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BERICHT/105: 24. Linke Literaturmesse - fremd, schwach und verdrängenswert ... (SB)


Wo die Männer versagen, da ruft man nach dem Mann. Der Fascismus, der überall anders, überall in neuer nationaler Vermummung auftritt, weist in allen Ländern diesen einen gemeinsamen Wesenszug auf: die Sehnsucht nach dem Diktator. Die erschlafften Völker suchen nach einem Hirn, das für sie denkt, nach einem Rücken, der für sie trägt.
Carl von Ossietzky, Weltreaktion - Ihr Unsinn und ihr Sinn. In: Berliner Volks-Zeitung, 13. Mai 1923, gutenberg.spiegel.de


Angesichts einer Gemengelage ökonomischer, sozialer und ökologischer Krisen, die einander wechselseitig befeuern, steht für die Profiteure der herrschenden Eigentums- und Verfügungsordnung nicht die Bewältigung dieser Krisen auf der Tagesordnung, sondern aus ihnen als Sieger hervorzugehen. So kurzschlüssig diese Logik des Überlebens anmuten mag, die in der Hoffnung auf befristetes Entkommen die Vernichtung jeglicher Lebensvoraussetzungen beschleunigt, nimmt sie doch in Krisenzeiten wie diesen geradezu zwingende Züge an. Während die Linke gefordert ist, dem Verhängnis auf den Grund zu gehen und dagegen Hand und Stimme zu erheben, also eine fundierte Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse zu leisten und eine glaubwürdige Gegenposition in Stellung zu bringen, hat die an die bestehenden Strukturen und Denkvoraussetzungen andockende Rechte wesentlich leichteres Spiel. Sie muß keine konsistenten Theorien entwickeln und sich insbesondere nicht mit der Eigentumsordnung und deren Gewaltarsenal anlegen. Statt dessen bedient sie die Klaviatur des fundamentalen Vorteilsstrebens, das Feindbilder all dessen produziert, was als fremd, schwach und verdrängenswert ins Visier zu nehmen ist.

So absurd die rechte Kernbotschaft anmuten mag, ist sie doch geeignet, als Fanal des Aufbruchs wahrgenommen zu werden: Von Abstiegsängsten gequält und verunsichert oder bereits verarmt, entwürdigt und ohne Perspektive, kann dem Menschen in diesem Lande alles genommen werden, doch eines nicht: Der Stolz, ein Deutscher zu sein! Diese ideologische Volte erlaubt die sofortige Feindbildproduktion in Gestalt all jener, die sich als "undeutsch" identifizieren lassen. Das können geflohene Menschen, Muslime oder Juden, aber auch Kreise in Politik und Gesellschaft sein, die Fremden die Tür öffnen und eine Mischung der Kulturen befördern, nicht zuletzt aber auch Frauen, die sich dem patriarchalen Anspruch des weißen deutschen Mannes nicht unterordnen, wie auch all jene, die sich dem Schema der Geschlechterzuweisung und Verkehrsformen nicht fügen.

Wo die lebensgeschichtliche Erfahrung, abgehängt und mißachtet zu werden, nach einem als Befreiung empfundenen Ventil der aufgestauten Wut drängt, liefert die Rechte irrationale Antworten, es nämlich all jenen zu zeigen, die als vermeintliche Freßfeinde für das eigene Scheitern im erbitterten Konkurrenzkampf verantwortlich gemacht werden können. Daß dies in aller Regel Schwächere sind, ist dem Grundmuster nationalistischer und patriarchaler Selbstvergewisserung inhärent, das seine Stärke daraus zu gewinnen trachtet, für minderwertig befundene Menschen, Kulturen und Nationen zu verachten, zu diskreditieren, zu verfolgen oder gar zu vernichten. Im Land des ökonomischen Siegers zu leben und doch zu den Verlierern zu gehören wird auf diese Weise weit vor einer Analyse der Klassengesellschaft als Widerspruch entsorgt.

Diese Stoßrichtung der Rechten korrespondiert mit einer zunehmend repressiven Staatlichkeit, die den Übergang zu einem permanenten Ausnahmezustand als präventive Bekämpfung kommender Aufstände praktiziert. Während die Linke aufgrund ihrer Staats- und Gesellschaftskritik durchweg im Fokus behördlicher Verfolgung steht, gilt das nicht gleichermaßen für die Rechte, die aus Perspektive wesentlicher Fraktionen von Kapital und Staatsapparat eine Option bleibt, derer man sich im Krisenfall bedienen könnte. Die bürgerliche Gesellschaft hat Ton und Gangart derart verschärft, daß sie tendentiell zu einem Steigbügelhalter der aufstrebenden Rechten geworden ist. Vom positiven Patriotismus über Thilo Sarrazin bis hin zu den schärfsten Polizeigesetzen seit dem NS-Staat wurde eine ideologische und administrative Schneise der Verwüstung durch demokratische Übereinkünfte geschlagen. Während die Bevölkerung auf den starken Staat nach außen und innen eingeschworen wurde, traten wachsende Teile derselben auf den Plan, um als angebliches Volk dem Establishment zu drohen und Jagd auf Minderheiten zu machen, in letzter Konsequenz die Machtübernahme anzustreben.


Buchcover 'Die neuen Gesichter des Faschismus' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick


"Die neuen Gesichter des Faschismus"

Im Rahmen der 24. Linken Literaturmesse in Nürnberg stellte Paul B. Kleiser das von ihm übersetzte Buch Enzo Traversos "Die neuen Gesichter des Faschismus - Postfaschismus, Indentitätspolitik, Antisemitismus und Islamophobie. Gespräche mit Régis Meyran" [1] vor, das 2019 im Neuen ISP Verlag erschienen ist. Der italienische Historiker und Journalist Traverso war Professor für Politische Wissenschaften an der Universität Amiens, lebt und arbeitet seit den 1980er Jahren in Paris und unterrichtet derzeit als Professor für Politische Wissenschaften und Zeitgeschichte an der Cornell University in Ithaka, New York. Der Autor zentraler Werke über Auschwitz und Moderne, Exil, die Intellektuellen und den Holocaust sowie über Paul Celan, Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, Siegfried Kracauer u. a. ist zugleich Mitarbeiter im Verlags-Kollektiv la fabrique. Er war Mitglied der trotzkistischen Ligue communiste révolutionnaire (LCR) und Autor in deren Publikationen Rouge und Critique Communiste.

In Deutschland ist Enzo Traverso nicht nur durch seine aktuellen Werke bekannt, sondern auch durch seine Vorträge bei der jour fixe initiative berlin (1998-2005), auf deren Veranstaltungen neuere Thesen vor dem Hintergrund der Fragestellung nach der Bedeutung von Auschwitz für eine Gesellschaftskritik heute öffentlich diskutiert werden. Im Sommersemester 2009 war Enzo Traverso Gastdozent am Frankreich-Zentrum der FU Berlin. Er ist ein Hausautor des Neuen ISP Verlags, der bereits das vierte Buch von ihm herausgibt. Seine Werke sind inzwischen alle ins Deutsche übersetzt und zum Teil auch bei großen Verlagen wie Siedler und in Italien bei Feltrinelli erschienen. "Die neuen Gesichter des Faschismus" ist bereits in 16 Sprachen erschienen, was die Bedeutung dieser Thematik unterstreicht. Die deutsche Ausgabe enthält einen Beitrag von Stephan Lessenich, Professor für Soziologie an der Universität München, zum Thema AfD.


Stehend mit dem Buch in der Hand - Foto: © 2019 by Schattenblick

Paul B. Kleiser
Foto: © 2019 by Schattenblick


Strukturmerkmale des Postfaschismus

Traverso befaßt sich im vorliegenden Buch mit den Strukturmerkmalen des Postfaschismus: Was zeichnet ihn aus und was unterscheidet ihn vom klassischen Faschismus? In vier großen Kapiteln wird dies vor allem in Hinblick auf politische Kultur untersucht, wobei der Autor das Thema aus einer internationalistischen Perspektive bearbeitet und auf die Entwicklungen in wesentlichen kapitalistischen Ländern eingeht.

Bei der Untersuchung des Postfaschismus legt Traverso dar, daß die Bewegungen der Neuen Rechten ihre Wurzeln im historischen Faschismus oder Nationalsozialismus haben. Er geht dabei vom italienischen Faschismus aus und begründet die Auffassung, daß eine bestimmte historische Erbschaft in mehrerlei Richtung sichtbar ist, wie etwa bei den aktuellen Führungsgestalten, wenn man deren Familiengeschichte daraufhin prüft. Vor allem aber im ideologischen Gepäck, das eine modernisierte und aktualisierte Version dessen ist, was die klassischen faschistischen Bewegungen vertraten. Im deutschen Raum stößt man beispielsweise im Stammbaum Björn Höckes auf Vorfahren, die ebenfalls in dieser Gesinnung zu Hause waren. Das ist natürlich keine unbedingte Voraussetzung, aber keineswegs die Ausnahme, so Kleiser.

Der zweite Komplex Identitätspolitik ist heute in Deutschland noch wichtiger, da die Bewegungen der Neuen Rechten in hohem Maße auf den Begriff des Volkes rekurrieren, das durch "Umvolkung" gefährdet sei. Berücksichtigt man, welche Völkerschaften in den letzten 2000 Jahren durch Europa gezogen sind, ist die Vorstellung, es gäbe ein deutsches Volk im Sinne einer ethnischen Reinheit und Identität, völlig absurd. Davon abgesehen leben heute in einer Großstadt wie München 40 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund. Würde man sie wegschicken, bräche alles zusammen. Diese Identitätspolitik ist eine idealistische Konstruktion im philosophischen Sinne, weil die materiellen Bedingungen vom Gegenteil zeugen. Es handelt sich im Grunde um eine Art Gefühlspolitik, und wer ihr nicht folgen kann, wird als entwurzelt und undeutsch diskreditiert, so der Referent. Er berichtete zur Veranschaulichung von einer Auseinandersetzung, die er als 19jähriger mit Martin Mußgnug, dem langjährigen NPD-Vorsitzenden, hatte, dessen Identitätspolitik er heftig mit dem Argument widersprach, sie habe mit der konkreten Wirklichkeit nichts zu tun, worauf ihn Mußgnug als "entwurzelt" beschimpfte. In jüngerer Zeit hatte er eine ähnlich gelagerte Kontroverse mit einer Frau von Pegida, deren Sohn danebenstand. Sie erklärte ihm, daß es um das Land besser stünde, wenn alle Ausländer weg wären. Daraufhin fragte er sie: Glauben Sie wirklich, daß Sie je einen Euro mehr in der Tasche hätten, wenn es hier keine Migrantinnen und Migranten mehr gäbe? Daraufhin sagte ihr Sohn mangels Gegenargumenten zu ihm: "Du Arschloch!"

Der dritte Themenkomplex betrifft den Antisemitismus. Geht es um deutsche Identität, ist damit eine Bestimmung des Feindes, des Auszuschließenden verbunden. Im Regelfall ist das der Jude. Das zeigt sich auch bei der AfD, sobald man etwas genauer nachfaßt. Daß der Mörder von Halle einen Überfall auf eine Synagoge geplant hat, weist eine klare Traditionslinie aus und die Verbindung zu bestimmten Teilen der AfD ist deutlich. Wenn schon das Deutschtum nicht positiv bestimmt werden kann, weil jede fundierte Analyse zum Schluß führt, daß wir alle Mischlinge sind, braucht man jemanden, gegen den man sich abgrenzt, und das ist klassischerweise der Jude, der aus Sicht der Rechten doppeldeutig bezichtigt wird. Er gilt aus dieser ideologischen Perspektive einerseits als Untermensch und beherrscht andererseits angeblich die Welt. Der Widerspruch zwischen einer als minderwertig diskreditierten Rasse und deren Kapital etwa in Gestalt eines George Soros, das angeblich die Weltherrschaft anstrebt, bleibt zwangsläufig unauflösbar. Angesichts der deutschen Geschichte müssen die Rechten allerdings etwas vorsichtig mit derartigen Aussagen sein, da einige strafbewehrt sind, so Kleiser.

Vom Antisemitismus gibt es einen gleitenden Übergang zur Islamophobie. Weil heute viel weniger Juden in Deutschland leben als im frühen NS-Staat, der zudem auf die armen Juden im polnischen Ghetto abheben konnte, nimmt die Rechte heute auch andere arme Leute aufs Korn. Das sind in der Regel Menschen aus islamischen Ländern - Türken, Kurden und insbesondere Araber, die mit Islam identifiziert werden. Dabei nimmt ein Rechter nicht wahr, daß es nur Islame gibt, aber keinen geschlossenen Islam. Das gilt im übrigen auch für das Christentum, in dem es Hunderte verschiedene Strömungen, Bewegungen und Gruppen gibt, von relativ weit links wie die Befreiungstheologie bis weit rechts. Ebenso im Islam, in dem alle sozialen Bewegungen bis hin zum Feminismus vertreten sind. Für die Rechten gibt es dennoch "den" Islam, weil sie ein Feindbild brauchen. Islamophobie ist heute eine Grundkonstante aller postfaschistischen Bewegungen in Europa, so der Referent.


Paul B. Kleiser stehend beim Vortrag - Foto: © 2019 by Schattenblick

Argumente gegen identitäre Feindbilder
Foto: © 2019 by Schattenblick


Neue Rechte - Sumpfpflanze des Neoliberalismus

Die historischen Gruppierungen des Faschismus sind in Zeiten revolutionärer Bewegungen entstanden und gewachsen. In München während der Revolution 1918/19, in Italien gegen die großen Streiks vor allem in Mailand und Turin. Der Zusammenhang mit den Kämpfen der Arbeiterbewegung ist von wesentlicher Bedeutung und wird von Enzo Traverso an mehreren Stellen des Buches herausgearbeitet. Die Rechte hat insofern ein ambivalentes Verhältnis zum Kapitalismus, als sie ihn grundsätzlich befürwortet, aber glaubt, daß das Kapital teilweise in falschen Händen sei. Das ist die Logik des Kleinbürgertums, das kapitalistische Mechanismen in der Gesellschaft favorisiert, aber zugleich beklagt, nicht selber dazuzugehören. Neben besonders harten Varianten der Rechten wie der Goldenen Morgenröte in Griechenland gibt es andere Strömungen, die in kleinbürgerliche Milieus einzudringen versuchen wie der Front National in Frankreich, die Lega in Italien und andere Gruppierungen in skandinavischen Ländern oder den Niederlanden und in Belgien. So läßt sich ein spezifisches Muster identifizieren, das man allerdings nicht zu eng fassen darf, da sich Geschichte nicht wiederholt. Es gibt jedoch historische Parallelen, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Bewegungen der Neuen Rechten Sumpfpflanzen des Neoliberalismus sind. In früheren Zeiten existierte eine tief verankerte Staatsgläubigkeit in weiten Teilen der Bevölkerung. Das hat sich insofern geändert, als heute schon eine Partei, die Eingriffe zum Schutz der Ökosphäre verlangt, weithin als Verbotspartei apostrophiert wird.

Dagegen werden radikale Maßnahmen des Marktes vorgetragen. Ein Beispiel: Die AfD fordert einen Mehrwertsteuersatz von 12 Prozent, was einst der Eingangssatz war. Würde das realisiert, betrügen die Steuerausfälle 86 Milliarden Euro. Der Zuschuß aus dem Haushalt für Arbeit und Soziales zur Rentenversicherung beträgt fast 100 Milliarden Euro. Verrechnet man die beiden Posten miteinander, würde das zu Rentenkürzungen von 30 Prozent führen. Darauf laufen die Forderungen der AfD hinaus, für die man sie beim Wort nehmen müßte. Man erkennt die Logik des Kleinunternehmers, der die Sozialabgaben und die Steuerbelastung für zu hoch hält und den Staat für parasitär erklärt.


Rechte Bewegungen sind Männerbünde

Als ein weiteres soziokulturelles Phänomen ist hervorzuheben, daß faschistische Strömungen immer Männerbewegungen sind. Der Machismo hat klare Vorstellungen, wie die Arbeitsteilung der Geschlechter aussehen muß. Die Frauen sollen in die traditionellen Betätigungsfelder zurückgedrängt werden, also insbesondere in die Reproduktion an Heim und Herd. Es gibt zwar einzelne Frauen, die in rechten Bewegungen eine Rolle spielen, aber die angeblichen Männer der Tat dominieren klar. Die klassischen faschistischen Bewegungen sind als Kampfgruppen gegen die Revolutionen nach dem Ersten Weltkrieg entstanden, während die Neue Rechte als Kampfbewegung gegen die neuen sozialen Bewegungen auftritt. Es ist daher kein Zufall, daß die AfD den menschengemachten Klimawandel leugnet, weil sie aus ihrer Ideologie heraus das Thema Ökologie ausgrenzt und ihren Gegnern zuschreibt. Frauenbewegung, Ökologie und Friedensbewegung sind Feindbilder der männerbündischen Neuen Rechten. Programmatische Komponenten des Postfaschismus wirken in die Gesellschaft hinein und docken an den dort verankerten autoritären Werten an, so Kleiser.


Paul B. Kleiser liest aus dem Buch vor - Foto: © 2019 by Schattenblick

Wider den patriarchalen Impetus ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


Ist Trump ein Faschist?

Im Buch enthalten ist auch eine Diskussion um die Frage, ob Trump ein Faschist sei. Man könne seinen Wahlsieg als Zeichen einer transatlantischen neokonservativen Welle deuten, da er die politische Achse der Welt nach rechts verschiebt und die Konsequenzen auf Weltebene beträchtlich sind, besonders in Europa. Vor den Wahlen wurde ein Sieg Hillary Clintons von den Medien als unvermeidlich angesehen, was das Ergebnis zu einem tiefen Trauma gemacht hat. Was die Medien nicht vorgesehen haben, war der massive Rückgang der Stimmen für die Demokraten. Man kann von einer Faschisierung der USA sprechen, da das politische Establishment zurückgewiesen wird und sich Menschen und Institutionen von dem Präsidenten vorführen lassen. Allerdings sind viele Analysen, die Trump als Faschisten bezeichnen, insofern oberflächlich, als sie dies aus seinen Charakterzügen ableiten, die eine gewisse Ähnlichkeit mit jenen von Führern des klassischen Faschismus aufweisen. Er zeigt sich als Mann der Tat und nicht des Denkens, stellt seine Männlichkeit auf vulgäre und aggressive Weise zur Schau. Er ist intolerant gegenüber jeglicher Kritik. Er macht aus Rassismus und Fremdenfeindlichkeit eine Waffe der Propaganda und schlägt vor, Muslime und Latinos auszuweisen. Er lobt die Polizei, wenn Polizisten Afroamerikaner töten, und behauptet, daß Barack Obama aufgrund seiner Herkunft kein wahrer Amerikaner sein könne. Er bringt den Chauvinismus seiner Wählerschaft in Schwingung und stellt sich als Verteidiger der einfachen Bevölkerung dar, die von der Deindustrialisierung des Landes und der Wirtschaftskrise betroffen sind, die seit 2008 die soziale Ungleichheit weiter verschärft haben. Er setzt seine Demagogie ein, um einen Gegensatz zwischen den gewöhnlichen Amerikanern und dem korrupten politischen System von Washington aufzubauen, führt Traverso aus.

Es handelt sich seines Erachtens um faschisierende Züge, doch könne man den Faschismus nicht auf die Persönlichkeit eines politischen Führers reduzieren. Hinter Trump steht keine faschistische Bewegung, er war Star einer Fernsehsendung, so daß man ihn eher mit Berlusconi als mit Mussolini vergleichen kann. Er ist als Kandidat der Republikaner angetreten, die einen Eckpfeiler des Establishments darstellen, und war sehr viel erfolgreicher in der Schädigung der GOP als im Aufbau einer faschistischen Bewegung. Er war in der Lage, die Krise der Identität und den Verlust ideologischer Bezüge in der Republikanischen Partei seit Ende der Ära George W. Bushs auszunutzen. Auf politischer Ebene steht er für eine autoritäre Wende, auf sozioökonomischer zeigt er einen gewissen Eklektizismus, da er gleichzeitig protektionistisch und neoliberal agiert. Die klassischen Faschismen waren nicht neoliberal, sie waren etatistisch und imperialistisch und verfolgten eine Politik der militärischen Expansion, so die Einschätzung Enzo Traversos.

Dazu bliebe abschließend anzumerken, daß von einem Ende der linken Geschichte ebenso wenig wie von jener der Rechten die Rede sein kann. Was den rechten Vormarsch in vielen Ländern Europas und den USA betrifft, tut sich die Linke bisweilen schwer mit einer präzisen Identifizierung und griffigen Erklärung dieses durchaus vielgestaltigen Phänomens. Offensichtlich besteht Diskussionsbedarf und dies sowohl im theoretischen Zugang als auch in Handlungskonsequenzen der politischen Praxis und Bündnispolitik.


Fußnote:


[1] Enzo Traverso: Die neuen Gesichter des Faschismus. Postfaschismus, Indentitätspolitik, Antisemitismus und Islamophobie. Gespräche mit Régis Meyran, Neuer ISP Verlag Köln 2019, 136 Seiten, 14,80 EUR, ISBN 978-3-89900-153-2


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14. November 2019


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