Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/361: Ökonomieprofessor kritisiert den von Draghi akzeptierten EU-Recovery-Fund (Gerhard Feldbauer)


Ökonomie-Professor rechnet mit Draghi ab

Recovery Fund wird nicht aus der Krise führen

von Gerhard Feldbauer, 30. August 2021


In seinem bei Editore Hoepli (Mailand) erschienenem Buch "Regnum" hat der renommierte Ökonomie-Professor Gustavo Piga von der Universität Tor Vergata von Rom schonungslos mit dem von Premier Mario Draghi als "Rettung für Italien" gepriesenen Recovery Fund der EU abgerechnet. In einem Interview für das linke Manifesto vom 28. August weist er darauf hin, dass dieser Plan an "zu viele Auflagen und Sparmaßnahmen" geknüpft ist. Die EU setze zur Bedingung: "Wir geben euch das Geld nur, wenn ihr versprecht, die Defizitquote im Verhältnis zum BIP in nur einem Jahr von derzeit 12 auf 3 Prozent zu senken".

Draghi komme den Forderungen aus Brüssel nach und habe sich bereit erklärt, das Defizit in einem Jahr von 12 auf 4 Prozent zu reduzieren. Das sei "ein totaler Wahnsinn", der die Sparmaßnahmen nach Italien zurückbringen wird, von denen ein Teil bereits zurückgekehrt ist. Das wird "uns nicht aus der Krise führen, sondern im Gegenteil weitere Probleme für uns schaffen. Italien wird das letzte europäische Land sein, das auf das bereits niedrige Niveau vor Covid zurückkehrt. Spanien wird uns um 3 Punkte des BIP übertreffen". Draghi hätte sagen können: "Anstatt zum 3 Prozent-Defizit zurückzukehren, höre ich bei 6 Prozent auf und verwende die restlichen 3 Prozent für öffentliche Investitionen." Die Italien auferlegten Auflagen zeigten, dass "der Neoliberalismus immer noch die Grundlage des europäischen Modells ist" und in Brüssel die Neoliberalen regieren. Und, so Piga weiter, die liberale Hegemonie achte "auch sehr darauf, dass eine Schwelle öffentlicher Eingriffe in die Wirtschaft nicht überschritten wird". Das zeige sich, so Piga, u. a. am Beispiel der Überführung der Fluggesellschaft Alitalia in die ITA, mit der "der Elefant eine Maus zur Welt gebracht hat, die schnell erdrückt werden könnte".

Um Europa vor einer Doppelkrise (Covid und eine Wirtschaftskrise wie 2008) zu retten, seien, so schlussfolgert der Wirtschaftsprofessor, öffentliche Investitionen erforderlich. Die Politik müsse das Modell so ändern, dass es jedem Land eine verantwortungsvolle Fiskalautonomie ermöglicht, bis es in Brüssel selbst eine wirklich einheitliche europäische Fiskalpolitik gibt.

Piga, ein Experte des Keynesianismus, der auch an der Colombia University lehrt, hält das Vorgehen von US-Präsident Biden für die bessere Wahl. Der habe sich für eine bedingungslose Ausweitung entschieden, die einschließe, die Löhne der Arbeiterklasse, die am stärksten von Covid und der Zunahme der Ungleichheiten betroffen ist, zu erhöhen. Bidens Plan sei keynesianisch und ziele auf Vollbeschäftigung ab, ein Ziel, das es in Europa in keinem Land gibt.

*

Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 14. September 2021

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang