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ITALIEN/369: Forderung nach Auflösung "aller faschistischen Formationen" von Premier Draghi blockiert (Gerhard Feldbauer)


Nach schweren Ausschreitungen

Forderung nach Auflösung "aller faschistischen Formationen" von Premier Draghi blockiert

von Gerhard Feldbauer, 14. Oktober 2021


Nach den schweren Ausschreitungen der faschistischen Forza Nuova (FN) am vergangenen Wochenende, die u. a. die Zentrale der Gewerkschaft CGIL in Rom überfiel und verwüstete, hat deren Generalsekretär Maurizio Landini gefordert: "Alle diese Formationen, die sich auf den Faschismus beziehen, müssen aufgelöst werden." Der Forderung entsprechend liegt dem Parlament laut Manifesto bereits ein Antrag des Mitte-Links-Blocks - sozialdemokratischer Partito Democratico (PD), Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und die Linkspartei Freie und Gleiche (Leu) - "auf dem Tisch", in einem "dringenden Verfahren" die Forza Nuova "aufzulösen". Premier Draghi, der nach der Verfassung per Dekret dazu den Prozess einleiten könnte, hat nicht die Absicht, davon Gebrauch zu machen. Seine bei einem Besuch in der CGIL-Zentrale verkündete "Solidarität" mit den von den Faschisten attackierten Gewerkschaftern erwies sich schnell als pure Heuchelei.

Wie die staatliche Nachrichtenagentur ANSA berichtete, empfing er danach Lega-Chef Salvini im Palazzo Chigi (Regierungssitz) zu einem einstündigen Gespräch und nahm dessen Forderung, "die Delegitimierung der Mitte-Rechts zu stoppen", ohne Widerspruch entgegen. Es solle, so der Führer der Lega, "so schnell wie möglich ein Klima der Einheit und Harmonie im Land mit den politischen Kräften" hergestellt werden. Vor dem 20. Oktober werde der Verbotsantrag nicht erörtert, verlautete weiter. Am 19. Oktober soll Innenministerin Luiana Lamborghese zunächst darlegen, ob die von den Führern von Forza Nuova angeführte Aktion (bei den von dieser entfesselten Strassenkämpfen wurden 38 Polizisten verletzt) "besonders gefährlich" gewesen sei. Danach seien, so zitiert ANSA Draghi weiter, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abzuwarten. Ferner sei "eine juristische Studie über die Möglichkeit der Auflösung von Formationen wie Forza Nuova, die Gewalt anwenden, im Gange". Draghis Haltung ist eindeutig. Er regiert mit den Faschisten der Lega und der FI und ist von ihren Stimmen abhängig. Er wird nicht an dem Ast sägen, auf dem er sitzt.

Manifesto erinnerte daran, wie in der ganzen Nachkriegsgeschichte Versuche, die bereits 1946 als Nachfolger der Mussolini-Partei gegründete Movimento Sociale Italiano (MSI), aus der Melonis FdI hervorging, oder andere zu ihr gehörende Organisationen zu verbieten, zum Scheitern gebracht wurden. Um Forderungen nach dem Verbot des MSI zu entsprechen, verabschiedete 1952 das Parlament ein vom Innenminister der Democrazia Cristiana (DC) Mario Scelba ausgearbeitetes und nach ihm benanntes Gesetz, nach dem faschistische Organisationen gemäß der Verfassung aufgelöst werden sollten. Das Legge Scelba wurde jedoch gegen das MSI nie angewendet, woraus dieses schlussfolgern konnte, dass es dazu keinen Anlass biete und es eine verfassungsmäßige Partei sei. Kam es nach Terrorakten zu Prozessen gegen faschistische Organisationen oder auch nur ihre Mitglieder, so endeten sie meist mit Freisprüchen oder äußerst milden Urteilen. Die 1973 als Nachfolgeorganisation der Mussolini-Partei verbotene terroristische Ordine Nuovo konnte danach unter dem Namen Ordine Néro (Schwarze Ordnung) faktisch weiter existieren. Im April 1978 endete ein Prozess gegen 18 ihrer Mitglieder wegen der Neugründung der faschistischen Partei für alle mit einem Freispruch. So diente das Legge Scelba letzten Endes dazu, das Paktieren der bürgerlichen Rechten, an ihrer Spitze die DC, mit den Faschisten zu kaschieren.

Um der Öffentlichkeit einen Rest von antifaschistischem Konsens vorzuführen, verständigten sich die DC und die anderen bürgerlichen Parteien mit den Kommunisten und Sozialisten darauf, das MSI auf zentraler Ebene an keiner Regierung zu beteiligen. Man sprach von den Parteien des Arco Costituzionale, des Verfassungsbogens, von dem das MSI ausgeschlossen blieb. Der Arco Costituzionale wurde jedoch nicht in die Verfassung aufgenommen. Mit der Bildung des "Governo nero", wie Manifesto am 15. Mai 1994 die erste von Berlusconi gebildete Regierung nannte, war es "finito" mit dem Arco Costituzionale.

2019 stellte die Holocaustüberlebende, Senatorin Liliana Segre, den Antrag, eine Kommission zur Untersuchung der faschistischen Umtriebe einzusetzen. Auch dieser Versuch verlief im Sande. Im Gegenteil wurden im November 2019 von einem Gericht im norditalienischen Imperia zwei Mitglieder der Forza Nuova, die mit Hunderten Mitgliedern ihrer Partei den Jahrestag von Mussolinis "Marsch auf Rom", die faschistische Machtergreifung, mit "Duce"-Rufen und Bekenntnissen zu den Verbrechen seines Regimes gefeiert hatten, freigesprochen.

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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 26. Oktober 2021

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