100 Jahren gegründet wurde, schicken die Sozialdemokraten künftig nur einen einzigen Abgeordneten nach London. Dies gilt genauso für die Tories, die ihr bisher einziges Mandat nördlich des Hadrianwalls verteidigen konnten, und die LibDems, die in Schottland 10 Sitze verloren haben. Eindeutige Siegerin der britischen Unterhauswahl in Schottland ist die linksnationalistische Scottish National Party (SNP), die 56 der 59 schottischen Sitze - bisher hatte sie nur 6 - im Londoner Unterhaus erobern konnte. Damit hat die SNP die LibDems, deren Anzahl von Sitzen im Westminster Palace von 57 auf ganze 8 zusammengeschrumpft ist, als drittstärkste Fraktion abgelöst.

Nigel Farage ist deshalb als UKIP-Chef zurückgetreten, weil er es nicht geschafft hat, in seinem Wahlkreis South Thanet im Südosten Englands zu gewinnen. Deshalb wird sich Farage vorerst auf seine Arbeit als Kovorsitzender der rechtsgerichteten Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie im EU-Parlament konzentrieren müssen. Dennoch muß konstatiert werden, daß die UKIP bei der Unterhauswahl mit landesweit 12,7% der abgegebenen Stimmen ein beachtliches Ergebnis erzielt hat. Sie ist gleich hinter den Konservativen mit 36,8% und Labour mit 30,5% auf dem dritten Platz gelandet und hat die Libdems (7,8%), die SNP (4,8%) und die britischen Grünen (3,8%) hinter sich gelassen. Daß die UKIP trotz 3,8 Millionen Stimmen nur einen Sitz und die SNP mit nur 1,5 Millionen Stimmen 56 Sitze bekam, liegt an der im Vergleich zu England überproportionalen Vertretung Schottlands im Londoner Unterhaus und des britischen Mehrheitswahlsystems, wonach jeder Wahlkreis nur den Abgeordneten mit den meisten Stimmen nach London schicken darf.

Der Sieg der Conservatives ist auf die populistische Angstkampagne, die sie mit Hilfe der Wirtschaftspresse und der meisten Medien, darunter auch der BBC, in den letzten Wochen geführt hat, zurückzuführen. Camerons Tories haben Miliband und die Labour-Führung zu wirtschaftlichen Analphabeten aufgebauscht, welche die Steuerbelastung der Bürger erhöhen und das Land in den Ruin treiben würden. Sie haben zudem das Angebot von SNP-Chefin Nicola Sturgeon, eine Labour-Minderheitsregierung in London zu dulden, solange sich diese vom neoliberalen Austeritäts- und Privatisierungskurs der Tories abwende, als unzulässige Einmischung Schottlands in die nationale Politik Großbritanniens verteufelt. Die scharfen Angriffe haben Miliband eingeschüchtert und ihn auf Distanz zur SNP gehen lassen wie zugleich den englischen Chauvinismus kräftig befördert. Dies erklärt die große Wählerwanderung in England weg von Labour (31,7%) und den LibDems (8,2%) hin zu den Conservatives (41,0%) und der UKIP (14,1%).

In seiner Dankesrede anläßlich der Bekanntgabe der Wiederwahl als Abgeordneter des südenglischen Wahlkreises Witney hat Cameron sein Versprechen, 2016 eine Volksbefragung über den Verbleib des Vereinigten Königreiches in der EU durchzuführen, erneuert. Damit ist die Konfrontation mit Brüssel und die Unsicherheit über die künftige Außenpolitik Großbritanniens vorprogrammiert. Nach der unmißverständlichen Entscheidung der meisten Wähler in England für die Konservativen und die UKIP und der meisten Wähler in Schottland für die SNP scheint das Ende der politischen Union der beiden früheren Kernbestandteile des British Empire nur noch eine Frage der Zeit. Das angekündigte Plebiszit über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens dürfte die Spannungen zwischen London und Edinburgh nur noch weiter verschärfen, denn während laut Umfragen die meisten Engländer für den Austritt aus der EU sind, wollen die meisten Schotten in der europäischen Staatengemeinschaft verbleiben.

8. Mai 2015


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