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ITALIEN/402: Nach Streit über den Kriegskurs Draghis verlässt Außenminister Di Maio die Fünf-Sterne-Bewegung (Gerhard Feldbauer)


Nach Streit über den Kriegskurs der Regierung in der Ukraine verlässt Außenminister Di Maio mit über 60 Parlamentariern M5S

von Gerhard Feldbauer, 23. Juni 2022


Außenminister Luigi Di Maio ist nach parteiinternen Auseinandersetzungen über den Kriegskurs der Regierung Draghi in der Ukraine aus der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) ausgetreten, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur ANSA am Dienstagabend. War zunächst von 49 ihm folgenden Abgeordneten und Senatoren die Rede, nannte der Corriere della Sera am Mittwoch bereits über 60. Di Maio legte am Donnerstag laut ANSA mit der Bemerkung nach, es seien "über ein Viertel der Parlamentarier bereit, sich von der Bewegung zu verabschieden".

Der Schritt erfolgte nach einer Debatte im Senat über die Festlegung der Linie Ministerpräsident Mario Draghis zum Krieg in der Ukraine und seiner Unterstützung. In das Dekret wurde nicht die Kernforderung von Sterne-Chef und Ex-Premier Conte, keine Waffen mehr in die Ukraine zu schicken, aufgenommen. Stattdessen war als Kompromiss u. a. von "militärischen Deeskalationsinitiativen und einer stärkeren Einbindung der Kammern in die Entscheidung der Regierung einschließlich des Verkaufs von Militärlieferungen" gesprochen worden. Di Maio, der von Anfang an eine Unterstützung Selenkijs bis zu einem Sieg über Rußland vertreten hatte, nannte das eine "Ambiguität" der Partei, die damit nicht "ausreichend euroatlantisch" sei. Die Fünf-Sterne-Bewegung habe die Stabilität der Regierung riskiert, "nur um ein paar Prozentpunkte zurückzugewinnen, was ihr nicht einmal gelungen ist". Zwar stimmte er mit seinen Anhängern noch für das Dekret, da sonst Draghi in Brüssel am 23./24. Juni ohne Mehrheit dagestanden hätte, gab aber unmittelbar nach Ende der Senatssitzung den Bruch bekannt. Er kündigte an, mit den Abtrünnigen eine neue Partei "Insieme per il futuro" (Gemeinsam für die Zukunft) zu gründen und erklärte, damit werde M5S "morgen nicht mehr die erste Kraft im Parlament sein".

Parlamentspräsident Fico gab bekannt, dass die Abgeordneten in der Kammer unter dem Namen der Partei "Gemeinsam für die Zukunft", die sie gründen wollen, eine Gruppe gebildet haben. Er kritisierte gleichzeitig die Spaltung als "eine Machtoperation", die "mit beispielloser Instrumentalität" geführt wurde. Kritik kam auch von der ehemaligen Bürgermeisterin von Turin, Chiara Appendino, die erklärte, dass sie mit der Entscheidung Luigi Di Maios und mehrerer Parlamentarier "absolut nicht einverstanden" ist. Gerüchten zufolge will Di Maio nach den Wahlen 2023 die Nachfolge Draghis antreten. Er hat "mit Waffen im Gepäck" die Partei verlassen, kommentierte das linke Manifesto, das klarstellte, dass Di Maio damit einem gegen ihn angestrengten Parteiausschluss zuvorgekommen sei.

Die 2009 von dem Komiker Giuseppe (Beppe) Grillo als Auffangbecken früherer Linksdemokraten gegründete Bewegung versuchte sich als links zu präsentieren, war aber von der Führung her niemals antikapitalistisch positioniert. "Während sie behauptete, sie wolle die mit der Macht verbundene opportunistische Klasse stürzen, hat sie sich eng mit ihr verbunden", schätzt Contropiano ein. Der aus einer Familie mit faschistischem Umfeld kommende Di Maio war Mitbegründer der Bewegung, gelangte als ihr rechter Flügelmann 2017 an die Spitze und betrieb nach dem Wahlsieg von M5S 2018 (32 %) maßgeblich die Bildung der Regierung mit der faschistischen Lega Salvinis, in der er Arbeitsminister und Vizepremier wurde. Als ihr Regierungschef Giuseppe Conte die Koalition mit der Lega im August 2019 beendete und eine Regierung mit dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) bildete, wurde er Außenminister. Diesen Posten behielt er auch bei, als im Januar 2021 der frühere EZB-Chef Mario Draghi eine sogenannte Regierung der "nationalen Einheit" mit M5S, dem PD und den Faschisten der Lega und der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconi bildete.

Di Maio hatte voll hinter dem rassistischen, migrantenfeindlichen Kurs von Lega-Chef Salvini gestanden, weswegen Reste einer linken Basis in M5S 2020 seine Absetzung als Parteichef durchsetzten. Danach amtierte Parlamentspräsident Fico als M5S-Chef, bis 2022 Conte die Führung übernahm. Conte wollte dem M5S, der durch sein Paktieren mit den Lega-Faschisten von seinen 32 % 2018 bei Regionalwahlen auf zwischen sieben und neun Prozent absackte, u.a. durch Distanz zum Kriegskurs der Regierung, der auf eine wachsende Antikriegsbewegung stößt, wieder Auftrieb verschaffen.

Es ist nicht die erste Spaltung in der Bewegung, die damit seit 2018 bereits fast ein Drittel ihrer 320 Parlamentarier verloren hat. Aber diesmal scheint "das Ende der fünf Sterne" zu kommen, meint das linke Magazin Contropiano. Und auch Draghi könnte auf der Kippe stehen. Denn mit Di Maio gehen mindestens fünf Staatssekretäre: Laura Castelli, Wirtschaft, Manlio Di Stefano, Außenpolitik, Dalila Nesci, Süden, Pierpaolo Sileri, Gesundheit, und Anna Macina, Justiz, sowie Landwirtschaftsminister Stefano Patuanelli. Laut Manifesto soll Di Maio bereits bei Staatspräsident Mattarella vorgesprochen haben, um "die Umbildung der Mehrheit, die Mario Draghi unterstützt", zu erörtern, was verdeutliche, dass die Regierung von ihm abhänge.

Giuseppe Conte erklärte, er bleibe Vorsitzender von M5S. "Die Bewegung wird die erste politische Kraft bleiben, die sich mit allen Themen befasst, von sozialer Gerechtigkeit bis zum ökologischen Übergang, die Teil des Rückgrats der 5-Sterne-Bewegung sind." Er versicherte, die Partei werde "die Draghi-Regierung weiter unterstützen", das "steht außer Frage".

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 25. Juni 2022

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