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BERICHT/028: Vorgelesen, zugehört ... (SB)


'Mitschnacker'

Autorenlesung mit Sabine Vesper am 24.9.2015 im Kulturcafé Komm du


Umgeben von monumentalen Fotoreproduktionen und Metallskulpturen der aktuellen Kunstausstellung entstand bei hereinbrechender Dunkelheit und gedämpfter Beleuchtung in der Buxtehuder Straße 13 eine intime, gemütliche und zugleich erwartungsvolle Atmosphäre - genau die richtige Stimmung für einen Krimi-Abend im Kulturcafé Komm du. Zu Gast war die Autorin Sabine Vesper, die aus ihrem aktuellen Kriminalroman 'Mitschnacker' las, dem vierten und letzten Band einer Reihe um die Ermittlerin Annegret Pries, ihren früheren Chef und nunmehr Lebenspartner Josef Lenz und den 'Krieger ohne Land' Joe Wolnyczak.


Foto: © 2015 by Schattenblick

Sabine Vesper während ihrer Lesung im Komm du
Foto: © 2015 by Schattenblick

Sabine Vesper wurde in Hamburg geboren und studierte dort deutsche Literatur, Sprachwissenschaften und Kunstgeschichte. Seit 1990 arbeitet sie freiberuflich als Poesiepädagogin und schreibt mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Sie selbst schreibt "schon immer", ihr erster Kriminalroman, 'Endstation Ochsenzoll', erschien 2011.

Ihre Krimis spielen allesamt in Hamburg, die Schauplätze sind authentisch und detailgenau beschrieben. Dennoch, so betonte die Autorin in ihren einleitenden Worten, handelt es sich bei ihren Büchern nicht um ausgesprochene Regionalkrimis, da sie inhaltlich einen anderen Schwerpunkt verfolgt: die Erforschung der menschlichen Neigung zu Gewalt und Verbrechen und die Aufdeckung der sogenannten 'Banalität des Bösen'. Die Ansiedelung der Geschichte im städtischen Milieu und dessen genaue Beschreibung sind der Rahmen, in den sie ihr eigentliches Thema eingebettet hat.

Wie es sich für einen Krimi gehört, kann man jeden der Bände für sich allein lesen. Wer jedoch Interesse an den Protagonisten hat, dem riet Sabine Vesper, die Serie von Anfang an zu lesen. Zudem hat jeder ihrer Romane ein 'inneres Thema', das eng mit der persönlichen Entwicklung der Figuren zusammenhängt, und das den Täter wie auch die Ermittler umtreibt.

So ist das Verlorensein in den eigenen Gedanken das bestimmende Element in 'Endstation Ochsenzoll'. Alle handelnden Personen sprechen im Grunde nur mit sich selbst. Keine von ihnen weiß, was den anderen bewegt, und der Mörder ist nicht der einzige, der Gedanken und Phantasie mit der Realität verwechselt. In diesem Roman erkennt Kriminalhauptkommissar Josef Lenz, bei dem Lungenkrebs diagnostiziert wurde, angesichts seiner tödlichen Krankheit, daß er Angst davor hat, sich auf Menschen einzulassen. Doch er wagt den Ausbruch und verliebt sich in seine Kollegin Annegret Pries.

In ihrem aktuellen Buch 'Mitschnacker' steht die Angst vor dem Verlassenwerden im Mittelpunkt. Es geht um den Verlust von geliebten Menschen und das Hineingeraten in Opfer- oder Täterrollen, um Ohnmacht, Wut und Trauer, die sich ansammelt und Katastrophen, die daraus entstehen können, um die innere Leere, die ein Verlust hinterläßt, der nicht ertragen wird.

Diese innere Thematik verwebt Sabine Vesper geschickt mit einem spektakulären Kriminalfall: Auf einem Baugrundstück in Hamburg-Bahrenfeld wird das Skelett eines Kindes entdeckt. Als nur wenig später in der Lutherkirche ein weiteres totes Kind gefunden und ein drittes vermißt wird, stellt der neue Chef der Mordkommission Frank Scheschonka eine Soko zusammen, da es sich wahrscheinlich um einen Serientäter handelt. Annegret Pries bekommt einen Tatortanalytiker an die Seite gestellt. Die beiden ermitteln im Milieu von Problemfamilien, von Sozialämtern und deren Mitarbeitern, denn die Kinder, allesamt Mädchen um die sieben Jahre, waren aufgrund problematischer Familienverhältnisse bei den zuständigen Stellen bekannt. Ein erster Verdacht entsteht, als sich herausstellt, daß es einen Beamten gibt, der mit allen drei Mädchen zu tun hatte, obwohl diese in unterschiedlichen Stadtteilen lebten ...

Sabine Vesper hatte sich an diesem Abend dafür entschieden, nicht potpourriartig einzelne Textpassagen aus verschiedenen Stellen des Buches vorzutragen, sondern den Anfang des Romans zu lesen, was wahrscheinlich den vielschichtig ineinander verschlungenen Handlungssträngen und -ebenen des Buches geschuldet war, die sich nach einem schnellen Anfangsverdacht und anschließenden Verwicklungen erst am Ende auflösen. Trotz der Lesezeit von nahezu zwei Stunden, die Sabine Vesper mit wechselnden Stimmen und professionellem Auftritt spannend und unterhaltsam gestaltete, bekamen die Zuhörer an diesem Abend gewissermaßen erst die 'Verpackung' der Geschichte geboten.

Was ein wenig schade ist, denn das eigentliche Thema der Autorin kam dabei nicht so recht an das Publikum heran. Sabine Vesper geht es um die universelle Psyche und darum, daß trotz unterschiedlicher kultureller Prägung alle Menschen in ihrer Struktur gleich sind, es dabei aber trotzdem so viel Trennung und Gewalt gibt. Das ist auch der Grund, warum sie den Krimi als Genre gewählt hat, da sie der Meinung ist, daß in extremen Reaktionen von Menschen diese Strukturen sehr deutlich werden. Genau das möchte sie über ihre Literatur kommunizieren.

Doch auch die "Verpackung", die ja immerhin der Auftakt zu einem spannenden, raffiniert konstruierten Kriminalfall ist, kam bei den Zuhörern sehr gut an, wie man an den angeregten Gesprächen in der Pause und nach der Lesung erkennen konnte. Man könne sich die Schauplätze sehr gut vorstellen, meinte einer und ein anderer ergänzte, daß man heutzutage aber wohl kaum ein Cabriolet in der Talstraße abstellen könnte, eine Äußerung, die er aber ausdrücklich nicht als Kritik verstanden haben wollte. Dem stimmte Sabine Vesper zu, verwies dabei aber auf ihre dichterische Freiheit. Annegret habe eben immer Glück, "die findet auch immer einen Parkplatz", meinte sie.


Sabine Vesper am Ende der Lesung - Foto: © 2015 by Schattenblick

Noch Fragen?
Foto: © 2015 by Schattenblick

Wer gerne einen tieferen Einblick in die schriftstellerische Arbeit und Vorgehensweise von Sabine Vesper, ihre Tätigkeit als Poesiepädagogin, ihre Motive und Absichten, die Schwierigkeiten beim Krimischreiben, über Leservorlieben, das, worum es ihr in ihren Büchern geht und den 'anderen Blick', den sie auf ihre Protagonisten wirft, nehmen möchte, sei an dieser Stelle auf ein in Kürze erscheinendes Interview hingewiesen, das die Autorin vor ihrer Lesung mit dem Schattenblick führte.


Noch ein 'anderer Blick'

Zu der stimmungsvollen Atmosphäre trugen an diesem Abend nicht nur die vielen Teelichter bei, die überall verteilt waren. Als hätten sie auf diese Gelegenheit gewartet, verbreiteten die verfremdeten Fotografien der archaisch anmutenden Metallskulpturen von Uwe Jaensch eine zeitlose Präsenz und zogen die Blicke der Zuhörer ein ums andere Mal auf sich. Uwe Jaensch fertigt beeindruckende Kunstwerke aus Bruchstücken ausgedienter Eisenteile, aus alten Gerätschaften und Werkzeugen. Das Schmieden, das er einst in einem Hobbykurs erlernte, ist zu seinem Ausdrucksmittel geworden. Das Fragmentarische ist sein Gestaltungsprinzip, Abnutzungsspuren werden nicht geglättet oder getilgt, sondern lassen das Kunstwerk lebendig wirken. Seine Arbeit wird von der Idee geprägt, banale Gegenstände abweichend von ihrer ursprünglichen Bestimmung umzudeuten, eine Idee, die auch sein Ausstellungspartner Michael Krippendorf verfolgt, der dreidimensionale Collagen aus Alltagsgegenständen oder Teilen davon zusammensetzt. Bei ihm kommen außer Metall auch Holz, Glas, Keramik oder Leder zum Einsatz. In ihrer Ausstellung, die sie 'Der andere Blick' nennen, ergänzen sich die Werke der beiden Harburger Künstler auf spannungsvolle Weise. Ihre Arbeiten sind dort noch bis zum 13. November 2015 zu sehen.

29. September 2015


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