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PARTEIEN/213: Ian Paisley verläßt die politische Bühne Irlands (SB)


Ian Paisley verläßt die politische Bühne Irlands

Der einstige Haßprediger verabschiedet sich als weiser Staatsmann


Nicht gänzlich unerwartet kam am 4. März die Ankündigung, daß Dr. Ian Paisley im kommenden Mai als Erster Minister der Regierung Nordirlands und als Vorsitzender der Democratic Unionist Party (DUP) zurücktreten wird. Am 6. April wird Paisley 82 Jahre alt, und in letzter Zeit sind ihm deutliche Alterserscheinungen anzumerken. Folglich war bereits mit einem Rücktritt irgendwann in diesem Jahr gerechnet worden. Die Frage ist nur, was nach Paisley kommt, denn unabhängig davon, ob man ihn mag oder nicht, hat der pro-britische, protestantische Fundamentalist, der letztes Jahr in Belfast eine interkonfessionelle Koalition mit seinen einstigen Erzfeinden von Sinn Féin, dem politischen Arm der katholisch-nationalistischen Irisch-Republikanischen Armee (IRA), eingegangen ist, die politische Bühne Nordirlands seit den sechziger Jahren dominiert und wird zweifelsohne als wichtigster Politiker auf der grünen Insel seit den Zweiten Weltkrieg in die Geschichtsbücher eingehen.

Mit jahrelangen lautstarken Protestaktionen gegen sämtliche Bemühungen um Versöhnung zwischen Nordirland und der Republik im Süden, die nach dem Irischen Unabhängigkeitskrieg 1922 getrennt worden waren, hat Paisley wie kein zweiter dazu beigetragen, daß 1969 jener Bürgerkrieg ausbrach, der fast 30 Jahre dauern und rund 3500 Menschen das Leben kosten sollte. Ähnlich seinen großen unionistisch-protestantischen Vorbildern Edward Carson und James Craig, die vor und nach dem Ersten Weltkrieg mit ihrer Kampagne gegen eine Autonomie für Irland innerhalb des Vereinigten Königreichs mit Großbritannien die Teilung der Insel besiegelten, hat Paisley 1966 durch sein entschiedenes Nein zum ersten historischen Besuch eines Dubliner Premierministers - Seán Lemass - in Belfast, zur damals entstehenden Bürgerrechtsbewegung, die eine Übervorteilung der Protestanten unter anderem im Wahlrecht sowie bei der Vergabe von Sozialwohnungen forderte, zur ersten interkonfessionellen Regierung nach dem Sunningdale-Abkommen von 1973, zum Anglo-Irish Agreement von 1985 zwischen Dublin und London sowie schließlich zum Karfreitagsabkommen von 1998 Haß und Mißtrauen zwischen Katholiken und Protestanten in einem Ausmaß gesät, daß es Generationen dauern wird, sie wieder abzubauen.

Nach der Annahme des Karfreitagsabkommens infolge einer Volksbefragung auf beiden Seiten der inneririschen Grenze war Paisley zunächst zur alttestamentarischen Witzfigur verkommen, die die allgemeine Sehnsucht der Menschen nach Frieden und einem Leben ohne Bombenanschläge und Überfälle nicht erkannt hatte. Tatsächlich schaffte es jedoch der bereits mehr als siebzig Jahre alte "Dr. No" durch ständige Kritik an der Ulster Unionist Party (UUP) von David Trimble, die sich bereit erklärt hatte, sowohl mit der gemäßigten katholisch-nationalistischen Social Democratic Labour Party (SDLP) als auch mit Sinn Féin eine Koalition zu bilden, die Ängste der Protestanten vor dem "Ausverkauf" Ulsters an die mehrheitlich katholische, und deshalb "papistische" Republik im Süden neu zu entfachen. Trimble brachte er am Ende genauso zu Fall wie er es in den sechziger Jahren mit Terence O'Neill und in den siebziger Jahren mit Brian Faulkner getan hatte.

Mit seinem an die Adresse der UUP gerichtete Dauervorwurf des "Verrates" am protestantischen "Volk" in Nordirland gelang es Paisley, daß seine 1971 gegründete DUP bei Regionalwahlen sowie bei Wahlen für das britische Parlament allmählich die Ulster Unionists aus ihrer traditionellen Position als stärkste Partei der Provinz zu verdrängen. Daraus ergab sich eine ganz neue Situation. Als stärkste protestantische Fraktion stand der DUP nach dem von ihnen verteufelten Karfreitagsabkommen das Amt des Ersten Ministers und ein Großteil der Ministerposten in der nordirischen Regierung zu. Also war die DUP zum Regieren - mit der Sinn Féin, die in der Zwischenzeit ihrerseits die SDLP als stärkste katholisch-nationalistische Kraft überholt hatte - verdammt. Als dann 2005 die IRA den bewaffneten Kampf für beendet erklärte und 2007 sich Sinn Féin zur Zusammenarbeit mit der einst protestantisch dominierten, inzwischen reformierten, nordirischen Polizei bereit fand, mußten Paisley und die Seinigen in den sauren Apfel beißen. Millionen von Iren staunten nicht schlecht, als am 8. Mai im Belfaster Parlamentsgebäude Schloß Stormont Paisley und Martin McGuinness, Vizepräsident von Sinn Féin, den ersterer seit Jahren als "Terrorpaten" beschimpfte, mit dem er niemals etwas zu tun haben würde, Seite an Seite feierlich die Bildung einer gemeinsamen Regierung verkündeten.

Die Zusammenarbeit der beiden Männer entwickelte sich danach so harmonisch, daß man bald einen Spitznamen für Paisley und McGuinness fand: The Chuckle Brothers - eine Anspielung darauf, daß sie in der Öffentlichkeit andauernd lächelten und einen ausgesprochen jovialen Umgang miteinander pflegten. Höhepunkte der nationalistisch-unionistischen Eintracht war der USA-Besuch von Paisley und McGuinness Ende letzten Jahres, als sie gemeinsam an der Wall Street und im Weißen Haus Werbung für das neue Nordirland machten, sowie ihr demonstrativer Auftritt bei der Eröffnung der ersten IKEA-Filiale in Belfast kurz vor Weihnachten, die als Zeichen eines verbesserten Investitionsklimas verstanden werden sollte.

Zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch erste dunkle Wolken an politischen Horizont. Die nordirischen Medien berichteten von Hinweisen darauf, daß sich Paisley oder sein Sohn und möglicher Nachfolger als DUP-Chef, Ian jun., auf unzulässige Weise in der Vergabe eines Auftrages zum Bau eines Besucherzentrums an der berühmten Sehenswürdigkeit Giant's Causeway an der Küste der Grafschaft Antrim eingemischt hatten, damit dieser an einen befreundeten, örtlichen Bauunternehmer namens Seymour Sweeney ging. Beide Paisleys vertreten seit Jahren ihren heimatlichen Wahlbezirk North Antrim. Nicht zuletzt wegen seiner undurchsichtigen Verbindungen zu Sweeney mußte Ian jun. am 26. Februar von seinem Posten als Juniorminister im Büro des Ersten Ministers der nordirischen Regierung zurücktreten. Der drastische Schritt hatte zwei Folgen: erstens waren die Pläne der Paisleys, daß Ian jun. seinen Vater als DUP-Chef irgendwann einmal beerbt, gestorben; zweitens war klar, daß der Vater nicht mehr lange im Amt bleiben konnte, denn sein Sohn hatte in den letzten Jahren einen Großteil der Detailarbeit für ihn übernommen.

Der jetzige Rücktritt von Paisley sen. bringt die DUP in eine schwierige Lage. Ein nicht geringer Teil der Führung und der Anhängerschaft der Partei steht bis heute der politischen Zweckehe mit Sinn Féin skeptisch bis ablehnend gegenüber, war jedoch dem Kurs Paisleys aus Respekt vor dessen Autorität gefolgt. Die Unzufriedenheit einiger von Paisleys Kampfgefährten und Wählern mit den neuen Verhältnissen in Nordirland zwangen den DUP-Chef Ende letzten Jahres, seine Position als Führer der von ihm in den fünfziger Jahren mitbegründeten Freien Presbyterianischen Kirche aufzugeben. Darüber hinaus formiert sich im unionistischen Lager eine Gruppe Unverbesserlicher um Jim Allister. Der einstige DUP-Mitbegründer, der 2004 Paisleys Sitz im Europäischen Parlament übernommen hat, war letztes Jahr aus Verärgerung über die Entscheidung zur Koalitionsbildung mit Sinn Féin aus der Partei ausgetreten und wetteifert mit seiner neuen Gruppierung Traditional Unionist Voice gegen das Karfreitagsabkommen, gegen die zunehmende wirtschaftliche Zusammenarbeit Nordirlands mit der Republik und vor allem gegen Sinn Féin.

Als voraussichtlicher Nachfolger Paisleys gilt dessen langjähriger Vertrauter Peter Robinson. Der 1948 geborene Abgeordnete aus dem Südosten Belfasts, der in den achtziger Jahren noch als gewaltbereiter Extremist galt, hat sich in den letzten Jahren vor allem als Pragmatiker hervorgetan. Auch wenn Robinson seit mehr als zwei Jahrzehnten an der DUP-Spitze steht, wird es ihm sicherlich schwerer als Paisley fallen, die Parteikollegen hinter sich zu halten. Um dies zu schaffen, wird er sich eventuell der unter Unionisten üblichen anti-katholischen, anti-nationalistischen Ressentiments bedienen müssen.

Ein Feld, auf dem Vertreter von DUP und übrigens auch UUP in den letzten Monaten ihren Vorurteilen freien Lauf lassen, ist das der Sprache. Nach dem Abkommen von St. Andrews von Oktober 2006 war mit Dublin und London beschlossen worden, daß die neue nordirische Regierung ein Gesetz verabschiedet, das das Gälische auf dieselbe rechtliche Stufe wie das Englische stellt. Bis heute wehren sich die Unionisten gegen diese Maßnahme, wie der Teufel das Weihwasser fürchtet. Gälisch sei "sektierisch" und seine Verbreitung in Nordirland etwa durch das Aufstellen zweisprachiger Orts- und Verkehrschilder wäre ein Anschlag auf den "britischen" Charakter Nordirlands, behaupten sie. Bedenkt man die Tatsache, daß die DUP seit ihrer Gründung vor 37 Jahren noch niemals einen Führungswechsel vollzogen hat, so darf man gespannt sein, wie die Partei ohne ihren bisherigen Steuermann Paisley zurechtkommt und wie Robinson die neue Situation meistert.

6. März 2008