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ITALIEN/134: Droht dem Verschrotter jetzt selbst die Verschrottung? (Gerhard Feldbauer)


Droht dem Verschrotter jetzt selbst die Verschrottung?

Die Niederlage des Partito Democratico bei den Bürgermeisterwahlen in Italien stellt das nach dem Fall Berlusconis eingerichtete Regierungssystem unter Premier Renzi in Frage

Von Gerhard Feldbauer, 20. Juli 2016


Bei den Wahlen der Bürgermeister im Juni erlitt der regierende Partito Democratico (PD) Premier Matteo Renzis eine Niederlage. Der Urnengang stellte einen nationalen Test dar, ob Renzi noch über den erforderlichen Rückhalt unter den Wählern verfügt. Denn im Oktober 2016 steht ein Referendum zu einer Verfassungsreform über die von ihm angestrebte Aufhebung des Senats als zweite Parlamentskammer an. Renzi erklärte bereits, wenn er keine Zustimmung erhalte, werde er zurücktreten. Dann könnte es im Frühjahr 2017, ein Jahr vor Ablauf der Legislaturperiode, zu vorgezogenen Neuwahlen kommen. Das nach dem Fall Silvio Berlusconis als Premier im November 2011 von den führenden Kapitalkreisen mit Renzi installierte System ihrer Interessenvertretung könnte auf der Kippe stehen.

La Repubblica, die als Sprachrohr des PD gilt, schrieb am 22. Juni, der PD habe "seine Wurzeln verloren, seine Bindung an die Geschichte". Der Mitbegründer des PD und ihr erster Sekretär, Walter Veltroni, ein Ex-Kommunist aus der alten Garde der 1991 liquidierten IKP, forderte eine Rückkehr zu dem damals (2007) verkündeten "Traum" des PD.

Der "Traum" war von Anfang an umstritten. Im April 2006 hatte der Christdemokrat Romano Prodi mit einer Mitte Links-Koalition, die noch die beiden KPs (PRC und PCdI) einschloss, die Wahlen gegen Berlusconi gewonnen, im Senat mit nur zwei Stimmen Vorsprung. Um sich künftig eine Mehrheit der Wähler vor allem aus der Mitte zu sichern, kreierte die Führung der Democratici di Sinistra - DS (Linksdemokraten) mit der katholischen Zentrumspartei Margherita, einer Nachfolgerin der 1992/93 im Korruptionssumpf untergegangenen Democrazia Cristiana (DC), die Fusion zum PD. Italien erlebte eine bis dahin einmalige Stufe revisionistischer Entwicklung, in der die Linksdemokraten zu einem Anhängsel der bürgerlichen Mitte degradiert werden sollten. Die derzeitige Krise Im PD zeigt allerdings, dass die Rechnung so nicht aufging.

Prodi wurde im Januar 2008 von Berlusconi im Senat durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Der hatte dazu einen Senator Prodis für drei Millionen Euro zum Übertritt auf seine Seite bestochen. Bei vorgezogenen Neuwahlen im April 2008 errang die rechtsextreme Koalition Berlusconis aus seiner in Partito della Liberta (Partei der Freiheit des Volkes - PdL) umgetauften Forza Italia (FI) und der rassistischen Lega Nord nochmals einen Sieg. Der PD, der ein neues Bündnis mit den Kommunisten abgelehnt hatte, kam nur auf 34 Prozent. Die mit anderen Linken auf einer Liste Arcobaleno (Regenbogen) angetretene PRC und PCdI fielen mit 3,1 Prozent unter die Vier Prozent-Hürde. Danach spaltete sich 2009 eine Gruppe unter dem Präsidenten und Regierungschef der Region Apulien, Nichi Vendola, vom PRC ab und gründete im Dezember 2010 mit früheren DS, die die PD-Gründung abgelehnt hatten, eine Partei Sinistra Ecologia e Liberta (Linke Umwelt und Freiheit - SEL).


Pakt zwischen Arbeit und Kapital

Im Wahlkampf hatte Veltroni den PD als Vertreter der "authentischen produktiven Bourgeoisie" eines "demokratischen Kapitalismus" vorgestellt und einen "demokratischen Pakt zwischen Arbeitern und Bourgeoisie" vorgeschlagen.(1) Das dürfte dazu beigetragen haben, dass man sich unter den dem Fininvest-Besitzer(2) gegenüberstehenden Kapitalkreisen schon bald ernsthaft Gedanken machte, sich seiner zu entledigen. Angesichts der sich verschärfenden internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise wurde befürchtet, der ständig mit seinen Strafprozessen belastete Berlusconi werde die Situation nicht in den Griff bekommen. Ihnen schwebte die Rückkehr zu einer Neuauflage des einst von der DC angeführten Regierungssystems vor, in dem diese wechselnd Koalitionen der linken oder rechten Mitte bildete.

An der Spitze dieser Kapitalgruppe agierte der damalige (2004-2008) Vorsitzende des Verbandes der Großindustriellen (Confindustria), Fiat-Erbe und Ferrari-Chef, auch noch Vizepräsident der international einflussreichen Bank und Finanzholding Unicredit, Luca Cordero di Montezemolo. Als vorgeschobener Mann, der den Sturz Berlusconis bewerkstelligen sollte, handelte der Führer der faschistischen Alleanza Nazionale (AN), Gianfranco Fini, seit 1993/94 engster Verbündeter in dessen Koalition.(3) In einem aufsehenerregenden Beitrag "Berlusconis Ex-Parteifreunde basteln Gegenbündnis" machte die damalige Financial Times Deutschland am 6. April 2010 die Vorgänge publik. Fini, seit 2008 Parlamentspräsident, trat im März 2009 mit seiner AN in den PdL ein, um an Stelle Berlusconis dessen Führung zu übernehmen. Als er damit scheiterte, verließ er mit 36 Abgeordneten die Regierungskoalition. Am 14. Dezember 2010 wollte er mit einem Misstrauensvotum in der Abgeordnetenkammer den Premier stürzen. Er scheiterte jedoch, da Berlusconi vier seiner Abgeordneten mit bis zu einer Million Euro pro Person zur Abkehr bestochen hatte.

Fini gründete im Januar 2011 mit Mitgliedern der AN die Partei Futuro e Liberta (Zukunft und Freiheit - FeL). Er agierte als geläuterter Faschist und erklärte im Sinne seiner Hintermänner, die den PD in die Zeit nach Berlusconi einkalkulierten, die Rückkehr zu "klaren politischen Lagern", und ging auf Distanz zu Berlusconis ins Extreme gesteigerter Hetze gegen alle Linken. Seine FeL sei "eine neue Mitte Rechts-Partei", die sich "deutlich vom PdL abheben" und "eine Politik betreiben werde, die nicht automatisch zu allem Nein sagt, was die Linke vorbringt, sondern in einigen Fragen die Übereinkunft mit ihr sucht".


Extreme Rechte formiert sich neu

Finis Versuch, sich den veränderten Kräfteverhältnissen anzupassen, bewirkte, wenn auch zerstritten in Hardliner und "moderate" Rechte, eine Neugruppierung des rechtsextremen Lagers. Da Berlusconi sich zunächst weigerte, die Führung an Lega-Chef Matteo Salvini abzugeben, kam es zum Bruch. Um den Sturz der Regierung Renzi mit Erfolg betreiben zu können, kamen beide im November 2015 jedoch überein, ihre Streitigkeiten beizulegen. Der Ex-Premier habe der "Inthronisierung" seines Konkurrenten zum "Führer des Rechten Zentrums" zugestimmt, schrieb La Repubblica am 12. November. Salvini entsagte der bis dahin betriebenen Abspaltung des Nordens vom Zentralstaat und schwor die Lega auf "Vaterland" und "nationale Einheit" ein, um sie aus einer nur auf den Norden ausgerichteten Partei landesweit aufzustellen. Mit offenem Rassismus und Ausländerfeindlichkeit (Bootsflüchtlinge "auf hoher See in ihren Booten sitzen zu lassen" und in Italien dürfe es für keinen einzigen Immigranten mehr "einen Platz geben") erreichte die Lega bei ihrem ersten Auftritt bei der Bürgermeisterwahl in Neapel 40,8 Prozent hinter Mitte Links mit 41,7 Prozent. Erst im zweiten Wahlgang wurde sie mit 35 Prozent abgehängt. Zweiter Eckpfeiler der Strategie Salvinis ist die Anti-EU-Haltung, zu der er mit Marine Le Pen in Brüssel "einen eisernen Pakt" schließen und eine gemeinsame Gruppe bilden will.

In der FI begann mit dem Austritt ihres Vize, Angelino Alfano, der mit seiner Fraktion die Partei Nuovo Centro Destra (NCD) bildete und mit ihr in die Regierung Renzis eintrat, der Verfall. Nach gegenwärtigen Meinungsumfragen wird die FI bei Wahlen weit unter Zehn Prozent gesehen. In den parteiinternen Auseinandersetzungen wird der Ex-Premier aufgefordert, die Parteiführung abzugeben. An Stelle der FI wird die Lega zum Anziehungspunkt einer Anzahl - Teils auch demagogisch agierender - faschistischer Organisationen. Dazu zählen die aus der AN hervorgegangenen Fratelli d' Italia (Brüder Italiens). Ferner die bereits 2003 gebildete Casa Pound, der ihr aktiver Unterstützer, Giovanni Alemanno von der AN, nach seinem Amtsantritt als Bürgermeister von Rom 2008 für 11,8 Millionen Euro ein Haus schenkte. Ihre Mitglieder nennen sich "Fascisti del terzo Millennio" (Faschisten des dritten Jahrtausends), agieren mit sozialrevolutionären Parolen, betreiben vordergründigen Anti-Kapitalismus und stellen breit gefächerte soziale und kulturelle Forderungen. Eine 1997 entstandene Forza Nuova (Neue Kraft) agiert regelmäßig als Sturmtrupp bei Lega-Demonstrationen. Ihr Mitbegründer und Anführer, der berüchtigte Terrorist Roberto Fiore, gehörte 1985 zu den Tätern des Anschlags auf dem Hauptbahnhof in Bologna (85 Tote, über 200 Verletzte).

Unverändert sind in Rom und dem Latium, in Mailand und weiteren Städten im Norden Naziskins (wie die Skinheads sich in Italien nennen) aktiv, überfallen Roma-Lager, drangsalieren nichteuropäische Einwanderer und diffamieren Homosexuelle und jüdische Bürger. Zum rechtsextremen Lager zählen weiter von der AN abgespaltene oder aus ihr hervorgegangene Organisationen wie eine Fiamma Sociale, eine Destra Sociale und auch noch eine Destra liberale, die sich gegenseitig meist vorwerfen, das faschistische Erbe des "Duce" nicht entschieden genug zu wahren.


Montezemolo sprach Machtwort

Nachdem sich am 11. Juli 2011 eine Krisensitzung in Brüssel mit der drohenden Herabstufung der Kreditwürdigkeit Italiens befasste, wuchsen die Befürchtungen, das Land könnte schon bald am Tropf der die nationale Souveränität untergrabenden "Hilfe" der EU hängen. Montezemolo gab Berlusconi "die Schuld am Bankrott" des Landes und der "beispiellosen Staatskrise". Im Mailänder Espresso und der Repubblica war zu lesen, dass der Regierungschef "die persönlichen Interessen über die des Staates" stellt und "das Ansehen des Landes in Europa beschädigt". Es wachse der Eindruck "einer ineffizienten und unverantwortlichen Regierungsführung". Als dann am 6. November die Ratingagentur Moodys zwei italienische Banken von Aa3 auf A2 herabstufte, zwang der Druck des Kapitals Berlusconi am 12. November zurückzutreten.

Nun fällige Neuwahlen hätten Berlusconi endgültig ins "Aus" befördert. Davor bewahrte ihn einer der übelsten Revisionisten und Totengräber der IKP 1990/91, der dafür ins Amt des Staatspräsidenten gehievte Giorgio Napolitano vom PD. Er lehnte Neuwahlen ab und beauftrage den früheren EU-Kommissar Mario Monti, eine Übergangsregierung der sogenannten "nationalen Einheit" zu bilden. Einbezogen wurde der PdL Berlusconis und damit erstmals eine Regierungskoalition dieser faschistoiden Partei und dem unter einem sozialdemokratischen Outfit auftretenden PD begründet, die Renzi später fortsetzte. Bei den Parlamentswahlen im Februar 2013 belegte der PD im Bündnis mit der SEL mit 31 Prozent den ersten Platz und erhielt im Parlament nach dem von Berlusconi eingeführten Siegerbonus 340 Sitze (54 Prozent). Auch im Senat lag der PD mit 31 Prozent knapp vorn, benötigte aber hier Koalitionspartner. Berlusconi gelang ein Come-back. Sein PdL kam sowohl im Parlament als auch Senat knapp hinter Mitte Links auf Platz zwei. Enttäuschend für Montezemolo war das Ergebnis der von ihm persönlich geförderten FeL Finis, die nur 0,5 Prozent erreichte.

Zu den Wahlen trat erstmals die 2009 von dem Starkomiker Beppe Grillo gegründete Protestbewegung Movimento cinque Stelle (Fünf Sterne - M5S) an und belegte mit 25,5 Prozent in beiden Kammern den dritten Platz. Grillo polemisierte gegen verschärfte Ausbeutung und wachsende Arbeitslosigkeit, stellte jedoch das kapitalistische System nie grundsätzlich in Frage. Mit radikaler Kritik an Auswüchsen des herrschenden Systems zog das M5S viele linke Wähler auf seine Seite.

Da Grillo ablehnte, ein PD-Kabinett zu unterstützen, kam keine Regierung zustande. Zu der parallel anstehenden Neuwahl des Staatspräsidenten scheiterte der PD ebenfalls. Wie ANSA am 20. April 2013 meldete, sicherten PD-Sekretär Pierluigi Bersani, der amtierende Premier Monti und Ex-Premier Berlusconi auf einem Treffen mit Staatspräsident Napolitano diesem seine Wiederwahl zu. In den Medien war von einem "abgekarteten Spiel", einem "Schmierentheater" oder auch "Staatsstreich" die Rede. Napolitano wurde dann mit den Stimmen des PD, Montis und des PdL mit einer Zweidrittelmehrheit (738 von 1007 Stimmen) im Amt bestätigt. Ausgehandelt worden war auch die Unterstützung des anschließend mit der Regierungsbildung beauftragten Vizechefs des PD, Enrico Letta. Napolitano behauptete, mit der nun einsetzenden Kollaboration des sozialdemokratischen PD mit dem Faschistoiden PdL Berlusconis sei "ein Zeichen der Einheit" gesetzt worden. Neben M5S ging nur die SEL in Opposition gegen die Letta-Regierung.

Im Dezember 2013 wurde in Primaries, nach US-amerikanischem Vorbild eingeführten Vorwahlen, der Bürgermeister von Florenz Matteo Renzi mit 67,8 Prozent von 2,9 Millionen Teilnehmern zum neuen PD-Chef gewählt. Renzi war ein früherer DC-Rechter, der 2007 in der Margherita die Fusion zum PD mitmachte. Vor seiner Wahl hatte er offen verkündet, die alte, meist noch aus der IKP kommende Funktionärsgarde des PD zu verschrotten, was ihm den Beinamen "Rottamatore" (Verschrotter) einbrachte. Renzi (selbst Jg. 1975) vollzog einen Generationswechsel. Sein aus fünf Männern und sieben Frauen bestehendes Sekretariat zählte im Durchschnitt 35 Jahre. Im Februar setzte er den Rücktritt Lettas durch, dem er vorwarf, die erforderlichen "Reformen" auf dem Arbeitsmarkt nicht durchzusetzen. Staatspräsident Napolitano beauftragte ihn umgehend mit der Bildung einer neuen Regierung.

Renzi verkündete ein "Reformprogramm", das mit der Auflösung der 170 Provinzen mit 56.000 Mitarbeitern jährlich 8,6 Mrd. Euro einspart. Die Ministerbezüge und Spitzengehälter im öffentlichen Dienst wurden gesenkt. Danach setzte Renzi an, den Senat als zweite Kammer, der 1946 beim Sturz der Monarchie in modifizierter Form übernommen worden war, abzuschaffen. An seine Stelle sollte ein "Autonomer Senat" mit statt bisher 315 nur noch 150 Mitgliedern treten. Diese sollten nicht gewählt, sondern aus Vertretern der Regionen und der Bürgermeistern großer Städte sowie den ehemaligen Präsidenten der Republik und Senatoren auf Lebenszeit gestellt werden, die keine Diäten erhalten, aber weiter den Titel Senator führen. Mit der Auflösung des Senats als Kammer wollte Renzi sich bzw. den PD auch von der bestehenden Abhängigkeit - sowohl von PdL/FI4 als auch M5S - befreien. Da zur Verfassungsänderung keine Zweidrittelmehrheiten erreicht wurden, muss darüber voraussichtlich im Oktober ein Referendum entscheiden. Danach wurde ein neues Wahlgesetz, das sogenannte Italicum, beschlossen. Es bestätigte den von Berlusconi eingefürten Siegerbonus von 340 Sitzen in der Abgeordnetenkammer, für den nunmehr 40 Prozent der Stimmen erforderlich wurden. Bei nicht Erreichen wurde eine Stichwahl festgelegt. Die Sperrklausel wurde auf drei Prozent herabgesetzt.

Bei den EU-Wahlen im Mai 2014 wurde der PD mit 40,8 Prozent stärkste Partei. Die FI erlitt mit 16,8 Prozent eine schwere Schlappe. M5S erhielt circa 21 Prozent. Das Kapital reagierte mit einem Ansteigen der Kurse an der Mailänder Börse um 3,61 Punkte. Eine Bestätigung, dass Renzi als sein neuer Mann angekommen war. Nach den EU-Wahlen setzte Renzi im Dezember ein Dekret über den Jobs act, euphemistisch als Arbeitsmarktreform bezeichnet, durch. In den Grundfragen wurde der Artikel 18 des Arbeitsgesetzes, der bis dahin weitgehend einen Kündigungsschutz garantierte, aufgehoben, was ermöglichte, die Tarifverträge auszuhebeln, Minijobs nach deutschem Vorbild einzuführen und zahlreiche Arbeiterrechte in den Betrieben aufzuheben oder einzuschränken. Das geschah vor dem Hintergrund einer anhaltenden Verelendung breiter Volksschichten. Laut dem Amt für Statistik ISTAT vom Juli 2014 lebten zehn Millionen Italiener (17 Prozent der Bevölkerung) in bitterster Armut. 7,9 Millionen davon wurden als "absolut arm" eingeschätzt.

Im PD wollte Renzi dessen Namen in "Partei der Nation" abändern, was darauf zielte, endgültig seine anteilige Herkunft aus der Linkspartei zu tilgen und ihn in eine "Partei für alle" umzuwandeln. Der PD war auf dem Weg, die Partei zu werden, in der die führenden Kapitalkreise ihren besseren Interessenvertreter sahen. Symptomatisch dafür war ein Treffen Renzis mit Vertretern der Confindustria am 3. November 2014. Der Premier versicherte, er werde vor den Gewerkschaften "keinen Schritt zurückweichen, sein (angekündigtes) "Stabilitätsgesetz" werde "kein Gegenstand von Verhandlungen mit den Gewerkschaften sein" und er werde sich "auch im PD nicht aufhalten lassen." Präsident Giorgio Squinzi versicherte Renzi, dass die Unternehmer "mit ihm sind". Eine PD-Minderheit von links bis zur Mitte macht seitdem Front gegen diesen Pakt mit dem Kapital. Hier liegen entscheidende Wurzeln für die bei den Bürgermeisterwahlen offen sichtbar gewordene Abkehr von Wählermassen im PD.


Der Pakt von Nazareno

Nach dem vorzeitigen Rücktritt von Staatspräsident Napolitano stand Ende 2014 die Wahl eines Nachfolgers an. Dem "Pakt von Nazareno"(5) entsprechend wollte der die Wahl leitende Renzi mit Berlusconi gemeinsam einen Kandidaten benennen. Da der Ex-Premier für seine Zustimmung verlangte, dieser müsse nach der Wahl das gegen ihn nach seiner rechtskräftigen Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe (die er im Sozialdienst verbüßte) verhängte Ämterverbot aufheben, kam keine Einigung zustande. Renzi vollzog eine Kehrtwende und nominierte den 73jährigen Sizilianer Sergio Mattarella, den Berlusconi wütend ablehnte. Mattarella erhielt dann mit Hilfe des NCD 665 der 1009 Stimmen. Der neue Staatschef war der Bruder des im Januar 1979 ermordeten Piersanti Mattarella, eines aktiven Anhängers des 1978 wegen seiner Regierungszusammenarbeit mit der IKP ermordeten DC-Führers Aldo Moro. Er war wiederholt den kriminellen Machenschaften Berlusconis entgegengetreten.

Seine Wahl war eine schwere Niederlage für Berlusconi, dem es nicht gelungen war, das rechtsextreme Lager zu einigen. Sowohl die FI als auch die Lega Nord traten mit eigenen Kandidaten an, die weniger oder kaum mehr als 100 Stimmen erhielten.

Als Renzi am 22. Februar 2016 zwei Jahre im Amt war, konnte er, wie La Repubblica schrieb, in Anspruch nehmen, "Italien gestärkt und auf eine solide Basis gestellt" zu haben. Nach bescheidenem Wachstum 2015 wurde für 2016 eine Steigerung um 0,8 Prozent prognostiziert. Mit Zugeständnissen hielt er die Proteste der Gewerkschaften und der Minderheit im PD im Zaum. Nach einer monatlichen Steuererleichterung von 80 Euro für Beschäftigte mit einem Einkommen unter 1.500 Euro soll ab 2016 eine Million der Ärmsten ein Mindesteinkommen von 320 Euro erhalten.

Nun sagte Anfang Juli das Meinungsforschungsinstitut Demos Renzi eine Niederlage im Referendum über die Verfassungsänderung voraus. Bei Neuwahlen käme M5S mit 32 Prozent auf Platz eins. Der PD würde zwei Prozent dahinterliegen. M5S erhielte mit dem Siegerbonus eine Mehrheit im Parlament und könnte allein regieren. Laut Repubblica werde der als Spitzenkandidat von M5S vorgesehene Vizepräsident des Parlaments Luigi di Maio schon als künftiger Regierungschef gehandelt. Dieser zeigte sich bereits anpassungsfähig und behauptete, M5S habe die EU "nie grundsätzlich abgelehnt". Inzwischen bremse M5S auch eine "Modifizierung" des Italicum, da der Zuschlag ihm ja nun selbst winke. Der linke Minderheitsflügel der PD verstärkte angesichts der ernsten Lage seine Appelle an Renzi, nicht länger "nach rechts zu schielen", sondern Bündnisse mit den Linken zu suchen und die Einheit der Partei wiederherzustellen.


(1) Repubblica, 11.04.2008.

(2) Fininvest (finanziaria Investimento), rund 300 Gesellschaften umfassende Holding Berlusconis, darunter der Mediaset-Konzern mit den einzigen drei landesweiten Fernsehsendern. Jahresumsatz laut Repubblica vom 15.10.1993 elf Mrd. DM. In ihrem Buch "Silvio Berlusconi, inchisa sul signor TV" (Mailand 1994) enthüllten die Publizisten Giovanni Ruggeri und Mario Guarino, dass Fininvest "mit Unterstützung und Finanzierungshilfen" der faschistischen Putschloge P2 errichtet wurde und Berlusconi als Mitglied ihres Dreierdirektoriums "fest in das korrupte Netz der P2 verwoben war". Gegen die Verfasser angestrengte Verleumdungsprozesse verlor Berlusconi in allen drei Instanzen.

(3) Die AN war aus dem 1946 als Nachfolger der Mussolinipartei gegründeten Movimento Sociale Italiano (MSI) hervorgegangen. Gianfranco Fini, seit 1987 bzw. 1991 ihr Führer, taufte den MSI 1994/95 in die AN um.

(4) Um den nach seinem Rücktritt im PdL einsetzenden Zerfall aufzuhalten, taufte Berlusconi 2013 diese in ihren Gründungsnamen Forza Italia (FI) zurück.

(5) Benannt nach der Strasse, in der sich die PD-Zentrale befindet, in der Renzi mit Berlusconi die Unterstützung seiner Regierung im Senat verabredet hatte.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2016

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