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ITALIEN/238: Katastrophe auf Autobahnbrücke bei Genua - 30 Fahrzeuge stürzen in die Tiefe, bisher 39 Tote (Gerhard Feldbauer)


Bei der Katastrophe auf der Autobahnbrücke bei Genua stürzten über 30 Fahrzeuge in die Tiefe, bisher 39 Tote

ANSA spricht von "marodem Zustand" der 50 Jahre alten Brücke

von Gerhard Feldbauer, 16. August 2018


Der Einsturz einer vierspurigen Autobahnbrücke der Autostrade per l'Italia, der A 10 bei der Hafenstadt Genua an der ligurischen Küste, wichtigster Verkehrsknotenpunkt von Südfrankreich nach Italien, am Dienstag kurz vor 11.30 Uhr bildet am Mittwoch die Schlagzeilen und füllt Seiten in den italienischen Medien. Die Katastrophe ereignete sich während eines schweren Unwetters. Zeugen berichteten, dass ein Blitz eingeschlagen sei. Experten schließen jedoch aus, dass das den Einsturz ausgelöst haben könnte. Die Nachrichtenagentur ANSA führte ein "strukturelles Versagen" an. Das Bauwerk aus den 60er Jahren habe sich in einem "maroden" Zustand befunden. Die römische La Repubblica erwähnt eine bereits 2009 verfasste Expertenstudie "La Gronda di Genova", in der eine "Abbruchhypothese" untersucht worden sei. Es sei auf die Risiken der Verkehrssicherheit verwiesen worden, dass der Verkehr über die Ponte Morandi in den zurückliegenden 30 Jahren sich vervierfachte und auf 25,5 Millionen Durchfahrten pro Jahr anwuchs. Bis 2040 wurde nochmals ein Anwachsen um 30 Prozent prognostiziert.

Auf dem Brückenabschnitt befanden sich zum Zeitpunkt der Katastrophe 30-35 Pkw und drei schwere Fahrzeuge, die von dem etwa 100 Meter langen einstürzenden Abschnitt über 40 Meter in die Tiefe des Flusses Polcevera (Wildbach) und die Via Fillak im Stadtteil Sampierdarena stürzten. Nach bisherigen Angaben des Innenministeriums kamen 39 Menschen ums Leben, darunter drei Kinder, 16 wurden verletzt. Mehrere Menschen wurden in den Trümmern regelrecht zerquetscht.

Die Morandi-Brücke (nach dem Projektanten und leitenden Ingenieur Riccardo Morandi benannt und auch als Polcevera-Viadukt bekannt) wurde von den Italienern aber auch gern ihre "Brooklyn Bridge" genannt, weil sie ihr eine gewisse Ähnlichkeit mit der berühmten amerikanischen Brücke nachsagten. Sie ist 1.182 Meter lang, 45 Metern hoch und ruht auf 3 Stahlbetonpfeiler von 90 Meter Höhe. Sie überquert unter anderem Gleisanlagen und ein Gewerbegebiet, darunter einen Teil des Lagers der Amiu-Umweltgesellschaft von Genua und Gebäude der Ansaldo Energia, die Energie-Produktionsanlagen herstellt. Da sich die Belegschaften derzeit in Urlaub befinden, gab es keine Opfer. Die Polizei ließ wegen weiterer Einsturzgefahr in der Nähe aus mehreren Häusern etwa 440 Bewohner evakuieren.

Premier Giuseppe Conte und seine Stellvertreter, Innenminister Matteo Salvini (Lega) und Wirtschaftsminister Luigi Di Maio (M5S), die sich nach Genua begaben, kündigten eine umfassende Untersuchung der Ursachen, die zu der Katastrophe führten, an. Die dazu eingesetzte Kommission soll ein Sonderkommissar leiten. Es wurde bereits beschlossen, die Brücke nicht wieder aufzubauen. La Repubblica zitiert in diesem Zusammenhang den Professor für Stahlbetonbau Antonio Brencich an der Universität von Genua, der schon vor zwei Jahren dafür plädierte, die Brücke abzureißen, weil die Kosten der ständigen Instandhaltung ("Tiefenpflege") in einigen Jahren die eines Wiederaufbaus übersteigen würden. Andere Medien geben den Architekten Diego Zoppi aus Genua, Mitglied des National Council of Architects, wieder, der äußerte, dass beim Bau der Brückenpfeiler aus Stahlbeton seinerzeit nicht berücksichtigt worden sei, "dass der Beton sich verändert, dass der Zement mit den ständigen Vibrationen des Verkehrs mikroskopiert und Luft durchlässt, die die innere Metallstruktur erreicht und oxidiert". Man habe damals jedoch unbegrenztes Vertrauen in Stahlbeton gehabt, der für ewig gehalten wurde. Die Brücke habe "aus diesem Grund immer große Wartungsarbeiten erfordert und war sehr teuer". Diego Zoppi ergänzte, dass das Anlass sein müsse, die in Italien in den 50er und 60er Jahren gebauten Brücken dringend zu sanieren. Laut La Repubblica sind "rund 300 Brücken und Tunnel marode". Grund dafür seien die veraltete Infrastruktur und die lückenhafte Instandhaltung.

Wenn Vizepremier Salvini ankündigte, "die Verantwortlichen würden alle im Gefängnis landen", so vergesse er wohl, vermerken Beobachter, dass 2009, als der Abriss der Brücke gefordert wurde, seine Lega Mitglied der Regierung Berlusconi (von 2008-2011) war und damit zu den Hauptverantwortlichen zählt.

Die Leitung der Italienischen Kommunistischen Partei (PCI) forderte auf ihrer Website, die erste Schlussfolgerung müsse sein, dem Profitstreben der privaten Autobahnbetreiber einen Riegel vorzuschieben und alle Autobahnen "sofort zu nationalisieren".

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2018

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