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PARTEIEN/268: Irlands Möchtegern-Präsidenten mit Glaubwürdigkeitsproblemen (SB)


Irlands Möchtegern-Präsidentschaft mit Glaubwürdigkeitsproblemen

Martin McGuinness und David Norris nur bedingt aussagebereit


Einen Tag vor Ablauf der Frist zur Nominierung der Kandidaten für die irische Präsidentenwahl am 27. Oktober ist die Spannung bereits jetzt kaum zu überbieten. Senator David Norris, der monatelang in allen Umfragen haushoch geführt hatte, jedoch Anfang August wegen der Affäre um ein von ihm 1997 für seinen in Israel der Vergewaltigung eines 15jährigen palästinensischen Jugendlichen schuldig gesprochenen Lebenspartner Ezra Yitzhak Nawi erbetenes Gnadengesuch aus dem Rennen geworfen wurde, nur um letzte Woche überraschend wieder einzusteigen, versucht mit allen Mitteln, seinen Namen doch noch in letzter Minute auf den Wahlzettel zu bekommen. Das Gleiche gilt für Rosemary Scallon, die 1970 als "Dana" mit dem Lied "All Kinds of Everything (Remind Me of You)" den europäischen Schlager-Grand-Prix gewann. Währenddessen sieht sich Martin McGuinness, offizieller Kandidat der linksnationalistischen Partei Sinn Féin, weiterhin mit bohrenden Fragen hinsichtlich seiner früheren Rolle als Kommandeur der verbotenen Irisch-Republikanischen Armee (IRA) beim Kampf gegen die britischen Streitkräfte in Nordirland zwischen 1968 und 1998 konfrontiert.

Um seinen Namen auf die Liste der Kandidaten für die irische Präsidentschaft zu plazieren, muß der Bewerber oder die Bewerberin entweder von 20 Vertretern des irischen Parlaments, das heißt Unterhaus (Dáil) und Senat zusammen, oder von vier Kommunalräten offiziell nominiert werden. Norris, der seit 1987 als Parteiloser im Senat sitzt, hoffte ursprünglich, die Unterschriften von zwanzig Politikerkollegen zu bekommen. Bis zum 25. September hatte er 18 Zusagen erhalten, die meisten von Abgeordneten der neuen United Left Alliance (ULA). Es fehlten ihm nur noch zwei. Doch unerwartet hatte sich an jenem Abend Mattie McGrath, parteiloser Abgeordneter aus South Tipperary, geweigert, Norris' Formular zu unterzeichnen. Dadurch entstand für Irlands profiliertestem Vorkämpfer für die Rechte von Homosexuellen ein gewaltiges Problem. Denn ohne die Zusage von McGrath, sah sich Michael Lowry, parteiloser Abgeordneter aus North Tipperary, nicht veranlaßt, sein Versprechen, im Notfall Norris die fehlende Stimme zu geben, einzulösen. Und da alle übrigen Abgeordneten und Senatoren ihre Stimmen entweder einem anderen Kandidaten gegeben oder sich zur Enthaltung entschlossen hatten, mußte Norris plötzlich zur Ochsentour über die Kommunalräte antreten.

McGrath hatte die Entscheidung über sein Verhalten bezüglich Norris' Bewerbung dem eigenen Unterstützerkreis überlassen, dessen Angehörige mit 53 zu 18 gegen den Senator und Joyce-Gelehrten votierten. Zu dem eindeutigen Nein der McGrath-Anhänger im ländlichen South Tipperary dürfte ein Artikel der irischen Ausgabe der Sunday Times vom 25. September beigetragen haben, in dem es hieß, Norris habe damals in der Nawi-Angelegenheit neben dem Gnadengesuch an die Justizbehörden in Israel mindestens sechs weitere Briefe - allesamt auf dem Briefbögen des irischen Senats und nicht als Privatmann geschrieben - unter anderem an Bride Rosney, damals Sonderberaterin der irischen Präsidentin Mary Robinson, den damaligen israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, den damaligen israelischen Präsidenten Ezer Weizman und den inzwischen verstorbenen ehemaligen irischen Kommunikationsminister und konservativen wie zugleich pro-israelischen Vorzeigeintellektuellen Conor Cruise "The Cruiser" O'Brien versandt.

Es steht daher die Frage im Raum, warum Norris, als im Sommer die Affäre um seinen beherzten Einsatz für Nawi aufkam, das Wissen um die Existenz der anderen Briefe verschwieg. Da sich Norris weigert, die Frage zu beantworten und nur noch "nach vorne blicken" möchte, kursieren in Irland Gerüchte, wonach er eventuell in dem einen oder anderen Brief seine umstrittene Überzeugung, Sex zwischen männlichen Erwachsenen und Jugendlichen sei in manchen Situationen nicht verwerflich, kundgetan habe. Wegen früherer Äußerungen Norris' zu diesem Thema hat es schon vor einigen Monaten eine lebhafte Kontroverse gegeben. Jedenfalls dürfte die Sunday-Times-Enthüllung um die zusätzlichen Briefe dazu beigetragen haben, daß sich am 26. September der Kommunalrat für South Dublin entgegen allen Erwartungen mit 12 zu 11 Stimmen gegen eine Nominierung von Norris zum Präsidentschaftskandidaten entschied.

Während Dana inzwischen von den Kommunalräten in Carlow, Donegal, Offaly und Roscommon nominiert worden ist und ihren Platz auf der Liste der Kandidaten sicher hat, muß Norris vermutlich bis zur letzten Minute kämpfen. Er hat schon seit längerem die Nominierung von Fingal [Dublin Nord - Anm. d. Red.], bekam am 26. September die seiner heimatlichen Grafschaft Laois und am heutigen 27. September die von Waterford. Heute abend tritt er vor die Ratsmitglieder in Dublin City und morgen früh vor denen der Grafschaft Kilkenny. Wenn nichts dazwischen kommt, dürfte er an einem der beiden Orte die fehlende Nominierung für sich verbuchen können. Nichtsdestotrotz haben die Ereignisse der letzten Wochen samt Rücktritt und Wiedereinstieg Norris' Ansehen als Kandidat geschadet. Er mag in den jüngsten Umfragen wieder vorne liegen, doch beim Buchmacher Paddypower.com rangiert er inzwischen auf Platz zwei hinter Michael D. Higgins, dem Kandidaten der sozialdemokratischen Labour Party, und vor Martin McGuinness auf Platz drei.

Während Gay Mitchell, der Vertreter der mit Labour regierenden nationalkonservativen Fine Gael aus Dublin, als etwas farblos gilt und vermutlich deshalb nur auf Platz vier bei Paddy Power liegt, hat Higgins gute Chancen, sowohl Norris als auch McGuinness zu schlagen. Zum Präsidenten wollen die irischen Wähler jemanden haben, der als Staatsoberhaupt nicht die siebenjährige Amtszeit von Fragen zu seiner Vergangenheit verfolgt wird. Sowohl bei Norris als auch bei McGuinness, deren Popularität sich nicht zuletzt daraus speist, daß sie nicht zur korrupten und diskreditierten Politelite Dublins gezählt werden, ist diese Gefahr unverkennbar. Im Gespräch beim Radiosender Newstalk mit Moderator Damien Kiberd hat der Journalist Joe Jackson am 26. September von drei Skandalen um Norris berichtet, von denen er durch Freunde in homosexuellen Kreisen erfahren hätte, über deren Einzelheiten er sich aus Rücksicht auf das strenge Diffamierungsgesetz Irlands nicht äußern wollte. Sollten die Informationen Jacksons' stimmen, könnte eine oder mehrere dieser Geschichten bei Bekanntwerden noch die Kandidatur von Norris torpedieren oder ihn, sollte er die Wahl gewinnen, zum Rücktritt vom Präsidentenamt zwingen. Allein die Gerüchte um eine solche publizistische Sprengfalle dürften sich negativ auf die Popularität von Norris auswirken und ihm den Sieg bei der Wahl kosten.

Bei McGuinness ist es nicht unähnlich. Der Sinn-Féin-Vizepräsident hält sich hartnäckig an seiner eidesstaatlichen Aussage vor dem Bloody-Sunday-Tribunal im Jahre 2003, wonach er 1974, nach nur rund vier Jahren Mitgliedschaft, aus der IRA ausgetreten sei. Doch das glaubt niemand. Wie man in Belfast zu sagen pflegt, selbst die Hunde auf der Straße wissen, daß McGuinness wie auch Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams bis zum Schluß Mitglied im höchsten IRA-Gremium, dem Army Council, waren und nur aus dieser Position heraus die erfolgreichste Untergrundarmee Westeuropas zur Beendigung des bewaffneten Kampfes und zur Beseitigung ihres umfangreichen Waffenarsenals bewegen konnten. Man mag geteilter Meinung darüber sein, ob der damalige Kampf gegen die britische Herrschaft in Nordirland legitim gewesen sei oder nicht, doch mit dem durchsichtigen Abstreiten ihrer Verantwortung für zahlreiche Operationen der IRA versucht das Sinn-Féin-Führungsduo die Menschen für dumm zu verkaufen.

Je mehr McGuinness den Fragen nach seiner "terroristischen" Vergangenheit aus dem Weg geht und Journalisten, die das Thema anschneiden, als "West Brits" beschimpft, umso mehr erzeugt er den Eindruck, daß er etwas zu verbergen hat (Einige Kritiker von Sinn Féin aus den Reihen früherer IRA-Mitglieder glauben zum Beispiel, daß McGuinness über Jahre mit dem britischen Auslandsgeheimdienst MI6 in Verbindung stand und einige Kampfgefährten verriet). Das selbstherrliche Agieren von McGuinness, der sich als einziger wahrer Patriot unter den Präsidentschaftskandidaten verkaufen möchte, dürfte bei der Mehrheit der Wähler in der Irischen Republik nicht gut ankommen, auch wenn sie ihn wegen seines Beitrages zum "Friedensprozeß" in Nordirland respektieren.

27. September 2011