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PARTEIEN/236: Neue Anschläge überschatten Wahlkampf in Nordirland (SB)


Neue Anschläge überschatten Wahlkampf in Nordirland

Wähler stimmen über bisheriges Ergebnis des Friedensprozesses ab


In Nordirland läuft der Wahlkampf um Sitze im House of Commons, dem Unterhaus des britischen Parlaments, auf Hochtouren. Aufgrund der jüngsten politischen Entwicklungen in der Unruheprovinz läßt sich schwer sagen, wie die nordirischen Wähler am 6. Mai entscheiden werden. Überschattet wird der Wahlkampf von den Umtrieben republikanischer Dissidenten, die mit dem politischen Kurs der katholisch-nationalistischen Sinn Féin und der Abkehr der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) vom bewaffneten Kampf gegen die Präsenz britischer Streitkräfte auf der grünen Insel unzufrieden sind.

Aus den letzten britischen Unterhauswahlen 2005 ging auf protestantischer, pro-britischer Seite die Democratic Unionist Party (DUP) des Reverend Ian Paisley als klare Siegerin hervor. Von den 18 zu vergebenden nordirischen Sitzen gewann sie neun, die gemäßigte Ulster Unionist Party (DUP), traditionell die stärkste protestantische Partei Nordirlands, nur einen. Daraufhin trat der Friedensnobelpreisträger David Trimble als UUP-Chef zurück und wurde von Reg Empey ersetzt. Der Grund für die dramatische Machtverschiebung im protestantischen Lager war die erfolgreiche Dauerkritik der Paisley-Truppe am vermeintlichen Schmusekurs der UUP gegenüber Sinn Féin. Inzwischen führt die DUP ihrerseits zusammen mit der Sinn Féin, deren Spitze sie jahrelang als "IRA-Terrorpaten" verteufelt hat, die nordirische Provinzregierung an. Dies wird ihr Stimmen bei den protestantischen Hardlinern kosten, die derzeit von der neuen Gruppierung Traditional Ulster Voice (TUV) umworben werden. Die Frage ist nur, in welchem Ausmaß die TUV der DUP Wähler abwerben kann. Deshalb richten sich viele Blicke auf den Wahlkreis North Antrim, den Paisley, der selbst nicht kandidiert, rund dreißig Jahre lang im Unterhaus vertrat und in dem sich sein Sohn Ian junior derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem TUV-Gründer und Ex-Paisley-Vertrauten Jim Allister liefert.

Ein weiterer Grund, warum die DUP in diesem Jahr nicht an ihrem großartigen Erfolg von 2005 wird anknüpfen können, ist der Sex- und Korruptionsskandal um Iris Robinson, Ehefrau und politische Gefährtin von Peter Robinson, der vor zwei Jahren den alternden Paisley als Parteiführer und Ersten Minister in der nordirischen Koalitionsregierung ablöste. Die DUP wird es schwer haben, den Sitz der von allen politischen Ämtern zurückgetretenen und deshalb auch nicht kandidierenden Iris Robinson im Wahlkreis Strangford zu halten. Dort dürfte der UUP-Kandidat Mike Nesbitt, ein bekannter Fernsehmoderator des Regionalsenders Ulster Television (UTV), das Rennen machen. Daß die DUP den einen oder anderen Sitz an die UUP wird abgeben müssen, wissen alle. Deren Anzahl und die Höhe des Stimmenanteils von Peter Robinson in seinem eigenen Wahlkreis Belfast East werden darüber entscheiden, ob die langjährige recht Hand von Ian Paisley sen. noch eine Zukunft als DUP-Chef und nordirischen Regierungschef hat.

Spannend ist jedenfalls die Frage, wer von UUP und TUV am meisten von den Schwierigkeiten der DUP profitieren wird. UUP-Chef Empey gilt als farblos, und seine Entscheidung, eine formelle Allianz mit den britischen Konservativen unter David Cameron einzugehen, die in Großbritannien als Favoriten in die Wahl gehen und von denen alle Beobachter annehmen, daß sie die Labour-Partei von Premierminister Gordon Brown ablösen werden, ist nicht unumstritten. Bereits jetzt hat Empeys oppertunistischer Vorstoß der UUP ihren bisher einzigen Sitz, den von Lady Silvia Hermon im Bezirk North Down am Rande Belfasts, gekostet. Hermon, die zum liberalen Flügel der DUP zählte und zum Beispiel 2003 im Unterhaus gegen die Teilnahme Großbritanniens am Irakkrieg der USA votierte, hat sich als unabhängige Kandidatin aufgestellt und wird aufgrund ihrer persönlichen Popularität vermutlich den Sitz im Unterhaus behalten.

Auf katholisch-nationalistischer Seite hatte bei der letzten Unterhauswahl Sinn Féin fünf Sitze und die gemäßigte, katholisch-nationalistische Social Democratic Labour Party (SDLP) drei erobert. Der Sitz der Sinn-Abgeordneten Michelle Gildernew in Fermanagh South-Tyrone gilt als extrem gefährdet, weil sich dort DUP und UUP auf Rodney Connor als gemeinsamen Kandidaten geeinigt haben. Auf die Anregung des Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adams, seine Partei und die SDLP sollten deshalb in Fermanagh South-Tyrone und einigen anderen Wahlkreisen taktische Bündnisse eingehen, hat Margaret Ritchie, die neue Anführerin der nordirischen Sozialdemokraten, ablehnend reagiert. Bei der SDLP ist man noch sauer, daß anstelle eines der ihrigen Sinn Féin und DUP den Posten des neuen nordirischen Innen- und Justizministers an David Ford von der nicht-konfessionell gebundenen Alliance Party vergeben haben.

Wenige Stunde vor der Amtseinführung Fords am 12. April - infolge der Rückübertragung der Verantwortung für Polizei und Justiz von London an Belfast nach 38 Jahren - explodierte eine Autobombe vor den Toren der Palace Barracks der britischen Armee im Norden Belfasts, wo auch der MI5 sein Hauptquartier für die Provinz hat. Mit der Bombe wollten die republikanischen Dissidenten darauf aufmerksam machen, daß auch künftig die Politiker Nordirlands keine Kontrolle über den britischen Inlandsgeheimdienst ausüben werden. Die Explosion sowie andere vereitelte Anschlagsversuche der Splittergruppen Real IRA und Oglaigh na hÉireann der letzten Tage und Wochen müßten für Sinn Féin ein Ansporn sein, die Verwirklichung des Karfreitagsabkommens von 1998, besonders die darin vorgesehene Zusammenarbeit mit der Irischen Republik im Süden, zu forcieren.

17. April 2010