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ITALIEN/302: Nach Rückgang der Corona-Opfer wieder Anstieg der Toten (Gerhard Feldbauer)


Nach Rückgang der Corona-Opfer in Italien wieder Anstieg der Toten

Metallarbeiter streikten, um Einhaltung der Produktionsverbote durchzusetzen

von Gerhard Feldbauer, 25. März 2020


Nachdem in Italien am Wochenanfang die Zahl der Todesopfer rückläufig war, ist sie am Mittwoch wieder gestiegen. Wie die staatliche Nachrichtenagentur "ANSA" berichtete, ging zwar die Zahl der Infizierten weiter zurück, aber die Todesfälle stiegen am Dienstag mit 743 wieder an auf bisher insgesamt 6.820.

Während die Regierung das Land faktisch unter eine weitgehende Quarantäne stellte, die auch die Schließung aller nicht lebenswichtigen Produktion in Betrieben einschließen sollte, habe Premier Conte, wie das linke "Manifesto" berichtete, jedoch dem Druck der Confindustria (Verband der Großindustriellen) nachgegeben und in 80 Unternehmen in der Lombardei und im Piemont die Fortsetzung der Produktion erlaubt. Dagegen haben am Mittwoch Arbeiter der betreffenden Unternehmen unter der Losung "Wir brauchen Sicherheit" einen achtstündigen Generalstreik durchgeführt, mit dem sie die Einstellung der Produktion forderten. Zu dem Ausstand hatten die Generalsekretäre Maurizio Landini, Annamaria Furlan und Carmelo Barbagallo der drei großen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL und die Branchenverbände der Metallarbeitergewerkschaft Federazione Impiegati Operai Metallurgici (FIOM) in der Lombardei, im Piemont und in der Region des Latium (bei Rom) aufgerufen. Unter den Unternehmen, die weiter produzieren durften, befinden sich, wie die römische "La Repubblica" berichtete, Unternehmen der Luft- und Raumfahrt, so die Avio Aero-Werke von Fiat, Schiffswerften, die an der neuen Brücke von Genua tätigen Baubetriebe, aber auch die Stahlwerke von Taranto im Süden. Bei Avio Aero wurde der gesamte Luft- und Raumfahrtsektor ermächtigt, "seine Aktivitäten aus rein wirtschaftlichen Gründen fortzusetzen, obwohl die Unternehmen in diesem Sektor sehr diversifizierte und weitgehend unwesentliche Tätigkeiten ausüben", stellte die FIOM von Turin in einer Erklärung fest. Bereits vorher hatte es in vielen Betrieben spontane Arbeitsniederlegungen gegeben. "Sichere Arbeitsbedingungen" forderten auch mehrere Bankengewerkschaften von CISL, UIL und CGIL, die ankündigten, andernfalls die Arbeit niederzulegen. In den Filialen, so verlautete, müssen die Angestellten unter "nicht sicheren Bedingungen", das heißt, ohne Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel arbeiten, und es gebe "viele positive Fälle von Coronavirus". Ihre Arbeit niederzulegen haben auch zahlreiche Tankstellen wegen fehlender Sicherheit angekündigt.

Eine Video-Konferenz zu der die Minister Roberto Gualtieri (Finanzen) und Stefano Patuanelli (Wirtschaft) Maurizio Landini, Annamaria Furlan und Carmelo Barbagallo einluden, ist am Dienstag offensichtlich ohne verbindliche Zusagen der Regierung verlaufen. Es gelang nicht, die Gewerkschafter zur Aufgabe des Streiks zu bewegen. "ANSA" konnte lediglich berichten, dass Conte erklärte: "Wir müssen die Gesundheit der Arbeitnehmer schützen". Es sei "klar, dass wir jetzt wesentliche Aktivitäten überwachen müssen." Während die Regierung in neuen Dekreten bei Verstößen Bußgelder von 500 bis 3000 Euro und sogar Haftstrafen androhte, ist nichts zu finden, ob und wie Verstöße durch Unternehmer dagegen geahndet werden sollen. Ganz abgesehen davon, wie ein von Sozialhilfe lebender denn solche Geldbußen bezahlen soll.

Die Regierung habe zugeschaut, wie "die Arbeiter von der Confindustria gezwungen wurden, zu arbeiten, um Produktion und Gewinn nicht zu stoppen", als ob das Virus, "vor dem die Bourgeoisie geschützt werden müsse, kein Risiko für die Arbeiter darstelle", kommentierte der Philosophie-Professor an der Universität Urbino, Stefano G. Azzarà, gegenüber dem Autor die Vorgänge. "Die Gewerkschaft hat gute Arbeit geleistet, um die Arbeitsplatzsicherheit zu gewährleisten, Streiks angekündigt, wenn die Fabriken und nicht wesentliche Dienstleistungen nicht geschlossen werden. Die Gesundheit und das Leben der Arbeiter sind nicht weniger wert als die Gesundheit und das Leben der Chefs", so Azzarà.

Nach Streikbeginn am Mittwoch lud die Regierung Vertreter der Gewerkschaften zu einem neuen Treffen ein, um zu einem Vergleich zu gelangen. Die Gespräche endeten offenbar weitgehend mit einem Erfolg der Gewerkschaften. Laut "ANSA" sagte die Regierung zu, "Die Liste der Produktionsaktivitäten, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt für das Land als wesentlich und unverzichtbar angesehen werden" zu überprüfen. Darüber bestehe "eine Einigung der Gewerkschaften mit der Regierung". Die CGIL, CISL und UIL haben in einer gemeinsamen Note erklärt, dass "eine rigorose Konfrontation mit der Regierung" zu einer Einigung über die unverzichtbaren Produktionsaktivitäten geführt habe. Die Liste sei "überarbeitet" worden und "alles wurde entfernt", was der Sicherheit widerspricht.

Der Streik war also, wie Professor Azzarà einschätzte, erfolgreich und widerlegte auch, dass man in dieser Krise nicht streiken könne.

Die Aktivitäten der Arbeiter und ihre Proteste verdeutlichen, dass auch in Italien das Hauptaugenmerk der Regierung mit dem verabschiedeten 25 Milliarden Euro-Paket auf die Unterstützung der Wirtschaft gerichtet ist. Notgedrungenerweise müssen die Arbeiter mit Almosen einbezogen werden, damit sie ihre Arbeitskraft nach der Krise weiter verkaufen können. "Für die Schwarzarbeiter, die Obdachlosen, die im Elend leben, ihre Kinder ist nichts vorgesehen", sagte mir ein Sozialarbeiter aus Neapel, der bat, seinen Namen nicht zu nennen. Es sei zu fragen, ob das bedeute, dass zum Beispiel ein Obdachloser, der unter Brücken dahinvegetieren muss, dort seinen Platz auch nicht verlassen dürfe. Der Mailänder Corriere della Sera berichtete, dass von der Zahlung von 100 Euro Unterstützung für Betroffene neun Millionen Beschäftigte ausgeschlossen sind. Andere Beobachter verweisen darauf, dass die Pandemie dazu genutzt wird, die sozialen und Klassengegensätze mit Parolen "Wir sitzen alle in einem Boot" (Premier Conte) oder Appellen zur "Einheit der Nation" (Staatspräsident Mattarella) zu verkleistern. Besorgniserregend wird auch gesehen, die zweifelsohne schweren Folgen des Covid-19 mit Tausenden Todesopfern mit dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen. Das gebe bekannten reaktionärsten Theorien neue Nahrung, Kriege seien (und blieben es bis heute) Naturkatastrophen, die man als unvermeidlich hinnehmen müsse. Offensichtlich soll damit auch der Boden bereitet werden, dass die Arbeiter nach dieser Corona-Krise deren Lasten zu tragen haben und es tiefgreifende soziale Einschnitte geben wird, zu denen im Vergleich der Sozialabbau, der nach der großen Finanzkrise des Kapitals seit 2008 einsetzte, vergleichsweise gering aussehen dürfte.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2020

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