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ITALIEN/403: Katastrophale Trockenheit - der Po gleicht einer Wüstenlandschaft (Gerhard Feldbauer)


Folgen des Klimawandels
Katastrophale Trockenheit in Italien

Der Po gleicht einer Wüstenlandschaft

von Gerhard Feldbauer, 27. Juni 2022


Mit schockierenden Bildern über die sich ausbreitende Trockenheit, eine Folge des seit Monaten ausbleibenden Regens, wird Italien in diesen Tagen mit erbarmungsloser Härte mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert. Der völlig ausgetrocknete, von aufgebrochener Erde gezeichnete Grund des Po, mit 652 km Italiens längster Fluss und das größte Wasserreservoir des Landes, gleicht einer Wüstenlandschaft. Sein Pegel ist gegenüber dem unteren hydrometrischen Nullpunkt im Vergleich zum 15. August vor einem Jahr um 3,3 Meter gesunken, der Lago Maggiore um einen Meter. In der Lagunenstadt Venedig ist die Situation dramatisch, und auch der Como ist betroffen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur ANSA.

Der Po ist nur noch ein kleines Rinnsal. Pro Sekunde fließen derzeit nur noch 300 Kubikmeter durchschnittlich durch den Fluss, teilte der Direktor der Flussbehörde, Meuccio Berselli, am 22. Juni auf einer Pressekonferenz mit. Normal seien 1.800 Kubikmeter pro Sekunde. Der Fluss drohe auszutrocknen. Hinzu komme, dass aus den Alpen kaum Schmelzwasser in den Po fließt, weil die ungewöhnlich warmen Temperaturen zu Beginn des Jahres für weniger Schneefall als gewöhnlich sorgten. Für Italien werde der Klimawechsel zu einer ausgewachsenen Katastrophe.

In der fruchtbaren, etwa 400 Kilometer langen Po-Ebene in der Lombardei, die mit einem Flächenausmaß von 50.000 km² einen Großteil der norditalienischen Tiefebene bildet, drohen der Landwirtschaft katastrophale Folgen. Hier werden u.a. Getreide, Mais, Zuckerrüben, viele Gemüse- und Obstarten inklusive Wein angebaut. Vor allem aber ist die Pianura Padana rund um die Städte Novara und Vercelli das größte europäische Reisanbaugebiet. Dafür, dass alles gedeiht, sorgten die Wasser des Po, die jetzt versiegen.

Die Landwirte können kaum noch ihre Felder bewässern, alarmierte der Bauernverband Confagricoltura, der davon ausgeht, dass 30 bis 40 Prozent der Ernte vernichtet sind, außerdem Vieh geschlachtet werden muss. Bereits jetzt summiere sich der Schaden auf mehr als zwei Milliarden Euro. Der Klimawandel ist hier für alle sichtbar, sagte der regionale Verbandschef Ercole Zuccaro. Lange Dürreperioden wechselten sich mit Extremwetter ab. Der zweite Agrarverband Coldiretti berichtete, dass in manchen Gegenden des Landes die landwirtschaftlichen Erträge um die Hälfte zurückgegangen sind. Betroffen davon sei auch die Milchwirtschaft: Wegen der teils ungewöhnlich großen Hitze und zugleich der Futterknappheit aufgrund der Dürre geben die Kühe bis zu 10 Prozent weniger Milch.

Expert*innen weisen darauf hin, dass der direkte Zusammenhang mit dem Klimawandel auf der Hand liegt. Das fange damit an, dass es seit fast vier Monaten nicht mehr geregnet hat. Es geht damit weiter, dass auf den milden, trockenen Spätwinter ein Frühling mit Hitzewellen folgte, die so früh einsetzten wie kaum je zuvor. Unter den Schäden, die der Klimawandel anrichtet, leidet das Po-Delta besonders stark, hielt der Direktor des Konsortiums zum Erhalt des Po-Deltas, Giancarlo Montovani, fest. Die Schäden seien bereits jetzt gewaltig, der Boden hier ist eine Wüste. Hinzu komme, dass der sinkende Pegel dazu führe, dass Salzwasser aus dem Meer ins Flussbett fließt und die anliegenden, besonders fruchtbaren Böden durchdringe. Mehr als zehn Kilometer sei das Salzwasser bereits in die Po-Ebene vorgedrungen. Im Umkreis von 200 Metern um das Flussbett wachse schon nichts mehr. Von den jährlich produzierten 93 Millionen Kilo Muscheln ersticken 20 Prozent. Die Landwirtschaft werde das, so der Experte, nicht lange durchhalten.

Da Italien 15 Prozent seines Strombedarfs aus der Wasserkraft bezieht, könnte die Dürre sich auch auf die Stromversorgung auswirken. Denn die meisten Staudämme befinden sich in den Alpen und der Po-Region. Die Stauseen sind jedoch nur halb so hoch gefüllt wie im letzten Jahr - und die Betreiber haben nach öffentlichem Druck begonnen, einen Teil des Wassers in die Po-Ebene abzulassen. Vor allem große Industriebetriebe wie der Autobauer Fiat sorgen sich nicht nur um die Wasservorräte, sondern auch um die Stromversorgung.

Auch den Kommunen, und somit den Privathaushalten, geht das Wasser aus. In insgesamt 125 Gemeinden sind laut ANSA die Wassertanks so leer, dass Tanklaster aus anderen Regionen für Nachschub sorgen müssen. Bürgermeister erlassen bereits Verordnungen zur Rationierung und rufen dazu auf, kein Wasser zum Blumengießen oder für die Autowäsche zu verwenden. In vielen Gemeinden darf Wasser nur noch für lebenswichtige Zwecke verbraucht werden. Während der Nacht ist die Versorgung mit Wasser in einigen Städten ganz unterbrochen worden.

Auf Ablehnung und teils scharfe Kritik, vor allem des vom Tourismus lebenden Gewerbes, stieß eine Forderung von Regionalpolitikern und Behördenleitern aus der Po-Ebene, aus dem bei deutschen Touristen beliebten Gardasee Wasser abzuschöpfen und über den Fluss Mincio in den Po zu leiten. Der Gardasee sei selbst nur noch zu rund 60 Prozent gefüllt, damit sei einfach zu wenig Wasser da. Durch den Plan bliebe am Ende nicht nur ein "kranker Po", sondern auch ein "kranker Gardasee" zurück, sagte der Generalsekretär der Vereinigung der Gemeinden am Gardasee, Pierlucio Ceresa. Es wäre somit eher kontraproduktiv, gab die römische La Repubblica ihn wieder.

Einige Regionen im Norden haben wegen der anhaltenden Dürre von der Regierung die Ausrufung des Notstandes gefordert. Damit könnten sie, so die Südtirol News auf ihrem Online-Portal, freie Hand bei der Ergreifung von Notstandsmaßnahmen zur Bekämpfung der Wasserknappheit erhalten. Landwirtschaftsminister Stefano Patuanelli sagte am Wochenende laut ANSA: "Ich glaube, es ist unvermeidlich, wegen der Trockenheit einen Krisenzustand zu verhängen." Allerdings hat er es nicht eilig. Erst am kommenden Mittwoch will er sich dazu mit den Präsidenten der Regionen treffen. Noch vor dieser Entscheidung hat der Präsident der Lombardei den Notstand bereits ausgerufen, meldete ANSA am Samstag.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 27. Juni 2022

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