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ITALIEN/061: Staatspräsident Napolitano will Ende des Jahres zurücktreten (Gerhard Feldbauer)


Staatspräsident Napolitano will Ende des Jahres zurücktreten

Er hielt die politischen Auseinandersetzungen in Zaum

Manöver um Nachfolger bereits im Gange

von Gerhard Feldbauer, 10. November 2014



Laut einem Bericht der Regierungsnahen "Repubblica" vom Sonnabend will Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano Ende des Jahres zurücktreten. Auf dem traditionellen Neujahrsempfang am 31. Dezember werde er seine letzte Rede halten und dann den Quirinalspalast, bis 1946 Resistenz der italienischen Könige, auf dem Colle (Hügel) verlassen.

Auf Drängen seiner Demokratischen Partei (PD) hatte sich Napolitano im April 2013 in einer schweren Staats- und Regierungskrise - sowohl die Wahl eines neuen Premiers als auch eines Nachfolger für ihn scheiterte am Patt zwischen Mitte Links und dem rechtsextremen Lager - zu einer zweiten siebenjährigen Amtszeit bereiterklärt. Schon damals hatte er (er wird im Juni 2015 90 Jahre), angekündigt, nicht für die volle Amtszeit zur Verfügung zu stehen. Seine Wahl, die dann - gemäß Verfassung - in einer gemeinsamen Versammlung der Abgeordneten und Senatoren sowie je drei Vertretern der Regionalparlamente mit 738 von 1007 Stimmen erfolgte, hatte er sich in einer Absprache mit den Vertretern aller Parlamentsparteien (eingeschlossen die rechtsextreme Forza Italia des Ex-Premiers Berlusconi) zusichern lassen, was als Kuhhandel heftig kritisiert, vom Chef der Protestbewegung M5S, Beppe Grillo als Staatsstreich verurteilt wurde.

Mit Napolitano kam 2006 zum ersten Mal ein Ex-Kommunist, ein früheres Politbüromitglied der IKP, das 1989/90 maßgeblich deren Umwandlung in eine sozialdemokratische Linkspartei betrieben hatte, ins höchste Staatsamt. Nach seiner Wiederwahl gelang es ihm, die Regierungskrise beizulegen und eine von der sozialdemokratischen PD geführte, aber von Berlusconis Unterstützung abhängige Regierung ans Ruder zu bringen, der seit Februar dieses Jahres der Newcomer Matteo Renzi vorsteht, dessen umstrittenen Kurs sogenannter "Reformen" er wiederholt gut hieß. Aus dem Mitte Links-Spektrum vorgebrachte Forderungen, in vorgezogenen Neuwahlen die extreme Rechte zu schlagen, lehnte er ab. Als Gründe für den Rücktritt hieß es in "Repubblica", dass der Staatschef sein Alter anführe, aber auch Enttäuschung durchblicken ließ, dass wichtige Reformen wie ein neues Wahlgesetzes an der Blockierung der FI Berlusconis scheiterten.


Will Napolitano eine Kandidatur Berlusconis verhindern?

Der Staatschef hatte nachdrücklich ultimative Forderungen Berlusconis, der eine Gefängnisstrafe wegen Steuerbetrugs im Sozialdienst verbüßt, nach einem Gnadenerlass mehrfach abgelehnt. Beobachter in Rom sehen den frühen Termin des Rücktritts auch im Zusammenhang damit, dass er so eine Kandidatur des Ex-Premiers für seine Nachfolge verhindern will, da dessen Strafe, die im Mai 2015 endet, ein zweijähriges Ämterverbot einschließt. Berlusconi äußerte mehrfach, er erwarte, dass dann das Ämterverbot aufgehoben wird. Nach Bekanntwerden der Rücktrittsabsichten Napolitanos hat Berlusconi, wie ANSA berichtete, jedenfalls sofort die Führung seiner FI einberufen.


Renzi möchte Aufschiebung bis Mai

Nicht für das Land, wie es in verschiedenen Medien hieß, war Napolitano "eine Garantie", sondern für den selbst in der PD umstrittenen Rechtskurs Ministerpräsident Renzis, gegen dessen "Sparpaket" am Wochenende gerade wieder über 100.000 Menschen in Rom protestierten. Der Premier befürchtet zu Recht, mit Napolitano seine wichtigste Stütze zu verlieren und in den Sog der wieder ausbrechenden Regierungskrise zu geraten. "Der Premier möchte deshalb das Addio Napolitanos aufschieben", schrieb "La Repubblica" am Sonntag. Wenigstens bis Mai. Bis dahin will er das neue Wahlgesetz durchbringen, das Napolitano dann noch unterschreiben könnte. "Doch die großen Manöver um den Nachfolger sind bereits im Gange", so das Blatt weiter. Der DP geht es darum, einen Nachfolger aus ihren Reihen oder zumindest ihr nahe Stehenden zu finden, der vielleicht in den ersten drei Wahlgängen nicht die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit, aber dann die genügende einfache Zustimmung erreichen könnte. Zwei Kandidaten sind bereits ins Gespräch gebracht. Der Präsident der norditalienischen Region (Land) Piemont, Sergio Chiamparino, wie Napolitano ein Ex-Kommunist, danach Linksdemokrat und heute PD. Wie in Rom zu hören, könnte M5S für ihn votieren und er damit sogar auf eine Zwei Drittel-Mehrheit kommen. Die zweite Variante ist der parteilose populäre Jura-Professor Stefano Rodotà, einst der IKP nahe, später der Linkspartei, der 2013 bereits als Kandidat der Linkspartei SEL und von M5S gegen Napolitano aufgestellt worden war. Beide Politiker dürften Renzi nicht gerade genehm sein. Wie in Rom durchsickert, stehen aber noch weitere Kandidaten in den Startlöchern. Die Präsidentin der Abgeordnetenkammer, Laura Boldrini (PD) äußerte laut "Repubblica", das höchste Staatsamt sollte einer Frau anvertraut werden. Es wird für möglich gesehen, dass die enge Vertraute Renzis dabei an sich selbst denkt.


Renzi geht in die Offensive

Inzwischen geht Renzi in die Offensive und hat, wie "La Repubblica" am Montag berichtet, Berlusconi ein Ultimatum gestellt, bis heute (Montagabend) dem Italicum (neues Wahlgesetz) zuzustimmen, oder die Zusammenarbeit mit ihm werde beendet. Gleichzeitig meldet das Blatt eine Annäherung der PD an M5S bei der Wahl eines entschiedenen Gegners Berlusconis als Nachfolger Napolitanos.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2014


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