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MARKT/036: Schweinemarkt zwischen Kollaps und Industrialisierung (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 341 - Februar 2011,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Schweinemarkt zwischen Kollaps und Industrialisierung
Ein Systemwechsel zu artgerechter, bäuerlicher Schweinehaltung ist überfällig

Von Eckehard Niemann


Wie dramatisch-sensibel auch der Schweine- und Fleischmarkt auf eine rückläufige Nachfrage und auf Überschüsse reagiert, dies zeigt sich auch in der aktuellen Dioxin-Krise: Die Schlachtkonzerne haben ihre Schlachtungen um 20 Prozent reduziert - die Erzeugerpreise für Schlachtschweine sind um 23 Cent auf 1,12 Euro pro kg Schlachtgewicht abgestürzt (rentabel wären 1,70 Euro). Bei den von den Mästern abhängigen Sauenhaltern sind die Ferkelpreise um fast 9 Euro auf nur noch 28 Euro gefallen (rentabel wären etwa 60 Euro). Dieses historisch niedrige Preisniveau reisst auch die Preise für Schweine und Ferkel in der ganzen EU mit nach unten - in Holland blockieren Schweinebauern die Schlachtereien. Gleichzeitig bleiben die Futterpreise angesichts der weltweit knapperen Ernten hoch.


Dioxin - Teil einer Dauerkrise

Der Lebensmittel-Einzelhandel bevorzugt aus Angst vor immer neuen Dioxinfunden in Deutschland zum Teil ausländische Ware und verlangt teure, stetig aktualisierte Unbedenklichkeitsbescheinigungen über das eingesetzte Mischfutter. Hinzu kommt, dass China und Korea Exportware zurückschicken. Während die handwerklichen Metzger von der Absatzkrise wenig betroffen sind und ihren Mästern die Preise moderater senken, nutzen die Schlachtkonzerne die derzeitige Misere voll aus: Sie füllen ihre Lagerhäuser mit dem einmalig billigen Fleisch, werden es nach der Krise verarbeiten und so die Erzeugerpreise noch eine ganze Weile zusätzlich drücken können.

Eine "Rückkehr zu normalen Marktverhältnissen" aber wird es nicht geben - weil es die nämlich auch vorher schon lange nicht mehr gab. Seit Jahren setzen die Manager der Fleischkonzerne gemeinsam mit Bauernverband und Agrarpolitik auf das Anheizen von Überschüssen, z. B. durch die Staffelung der Erzeugerpreise nach Menge. Ganz gleich, ob aus Globalisierungswahn, Ideenlosigkeit, Sucht nach kurzfristig vorzeigbarer Rendite oder einfach nur wegen der Umsatzabhängigkeit der Managergehälter - man will diese Überschüsse, um nicht nur den EU-Raum, sondern auch den so genannten Welt-"Markt" zu erobern.

Dass sich dieser Drittländer-Absatzmarkt im wesentlichen auf immer unsicherere Liefermöglichkeiten nach Russland beschränkt, wird mit immer neuen Propaganda-Meldungen über angeblich zukünftige Märkte in China und Ostasien übertönt. Dabei streben alle diese Länder für die nächsten Jahre ihre eigene Selbstversorgung und sogar eigene Exporte an. Der deutsche Branchenführer Tönnies baut - wie andere ausländische Investoren - derzeit in Russland eine Agrarfabrik für Sauen und Mastschweine nach der anderen auf. Hinzu kommt, dass die brasilianischen Schlachtkonzerne, die bereits einige der großen US-Fleischkonzerne übernommen haben, diese Importländer zu wesentlich billigeren Preisen beliefern.


Überschüsse, Kostendruck

Die Überschuss-Produktion für den Weltmarkt ist also eine offensichtliche Sackgasse. Umso mehr drängen Fleischkonzerne wie Tönnies, Vion oder Westfleisch auf weitere Kostensenkung. Weil es in Deutschland wegen fehlender Mindestlöhne eine gnadenlos billige Schlachtung durch Leiharbeiter-Kolonnen gibt, hat der dänische genossenschaftliche Schlachtmonopolist Danish Crown bereits einen Teil seiner Schlachtung nach Deutschland verlagert und dazu den Branchen-Vierten D&S gekauft. Genau so ruinös wie für die Arbeitnehmer der Schlachtkonzerne ist die Überschuss-Produktion für die Schweinehalter. Logisch, denn die nicht mehr zufälligen, sondern nunmehr systematischen Überschüsse drücken kontinuierlich die Preise. Den Schweinezyklus bei den Schweinepreisen, der das Angebot an Mastschweinen und Ferkeln einst steuerte, gibt es nicht mehr. "Alles hängt am Export" - so die immer durchsichtigeren Durchhalteparolen in der Bauernverbandsbranche zur Absegnung der ruinösen Erzeugerpreise.

Und diese Preis- und Kostendrückerei hat ihre Folgen: Der Bau immer größerer Mast- und Sauen-Anlagen erhöht die Überschüsse und verdrängt kleinere und mittelständische Mäster. Der Drang nach immer billigerem Mischfutter führt dazu, dass fast alle Futtermittelhersteller immer geneigter werden, bei billigen Komponenten-Angeboten nicht genau nach Seriositat und Herkunft zu fragen. Eine ganze Branche hängt am Tropf der Soja-Einfuhren aus den Brasilien, die dort den Regenwald und die Kleinbauern vernichten und hier zu Nährstoff- und Produktüberschüssen führen und zu einem Einfallstor für Gentechnik werden.

Kostensenkung und zunehmende Agrarindustrialisierung haben außerdem zu Haltungsbedingungen geführt, die man Besuchern nicht nur wegen der Keim-Abschirmung mehr gut zeigen kann. Wenn intelligente, neugierige, bewegungsaktive und geruchsempfindliche Tiere wie die Schweine auf engem Raum, ohne Stroh und Auslauf auf Spaltenböden gehalten werden, dann werden alle angekündigten PR-Kampagnen an der wachsenden Akzeptanzkrise nichts ändern können.


99 % "Ausnahmen" beim Kupieren

Nachdem unter dem Druck der Verbraucher das betäubungslose Kastrieren männlicher Ferkel bald beendet sein wird, gerät nun das Kupieren der Schwänze in den Blickpunkt. Bei artgerechter Haltung ist dieses Abschneiden der Ringelschwänze unnötig, bei der Haltung in reizarmen Boxen auf Spaltenböden ohne Stroh aber versuchen die Tiere, ihren Stress durch gegenseitiges Schwanzbeißen zu kompensieren. Gemäß einer EU-Richtlinie müssten längst alle Schweine Zugang zu Stroh haben, das Kupieren ist nur in Ausnahmefällen erlaubt. Leider ist die EU-Vorgabe in Deutschland und in der Mehrzahl der anderen EU-Ländern bisher unzureichend umgesetzt: Die Schweinehaltungs-Verordnung erlaubt die Haltung ohne Stroh und das Kupieren in "Ausnahmefällen" - wobei ca. 99% aller Schweine als "Ausnahmen" deklariert werden. Ein nicht mehr lange haltbarer Zustand. Die neue Regierung in NRW verlangt bereits, dass Mäster vor dem Einstallen nun halbjährlich mit einem Tierarzt ein betriebsindividuelles Konzept zur Beseitigung des Kupierens prüfen - auch als Voraussetzung für den Erhalt der EU-Direktbeihilfen.


Verbot von Agrarfabriken

Viele Mäster und auch Sauenhalter werden die Forderungen nach einer artgerechten Haltung oder nach Schritten auf dem Weg dorthin zunächst als zusätzliche Kosten- und Arbeitsbelastung einordnen. Und doch gibt es keinen anderen Weg, will man bäuerliche Schweinehaltungs-Betriebe erhalten. Die Haltung auf Stroh mit Auslauf nach dem Vorbild moderner Neuland- und Biobetriebe ist arbeitstechnisch gut praktizierbar - allerdings nur von mittelständischen Betrieben und nicht von Agrarfabriken oberhalb der Grenzen des Bundesimmissionsschutz-Gesetzes mit 1.500 Mastplätzen und 560 Sauen. Die Verhinderung solcher Großanlagen durch die Bürgerinitiativen des "Netzwerks Bauernhöfe statt Agrarfabriken" und ein gesetzliches Verbot des Bauens im Außenbereich für Agrarfabriken wirken in die gleiche Richtung. Auch die Forderung kommunaler Spitzengremien nach einem Bauverbot für gewerbliche Anlagen ohne eigene Futtergrundlage sollte mittelständische Schweinehalter nicht schrecken: Bei artgerechter Haltung reichen weniger Schweine zu fairen Preisen zur Erzielung eines ausreichenden Einkommens aus, außerdem könnte es eine Staffelung zugunsten kleinerer Betriebe mit regionalem Futterausgleich und Übergangsfristen geben.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Förderung heimischer Eiweißfrüchte, z.B. durch einen vorgeschriebenen Fruchtfolgeanteil - was landwirtschaftliche Betriebe weiter begünstigen würde. Die Forderung nach kürzeren Transportzeiten muss einher gehen mit dem Erhalt und dem Wiederaufbau regionaler und handwerklicher Schlachtung. Wenn die EU-Prämien nicht mehr nach Fläche, sondern nach Zahl der Arbeitskräfte gezahlt werden, begünstigt dies die arbeits- und betreuungsintensivere Tierhaltung zusätzlich. Schließlich gehört in eine solche Agrarwende zugunsten einer artgerechten Schweinehaltung in bäuerlichen Betrieben auch ein Stopp des Exportdumpings und der systematischen Überproduktion über den Bedarf der EU hinaus.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 341 - Februar 2011, S. 10
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2011