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BERICHT/037: Links, links, links - Unfrei, rechtsfrei, Knastbrei ... (1) (SB)


Die doppelt ummauerte Arbeitsgesellschaft

20. Linke Literaturmesse in Nürnberg


Wer in kapitalistischen Gesellschaften nicht über Produktionsmittel oder vererbtes Vermögen verfügt, ist genötigt, seine Arbeitskraft zu verkaufen. Die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen sind geschichtlich gewachsen, und bis heute hat die Eigentumsfrage nichts von ihrer explosiven Relevanz verloren. Ob Sklaven, Leibeigene, Proletarier, Ich-AG - wie Arbeitskraft verfügbar gemacht wird, reflektiert stets den Stand herrschaftlicher Entwicklung. In der liberalen Arbeitsgesellschaft wird der Zwang zum Verrichten von Lohnarbeit erfolgreich hinter dem Schirm einer Freiwilligkeit verborgen, die die Unterwerfung unter das Arbeitsregime nur scheinbar erträglicher macht. Die Bereitschaft, dagegen in organisierter Form aufzustehen, wurde durch die sozialdarwinistische Atomisierung der Lohnabhängigenklasse und das Versprechen der Sozialpartnerschsaft erheblich geschwächt. Widerstand gegen eine Klassenherrschaft, die unter spätkapitalistischen Bedingungen neofeudale Züge aufweist, wird nicht nur durch die Entpolitisierung und Entsolidarisierung der Lohnempfänger neutralisiert, sondern auch durch staatliche Repression unterdrückt.

Nach wie vor ist der Schutz des Privateigentums durch das staatliche Gewaltmonopol die zentrale Voraussetzung dafür, daß sich an den herrschenden Verhältnissen nicht nur nichts ändert, sondern die gesellschaftliche Polarisierung weltweit immer weiter zunimmt. Daß die Inhaftierung von Menschen, die gegen die Regeln dieser Eigentumsordnung verstoßen, nicht allein deren Schutz dient, sondern die Delinquenten auf die Erfordernisse der Arbeitsgesellschaft zugerichtet werden und dabei die Einkünfte des Staates mehren sollen, belegt die Arbeitspflicht in deutschen Justizvollzugsanstalten.

Zwischen der Verschleppung und Versklavung von Menschen und der Ausbeutung Gefangener waren die Übergänge stets fließend. So wurden Häftlinge in der Frühzeit des Manufakturwesens für den Dienst an den Maschinen herangezogen, galten sie doch ebenso wie in Arbeitshäusern eingesperrte Kinder als frei verfügbares "Humankapital", das sich gegen seine Einspeisung in den Produktionsprozeß nicht wehren konnte. In den Konzentrationslagern des NS-Regimes wurden Juden, andere verfolgte Minderheiten und Kriegsgefangene im Verbund von Großunternehmen und SS einer Form administrativ organisierter Zwangsarbeit unterworfen, die für Millionen nichts anderes als die programmatische Vernichtung durch Arbeit bedeutete.

Die legalistische Ausnutzung der Abhängigkeit, in der sich Gefängnisinsassen befinden, für die Herstellung von Verbrauchsgütern, die industrielle Teilfertigung oder das Ausführen von Dienstleistungsjobs bei einer Bezahlung weit unterhalb des Mindestlohnniveaus gehört bis heute zur deutschen Arbeitsrealität. In den USA hat die Verfügbarkeit billiger Knastarbeit einen großen Wirtschaftszweig geschaffen, der den Begriff des gefängnisindustriellen Komplexes auf ganz praktische Weise wahr werden läßt. Die Herstellungs- und Fertigungsstätten der bundesrepublikanischen JVA-Arbeitsverwaltung haben zwar nicht die Dimension einer Gesellschaft, in der staatliche Freiheitsberaubung und Justizaufsicht den Charakter präventiver Aufstandsbekämpfung angenommen haben. Doch da die Gefangenen nicht nur durch ökonomische Notwendigkeit, sondern auch die strukturelle Gewalt des Strafvollzugs zur Arbeit genötigt werden, leben sie auch hierzulande in doppelter Ummauerung.

Mit der Verklärung ihrer Ausbeutung zur Resozialisierungsmaßnahme wird ihnen der Arbeitnehmerstatus per Gesetz verweigert. Das hat für die Strafgefangenen zur Folge, daß sie weit unter die sozial- und arbeitsrechtlichen Standards fallen, keinen Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn haben, von der Sozialversicherungspflicht ausgenommen sind und weder über eine tarifliche Interessenvertretung noch ein Streikrecht verfügen. In den Medien werden die Haftanstalten als Brennpunkte sozialer Kämpfe und Konflikte weitgehend ausgeblendet. Um dieses System des staatlich sanktionierten Sozial- und Lohndumpings und der verlängerten Werkbank für das ortsnahe Gewerbe und die regionale Industrie zu durchbrechen, hat sich am 21. Mai 2014 die Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) [1] gegründet. Sie fordert Transparenz, Gewerkschaftsfreiheit und Anerkennung der hinter Gittern verrichteten Beschäftigung als Arbeit im Sinne des Grundgesetzes, damit die Knäste nicht länger als profitable Sonderwirtschaftszonen zwischen den Justizbehörden und externen Unternehmen verhandelt werden.

Zu den abschließenden Veranstaltungen auf der Linken Literaturmesse in Nürnberg gehörte die Vorstellung der Zeitschrift Outbreak. Als "Profil eines Gewerkschaftsblatts hinter Gittern" angekündigt entspann sich in der Veranstaltung ein Gespräch zwischen dem GG/BO-Aktivisten Thomas Brockmann, der die Zeitschrift vorstellte, und zwei ebenfalls vom Knast betroffenen Menschen im Publikum, die hier mit ihren Namensinitialien gekennzeichnet sind. Der Schattenblick hatte Gelegenheit, das Gespräch mit ergänzenden Fragen zu begleiten. Es soll an dieser Stelle in leicht bearbeiteter Form wiedergegeben werden, um einen authentischen Eindruck von den Zuständen in deutschen Knästen und der politischen Bedeutung eines rechtsstaatlich legitimierten Zwangssystems jenseits von Schuldzuweisung und Resozialisierungsrhetorik zu vermitteln.


Auf der Rosa Luxemburg Konferenz in Berlin - Foto: © 2016 by Schattenblick

Thomas Brockmann
Foto: © 2016 by Schattenblick

Thomas Brockmann (TB): Bis zum 5. August diesen Jahres habe ich noch in der JVA Dieburg in Hessen gesessen, war aber schon vorher Gefangenensprecher der GG/BO. Während meiner Haft hatte ich fast keine Repressalien erlebt, bis ich es wagte, in meiner Funktion als Bibliothekar den Drucker zu benutzen, um einen Antrag auf Mindestlohn zu stellen. Daraufhin ist mir vorgeworfen worden, ohne vorherige Erlaubnis ein Blatt Papier benutzt zu haben. Das war auch der offizielle Grund dafür, daß ich die Stelle in der Gefängnisbibliothek verloren habe. Mit dem gedruckten Inhalt hätte das nichts zu tun, wurde mir gesagt Nach meiner Entlassung habe ich mit dem Bundessprecher Oliver Rast abgesprochen, mich um das Bundesland Bayern zu kümmern, weil ich ohnehin dorthin ziehen wollte. Es frißt uns organisatorisch auf, daß nur vier, fünf Leute an unserer Initiative aktiv mitarbeiten, was für eine bundesweite Organisation natürlich viel zu wenig ist. Die Kapazitäten sind beschränkt, und das gilt auch in Berlin.

Ansatzpunkt für die gewerkschaftliche Tätigkeit für Gefangene ist, daß wir die Lebenssituation der Häftlinge ansonsten nicht verbessern können. Im Grunde leisten wir Kernthemen der Gewerkschaftsarbeit, wenn wir einen Mindestlohn für die Knastarbeit fordern. Denn wo steht im Gesetz zum Mindestlohn, daß Strafgefangene davon ausgenommen sind? Die Ausnahmen betreffen unter 18jährige und Langzeitarbeitslose, aber Strafgefangene werden in der Ausnahmeliste nicht aufgeführt. Die JVA stellt sich auf den Standpunkt, daß die Häftlinge zwar acht Stunden am Tag für sie buckeln dürfen, aber daß dies keine Arbeit im Sinne des Wortes sei, sondern Teil der Resozialisierung. Bayern beispielsweise hat 12.000 Gefangene, knapp die Hälfte von ihnen arbeiten. Aus dieser Arbeitstätigkeit hat das Land Bayern im Jahr 2014 44 Millionen Euro Reingewinn erwirtschaftet. Das heißt, 6000 Menschen schaffen in einem mittelständischen Unternehmen 44 Millionen Euro Profit, und das zu Arbeitsbedingungen, die völlig inakzeptabel sind.

Arbeitsschutz in Haftanstalten bedeutet, daß man je nach Tätigkeit manchmal Sicherheitsschuhe bekommt, aber nicht immer. Bevor ich in der JVA in die Bibliothek versetzt wurde, habe ich für einen Elektroschrott-Recycler gearbeitet. Bei älteren Geräten kommt man mit PCB-haltigen Kondensatoren und Quecksilber-Sicherungen in Kontakt. Daß man diese mit einem simplen Akku-Schrauber oder Hammer vom Gehäuse trennen muß, ist unverantwortlich. Hinzu kommen der aufgewirbelte Staub und Kontaminierungen beim Schrott.

Schattenblick (SB): Ist das Recycling eine typische Beschäftigung in Knästen?

TB: Nein, das geht hoch bis zu Produkten für die Autozulieferindustrie wie beispielsweise Airbags. Es werden jedoch auch Steckdosen, Leisten, selbst Gummibärchen gefertigt.

B.B.: Gerade bei der Lebensmittelproduktion ist das nicht unproblematisch. Ich würde niemandem raten, dort hergestellte Gummibärchen zu essen, denn im Knast werden keine Hygienevorschriften eingehalten.

TB: Unsere nächste Forderung betrifft die Rentenversicherungspflicht. In diesem Punkt haben die Justizministerien der Länder schon Gesprächsbereitschaft signalisiert. Es kann nicht sein, daß jemand, der mehrere Jahre seines Lebens hinter Gittern verbringen mußte, das später von der Rente nochmal als Geldstrafe abgezogen bekommt. Wenn man sich dazu öffentlich äußert, muß man damit rechnen, daß Entgegnungen kommen wie: Sie haben ja selbst schuld, weil sie etwas angestellt haben. Richtig ist, daß wir alle zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, zu einer Geldstrafe im Alter jedoch nicht. Daran kann ich auch nichts Resozialisierendes erkennen, denn wenn von der Armutsrente auch noch etwas abgeht, was folgt daraus? Ich muß mir irgendeinen Trick einfallen lassen, um irgendwie zu überleben, und damit werde ich in die Illegalität abgedrängt.

Daher suchen wir händeringend nach Unterstützern draußen. Ich möchte jeden bitten, sich zu engagieren, wenn er in der Nähe einer JVA wohnt - was in Bayern gar nicht so schwierig ist. Man braucht sich dazu nur die Landkarte anzuschauen. Die 16 oder 17 Knäste sind strategisch gut verteilt. Kein außenstehender Betrieb, der Auftragsarbeiten in den Knast vergibt, hat einen weiten Weg. Von daher überrascht es nicht, daß viele Schlossereien extern im Knast schweißen lassen, denn im Knast zahlen sie für eine Stunde nur 1,50 Euro statt 15 oder 16 Euro im eigenen Betrieb.

SB: Gibt es in den Gefängnissen Einschränkungen bei der Verteilung eures Magazins, das zweimal im Jahr erscheint?

TB: Jede Haftanstalt entscheidet für sich, ob unser Magazin die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdet. Somit ist die Aushändigung an die Gefangenen nicht gegeben. Hier in Bayern wird das sehr repressiv gehandhabt. So kann ich zum Beispiel mit der JVA Straubing und dem dortigen Sprecher nur über ein Bundestagsabgeordnetenbüro kommunizieren. Auch der Briefverkehr unterliegt der Zensur. Ich habe selber in Haft geöffnete Post von Bundestagsabgeordneten bekommen.

B.B.: Man hat auch keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Jeden Tag gibt es Zellenkontrollen, das heißt, du mußt aus deiner Zelle heraus, jemand kommt rein, durchsucht alles, bringt dein ganzes Zeug durcheinander und pflaumt dich dann noch an, weil du ein paar Socken zuviel hast. Du darfst im Gefängnis nämlich keine eigene Kleidung besitzen, alle Privilegien werden dir genommen. In den Knästen gibt es auch Schachgruppen, Gitarrenunterricht et cetera, aber wenn du bei der Gefangenengewerkschaft aktiv wirst, wird dir auch das genommen. Das ist nicht in jedem Knast so, aber in den meisten.

SB: Und wie wird das offiziell begründet?

B.B.: Das müssen sie nicht begründen. Es wird einfach als Disziplinarverfahren verkauft. Sie sagen, so etwas kann für innere Unruhe sorgen.

SB: Heißt das, daß die Gefängnisleitung eine Art Isolationshaft durchsetzen kann, ohne dafür als Behörde in irgendeiner Weise rechenschaftspflichtig zu sein?

TB: Ganz genau. Schon der Abteilungsleiter der einzelnen Station kann das anordnen, das muß nicht einmal vom Anstaltsleiter kommen. Weder eine Strafverfolgungsbehörde noch ein Gericht muß darin involviert sein. Dieser Totschlag-Paragraph in JVAs, daß ein bestimmtes Verhalten die Sicherheit und Ordnung gefährdet, deckt alles ab.

B.B.: Bei einem Disziplinarverfahren kann es einem passieren, daß man in den Bunker muß. Und das ist dann wirklich eine Isolationshaft und funktioniert so wie der tote Trakt, in den Terrorverdächtige müssen. Man kommt in eine Zelle ohne Fernsehen, mit nichts anderem außer einer Matte. Selbst beim Hofgang eine Stunde am Tag ist man allein. Der einzige Mensch, den man sieht, ist der Vollzugsbeamte, der dir das Essen bringt.

SB: Wie lange müssen Gefangene unter diesen Bedingungen im Bunker sitzen?

M.B.: Der Bunker geht bis 21 Tage, dann müssen ein paar Tage Pause sein. Zweimal 21 Tage ist die höchste Bunkerstrafe.

TB: Das gilt für Bayern. Obwohl man nach Bundesgesetzen verurteilt wird, unterliegt die Verbüßung der Haft dem Landesgesetz, und die können sehr unterschiedlich sein.

B.B.: Als ich in Bamberg saß, hat jemand zu fliehen versucht. Flucht ist in Deutschland nicht strafbar. Das weiß jeder von uns. Wenn du fliehst, ist das ein Instinkt, aber sie dürfen dich dafür gesetzlich nicht belangen. Und dennoch kam er eine Woche in den Bunker. Das ist rechtswidrig, aber man hat keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen, denn wenn du dich aktiv wehrst, kommst du in eine Beruhigungszelle, und das ist dann nochmal eine Nummer unangenehmer.

M.B.: Oder du wirst gleich einbetoniert. So eine Behandlung mit Psychopharmaka kann bis zu einem halben oder dreiviertel Jahr dauern. In dieser Zeit bist du ein sabberndes Etwas. Du brauchst dann ein Vierteljahr, bis du wieder einigermaßen zu dir kommst. Ganz weg kriegt man das nicht. Einigen, die sediert waren, merkt man es immer noch an. Im Grunde wird man unter Drogen gesetzt.

SB: Wird das von Knast-Psychiatern angeordnet?

M.B.: Nein, die Spritzen haut der Sani rein. Und wenn du das nicht willst, halten dich fünf, sechs Wachen fest.

TB: Begründet wird das damit, daß man die Sicherheit und Ordnung gefährdet. Wir Ex- und Strafgefangenen haben alles mögliche, aber garantiert keine Lobby.

SB: Inwieweit versucht die Gefangenengewerkschaft, auch auf solche Mißstände aufmerksam zu machen?

TB: Organisatorisch sind wir derzeit dazu noch nicht in der Lage, und es ist überhaupt die Frage, ob wir uns das als Ziel setzen sollten. Wir haben jetzt mit dem Mindestlohn, den es ja erst seit Januar dieses Jahres gibt, einen Knackpunkt gefunden, an dem wir ansetzen können. Ob es auch Auswirkungen auf das ganze Strafvollzugssystem haben wird, wenn wir erst einmal den Mindestlohn durchkriegen, kann ich nur hoffen. Logischerweise würde sich die Haft dadurch verteuern und damit auch die Arbeit et cetera. Also müßte sich der Staat etwas einfallen lassen, vielleicht weniger Leute einsperren, weil die Kosten höher sind.

M.B.: In Bayern ist das aber ein ganz wichtiger Punkt, denn dort wird man schon eingesperrt, wenn man 0,2 Gramm Hasch bei sich hat. In anderen Bundesländern würde man darüber lachen. Ein anderes Beispiel ist Schwarzfahren in der U-Bahn. Im Knast habe ich einen Koch kennengelernt, der nur einmal schwarzgefahren ist und dafür 18 Monate gekriegt hat. Ein anderer wurde, weil er aus Hunger im Supermarkt geklaut hat, für zwei Jahre eingesperrt.

TB: Das mag daran liegen, daß ein Haftplatz, wenn er vorhanden ist, auch belegt sein sollte, weil er ordentlich Gewinne abwirft. Die Süddeutsche Zeitung hat vor zwei Jahren einmal geschrieben, daß bundesweit ungefähr 130 Millionen Euro über die Knastarbeit erwirtschaftet werden. Die Zahl kommt mir zu niedrig vor, denn Bayern alleine macht nach einer offiziellen Angabe auf der Homepage des Justizministeriums 44 Millionen Euro Gewinn. Mit dieser Bekanntgabe ist Bayern sogar innovativ, alle anderen Landesjustiziministerien veröffentlichen die Zahlen nicht.

B.B.: Ich möchte in diesem Zusammenhang noch erwähnen, daß die Gefangenengewerkschaft den Basisgruppen in den Knästen natürlich nicht verbietet, auch Mißstände anderer Art zu thematisieren. In Würzburg zum Beispiel wurde jetzt durchgeboxt, daß Telefone auf dem Gang installiert werden, was an sich gesetzlich vorgeschrieben ist. Als bundesweite Organisation legen wir die Schwerpunkte natürlich anders, aber wenn Basisgruppen in den Knästen beklagen, von rassistischer Behandlung betroffen zu sein, dann kommunizieren wir das mit ihnen nach draußen und publizieren es auch in unserer Zeitung. Beispielsweise lief vor zwei Wochen im Hessischen Rundfunk ein Beitrag zur Gefangenengewerkschaft, wo Oliver Rast die Telefongebühren in den Knästen thematisiert hat.

TB: Die Telefongebühren kann ich auch mit unserer gewerkschaftlichen Arbeit verbinden, denn bei dem geringen Lohneinkommen ist Telefonie mit Minutenpreisen von 20, 25 Cent nicht miteinander vereinbar. Die Lebensbedingungen hängen mit dem niedrigen Tariflohn zusammen. Das ist eindeutig Wucher. Vor allen Dingen habe ich nie verstanden, warum in der Hauptsache mit einem bestimmten Provider Zehnjahresverträge abgeschlossen wurden. Hessen hat diese Verträge jetzt gekündigt, weil der Provider vom Landgericht Stendal nachgewiesenermaßen wegen Wuchers verurteilt wurde. Allerdings beträgt die Kündigungszeit zwei Jahre. Wenn man sich bei einem Nettoverdienst von 60 bis 100 Euro zwei Telefonkarten a 15 Euro kauft und vielleicht noch einen Fernseher hat, bleibt am Ende nicht mehr viel übrig. Jemand mit 60 Euro netto hat dann nichts mehr, während sich der mit 100 Euro netto noch drei Päckchen Tabak und vielleicht ein Pfund Kaffee kaufen kann.

SB: Der Staat ist für die Versorgung und Betreuung der Gefangenen verantwortlich. Gibt es Versuche, die Lohnarbeit im Knast in diese Art von Finanzierung einzuspeisen?

TB: Ja, wenn man zum Beispiel verschuldet aus der Arbeit fliegt, dann muß man zumindest in den Bundesländern mit einer Arbeitspflicht für den Zeitraum, bis man wieder tätig ist, einen Haftkostenbeitrag zahlen. Mich würde dabei interessieren, ob das rechtens ist. Denn Strafvollzug ist eine hoheitliche Aufgabe. Ich muß schließlich auch nicht die Berufsfeuerwehr bezahlen, wenn sie zum Einsatz kommt, weil sie hoheitlich ist. Klar muß ich zahlen, wenn ich sie fälschlicherweise rufe, aber den regulären Einsatz nicht. Es ist ja nicht so, daß sie erst kommt, wenn ich 50 Euro überwiesen habe, sondern weil es brennt. Genauso verhält es sich mit dem Strafvollzug als einer staatlich-hoheitlichen Aufgabe. Deshalb ist es nicht einzusehen, daß die Gewinne aus der Lohnarbeit im Knast sofort in den Landeshaushalt zurückfließen. Das sind Barmittel, die der Staat nochmal zur Verfügung hat. Ich muß das doch nicht mitfinanzieren. Ich bin verurteilt und habe meine Freiheit für einen gewissen Zeitraum verloren - damit hört es auf. Wenn ich das jetzt mitfinanzieren muß, bin ich schon bei der vorgeschriebenen Arbeitspflicht im Knast und damit beim Thema Zwangsarbeit.

B.B.: In Bayern gibt es Lochgitter vorm Fenster, was illegal ist, weil sie das Augenlicht schädigen, wenn man kein Tageslicht bekommt. Dagegen haben Gefangene erfolgreich geklagt. Die JVA mußte eine Strafe zahlen, aber der bayerische Landtag hat daraufhin das Budget um den gleichen Betrag der Strafe erhöht und damit bleibt das Geld wieder in Staatshand. Wenn man an sich selber Strafe zahlt, spielt der Anlaß keine Rolle, und ebenso verhält es sich, wenn man die JVA wegen fehlender Arbeitssicherheit verklagt. Ein Gefangener gilt da garantiert nichts.

SB: Sind die Lochgitter denn entfernt worden?

B.B.: Nein.

TB: Die Strafzahlung reicht, es muß nichts entfernt werden.

M.B.: Dasselbe ist in Bayreuth passiert. Dort hatten wir zwar keine Lochgitter, aber dafür Stäbe vor den Fenstern, so daß man die Fenster nur einen Spaltbreit öffnen konnte, was im Sommer bei Temperatur um die 40 Grad an Folter grenzt.

(wird fortgesetzt)

Knastanlage und Arme an Gitterstäben - Grafik: © 2014 by outbreak - Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation

Titelblatt der ersten Ausgabe der Zeitschrift der GG/BO outbreak
Grafik: © 2014 by outbreak - Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation


Fußnote:

[1] Von der Sozialversicherungspflicht über den Mindestlohn zur vollen Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern
http://www.gefangenengewerkschaft.de/gruendungserklaerung-der-gefangenen-gewerkschaft-der-jva-tegel/


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12. Januar 2016


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