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ITALIEN/044: Archiv über faschistische Putschloge P2 in Italien jetzt zugänglich (Gerhard Feldbauer)


Archiv über faschistische Putschloge P2 in Italien jetzt zugänglich

Ex-Premier Berlusconi gehörte ihrem Dreier-Direktorium an

von Gerhard Feldbauer, 9. Mai 2014



Am Dienstag dieser Woche hat die römische "Repubblica" mitgeteilt, dass jetzt über die von dem Mussolini-Faschisten und Mitarbeiter seines Geheimdienstes Licio Gelli an der Schwelle zu den 1970er Jahren im Auftrag der CIA aufgebaute Geheimorganisation, die unter demokratischer Fassade ein faschistisches Regime an die Macht bringen wollte, die staatlichen Archive zugänglich sind.


Verdienste einer standhaften Christdemokratin

Es handelt sich um 120 Bände von Untersuchungsberichten einer Parlamentskommission, die von Tina Anselmi (Jg. 1927) geleitet wurde. Die engagierte Antifaschistin kämpfte während des Widerstandes gegen das Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht in einer Partisanenbrigade, hatte später als Mitglied der Democrazia Cristiana (DC) unter Aldo Moro mehrfach Ministerämter inne und war eine Anhängerin von dessen linksliberalem Reformkurs einer Regierungszusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei (IKP). Wie "La Repubblica" berichtete, wurden die Archivbestände von der bekannten Publizistin Benedetta Tobagi in mehrjähriger Arbeit digitalisiert. Obwohl in beträchtlichem Umfange bereits zahlreiche Publikationen zum Thema vorliegen, darunter mehrere Bücher von Sergio Flamigni (IKP heute Demokratische Partei - PD), einem Mitglied der von Anselmi geleiteten Kommission, der ausführlich die Rolle der P2 im Mordkomplott gegen Moro aufdeckte, würden die jetzt zugänglichen Archiv-Bestände weitere Gesichtspunkte ans Licht bringen, so die Zeitung.


Zentrale im Mordkomplott gegen Aldo Moro

Nachdem 1964, 1970 und 1974 offen faschistische Putschversuche gescheitert waren, wollte die CIA mittels eines "Colpo bianco", eines kalten Staatsstreiches, einen als "demokratische Umgestaltung" getarnten Umsturz herbeiführen. Die Initiative für den Aufbau der Putschloge ging 1969 von dem damaligen NATO-Oberbefehlshaber General Alexander Haig und Außenminister Henry Kissinger aus. An die Stelle bis dahin offen faschistisch-militärischer Führungszentralen trat die P2, die ihre Leute in allen Bereichen der Gesellschaft unterbrachte. Unter den weit über 2.500 bekannt gewordenen Mitgliedern befanden sich 47 Großindustrielle, 119 Bankiers und Leute der Hochfinanz, 43 Generäle und etwa 400 hohe Offiziere, darunter die gesamte Führungsspitze der Geheimdienste der letzten 30 Jahre, der komplette Generalstab des Heeres, sechs Mitglieder der amtierenden Regierung, 18 hohe Regierungsbeamte, 22 Spitzenjournalisten, darunter ein Chefredakteur der staatlichen RAI und einer des Mailänder "Corriere della Séra", 38 Parlamentarier aus den Regierungsparteien, weitere aus der faschistischen MSI-Partei (der späteren Alleanza Nazionale). Im Rahmen der Kollaboration waren zahlreiche hohe Bosse der Mafia der Loge beigetreten. Die Putschloge verhinderte 1978 nach der Entführung Moros mit ihren Mitgliedern in den Sicherheitsorganen, dass das Versteck, in dem der DC-Führer gefangen gehalten wurde, aufgedeckt wurde. Während es hieß, er befinde sich in einem "Volksgefängnis" der Roten Brigaden, wurde er u. a. zeitweise auf einem Stützpunkt der von der CIA geleiteten geheimen NATO-Truppe Gladio bei Rom festgehalten, wie 1990 bei der Aufdeckung von Gladio ans Licht kam. Die P2 bildete, wie Tina Anselmi einschätzte, "ein Machtzentrum innerhalb der staatlichen Einrichtungen, in den Lebensadern des Landes".


Wo wurde Moro 55 Tage gefangen gehalten?

Beobachter in Rom warten gespannt, ob es dazu, wo der entführte Moro während der 55 Tage seiner Entführung bis zu seiner Ermordung am 9. Mai 1978 versteckt wurde, etwas in den Archivbänden zu finden sein wird. Bereits früher wurde mehrfach von Zeitzeugen geäußert, dass die USA und auch der damalige Innenminister Francesco Cossiga, der später zum Premier und schließlich zum Staatspräsidenten aufstieg, jederzeit wussten, wo Moro gefangen gehalten wurde.

"La Repubblica" verweist auf den damaligen Sozialistenchef Bettino Craxi, der Mitglied des Dreier-Direktoriums der P2 war. Er hatte sich mit Hilfe der Loge 1976 in der so genannten Midas-Verschwörung (so genannt nach dem luxuriösen Hotel in Rom, in dem die ISP-Führung tagte) an die Spitze der Partei geputscht. Die P2 hielt ihn in den 1980er Jahren als einen "neuen Duce" in Reserve. Dieser Plan scheiterte, als er Anfang der 1990er Jahre wegen Korruption zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Seine Stelle nahm danach Silvio Berlusconi ein, dem die P2 sein Medienimperium und den Aufstieg zum reichsten Kapitalisten des Landes finanzierte, wie die Publizisten Giovanni Ruggeri und Mario Guarino in "Berlusconi - Showmaster der Macht" (Gatza, Berlin 1994) beweiskräftig enthüllten.


Archivöffnung zielt gegen Berlusconi

Während "La Repubblica" Craxi namentlich anführt, fehlt bisher ein Bezug auf den Ex-Premier. Dabei zielt die jetzige Archiv-Öffnung, wie Insider meinen, explizit gegen Berlusconi, der alles unternimmt, die derzeitige von Matteo Renzi von der Demokratischen Partei (PD) geführte Regierung zu Fall zu bringen, um selbst an die Macht zurück zu kehren. Wie Craxi war der Mediendiktator Mitglied des Dreigestirns der P2 und Gelli brüstete sich, nachdem dieser 1994 seine erste Regierung mit den MSI/AN-Faschisten gebildet hatte, öffentlich damit, ihm dazu verholfen zu haben. In Rom wird angenommen, dass der gewiefte Renzi dahinter steckt, dass die Archive gerade jetzt öffentlich zugängig gemacht werden.


Ex-Premier tritt Strafe an

Der Ex-Premier tritt gegenwärtig seine Reststrafe von einem Jahr wegen Steuerhinterziehung (drei wurden ihm wegen seines Alters von 77 Jahren erlassen) im Sozialdienst an. Die Zeitungen, darunter der großbürgerliche "Mailänder Corriere della Sera" berichteten am Freitag nicht ohne Süffisance, dass er in einem Behindertenheim Alzheimer-Kranke zweimal wöchentlich vier Stunden betreuen muss. Bilder zeigen ihn vor einem Schwarm von Journalisten, von dem der sonst auf Pubilicity erpichte Medientycon sich mit wütendem Gesicht abwendet. In dem Heim prüften zwei Schwestern, ob der Sozialdienstleister über die nötige Qualifizierung zur Ausübung dieser Arbeit verfüge.


Früherer Innenminister Berlusconis unter Mafia-Verdacht

Inzwischen wird von den Justizbehörden, wie am Freitag u. a. aus der "Repubblica" bekannt wurde, gegen einen weiteren engen Vertrauten Berlusconis, seinen langjährigen Innenminister Claudio Scajola, nach der Verhaftung wegen organisierter Kapitalflucht in Komplizenschaft mit der Mafia ermittelt.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2014