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PARTEIEN/288: In Schottland stehen die Zeichen auf Unabhängigkeit (SB)


In Schottland stehen die Zeichen auf Unabhängigkeit

Londons Polit- und Geldelite bringt die Schotten gegen sich auf



Unter den Gegnern der schottischen Unabhängigkeit ist Panik ausgebrochen. In wenigen Monaten haben die Befürworter der Beibehaltung der 1707 eingegangenen Union zwischen England und Schottland einen Vorsprung in den Umfragewerten von mehr als 20 Prozent verspielt. Der jüngsten Umfrage zufolge, welche die konservative Zeitung Scotland on Sunday vom demoskopischen Institut ICM durchführen ließ und deren Ergebnis am 20. April veröffentlicht wurde, liegen die Wähler, die beim Referendum am 18. September die Frage, ob sie ein unabhängiges Schottland haben wollen, mit Nein zu beantworten beabsichtigen, bei 42 Prozent, während die, die Ja ankreuzen wollen, mit 39 Prozent angegeben wurden. Da bei solchen Umfragen ohnehin von einer Schwankungsbreite von drei Prozent ausgegangen wird, halten sich die Befürworter und Gegner der schottischen Unabhängigkeit praktisch die Waage.

Angesichts dieses Umstands stellt sich die Frage, ob der aktuelle Trend zugunsten der Unabhängigkeitsbefürwörter anhalten wird oder nicht. Setzen die selbsternannten Verteidiger Großbritanniens ihre negative Angstkampagne fort, welche offenbar immer mehr Menschen nördlich des Hadrianswalls in die Arme der in Edinburgh regierenden Scottish National Party (SNP) um Premierminister Alex Salmond treibt, wird er das ganz klar tun. Derzeit ist keinerlei Kurskorrektur oder Umdenken bei den vom britischen Premierminister David Cameron angeführten Kräften, welche die Kampagne "Better Together" ("Besser zusammen") betreiben, zu erkennen. Nicht umsonst berichtete die liberale britische Tageszeitung Guardian am 10. April unter Verweis auf diplomatische Kreise in Edinburgh, daß man in den mehr als 50 Konsulaten und ausländischen Vertretungen dort inzwischen davon ausgeht, daß am 18. September das Ja-Lager den Sieg davontragen werde. Demnach hätten die Vertreter des diplomatischen Korps in den letzten Monaten einen "deutlichen Meinungsumschwung" in der schottischen Öffentlichkeit festgestellt. Ein nicht namentlich genannter Diplomat wurde dahingehend zitiert, daß er letztes Jahr von einem Sieg der Unionsanhänger ausgegangen sei, er heute jedoch einen Sieg der Unabhängigkeitsbefürworter am 18. September für "nicht sicher, aber wahrscheinlich" halte.

Beim Versuch, seine Landsleute sozusagen zur Räson zu bringen, hat der aus Schottland stammende George Robertson, der während des Kosovo-Krieges 1999 im Kabinett Tony Blairs Verteidigungsminister war und später NATO-Generalsekretär wurde, am 8. April ein spektakuläres Eigentor geschossen. Der Sozialdemokrat, der heute im Vorstand des schottischen Machinenbauunternehmens Weir sitzt und seit seiner Erhebung in den Adelsstand 1999 den Titel Baron Robertson of Port Ellen trägt, hat bei einem Vortrag am Brookings Institute in Washington in absolut hysterischen Tönen vor einem Ausscheiden Schottlands aus der Union mit England gewarnt. Eine Aufsplittung der "zweitwichtigsten Militärmacht des Westens" hätte "nach geopolitischen Gesichtspunkten verheerende Folgen". Die "lautesten Jubelrufe", die nach einem Sieg der Ja-Kampagne zu erwarten wären, stammten von den "Kräften der Dunkelheit": Großbritannien "auseinanderzureißen" wäre damit gleichzusetzen, "den Diktatoren, den Peinigern, den Unterdrückern, den Annektierern, den Aggressoren und den Abenteurern auf dem Planeten das größte vorweihnachtliche Geschenk ihres Lebens zu machen" und sei daher nicht zu rechtfertigen, so Robertson unter indirekter Anspielung auf die aktuelle Konfrontation zwischen NATO und Wladimir Putins Rußland in der Ukraine-Krise.

In der britischen Öffentlichkeit, insbesondere in Schottland, kam Robertsons hysterische Intervention in die Unabhängigkeitsdebatte, ganz schlecht an. Die SNP-Regierung und nicht wenige Publizisten warfen ihm vor, er habe mit seiner Rhetorik in erster Linie das manichäische Weltbild der US-Neokonservativen beschworen und damit an der Lebensrealität Schottlands vorbeigeredet. In zahlreichen Leserbriefen und Kommentaren erntete Robertson für seinen Brookings-Vortrag Spott und Häme. Owen Jones zum Beispiel schrieb dazu am 9. April im Guardian, Robertson hätte wie "Gandalf mit Kopfschmerzen, der voller Ernst mitanschauen muß, wie sich Saurons Armee von Orks in den Bergen Mordors versammelt, geklungen".

Am 14. April erhielt Alex Salmond einen von vier ehemaligen Generalstabschefs, sechs ehemaligen Marinechefs und einem ehemaligen Luftwaffenschef der britischen Streitkräfte unterzeichneten Brief, in dem die Militärs a.D. ihm von der Umsetzung des offiziellen Plans der SNP-Regierung abrieten, nach einem Sieg bei der Volksbefragung den Marinestützpunkt Faslane, Heimathafen der britischen Abschreckungsfähigkeit - vier U-Boote, die atomarbestückte Trident-Interkontinentalraketen mit sich führen -, zu schließen. Dadurch gingen bis zu 7.000 Arbeitsplätze verloren und die Sicherheit Großbritanniens und der NATO würden aufs Spiel gesetzt werden, behaupteten die Ex-Generäle und -Admirale. Salmond zeigte sich von dem Argument wenig beeindruckt. Die große Mehrheit der Schotten lehnten seit Jahren die Stationierung von Massenvernichtungswaffen in ihrem Land ab; der Abzug der Atom-U-Boote aus Faslane wäre für die Bemühungen um die weltweite Nuklearabrüstung, die letztlich auch das erklärte Ziel von US-Präsident Barack Obama sei, ein wichtiges und vielleicht entscheidendes Signal, so Schottlands Premierminister.

Am 22. April griff Gordon Brown, der von 1997 bis 2007 unter Tony Blair Finanzminister und von 2007 bis 2010 selbst Premierminister Großbritanniens war, in die Diskussion ein. Brown, der auch Schotte ist, versuchte seinen Landsleuten das Streben nach Unabhängigkeit mit der Behauptung auszutreiben, nach einer Trennung von England würde Schottlands Rentenkasse zu einer tickenden "Zeitbombe". Die Bevölkerung Schottlands altere schneller, während seine Wirtschaft nicht so stark wie die Englands sei, was mittelfristig empfindliche Rentenkürzungen unvermeidlich machen würde, wäre das Land auf sich allein gestellt, so Brown. Einige Wirtschafts- und Rentenexperten hielten die These des Ex-Schatzmeisters für stichhaltig, andere dagegen sahen darin eine zu pessimistische Extrapolierung der vorhandenen Daten, die durch den Wunsch, die Union doch noch zu retten, motiviert sei.

Unterdessen ist ein heftiger Streit um die Entscheidung der Confederation of British Industry (CBI), eine klare Position gegen die Unabhängigkeit Schottlands zu beziehen, entbrannt. Wie am 19. April bekannt wurde, hat sich die mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie vergleichbare CBI, um sich finanziell und organisatorisch an der Kampagne um die Volksbefragung, die offiziell am 30. Mai beginnt, beteiligten zu dürfen, bei der britischen Wahlkommission als politische Vereinigung eintragen lassen. Dabei hat die CBI-Führung den Entschluß zur Unterstützung der Nein-Kampagne allein und ohne vorherige Befragung der ihr angeschlossenen Firmen und Institute getroffen. Mehrere schottische Firmen und Organisationen, darunter die angesehene Juristenvereinigung Law Society of Scotland (LSS), sind aus Protest gegen das geplante Engagement der CBI bei der Wahlkampagne aus dem Dachverband ausgetreten und warfen ihm Verletzung der politischen Neutralität vor. Man kann davon ausgehen, daß der Eindruck der Selbstherrlichkeit, der durch die umstrittene Entscheidung der in London ansässigen CBI entstanden ist, den Groll vieler Schotten gegenüber dem Finanzmoloch an der Themse stärken und somit noch weitere bisher unentschlossene Wähler zu den Unabhängigkeitsbefürwortern treiben wird.

24. April 2014