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BERICHT/078: Linke Buchtage Berlin - der gleiche Kampf noch immer ... (SB)


Both left critiques of identity politics, and feminist and queer critiques of rigid conceptions of gender and sexual identities, have made many of us reluctant to claim identity as powerful. Of course identity has to be understood as changing, and rigid definitions of racial, sexual, gender, or class identities have to be taken apart. But at the same time we can't deny that the gay and lesbian left, and many other social movements, have gained power precisely from their continual reworking of identity. The gay and lesbian left did the exact opposite of claiming one single identity as most important, or as isolated from structures of race or gender or class. They redefined gay and lesbian identities, over and over again, through solidarity with other causes.
Transnational Solidarity on the Gay and Lesbian Left: An Interview With Emily Hobson[1]


Was spricht eigentlich gegen die Auflösung geschlechtlicher Identitäten bis zum Fluchtpunkt des völligen Verschwindens sozialer Kategorien und Sortierungen zugunsten der Befreiung von jeglicher Fremdbestimmung? Nach Lage der Kämpfe, die Menschen in dieser Gesellschaft führen müssen, wenn sie sich nicht im binären Geschlechterkonstrukt einfinden wollen, umfaßt dieser Befreiungsakt weit mehr als die bloße Erweiterung des sozialen Geschlechtes um Farben und Schattierungen aller Art. Geschlechterpolitiken, die sich in diese Richtung öffnen, greifen tief in die etablierten Gewißheiten administrativer Verfügungsgewalt und kapitalistischer Klassenordnung ein. Menschen werden über das ihnen zugewiesene Geschlecht auf vielerlei Weise beherrschbar gemacht, zudem fungieren die Rituale heterosexueller Beziehungen als wesentliches Kompensationsmittel gesellschaftlicher Widersprüche, wie die große Bedeutung des Themas in Kulturindustrie und Unterhaltungskonsum belegt.

Es paßt ins Bild des restaurativen Rollback zum 50. Jahrestag der 68er-Bewegung, der nicht zuletzt die Auflösung repressiver Sexualnormen nachgesagt wird, daß Gender als Oberbegriff für soziale Geschlechterverhältnisse auch in bürgerlichen Medien in Verruf geraten ist. Diente die Reduzierung der 68er auf kulturelle Liberalisierungsprozesse bereits der Negation ihres sozialrevolutionären Potentials, so steht nach der weitgehenden Diffamierung linksradikaler Gegenpositionen, wie zuletzt am Beispiel der G20-Proteste in Hamburg vorexerziert, die Demontage auch dieser Errungenschaften auf der Agenda rechtsbürgerlicher und neofaschistischer Kreise. Dies um so mehr, als die Hinwendung der meist noch in ungebrochener Autorität patriarchaler und kleinfamiliärer Strukturen aufgewachsenen 68er zu neuen Formen kollektiven Lebens und sexueller Beziehungen nicht nur, wie heute gerne plakativ behauptet, zur Steigerung des Lustgewinns diente.

Die schließlich in der Kommunebewegung der 70er Jahre erprobten Praktiken gemeinschaftlichen Lebens und Arbeitens richteten sich häufig explizit gegen die Zementierung autoritärer und repressiver Strukturen durch die gesellschaftliche Reproduktion in Kleinfamilie, Ehe und heterosexueller Zweierbeziehung. Die zur revolutionären Überwindung kapitalistischer und potentiell faschistischer Herrschaft gestellte Eigentumsfrage fand Anwendung auf das private Leben. Wer auf Sozialismus und Kommunismus nicht warten wollte und sich an autonomen Strukturen kollektiven Lebens und Arbeitens versuchte, kam an der Kritik der Kleinfamilie als zentrales Institut der Vermittlung klassengesellschaftlicher Strukturen und der Unterwerfung unter die daraus hervorgehenden Zwänge und Widersprüche nicht vorbei. Die zweigeschlechtliche Ehe - eine andere gab es zu Beginn erster Liberalisierungschritte bis dahin kriminalisierter Homosexualität noch nicht - sollte als Keimzelle biologischer Reproduktion auch in der BRD für stetigen Nachschub an ArbeiterInnen und Soldaten sorgen.

Parallel dazu formierte sich die zweite Frauenbewegung, die den Kampf gegen das Patriarchat häufig mit linksradikalen Aktionsformen und dementsprechender Theoriebildung führte. Der Kampf gegen das Abtreibungsverbot und für allgemeine Gleichstellung in Gesellschaft und Beruf fand starken Widerhall auch in bürgerlichen Frauenkreisen, wie die Karriere des abwertend gemeinten Wortes von der "Emanze" zum vielverwendeten Standard reflexhafter Abwehr feministischer Forderungen belegt. Wie nie in der Geschichte des Patriarchats sahen sich die vermeintlichen Herren der Schöpfung in den Ansprüchen und Praktiken ihrer Männlichkeit in Frage gestellt. Sie griffen zu polemischen Klischees von der angeblichen Lustfeindlichkeit der Feministinnen, die ihren Körper unabhängig von seiner biologistischen Instrumentalisierung zu entdecken begannen und mit dem analog zum schwulen Outing selbstbewußten Auftreten lesbischer Paare die dadurch um so mehr in Frage gestellte Herrschaft männlicher Sexualität über den weiblichen Körper angriffen.

Die heutige Ausdifferenzierung feministischer Bewegungen wie die Auflösung des binären Geschlechtermodells in die längst nicht abgeschlossene Vielfalt sich als lesbisch, schwul, bi, transgeschlechtlich, transgender, intergeschlechtlich und queer begreifender Menschen wäre ohne die damals noch stark an die linke Bewegung angelehnte Kritik herrschender Geschlechterpolitiken wohl kaum vorstellbar. Die Frage, warum es nicht über alle Maßen erstrebenswert sein sollte, sich über die Not Hunderttausender Menschen in der Bundesrepublik, denen das ihnen verordnete Geschlecht stets fremd geblieben ist, hinaus schon der persönlichen Autonomie zuliebe von jeglicher am biologischen Geschlecht orientierten Zuschreibung zu befreien stellt sich vielen Menschen nicht einmal. Ihnen ist die heterosexuelle Norm und kleinfamiliäre Ordnung nicht nur zentrales, tief in Kultur und Gesellschaft eingegrabenes Orientativ, wie die meist unhinterfragt vollzogene Pflicht zur biologischen Reproduktion und deren Aufladung mit hochgradig emotional besetzten Prozessen der Sinnstiftung und Identitätsbildung belegt. Tradierte Zweigeschlechtlichkeit fungiert auch als Katalysator patriarchal begründeter Eigentumsansprüche und Machtpositionen, die aufzugeben den dadurch privilegierten Personen nicht in den Sinn käme.

Die demgegenüber - im Wortsinn - reaktionäre Position in Frage gestellter Männlichkeit begreift diese Entwicklung, sei es in ihrer neoliberal instrumentalisierten Paßform flexibler und vielseitig verwertbarer Subjektivität, sei es als linksradikale Konsequenz herrschaftskritischen Denkens, zu Recht als Bedrohung maskuliner Dominanz. Während der enge, individualistische Fokus Erfahrungen von Demütigung und Zurückweisungen durch Frauen mit bis zu tätlicher Gewalt reichenden Aggressionsakten quittiert, wird mit der Herrschaft des Patriarchats weit mehr in Frage gestellt als eine auf Frauen als Geschlechtspartnerinnen bezogene Männlichkeit, die sich heterosexuell zu bewähren hat, um im sozialen Umfeld nicht Anlaß zu Spekulationen über die sexuelle Orientierung zu geben.

In der linken Bewegung ist die Kritik am Patriarchat weitgehend verstummt, doch das heißt nicht, daß sie nicht relevant wäre. Nach wie vor sind Kapitalismus, Rassismus, Ethnozentrismus, Nationalismus, Kolonialismus, Tier- und Naturausbeutung wesentliche Faktoren patriarchalen Denkens, was heißt, daß es auch von Frauen reproduziert werden kann. Die verschiedenen Strömungen des Feminismus als auch die in den Gender Studies vorangetriebene Auflösung heteronormativer Identitäten stellen mithin einen Angriff auf diverse Imperative von Ausbeutung und Unterdrückung dar. Von diesen können auch Männer betroffen sein, zumal wenn sie den ihnen aufoktroyierten Rollenstereotypien nicht gerecht werden.

1991 verfaßte die US-amerikanische Feministin Susan Faludi mit "Backlash: The Undeclared War Against American Women" ("Backlash. Die Männer schlagen zurück") eine Streitschrift, in der sie die Rückschritte im gesellschaftlichen Umgang mit dem Feminismus beschrieb und kritisierte. Diese Entwicklung hat inzwischen analog zum Vormarsch der neuen Rechten erheblich an Tempo und Dynamik gewonnen. Das war auch Thema auf den Linken Literaturtagen Berlin, wo am 3. Juni der dieses Jahr erschienene Sammelband "Antifeminismus in Bewegung" vorgestellt wurde.


Streitschrift zur Verteidigung erkämpfter Fortschritte

Das Buch war, wie Mitherausgeberin Juliane Lang erklärte, notwendig geworden, weil zu der seit 2006 in der extremen Rechten wie in bürgerlichen Medien laufenden Kampagne gegen Gender zwar zahlreiche Expertisen zu den einzelnen Akteursspektren verfaßt wurden, es aber nur wenige Publikationen gegeben habe, die die Abhandlungen zum Maskulismus, zu fundamentalistischen Männerrechtlern oder der sogenannten Lebensschutzbewegung in den jeweiligen journalistischen, wissenschaftlichen, antifaschistischen oder intersektionalitätstheoretischen Blickwinkeln zusammengedacht hätten. 18 AutorInnen haben in 13 Beiträgen die von Mitherausgeber Ulrich Peters und ihr verfolgte Absicht, die Akteursgruppen des organisierten Antifeminismus und die von ihnen bespielten Öffentlichkeitsfelder aus den Perspektiven der verschiedenen ExpertInnen zu analysieren, realisiert und damit auch die Grundlage für die Debatte um Strategien im Umgang mit dieser chauvinistischen Herausforderung geschaffen.

Bei der Buchpräsentation im Kreuzberger Mehringhof erklärte Juliane Lang eingangs, daß sich der titelgebende Begriff des Antifeminismus nur bedingt direkt auf feministische Theorie und Politik beziehe, sondern vor allem die von rechts betriebene Offensive gegen die Erweiterung geschlechtlicher und familialer Lebensformen und die daraus resultierende Vielfalt an Möglichkeiten geschlechtlicher und sexueller Identität im Blick habe. Was in dem Buch als organisierter Antifeminismus charakterisiert wird, folgt einer eigenen geschlechterpolitischen Agenda und produziert sein Feindbild durchaus in eigener Regie. Die dem Feminismus unterstellte Deutungshoheit gehe möglicherweise gar nicht auf das Tun von FeministInnen zurück, sondern darauf, was Antifeministen behaupten, wofür Feminismus stehe.

Mit dieser gegen Feminismus und Gender gerichteten Doktrin sei die Rechte allemal anschlußfähig für konservativen Journalismus von FAZ bis Spiegel. Dabei seien die Angriffe gegen Gender deutlich älter als AfD und Pegida. Die extreme Rechte habe sich ausdifferenziert und verstehe es besser als zuvor, sich auf der politischen Bühne zu inszenieren.

Die Wiener Literatur- und Politikwissenschaftlerin Judith Goetz, die für den Beitrag "'Vergemeinschaftet durch das Abverlangen von Standhalten und Beherrschung.' Männerbund, Mensur und Antifeminismus bei deutschnationalen Burschenschaften" verantwortlich zeichnet, erfüllt offenkundig das Feindbild des organisierten Antifeminismus in besonderer Weise. So wird sie auf einer einschlägig männerbündischen und rechtsextremen Seite mit eigenem Namenseintrag als "feministische Schwachsinnstheoretikerin" gebrandmarkt. Wie sie berichtet, ist an der Universität Wien die studentische Organisation der FPÖ sehr aktiv, das Fach der Genderwissenschaften zu diskreditieren und geschlechtergerechte Sprache in Uniseminaren unmöglich zu machen.

Das scheint dem allgemeinen gesellschaftlichen Klima in Österreich zu entsprechen, sitzt mit der FPÖ doch eine der deutschen AfD vergleichbare Partei im Parlament, die auf 26 Prozent der Stimmen kam und unter deren 51 Nationalratsabgeordneten sich 21 Burschenschaftler befinden. Die eher auf Linie der CSU denn CDU liegende ÖVP, die Kanzler Sebastian Kurz stellt, kam im Oktober 2017 auf einen Stimmenanteil von 31,5 Prozent, so daß die rechte Bundesregierung über eine solide Mehrheit verfügt. Um so schwerwiegender ist, daß sie eigens die "Besonderheit beider Geschlechter" im Regierungsprogramm hervorheben zu müssen meint: "Die Verschiedenheit von Mann und Frau zu kennen und anzuerkennen, ist ein Bestandteil menschlichen Lebens und damit unantastbar mit der Würde des Menschen verbunden."

Es liegt auf der Hand, daß Bewegungen und Wissenschaften, die dieser für unantastbar erachteten Norm zuwiderhandeln, der Wind scharf ins Gesicht weht. Judith Goetz verortet den Antifeminismus insbesondere in den in der österreichischen Politik seit jeher einflußreichen burschenschaftlichen Organisationen, die als reine Männerbünde keine Frauen aufnehmen und mit der Erziehung zu Härte und Stärke typisch maskuline Traditionen fortschreiben. Allerdings werde auch unter den KritikerInnen der Burschenschaften, die sie als Hort rechter bis rechtsradikaler Politik exponieren, nicht genug Aufmerksamkeit auf deren antifeministische Bestrebungen gerichtet. So seien Burschenschaftler stark daran beteiligt, gegen die Emanzipationsansprüche von Frauen mobil zu machen, was schon seit der ersten Frauenbewegung so sei. Sie opponierten nicht nur gegen das Wahl- und Arbeitsrecht von Frauen, sondern vor allem gegen ihren Zugang zu den Universitäten. Burschenschaftler seien stark daran beteiligt gewesen, Frauen das Klima an den Unis unerträglich machen und in einschlägigen Publikationen etwa über den "psychologischen Schwachsinn des Weibes" herzuziehen.

Dies sei natürlich auch der Wirksamkeit der jeweiligen Frauenbewegungen geschuldet gewesen, die sich mit ihren Emanzipationsansprüchen weitgehend durchsetzten. Im organisierten Antifeminismus erzeugte dies besonderen Legitimationsbedarf, zu dessen theoretischer Untermauerung sogenannte Männlichkeitstheoretiker die Theorie der männlichen Überlegenheit ausformulierten. Insbesondere die zweite Frauenbewegung der 1970er Jahre, die sich zu einer starken sozialen Bewegung formierte, löste in den traditionellen Männerbünden Legitimationskrisen aus. Während im Bereich katholischer und protestantischer studentischer Verbindungen Stimmen laut wurden, die deren Öffnung für Frauen forderten, reagierten die Burschenschaftler mit der Zementierung ihrer Strukturen. Im deutschnationalen und deutschvölkischen Spektrum sei es auch deshalb undenkbar gewesen, die Bünde für Frauen zu öffnen, weil Initiationsrituale wie die Mensur darauf abstellten, ihre Mitglieder auf besondere, als spezifisch männlich geltende Weise zu disziplinieren.

Je intensiver solche Traditionen gepflegt werden, desto stärker werde der männerbündische Charakter der Verbindungen betont und desto rigider sei das dort herrschende Geschlechterverhältnis bestimmt, so Goetz. Frauen wie Juden werde bei der Mensur die Satisfaktionsfähigkeit abgesprochen, denn sie seien nicht in der Lage, Ehre in sich zu tragen und zu verteidigen. Auch auf die dritte Welle der Frauenbewegungen, die sich vor allem um die geschlechterdekonstruktivistischen Theorien Judith Butlers und die Gender Studies formierte, nehmen Burschenschaftler explizit Bezug. Im Kampf gegen Gender fanden sie in der FPÖ-Politikerin Barbara Rosenkranz, die bei den Präsidentschaftswahlen in Österreich 2010 als deren Kandidatin antrat, eine starke Unterstützerin. Rosenkranz hatte 2008 in ihrem Buch "MenschInnen. Gender Mainstreaming - auf dem Weg zum geschlechtslosen Menschen" eine verschwörungstheoretische Polemik vorgelegt, deren wesentliche Thesen den Kerngehalt antifeministischer Auffassungen exemplarisch widerspiegeln. So werde die EU von geheim vorgehenden und gut organisierten Interessengruppen regelrecht unterwandert, die in der Tradition der marxistischen Linken und ihrer feministischen Ableger ständen und mit den Gender Studies die völlige Auslöschung des biologischen Geschlechts bezweckten. Die von Homosexuellen, Singles und Feministinnen begrüßte und propagierte Umerziehung zum neuen Menschen wirke bis in die Kinderstuben der Nation hinein und stoße die unverdorbene, einfachen Landbevölkerung, die sich nichts als ein traditionelles Familienleben wünsche, vor den Kopf.


Rechts und frauenfeindlich - was sonst

Vergleichbare Thesen fand der ebenfalls im Mehringhof anwesende Autor Kevin Culina bei der Zeitschrift Compact vor. Er ist in "Antifeminismus in Bewegung" mit dem Beitrag "Verschwörungsdenken, Antifeminismus, Antisemitismus. Die Zeitschrift Compact als antifeministisches Diskursorgan" vertreten. Er fußt auf Recherchen, die er zusammen mit Jonas Fedders, der "'Die Rockefellers und Rothschilds haben den Feminismus erfunden.' Einige Anmerkungen zum Verhältnis von Antifeminismus und Antisemitismus" zum Sammelband beigetragen hat, für ihr 2016 vorgelegtes Buch "Im Feindbild vereint. Zur Relevanz des Antisemitismus in der Querfront-Zeitschrift Compact" erarbeitet hat. Auch in dieser Zeitschrift werde anhand verschiedener Verschwörungstheorien der Feminismus als mächtige Waffe der herrschenden geheimen Kräfte fantasiert, zudem seien sie bei der Recherche immer wieder auf frauenverachtende und homophobe Pamphlete gestoßen.

Als Beispiel für die Verzahnung von antisemitischem Denken und Antifeminismus nannte Culina die in Compact vertretene Ansicht, Feminismus, Gender- und Gleichstellungspolitik seien widernatürliche Konzepte, die als künstlicher Angriff auf die natürliche Ordnung der Gesellschaft nicht dieser entspringe, sondern von außen initiiert werde. Der Vorstellung, die heterosexuelle Familie bilde die natürliche Ordnung und Basis der Gesellschaft, wohingegen davon abweichende Lebensformen als "künstlich" und "pervers" diffamiert werden, liege ein völkischer Naturbegriff zugrunde, dem das Jüdische als das künstliche Äußere und die Gesellschaft Zersetzende gegenübergestellt werde. Diese angeblich von einer kleinen Elite ausgehende Weltverschwörung sei auch ein zentraler Aspekt im Antifeminismus, der damit strukturell für den Antisemitismus anschlußfähig sei.

Zudem werde in Compact zum Kampf gegen die sogenannte Frühsexualisierung aufgerufen. Deren VerfechterInnen nähmen destruktiven Einfluß auf die Unschuld Jugendlicher und gefährdeten durch die Auflösung der heterosexuellen Norm die Zukunft des Volkes. Das angebliche Ziel einer hypersexualisierten Gesellschaft, die keine natürlichen Empfindungen mehr habe und daher um so einfacher beherrschbar sei, gelte es zu bekämpfen, lautet eine der in Compact vertretenen Ansichten. Geschlechterpolitische Gleichstellung sei von Übel, so wird in verschiedenen Ausgaben der Zeitschrift behauptet, weil Pädophilie, Inzest, Polyamorie und Zoophilie, also Sex mit Tieren, durch die nicht mehr erfolgende Diskriminierung von der heterosexuellen Norm abweichender sexueller Orientierungen und Praktiken um sich zu greifen drohten. Wenn derartige Fantasien ungehemmter Männlichkeit auch noch in die These von einer kontrollierten Sexualität unter heimischen Männern mündet, deren von Schwulen und anderen NormabweichlerInnen in Frage gestellte Stärke quasi das Fortleben der Gesellschaft garantiere, die zudem durch den angeblich ungehemmten und unzivilisierten Sexualtrieb orientalischer Migranten zersetzt werde, dann wird auch systematisch negiert, daß Gewalt gegen Frauen nach wie vor in erster Linie in Ehe und heterosexueller Zweierbeziehung stattfindet.

Geschlecht sei das Kampffeld, auf dem dem Menschen seine Natürlichkeit und seine Widerstandsfähigkeit genommen werde. Gerade darauf aber komme es in der apokalyptischen Weltlage dringend an - dergleichen und mehr vom schrillen Alarmismus, der den Ton in Compact vorgibt, kennzeichnet den Rechtsaußenkurs des Blattes. Viel davon stammt aus der Feder des Chefredakteurs, des einst antinational und antideutsch eingestellten Ex-Linken Jürgen Elsässer. Die von ihm propagierte Querfront zwischen links und rechts krankt allerdings daran, daß seine Ansichten schon seit Jahren so kompatibel mit AfD und Pegida sind, daß der linke Flügel dieses Bündnisses in der politischen Topographie bestenfalls am linken Rand der AfD angesiedelt sein könnte, wenn es denn so etwas gäbe. Wer sich linker Positionen der sozialen wie politischen Gleichheit, der Nichtdiskriminierung von Minderheiten, der Kritik an Kapitalismus, Rassismus, Militarismus, Staat und Patriarchat sicher ist, dürfte kaum darauf verfallen, in Compact und Elsässer etwas anderes als publizistische Exponenten der Neuen Rechten zu sehen. Eine Ideologiekritik, die es dennoch vermag, anhand vermeintlicher Gemeinsamkeiten wie etwa der Kritik an der NATO oder gegen internationales Recht verstoßender wie Bevölkerungen des Globalen Südens ausbeutender Politik EU-europäischer wie US-amerikanischer Herkunft ein reales Bündnis zwischen links und rechts auszumachen, muß schon sehr überspitzt argumentieren, um die prinzipielle Unvereinbarkeit linker und rechter Positionen zu negieren.


Selbstkritik und strategischer Ausblick

Juliane Lang, die die Buchpräsentation moderierte, bezeichnete es abschließend als Versäumnis der Linken, Geschlechterpolitik nicht in öffentliche Debatten transportiert zu haben. Der Genderbegriff sei lange Zeit im Elfenbeinturm der Universität eingesperrt gewesen, so die Pädagogin, die selbst Genderwissenschaften studiert hat und im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus aktiv ist. Aus dem Streben nach Anerkennung als ernstzunehmende Wissenschaft habe sich eine Sprache in den Gender Studies entwickelt, die außerhalb der an ihren Diskursen beteiligten Menschen kaum mehr verstanden werde. Indem versäumt wurde, sich auch auf der breiten gesellschaftlichen Ebene verständlich zu machen, sei der Containerbegriff Gender in die Hände rechter und antifeministischer Kreisen geraten. Als auf EU-Ebene Gender Mainstreaming eingeführt wurde, wußte kaum jemand, was sich dahinter verbirgt, so daß die Rechten relativ leichtes Spiel damit hatten, daraus ein Ungetüm zu zimmern, das den Menschen von oben aufgedrückt werde. Selbstkritisch gestand sie ein, daß die Gender Studies und die AktivistInnen, die sich gegen das binäre Geschlechterkonstrukt wenden, es nicht geschafft hätten, Geschlechtervielfalt als ein Mehr für alle zu vermitteln. So war es dem Antifeminismus ein leichtes zu suggerieren, "Genderideologie" oder "Genderwahn" wollten den Menschen verbieten so zu leben, wie sie schon immer gelebt haben.

Ein weiteres Versäumnis der Linken machte Juliane Lang im ungenügenden Zusammendenken von Antifaschismus und Feminismus aus. Heute tue sich viel in den verschiedenen Bündnissen, indem vermehrt feministische Theorie mit antifaschistischen Analysen kombiniert werde und das Interesse an Antifeminismus in der Rechten wie insgesamt an feministischen Themen neuerwacht sei. Das sei allerdings vor zehn Jahren noch ganz anders gewesen.

Judith Goetz ergänzte für Österreich, daß die feministische Szene dort sehr zerstritten war, sie inzwischen aber aufgrund massiver Angriffe von rechts versuche, das gemeinsame politische Interesse wieder vor trennende und zudem selbstreferenzielle Debatten zu stellen. Angesichts der bedrängten Lage der Linken insgesamt gehe es in Österreich heute mehr um die Aufrechterhaltung und Verteidigung des Status quo, als daß emanzipatorische Kämpfe nach vorne geführt würden. Vieles drehe sich darum, das Schlimmste zu verhindern, was in Anbetracht des großen Einflusses rechtsorientierter Kreise auf Staat und Gesellschaft in Österreich auch als Warnung für die nähere Zukunft in der Bundesrepublik verstanden werden kann.

Der Erfolg rechter Bewegungen und Parteien, den öffentlichen Diskurs zu besetzen, war auch in der anschließenden Diskussion immer wieder Thema. Juliane Lang erinnerte daran, daß die Rede von der angeblichen politischen Korrektheit tief im neurechten Hegemonialstreben verankert ist. So werde der emanzipatorische Versuch, zu einer geschlechtergerechten Sprache zu kommen und rassistische Stereotypien auch sprachlich zu vermeiden, als linker Dominanzanspruch ausgelegt, der dazu führe, daß die Menschen gar nicht mehr wüßten, wie sie sprechen sollten. Sie selbst versuche in der politischen Bildungsarbeit immer zu fragen, wie die einzelnen Menschen gerne sprechen oder angesprochen werden möchten, warum sie Kritik an rassistischen Begriffen übt und eine geschlechtergerechte Sprache praktiziert. Es gehe dabei nicht darum, irgendeiner ominösen Instanz gerecht zu werden, die einem vorschreibt, so oder so sprechen zu müssen, sondern darum, bewußt Position zu beziehen. Wenn jemand rassistisches Vokabular verwendet, dann sei es sinnvoll, sich klar zu machen, daß aufgrund dieser Entscheidung Menschen verletzt werden, und dafür auch die Verantwortung zu übernehmen.

Mit geschlechtergerechter Sprache solle auch keine neue Norm aufgestellt, sondern die Vielfalt unterschiedlicher Lebensweisen ermöglicht werden. Die feministische Debatte stehe in der Verantwortung, Inhalte so zu transportieren, daß es um ein Mehr an Möglichkeiten geht und nicht eine neue Antinorm gesetzt wird, wie immer wieder behauptet wird. Ihr selbst sei wichtig, die von ihr verwendeten Begriffe mit Inhalt zu füllen, anstatt sich mühsam neue Begriffe anzueignen. Einige KollegInnen in der Gleichstellungspolitik vermieden mittlerweile den Genderbegriff, weil sie damit auf so viele Widerstände stießen, daß sie gar nicht mehr zum eigentlichen Kern des Themas kämen. Juliane Lang hält das für problematisch, versteht aber auch, wenn andere Strategien gewählt werden.


Antifeminismus - eine globale Herausforderung

Schon zur Zeit der ersten Frauenbewegung mußten sich die Aktivistinnen wütender Angriffe in ihrer Dominanz in Frage gestellter Männer erwehren. Die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm prägte den Begriff 1902 mit ihrem Buch "Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung". Die Gegner der Frauenemanzipation hatten mobilgemacht und entsprechende Vereinigungen gegründet. Daß deren Mitglieder häufig völkisch-rassistisch wie antisemitisch dachten, hat die Historikerin Ute Planert untersucht und bestätigt. Der patriarchale Impetus auf Geschlechterverhältnisse abzielender Feindbilder findet seine Entsprechung nicht umsonst in politisch reaktionären Gesinnungen, werden Frauen doch auch und gerade unter faschistischen Bedingungen auf die Rolle der Ehefrau und Mutter reduziert, die dafür Sorge zu tragen hat, daß dem Rasseideal gemäßer Nachwuchs zur Welt gebracht und aufgezogen wird. Vereinigende Achse beider Doktrinen sind biologistische und naturalistische Ordnungsvorstellungen, deren konstitutive Unveränderbarkeit dem Anspruch auf weitestgehende individuelle Autonomie auf einander ausschließende Weise entgegensteht.

Wie Judith Goetz anmerkte, ist auch die antifeministische Einstellung des norwegischen Attentäters Anders Behring Breivik weitgehend der öffentlichen Aufmerksamkeit entgangen. Dabei reicht ein Blick in das 1500 Seiten umfassende, kurz vor dem Anschlag am 22. Juli 2011 per E-Mail verbreitete Dokument "2083: A European Declaration of Independence", um zu erkennen, daß neben dem sogenannten Kulturmarxismus der Feminismus sein ideologisch am gründlichsten ausgearbeitetes Feindbild darstellt. Die Prämissen und Postulate des rechtsradikalen Antifeminismus werden dort in derart konzentrierter wie umfassender Weise präsentiert, daß schon auffällig ist, wie wenig diesem Motiv des politischen Massenmörders Breivik, der auf der Insel Utoya 77 linke Jugendliche erschoß, in der anschließenden Analyse seiner Tat Rechnung getragen wurde.

Heute werden geschlechterpolitische Liberalisierungsschritte wie die Ehe für alle [2] oder die Möglichkeit einer dritten Option für Inter-Menschen [3] beim Eintrag ins Personenstandsregister nur mit großen Anstrengungen und, zumindest im zweiten Fall, erheblichen regulativen Einschränkungen gewährt. Daß dafür Bundesinnenminister Seehofer verantwortlich zeichnet, dessen Partei CSU sich 2016 ins Grundsatzprogramm geschrieben hat, sie lehne eine "Gesellschafts- und Bildungspolitik, die Gender-Ideologie und Frühsexualisierung folgt", ab, ohne diese Begriffe auch nur zu erklären, liegt auf einer Linie demonstrativer Feindseligkeit gegenüber allen nicht der eigenen "Leitkultur" entsprechenden Lebensentwürfen.

Wünschenswert wäre daher, den Fokus der Frage, was gegen die antifeministische Offensive zu tun sei, zu erweitern und über die westlichen Metropolengesellschaften hinaus die sozialen und feministischen Kämpfe im Globalen Süden zu begleiten. Nicht, daß es in der Bundesrepublik nicht genügend Widerstand gegen feministischen Aktivismus gibt, wie etwa die Kritik an der Me Too-Debatte aus dem Mund prominenter bürgerlicher Frauen zeigt [4]. Gerade weil dieser Streit so viele verschiedene Facetten und Dimensionen hat, kann der Blick auf die Nöte und Probleme von Frauen wie LGBTIQ-Menschen an den Zielorten neokolonialistischer Politik einen produktiven Schub auf Initiativen in den wohlhabenden Staaten Europas und Nordamerikas auslösen.

In der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems sind Frauen nicht nur aufgrund der ihnen aufgelasteten Zuständigkeit für die soziale Reproduktion, sondern auch ihrer Unterwerfung unter tradierte Geschlechterhierarchien seit jeher die hauptsächlichen Leidtragenden der eigenen oligarchen und patriarchalen Herrschaft wie einer kapitalistischen Landnahme und extraktivistischen Ressourcenausbeutung, deren Ursprung in den hochproduktiven Industriegesellschaften des Nordens liegt. Diese Auseinandersetzungen drehen sich häufig um existentielle Fragen und materialistische Gewaltverhältnisse von einer Brisanz, die mit dem Kriterium "lebensbedrohlich" angemessen umschrieben ist. Wenn es einen Anlaß gibt, den Ansatz der Intersektionalität mit streitbarem und widerständigem Leben zu erfüllen, dann könnte daraus auch für die hiesigen Kämpfe um Geschlechtergerechtigkeit ein hohes Ausmaß an Erkenntnisgewinn und Mobilisierungsfähigkeit erwachsen.


Fußnoten:

[1] Aus Viewpoint Magazine, Issue 6: Imperialism, 2018
https://www.viewpointmag.com/2018/02/01/transnational-solidarity-gay-lesbian-left-interview-emily-hobson/

"Die linke Kritik an Identitätspolitik wie die feministische und queere Kritik an rigiden Konzeptionen von Gender und Geschlechteridentitäten haben dazu geführt, daß viele damit zögern, Identität eine machtvolle Wirkung zuzugestehen. Natürlich muß Identität als im Wandel begriffen werden, und rigide Definitionen von Race-, Geschlecht-, Gender- oder Klassenidentität müssen auseinandergenommen werden. Zugleich aber können wir nicht negieren, daß die schwule und lesbische Linke als auch viele andere soziale Bewegungen gerade dadurch wirkungsvoll in Erscheinung getreten sind, daß sie Identität permanent neu konzipiert haben. Die schwule und lesbische Linke hat das exakte Gegenteil dessen getan, als die besondere Bedeutung einer singulären Identität zu betonen oder sie von race- oder gender- oder class-Strukturen zu isolieren. Sie veränderten die Definitionen schwuler und lesbischer Identität immer wieder aufs Neue, indem sie sich mit anderen Kämpfen solidarisch zeigten."

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1021.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1024.html

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1779.html


Berichte und Interviews zu den Linken Buchtagen Berlin 2018 im Schattenblick unter:
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22. Juli 2018


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