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ITALIEN/330: COVID-19 in Italien - Überraschung, Schreck, Verlauf ... 26.5.2020 (SB)



Während der Corona-Epidemie wurde die Angelegenheit aufgeschoben, doch nun soll mit der Aufhebung der Immunität des früheren Innenministers und Vizepremiers (Juni 2018 bis August 2019), Lega-Chef Matteo Salvini, der Weg freigemacht werden, um im Oktober gegen ihn das Verfahren im sogenannten "Gregoretti-Prozess" zu eröffnen. Salvini hatte im Juli vergangenen Jahres 131 Flüchtlingen, die das Schiff "Gregoretti" der italienischen Küstenwache im Mittelmeer an Bord genommen hatte, vier Tage lang die Anlandung in Augusta auf Sizilien verweigert.

Unter den Flüchtlingen befanden sich Minderjährige, was strafverschärfend wirken und zu einer Verurteilung von bis zu 15 Jahren Gefängnis führen könnte. Erst als andere EU-Staaten zugesagt hatten, sich an der Aufnahme der Flüchtlinge zu beteiligen, wurde diesen die Landung erlaubt. Ein weiterer Prozeß steht wegen des Rettungsschiffs "Diciotti" mit 177 Migranten an Bord an, dem Salvini mehrere Tage lang verboten hatte, in einen sizilianischen Hafen einzulaufen.

In den Prozessen würden die unter der Regierung von Giuseppe Conte als Ministerpräsident der Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und Lega von März 2018 bis August 2019 verabschiedeten sogenannten Sicherheitsdekrete zur Sprache kommen, auf die sich die Verbote Salvinis, die Flüchtlinge aufzunehmen, stützten. Mit diesen Dekreten betrieb er als Innenminister nicht nur eine Politik der "geschlossenen Häfen", sondern entfesselte eine regelrechte Hetzjagd gegen Flüchtlinge und Seenotretter. Schiffen von Hilfsorganisationen wurde verboten, Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten, was Anstiftung zu einer Straftat - der Unterlassung von Hilfeleistung - ist.

Gegen Kapitäne oder Eigner von Reedereien, die ohne Erlaubnis des Innenministers in italienische Gewässer oder Häfen einfuhren, wurden Geldstrafen zwischen 10.000 und 50.000 Euro verhängt. Bei Verstößen wurden Schiffe beschlagnahmt. Als die deutsche Hilfsorganisation "Sea-Watch" trotz des Verbots Italien ansteuerte, wurde gegen die Kapitänin Carola Rackete wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung ermittelt. Die Vereinten Nationen hatten im Mai 2019 festgehalten, dass die Dekrete mit internationalen Bestimmungen nicht vereinbar seien und gegen die Menschenrechte verstießen.

Die Nachrichtenagentur ANSA zitiert Salvini mit den Worten: "Ich habe das italienische Recht, die Souveränität, die Sicherheit, die Ehre und die Würde mit Zustimmung der gesamten Regierung verteidigt. Ich bin ruhig und würde alles wieder tun, nicht aus persönlichem Interesse, sondern um mein Land zu schützen." In dem Prozeß werde er geltend machen, daß Premier Conte und der damalige Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio als Vizepremier dem Dekret zugestimmt hatten.

Wie ANSA desweiteren am heutigen Dienstag berichtet, hat der Leiter des Zivilschutzes die Absicht, 60.000 "Bürgerassistenten" zur Unterstützung der Polizei bei der Einhaltung der Corona-Regeln, der soziale Distanzierung an Stränden, Parks und Clubs usw. zu rekrutieren, was auf scharfe Kritik stößt. Der Minister für regionale Angelegenheiten erklärte zur Begründung, sie sollten denjenigen helfen, die es alleine nicht schaffen können, auch in der schwierigsten Notfallphase die soziale Distanzierung zu respektieren, Masken zu verwenden und das Versammlungsverbot einzuhalten.

Laut ANSA verlautete aus dem Innenministerium, daß die Assistenten Freiwillige seien, die keine Bezahlung erhielten und "nicht für den öffentlichen Dienst zuständig" seien. "Ihre Aktivitäten hätten nichts mit denen zu tun haben, die traditionell von der Polizei durchgeführt werden." Der Vorsitzende des Verbandes der Bürgermeister (ANCI) Antonio Decaro befürworte diese Initiative und erinnere an die Freiwilligen, die in diesen Monaten die Bürgermeister an vorderster Front unterstützten, und forderte "weniger Debatten und konkretere Hilfe". Der Chef der Partei Italia Viva (IV) Matteo Renzi habe, so ANSA, erklärt, "Bürgerassistenten sind ein Wahnsinn", stattdessen müsse der "öffentliche Dienst verbessert werden".

26. Mai 2020


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