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ITALIEN/416: Die Karriere der Giorgia Meloni - formiert in der Kaderschmiede der 1946 wiedergegründeten "Duce"-Partei MSI (Gerhard Feldbauer)


Formiert in der Jugendfront des Movimento Sociale Italiano, der Kaderschmiede der 1946 wiedergegründeten Partei des "Duce"

Die Karriere der Giorgia Meloni

von Gerhard Feldbauer, 15. September 2022


Die am 15. Januar 1977 in Rom geborene Giorgia Meloni stammt, wie sie gerne betont, aus den einfachen Verhältnissen einer Angestelltenfamilie. Sie verschweigt, dass ihre aus Sizilien stammende Mutter, Anna Paratore, dem faschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) angehörte. Ihr Vater, Francesco Meloni, war ein aus Sardinien stammender Steuerberater, den sie in einem Interview 2006 als überzeugten Kommunisten bezeichnete, der die Familie, als sie drei Jahre alt war, verließ. [1] Als 15jährige Gymnasiastin trat sie 1992, dem Beispiel der Mutter folgend, in die Fronte della Gioventù (Jugendfront) des MSI ein, einer Kaderschmiede zur Heranbildung des Nachwuchses der Partei.

Beim MSI handelt es sich um nichts anderes als um die bereits im Dezember 1946 als Nachfolgerin der Partei des faschistischen Diktators Mussolini wiedergegründete Partei. Daran ändert auch nichts, dass sich das MSI 1994/95 zur Verdeckung seiner Vergangenheit in Alleanza Nazionale (AN) umtaufte, die das linke Manifesto eine "Nazi-onale Alleanz" nannte. Die AN wurde mit dem Ziel gebildet, "eine viel breitere Front zu schaffen, die eine viel größere Gefolgschaft um sich schart als das MSI, jedoch ohne auch nur im Geringsten die Vergangenheit zu leugnen; die auf nichts verzichtet, sondern die gemeinsamen Ziele weiter verfolgt." [2] Fini wählte mit National ein Synonym, an das schon Mussolini anknüpfte, als er seine 1921 gegründete Partei national (Partito Nazionale Fascista) nannte. Während Fini so ein verblüffendes Bekenntnis zum faschistischen Erbe gelang, konnte er gleichzeitig "die Erneuerung des MSI behaupten, ohne dass diese stattgefunden hätte", schätzte der Rechtswissenschaftler Mario Losano ein und fügte hinzu, dass auch "die Orientierung an der faschistischen Ideologie, (...) wenn auch mit verbalen Abänderungen und Abschwächungen, de facto eine Konstante dieser Partei geblieben" ist. [3]

MSI-Gründer Giorgio Almirante war Staatssekretär des "Duce", dessen führender Rassenideologe und unter anderem Mitherausgeber des Rassenhetzblattes Difesa della Razza gewesen und hatte noch kurz vor Kriegsende einen "Genickschuss-Erlass" gegen Partisanen unterzeichnet. Bei der MSI-Gründung zu ihrem Vorsitzenden gewählt, bekannte er sich mit der Anerkennung des faschistischen Pateiprogramms von 1919 und der Festlegung im MSI-Programm, "die soziale Idee in der ununterbrochenen historischen Kontinuität fortzuführen", zur Wahrung des Erbes Mussolinis. Er hielt an dieser Position bis zu seinem Tod 1988 fest und gab sie an seine Nachfolger weiter. Der Parteiname "Movimento Sociale Italiano" sollte eine Beziehung zur Repubblica Sociale Italiano [4] und - durch die Abkürzung MSI - zum Namen Mussolinis herstellen. Zum Parteisymbol wählte die Sozialbewegung einen schwarzen Sarg, über dem eine Flamme in den Farben der italienischen Trikolore loderte. Es sollte, wie das MSI offen propagierte, darstellen, dass "Mussolinis Seele aus dem Sarg emporsteigt, um seine Nachfolger zu ermutigen". [5] Bekanntlich führen Melonis Fratelli Italiens die Flamme Mussolinis noch heute im Parteisymbol. Zum Ehrenvorsitzenden wurde der Kriegsverbrecher Valerio Borghese gewählt. Das MSI wurde so, wie die Nummer Zwei der Bewegung, der RSI-Kämpfer Pino Rauti, einschätzte, dank derer gegründet, "die weiter glaubten" und "unbeugsam Rache" forderten. [6] Mit der Sozialbewegung entstand eindeutig die verbotene faschistische Mussolinipartei wieder, was gegen eine Übergangsbestimmung der Verfassungsgebenden Versammlung verstieß, die lautete: "Wer die aufgelöste faschistische Partei in irgendeiner Form, sei es als Partei, Bewegung oder paramilitärische Organisation, wiedergründet und militärische oder paramilitärische Gewalt als Mittel für den politischen Kampf anwendet sowie die Ziele der aufgelösten faschistischen Partei verfolgt, wird mit Gefängnis von zwei bis 20 Jahren bestraft." [7]

Der Ehrenvorsitzende Valerio Borghese war unter Mussolini Kommandeur der berüchtigten Decima Maas, der zur Partisanenbekämpfung eingesetzten 10. Torpedobootflottille gewesen. Wegen wenigstens 800-fachen Mordes wurde er 1950 als Kriegsverbrecher verurteilt, auf Betreiben der USA nach kurzer Zeit begnadigt. Im Dezember 1970 scheiterte er bei dem Versuch, in einem von italienischen und NATO-Militärs unterstützten Putsch die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen und sich als Präsident auszurufen. [8]

Nicht zufällig trat Meloni 1992 in die Jugendfront des MSI ein. Es war anlässlich des 70. Jahrestages des Marsches Mussolinis auf Rom, des faschistischen Putsches zur Machtergreifung am 28. Oktober 1992. In Rom marschierten an diesem Tag 10.000 Faschisten, darunter zahlreiche Jugendliche in T-Shirts mit dem Bild Mussolinis, durch die Straßen, erhoben die Arme zum Führergruß, schrien "Duce, Duce" und "viva il Fascismo". Die junge Faschistin Meloni dürfte dabei gewesen sein. Im Parteiblatt Secolo d'Italia war am nächsten Tag zu lesen, dass sich am Abend zu einem Bankett mit dem "neuen Duce" 1.200 verdiente Parteikameraden und Veteranen der Bewegung versammelt hatten, unter ihnen die Witwe des verstorbenen Vorgängers Finis, Assunta Almirante. Unter einem gigantischen Foto Mussolinis stand die aufschlussreiche Losung: "70 Jahre Geschichte, Kampf, Träume. Es lebe der 28. Oktober, es lebe die faschistische Revolution." Fini rief aus: "Wir schauen in die Zukunft, aber wir halten an unseren Wurzeln fest." Zur Bekräftigung war selbst die riesige Festtagstorte in der Form der Flamme gestaltet, die den Geist des "Duce" verkörpern soll. Und unter dem Zeichen der Flamme stimmten die Gäste den alten Choral der Sturmabteilungen an: "Zu den Waffen, wir sind Faschisten". [9] Danach fand in Mailand eine neue Demonstration faschistischer Stärke statt. 5.000 Faschisten in Schwarzhemden, Jugendliche in Kampfanzügen und mit Hakenkreuzen, Sieg-Heil-Rufe schreiend, zogen durch die Straßen. Am Abend sprach Fini im Lyrischen Theater, brachte Lobeshymnen auf den Faschismus aus und sagte: Es sei "notwendig, es auszusprechen: Nur dank Mussolini ist Italien 1922 nicht kommunistisch geworden". [10]

Ihr Festhalten am unverfälschten Erbe des Mussolini-Faschismus demonstrierte Meloni, als am 26. April dieses Jahres die eben erwähnte Witwe des MSI-Gründers Giorgio Almirante, Assunta, verstarb. Der Corriere della Sera erinnerte daran, dass sie seit Almirantes Tod als "respektierte Königinmutter und Gralshüterin des Erbes Mussolinis in der Bewegung" galt. Meloni nahm an ihrer Beerdigung in der Basilika Santa Maria in Montesanto auf der Piazza del Popolo in Rom mit zahlreichen führenden Faschisten ihrer FdI, die am Sarg "den römischen Gruß" zeigten, teil. Laut Corriere würdigte die FdI-Führerin die Frau des MSI-Gründers als "eine Säule des historischen Gedächtnisses der italienischen Rechten" und fügte hinzu: "Ich habe ein unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus".

Bei ihrer Ankündigung, für die Übernahme der Führung der Regierung zu kandidieren, erklärte Giorgia Meloni, dass "die Identität, die Ziele von Mitte-Rechts bekannt sind und es darum geht, sie zu wiederholen". Damit sind die 12 Jahre gemeint, die Italien mit Unterbrechungen von 1994 bis 2011 unter der Tyrannei Berlusconis zu leiden hatte. Die erste im Mai 1994 von Berlusconi mit dem MSI und der Lega gebildete Regierung charakterisierte Manifesto am 15. Mai 1994 als eine "schwarze Regierung aus Faschisten und Monarchisten, Lega-Leuten und christdemokratischem Schrott, Industriellen, Anwälten und Managern der Fininvest". [11] MSI-Führer und Vizepremier Fini bekräftigte seine vorausgegangenen Treuebekundungen zu Mussolini sowie der Aktualität seines Erbes und feierte den "Duce" als den "größten Staatsmann des Jahrhunderts". [12] Altfaschist Pino Rauti, die Nummer zwei der Bewegung, der in den Senat gewählt worden war, sekundierte: "Wir sollten uns daran erinnern, dass hinter uns der Marsch auf Rom liegt, der Korporativismus, der Zweite Weltkrieg gegen die Plutokratien, die Repubblica Sociale". Rauti nannte das "bleibende Werte, (...) ein kulturelles und programmatisches Vorratslager, aus dem wir schöpfen". Fini beantragte, dass in der Verfassung verankerte Verbot der Mussolinipartei aufzuheben, um damit deren faschistische Herrschaft zu rehabilitieren. Konkret hat Meloni schon einmal angekündigt, dass sie die Pläne Berlusconis zur Errichtung eines Präsidialregimes aufgreifen will. Der Medientycoon wollte die Direktwahl des Staatspräsidenten und des Ministerpräsidenten einführen und den Senat als zweite Kammer abschaffen. Aus der Verfassung sollten 84 der 184 Artikel gestrichen oder abgeändert werden. Der damalige Präsident des Verfassungsgerichts, Ettore Gallo, nannte das einen "Staatsstreichversuch". Meloni will nun erstmal mit der Direktwahl des Staatspräsidenten beginnen. Ex-Premier Berlusconi begrüßt das nicht nur als Verwirklichung seiner damals gescheiterten Pläne, sondern verlangte obendrein, dass dann sofort der nach den bisherigen Grundsätzen der Verfassung, d. h. von beiden Kammern des Parlaments, 2021 gewählte Präsident Sergio Mattarella zurücktreten müsse. Damit gehe es bei dieser Wahl um "die Verteidigung der Verfassung oder um ihren Sturz", stellte der Sekretär des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), Enrico Letta, klar.

Während des G8-Gipfels im Juli 2001 in Genua demonstrierte Berlusconi, der auf einem Gipfel der EU in Göteborg vor den mehrheitlich sozialdemokratischen Regierungschefs provokatorisch erklärt hatte, Italien von Kommunisten und Ex-Kommunisten (den sozialdemokratischen Linken) "zu befreien", wie er gedachte, in Italien "Ordnung zu schaffen" und mit der "Hinterlassenschaft der Linken" aufzuräumen. Während des Gipfels wurden über 600 protestierende Demonstranten festgenommen und in "Gefangenensammelstellen" gepfercht. Der Student Carlo Giuliano wurde von einem Jeep heraus von einem Carabinieri gezielt mit einem Schuss getötet. Mehr als 300 Personen wurden blutig zusammengeschlagen, 54 von ihnen in der Carabinieri-Kaserne unter Hitler- und Mussolinibildern gefoltert und mussten "Viva il Duce" rufen. Der Arzt und Präsident der italienischen Liga zur Aids-Bekämpfung, Vittorio Agnoletto, erklärte, in Genua habe eine Operation wie in Chile unter Pinochet stattgefunden. Professor Bodo Zeuner von der Freien Universität Berlin warnte, "wenn Polizisten, wenn Spezialeinheiten der Polizei es sich herausnehmen, politisch unliebsame Personen, wie in Genua geschehen, mitten in der Nacht zu überfallen und brutal, ja lebensgefährlich zu verprügeln, dann ist es zu Folterkellern wie denen der SA im Deutschland von 1933 nur noch ein Schritt. Wer den Überfall auf die Dias-Schule in Genua als irgendwie entschuldbar durchgehen lässt, leistet Beihilfe zu einer schleichenden Faschisierung der Gesellschaft." Das war, wie der Sekretär der Kommunistischen Rifondazione Comunista (PRC) [14], Fausto Bertinotti, einschätzte, Berlusconis Ziel: "Systematisch jeden Widerstand zu zerschlagen und sein Wachstum unmöglich zu machen", um "einer politischen Wende in Richtung eines faschistischen oder autoritären Regimes" den Weg frei zu machen. [15]

Gegen diesen Kurs formierte sich ein von den Arbeitern getragener Widerstand, mit dem sich Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen, Juristen, Schriftsteller und Künstler, Schüler und Studenten, Lehrer der allgemeinbildenden und Hochschulen solidarisierten. Literaturnobelpreisträger Dario Fo warnte im Januar 2002 in einem Vortrag vor dem Collège international de philosophie in Paris vor einer "Etablierung des Faschismus" Mussolinis. Umberto Eco sah im Regierungskurs Berlusconis ein Erbe des "übelsten Faschismus" des "Duce". Antonio Tubucchi verglich in seiner Erzählung "Im Reich des Heliogabal" Berlusconi mit eben jenem Soldatenkaiser und charakterisierte seine Herrschaft als "eine orientalische Form der Despotie nach jener Art, die Heliogabal über Rom errichtet hatte". Schriftsteller wie Luigi Malerba, Angelo Bolaffi, Silvia Ballestra, Nanni Moretti und Stefano Benni unterschrieben mit rund 200 bekannten Intellektuellen einen von Gian Maria Anselmi und Alberto Asor Rosa initiierten Appell, die grundlegenden Freiheiten der Demokratie und des zivilen Lebens zu verteidigen. [17] Der für seine mutigen Untersuchungen faschistischer Attentate bekannte Mailänder Generalstaatsanwalt Gerard D'Ambrosio warnte öffentlich, den verfassungsfeindlichen Machenschaften Berlusconis entgegenzutreten, sonst werde "die Demokratie im Dunkel der Nacht versinken".

Von 2006 bis 2008 wurde Berlusconis Tyrannei durch eine Mitte-Links-Regierung unter dem Christdemokraten Romano Prodi unterbrochen. Im Januar 2008 erlitt Prodi im Senat ein Abstimmungsniederlage und musste zurücktreten. Berlusconi wurde beschuldigt, für den Sturz Prodis einen Senator der Mitte-Links-Koalition für drei Millionen Euro zum Wechsel auf seine Seite bestochen zu haben. 2015 wurde er deswegen von einem Gericht in Neapel in erster Instanz zu drei Jahren Haft verurteilt. Am 1. August 2013 war er bereits wegen Steuerbetrugs während seiner Amtszeit in letzter Instanz zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Die auf ein Jahr reduzierte Strafe konnte der 77jährige 2014 altersbedingt in Sozialdienst ableisten. Noch vor seinem Rücktritt war sein engster Vertrauter, Senator Dell'Utri, wegen Komplizenschaft mit der Mafia in zweiter Instanz zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Dabei kam auch ans Licht, dass Berlusconi in den 70er Jahren den Mafiaboss Vittorio Mangano als Hausmeister in seiner Villa Arcore in Mailand beschäftigte.

Giorgia Meloni trat als 31jährige im Mai 2008 in die von Berlusconi mit der AN und der Lega gebildete 4. Regierung als Ministerin für Jugend und Sport ein und diente ihm bis zu seinem Fall im November 2011. Die FdI-Führerin, die heute ihr soziales Engagement betont, ihr Eintreten für Gerechtigkeit, machte widerspruchslos Berlusconis Politik mit, der laut dem Mailänder Espresso "die persönlichen Interessen über die des Staates" stellte, eine "ineffiziente und unverantwortliche Regierungsführung" praktizierte, und der laut FIAT-Präsident und Agnelli-Erbe Luca Cordero di Montezemolo "schuld am Bankrott" des Landes und "der beispiellosen Staatskrise" war. [19] Sie hatte auch nichts dagegen, dass 2012 für Mussolinis Kriegsminister, Marschall Rodolfo Graziani, im Oktober 1922 Teilnehmer des "Marsches auf Rom", in seinem Geburtsort in der Gemeinde Affile im Latium am Rande der Hauptstadt eine Gedenkstätte errichtet wurde. Heute stellt sich Meloni im Wahlkampf auch als eine Politikerin vor, die für die Würde der Frau in der Gesellschaft eintrete, während sie als Ministerin tatenlos zuschaute, wie ihr Regierungschef auf Bunga-Bunga-Partys mit minderjährigen Prostituierten Sexorgien feierte, die das Ansehen jeder Frau in den Schmutz zerrten. Bleibt anzumerken, dass dieser Berlusconi bei einem Sieg der von Giorgia Meloni angeführten Koalition Senatspräsident werden soll.

Bei den Kommunal- und Bürgermeisterwahlen im Mai 2011 erlitt Berlusconi schwere Niederlagen. Seine Partei Forza Italia (FI), die er in Partito Il Popolo della Libertà umgetauft hatte, sackte von 47 % bei der Parlamentswahl 2008 auf 30 % ab. Dann stimmten bei einem Referendum über 90 % für die Aufhebung der "Lex Berlusconi". [20] Es folgten ein Generalstreik im September und danach anhaltende Massendemonstrationen mit nicht mehr zu überhörenden Rufen nach dem Rücktritt des korrupten Regierungschefs. In Meinungsumfragen sank der Medientycoon, der immer prahlte, vom Volk gewählt und geliebt zu sein, auf eine Zustimmungsrat von 22 % ab. Unter diesem Druck trat Berlusconi am 12. November 2011 zurück.

AN-Führer Fini hatte mit Berlusconi gebrochen und wollte mit FIAT-Chef und Confindustria-Präsident Cordero di Montezemolo im Rücken zur Zusammenarbeit mit dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) übergehen. Die AN geriet in die Krise und für Meloni kam die Stunde der Bewährung. Um zu verhindern, dass die Mitglieder Fini folgen, gründete sie mit dem MSI/AN-Aktivisten Ignazio La Russa, in der letzten Regierung Berlusconi Verteidigungsminister, 2012 mit der AN-Mehrheit die Partei Fratelli Italiens, die den Namen der italienischen Nationalhymne annahm. 2014 wurde sie zur Vorsitzenden gewählt. Ihr strategisches Werk war der Erhalt des Faschismus als das, was er für den reaktionärsten Teil des Kapitals immer war, Eingreifreserve in Krisenzeiten, wenn die Sozialdemokratie nicht mehr als zuverlässig dafür gesehen wird. Diese Situation ist jetzt eingetreten und Meloni hat klar gemacht: Der Hauptfeind ist der sozialdemokratische PD.

Den harten Kern der Faschisten um sich zu scharen, gelang Meloni nur mit Bezug auf Mussolini, deshalb kann sie auch nicht die Flamme aus ihrem Parteilogo streichen, denn dann würde sie einen Teil ihrer Wähler an die Lega verlieren (Salvini, der für ein Zusammengehen mit M5S offen ist, beharrt immer noch darauf, er könne es auf den ersten Platz schaffen).

In der faschistischen "Mitte-Rechts-Partei" war und ist Meloni eine ausgesprochene Hardlinerin, die - im Gegensatz zu Berlusconi und Salvini - jegliche Kompromisse mit dem PD oder M5S ablehnte. So trat sie auch in die "Regierung der nationalen Einheit" Draghis nicht ein, blieb in der Opposition und betrieb deren Sturz, was ihr zu einen Wählerzuwachs von 4,4 % bei den Wahlen 2018 laut letzten Umfragen auf 24,5 % und damit den 1. Platz einbrachte. Ein Bekenntnis zu Mussolini legte sie auch ab, als sie zu den EU-Wahlen 2019 den Urenkel Mussolinis Caio Giulio Cesare auf ihrer Liste zu den EU-Wahlen aufstellte. Dessen Aussage, er sei "stolz" auf seinen Urgroßvater, nahm Meloni zum Anlass, ihn eine "Bereicherung" ihrer Liste zu nennen.

Mit dem jüngsten Manöver des noch amtierenden Premiers, des früheren EZB-Bankers Draghi, nach einem Wahlsieg Melonis einer von ihr geführten Regierung nicht nur zuzustimmen, sondern ihr auch in den Sattel zu verhelfen, setzt auch Brüssel ganz offensichtlich auf die faschistischen Alternative. Mit der dann beabsichtigten Installierung Draghis ins Präsidentenamt meint man, die Faschisten, wie es Manifesto nannte, "domestizieren" zu können. Diese Mär ist nicht neu. Schon zu Mussolinis 1922 gebildeter erster Regierung, der sieben Minister bürgerlicher Parteien angehörten, wurde verbreitet, der "Duce" müsse die Macht mit ihnen teilen und könne so unter Kontrolle gehalten werden. Das hat sich bekanntlich, wie auch in der späteren Geschichte, immer als eine Illusion erwiesen.


Anmerkungen:

[1] Magazin des Corriere della Sera, Mailand, 7. Dezember 2006.

[2] So die Einschätzung des Historikers Corrado De Cesare in "Il Fascista del Duemilla. Le Radici del Camarada Gianfranco Fini", Mailand 1995, S. 93 f. Fini löste Almirante 1987 an der Spitze des MSI ab.

[3] Mario G. Losano: Sonne in der Tasche. Italienische Politik, München 1995, S. 92, 99.

[4] Von Mussolini nach seinem Sturz im Juli 1943 am 25. November unter dem Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht mit Sitz in Salo am Gardasee gebildetes Rumpfitalien.

[5] MSI-Zeitschrift Rivòlta ideale, Dezember 1946.

[6] MSI-Zeitung Sècolo d'Italia, 23. Januar 1972.

[7] Daniel Barbieri: Agenda néra, Rom 1976, S. 24 f.

[8] I Giorni della Storia d'Italia, Cronaca quotidiana dal 1815, Novara 1991, S. 669.

[9] Gofredo Locatelli/Daniele Martini: Duce adio. La Biographia di Gianfranco Fini, Mailand 1964, S. 116 f.

[10] Ebd, S. 93 f.; S. 117.

[11] Firmen- und Medium-Imperium Berlusconis.

[12] 1996 folgte Meloni Fini und erklärte in einem Interview mit dem französischen Nachrichtensender Soir 3, dass "Mussolini ein guter Politiker gewesen ist, der beste der letzten 50 Jahre".

[13] Unità (Zeitung des PCI, ab 1991 des PDS), 18. Mai 1994.

[14] Nach der Umwandlung der Kommunistischen Partei (PCI) 1990/91 in den sozialdemokratischen Partito Democratico della Sinistra (PDS) gegründete Nachfolgepartei.

[15] PRC-Zeitung Liberazione, 24. Juni 2001.

[16] Heliogabal, Oberpriester des Kultes des gleichnamigen Sonnengottes, der von 218-222 römischer Kaiser war. Er galt als der verrufenste römische Herrscher und wurde von seinen eigenen Soldaten erschlagen.

[17] Susanne Schüssler (Hg): Berlusconis Italien. Italien gegen Berlusconi, Berlin 2003.

[18] Liberazione, 13. April 2002.

[19] Berlusconis Ex-Freunde basteln Gegenbündnis. Financial Times Deutschland, 6. April 2010, Corriere della Sera, 18. August 2010.

[20] Von ihm eingebrachtes Gesetz, das ihn als Ministerpräsident vor strafrechtlichen Ermittlungen und gerichtlichen Anklagen schützte.

[21] Liberazione, 13. November 2011.

[22] Draghi aus dem Sack, junge Welt, 8.9.2022.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 19. September 2022

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