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BERICHT/020: Linksliteraten - Marktferne Presse, engagiertes Buch ... (SB)


19. Linke Literaturmesse Nürnberg

Verlagsarbeit zwischen geschäftlichen Zwängen, politischen Zielen und Freude am Büchermachen



"Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein" - die berühmte Feststellung von Karl Marx könnte kaum anachronistischer klingen als in der sogenannten Informations- und Wissensgesellschaft. In beiden Fällen geht es um die Verfügbarkeit einer immateriellen Ware, eines Mittels zum Zweck der Kapitalakkumulation, dem das Anliegen politischer Emanzipation und Befreiung nicht unwillkommener sein könnte. Das war auch vor 172 Jahren so, als Karl Marx eine Artikelserie in der Rheinischen Zeitung zum Thema Zensur und Pressefreiheit verfaßte, der dieses Zitat entstammt. Er kritisierte damals einen Vertreter bürgerlicher Freiheitsrechte, der die damals noch nicht existierende Pressefreiheit dadurch voranbringen wollte, daß er sie der Gewerbefreiheit zuordnete. An die Autoren gewendet, um deren Unabhängigkeit es Marx vor allem ging, polemisiert dieser denn auch: "Dem Schriftsteller, der sie [die Pressefreiheit] zum materiellen Mittel herabsetzt, gebührt als Strafe dieser inneren Unfreiheit die äußere, die Zensur, oder vielmehr ist schon seine Existenz seine Strafe." [1]

Dabei ignorierte der junge Journalist die Notwendigkeit des Lebenserwerbs keineswegs, räumte der Presse, mit der damals die Gesamtheit aller verbreiteten Druckerzeugnisse gemeint war, aufgrund ihres potentiell gesellschaftsverändernden Charakters jedoch einen besonders hohen Rang an notwendiger Eigenständigkeit ein: "Um die Freiheit einer Sphäre zu verteidigen und selbst zu begreifen, muß ich sie in ihrem wesentlichen Charakter, nicht in äußerlichen Beziehungen fassen. Ist aber die Presse ihrem Charakter treu, handelt sie dem Adel ihrer Natur gemäß, ist die Presse frei, die sich zum Gewerbe herabwürdigt? Der Schriftsteller muß allerdings erwerben, um existieren und schreiben zu können, aber er muß keineswegs existieren und schreiben, um zu erwerben." [1]

Letzteres trifft heute auf viele Autorinnen und Autoren zu, ist das Leben im Prekariat doch vielen Kulturschaffenden zur zweiten Natur geworden. Linke Theoriebildung und sozialrevolutionäre Gesellschaftskritik interessieren nur Minderheiten, obwohl die globale Kriseneskalation das Gegenteil erwarten lassen müßte. Kulturindustriell zahlt sich vor allem aus, was auf unterhaltsame Weise von den alltäglichen Widerspruchs- und Ohnmachtserfahrungen ablenkt. Je grundsätzlicher und radikaler die Kritik, desto unverkäuflicher ist sie auch, das gilt für das Selbstverständnis ihrer Urheber wie für die objektive Marktlage gleichermaßen.

Kleine linke Verlage müssen für die Freiheit, Schriften gegen die herrschenden Verhältnisse zu veröffentlichen, denn auch vieles tun, was sich nicht rechnet. Idealismus ist erforderlich, wenn die emanzipatorische und erkenntnisträchtige Arbeit am Begriff nicht nach Markt- und Kassenlage, sondern um ihrer selbst willen betrieben werden soll. Auf der 19. Linken Literaturmesse waren denn auch Verlage versammelt, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die ihnen in einer kapitalistischen Gesellschaft üblicherweise abverlangte Entfremdung durch Arbeit und in der Arbeit zumindest dadurch einschränken wollen, daß sie dabei ihren politischen Überzeugungen treu bleiben können.

Die Fotojournalistin mit ihrem Buch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Nicht vergessen ... Gabriele Senft präsentiert "TARGET. Die Brücke von Varvarin" - Dokumentation eines NATO-Kriegsverbrechens und seiner Folgen - am Stand des Wiljo Heinen Verlags
Foto: © 2014 by Schattenblick

So traf der Schattenblick bei einem Rundgang über die Messe auf klassische Verlegerinnen und Verleger, aber auch Beispiele für kollektive Selbstorganisation und sinnvolle Kooperationen sowie auf Aktivistinnen und Aktivisten aller Couleur. Fragen zum Stand linker Literatur, zum Buchgeschäft im allgemeinen und zur Problematik von Kleinverlagen im besonderen wurden bereitwillig beantwortet, so daß hier ein kleiner Ausschnitt aus der Welt linker Publizistik präsentiert werden kann, der die bereits in der Serie "Linksliteraten" veröffentlichten Gespräche zur Verlagsarbeit komplettiert.

Präsentation verschiedener Buchtitel - Fotos: © 2014 by Schattenblick Präsentation verschiedener Buchtitel - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Am Stand des PapyRossa Verlages
Fotos: © 2014 by Schattenblick

Jürgen Harrer ist schon viele Jahre regelmäßiger Aussteller auf der Linken Literaturmesse, und der Stand des Kölner PapyRossa Verlags [2] belegt, daß er einer der produktivsten Vertreter der Herausgabe linker Sachbücher ist. Dem bei Wolfgang Abendroth promovierten Politikwissenschaftler, Soziologen und Germanisten wurde in der BRD zweimal aus politischen Gründen eine Professur verweigert. Nach der Auflösung des linken Traditionsverlages Pahl-Rugenstein beteiligte er sich 1990 an der Gründung des PapyRossa Verlages, als dessen Verleger er fungiert und wo in absehbarer Zeit ein Generationswechsel ansteht.

Harrer attestiert ein wachsendes Interesse an linker Literatur und erteilt der landläufigen Mutmaßung, angesichts der Dominanz elektronischer Medien sei die Buchkultur absehbar am Ende, eine eindeutige Absage. Schon in den 90er Jahren habe man das Buch totgesagt, doch keine dieser Prognosen habe sich erfüllt. So hätten die großen und eingeführten Verlage vielleicht Schwierigkeiten, das träfe jedoch auf PapyRossa nicht zu, weil man die in seinem Programm angebotenen Inhalte eben nur im gedruckten Buch finde.

Bei der Herausgabe von E-Books sei man jedoch eher zurückhaltend, unter anderem deshalb, weil es keinen vernünftigen Kopierschutz und keine vernünftige Art der Abrechnung gebe. Amazon vertreibe zwar die Bücher des Verlags, weil die Geschäftsordnung des Buchhandels verlange, eventuellen Bestellungen nachzukommen. PapyRossa werde sich jedoch nicht Konditionen beugen, auf die sich andere Verlage zugunsten einer größeren Reichweite ihrer Bücher einlassen, aber zum Teil mit 50 Prozent Rabatt bezahlen müßten. Unter den aktuellen Neuerscheinungen hob Harrer besonders das von Werner Rügemer und Elmar Wigand verfaßte Buch "Die Fertigmacher" hervor, die "Arbeitsunrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung" als "politisch gewollt oder toleriert und mitunter brutal durchgesetzt", so die Verlagsankündigung, kritisieren. Von titelgebender Brisanz ist auch der von Peter Strutinski vom Kasseler Friedensratschlag herausgegebene Sammelband "Ein Spiel mit dem Feuer", in dem renommierte linke Autorinnen und Autoren die Entwicklung in der Ukraine und die im Kern gegen Rußland gerichtete Politik der NATO-Staaten analysieren.

Verleger am Stand des Zambon Verlags - Foto: © 2014 by Schattenblick

Giuseppe Zambon - "Die Macht der Kultur gegen die Kultur der Macht"
Foto: © 2014 by Schattenblick

Zu den Veteranen unter den linken Verlegern zählt auch Giuseppe Zambon, dessen in Frankfurt am Main ansässiger Zambon Verlag [3] schon seit 1973 existiert. Auf die Frage, ob er diese nicht unbedingt lukrative, sondern letztlich defizitäre Arbeit aus geschäftlichem Interesse betreibe oder persönliche Gründe dafür habe, linke Literatur zu verbreiten, gab der Verleger zu verstehen, so sehr an seinen gesellschaftskritischen Zielen interessiert zu sein, daß er jedes Jahr erhebliche Verluste im Bereich der politischen Bücher ertrage und durch andere Bereiche der Verlagsarbeit kompensiere.

Der ohne Abstriche zu seiner antiimperialistischen Position stehende Verleger zeigt sich mit Blick auf den Nahen und Mittleren Osten sehr pessimistisch gestimmt. Bei der Betrachtung dessen, was im Irak, in Kurdistan und Syrien geschehe, gelangt er zu dem Schluß, daß dort das Prinzip der Genialität des Bösen herrsche. So sei der für seine brutalen Hinrichtungen bekannte Islamische Staat wesentliches Ergebnis der nicht minder grausamen US-amerikanischen Besatzungspolitik im Irak, wobei er insbesondere die Zerstörung der Stadt Fallujah hervorhebt. Der IS sei von Rachelust getrieben, deren Entstehung ohne die US-amerikanische Politik, die verschiedenen Bevölkerungen der Region gegeneinander aufzubringen, nicht zu erklären sei.

Dementsprechend kritisch sieht er die Fixierung auf die Grausamkeiten des IS, obwohl er natürlich entsetzt sei, wenn unschuldige Opfer öffentlich enthauptet werden. Wenn jedoch, wie im irakisch-kurdischen Gebiet, die Opfer verschiedener Diktaturen instrumentalisiert und zu Schachfiguren imperialistischer Akteure würden, die die dort einst vorhandene Staatlichkeit zugunsten der eigenen Verfügungsgewalt über die Region zerschlagen hätten, dann müsse man schon fragen, ob die zuvor dort existierenden Strukturen schlimmer gewesen seien als das nun etablierte Schreckensszenario.

Am Stand der Verlage Neue Impulse und ComPress - Foto: © 2014 by Schattenblick

Neue Impulse aus dem Umfeld der DKP - August Ballin
Foto: © 2014 by Schattenblick

Am Gemeinschaftsstand der Verlage Neue Impulse und ComPress erklärt August Ballin von der DKP Nordbayern, als Nürnberger seit langem dafür zu sorgen, daß diese Verlage, für die ein einzelner Stand nicht tragbar wäre, überhaupt auf der Linken Literaturmesse vertreten sind. Der Neue Impulse Verlag existiert seit 1990 und wird von einer hauptsächlich ehrenamtlich arbeitenden Redaktion betrieben. Sie gibt die Zeitschrift Marxistische Blätter [4], in der alle zwei Monate spezifische Bereiche und Prozesse der kapitalistischen Gesellschaftsordnung debattiert werden, und andere Schriften zu marxistischer Analyse und Kritik historischer und gegenwärtiger Entwicklungen heraus. Darunter sind insbesondere Publikationen zu dem von der Marx-Engels-Stiftung initiierten Projekt Klassenanalyse und die MASCH-Skripte zu nennen, die in der Tradition der in den 1920er Jahren von der KPD gegründeten Marxistischen Arbeiterschule stehen, die in den 1970er Jahren als Marxistische Abendschulen in der BRD wiederbelebt wurde. Ganz im Sinne kommunistischer Bildungsarbeit werden zahlreiche Schriften des MASCH und andere Publikationen auf der Webseite des Neuen Impulse Verlages [5] kostenlos angeboten.

Am Stand liegt auch die Parteizeitung der DKP Unsere Zeit (UZ) aus, die fast bis zum Ende der DDR als Tageszeitung erschien und bis heute im 16-seitigen Format einer Wochenzeitung veröffentlicht wird. Die UZ soll allen Strömungen der Partei gerecht werden, um eine Zeitung der gesamten DKP und nicht nur einer Strömung zu sein, so Ballin. Tatsächlich jedoch bestehe der kleinere Teil der Abonnenten und Leser aus Parteimitgliedern, was für die Relevanz der gesellschaftskritischen Analysen der Autorinnen und Autoren der UZ spricht. Ohne dies wäre auch kaum zu erklären, daß die UZ neben dem Vorwärts, der monatlich erscheinenden Parteizeitung der SPD, die einzige nennenswerte Publikation einer politischen Partei ist, die mit einem umfassenden redaktionellen Teil und in regelmäßiger Erscheinungsweise als Printausgabe erhalten geblieben ist. Für den DKP-Aktivisten Ballin ist das Printformat der UZ auch deshalb unverzichtbar, weil sich die Zeitung wie ein Flugblatt überall verteilen läßt.

Am Stand der Graswurzelrevolution - Foto: © 2014 by Schattenblick

Libertär und gewaltfrei - Graswurzelrevolution
Foto: © 2014 by Schattenblick

Lou Marin hat auf der Linken Literaturmesse sein Buch "Ursprung der Revolte" vorgestellt, in dem er die engen Verbindungen des als Vertreter des französischen Existenzialismus bekannten Literaturnobelpreisträgers Albert Camus zur anarchistischen Bewegung vorstellt. Zudem vertritt er den Verlag Graswurzelrevolution [6], der die 1972 gegründete Zeitung gleichen Namens für anarchistische, basisdemokratische und gewaltfreie Bewegungen auf monatlicher Basis sowie Bücher zum breiten Themenkreis libertärer sozialer Bewegungen herausgibt. Die Graswurzelrevolution war in den ersten sechs Jahren der Linken Literaturmesse regelmäßig mit einem Stand nach Nürnberg gekommen, wechselte zwischenzeitlich zur Frankfurter Buchmesse, kehrte aber in den letzten Jahren wieder zur Nürnberger Literaturmesse zurück.

Das aus 20 bis 25 Personen bestehende HerausgeberInnenkollektiv des Verlages ist seinem libertären Selbstverständnis gemäß nicht hierarchisch strukturiert und trifft Entscheidungen zur verlegerischen Arbeit auf alle zwei bis drei Monate stattfindenden Planungswochenenden gemeinsam. Die Idee basisdemokratischer Selbstorganisation hat auch zur Folge, daß einige Autorinnen und Autoren der Graswurzelrevolution ihre Texte unter Pseudonym veröffentlichen, um der in der Medienlandschaft ansonsten üblichen Förderung beruflicher Karrieren und der dementsprechenden Etablierung auf Prominenz beruhender Hierarchien entgegenzuwirken. Die Zeitung verfügt über eine eigene, gleichermaßen kollektiv geführte Redaktion. Viele ihrer Beiträge werden von Aktivistinnen und Aktivisten sozialer Bewegungen verfaßt, was die Graswurzelrevolution [7] bis heute zu einem wichtigen Organ nicht im Dunstkreis professionalisierter NGOs oder politischer Parteien agierender sozialer Bewegungen macht.

Verleger an seinem Stand - Foto: © 2014 by Schattenblick

Georg Stein vom Palmyra Verlag in Heidelberg
Foto: © 2014 by Schattenblick

Seit 25 Jahren gibt es den Palmyra Verlag [8], doch war er dieses Jahr zum ersten Mal mit einem Stand auf der Linken Literaturmesse vertreten. "Bücher von Arafat bis Zappa", so das Verlagsmotto, betreffen ein Programm, das über ein umfassendes Angebot politischer Literatur über den Nahen Osten wie auch ein nicht minder entwickeltes Sortiment an anspruchsvollen Büchern über Rock- und Popmusik verfügt. Im Mittelpunkt des persönlichen Interesses des Verlegers Georg Stein steht der Nahostkonflikt, zumal er die Region vielmals als Journalist wie Verleger bereist hat.

Da er den dieses Feld bedienenden Buchmarkt seit über 30 Jahren sehr gut kennt, bestätigt er, daß der Konflikt um die Israel-Palästina-Frage in der öffentlichen Aufmerksamkeit durch die Entwicklung in der arabischen Welt weitgehend an den Rand gedrängt werde. Dies sei auch anhand des jüngsten Gazakrieges zu sehen, der Anfang November erst zwei Monate vorüber war, aber angesichts der Ereignisse in Syrien und den kurdischen Gebieten in den Medien kaum noch in Erscheinung tritt. 1992 löste der Palmyra Verlag mit der von dem 2010 verstorbenen Hamburger Orientalisten Gernot Rotter verfaßten Streitschrift "Allahs Plagiator" einen bundesweit aufsehenerregenden Medienskandal aus. Rotter hatte den 2008 verstorbenen Bestsellerautor und langjährigen ARD-Nahostkorrespondenten Gerhard Konzelmann nicht nur bezichtigt, durch die Verwendung umfassender Plagiate von fremder Arbeit profitiert, sondern auch maßgeblich zur Virulenz des Feindbildes Islam beigetragen zu haben. Konzelmann unterließ es, gerichtlich gegen die Vorwürfe Rotters vorzugehen, während dieser dessen Verlag mit einer Klage dazu veranlaßte, Konzelmanns Buch über den Propheten Mohammed nicht länger zu verbreiten, solange darin von Rotter verfaßte Texte in einem das Zitatrecht überschreitenden Umfang enthalten seien.

Buchdeckel 'Allahs Plagator' und 'Das Schwert des 'Experten'' - Fotos: © 2014 by Schattenblick Buchdeckel 'Allahs Plagator' und 'Das Schwert des 'Experten'' - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Irrungen und Wirrungen deutscher Nahostpublizistik
Fotos: © 2014 by Schattenblick

Gernot Rotter trug auch zu der bei Palmyra 1993 veröffentlichten Textsammlung "Das Schwert des 'Experten'" bei, die "Peter Scholl-Latours verzerrtes Araber- und Islambild", so der Untertitel, zum Gegenstand hatte. Verlegerische Erfolge dieser Art konnte Georg Stein auch deshalb erzielen, weil der gelernte Politologe seit 1973, als er die Region zum ersten Mal bereiste, an der arabischen Welt, ihren Menschen und Problemen zutiefst interessiert ist. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, daß ihn die häufig verzerrte Berichterstattung bundesrepublikanischer Medien über den Nahostkonflikt empört. Dagegen ging er in seiner Zeit als freier Journalist vor, was ihm auch ermöglichte, Palästinenserführer Yassir Arafat mehrere Male zu interviewen.

Den Palmyra Verlag gründete er 1989, um nicht mehr an die Praktiken des schnellen Tagesjournalismus gebunden zu sein, sondern mehr Hintergrundmaterial veröffentlichen zu können. Dem trägt er auch durch die Beteiligung des Verlages am Nahostarchiv Heidelberg (NOAH) Rechnung. 2005 gab Palmyra eine von Amnon Kapeliuk verfaßte Biographie über Arafat heraus, zu der Nelson Mandela ein Vorwort beisteuerte. Daß dieser den Palästinensern damals unter Verweis auf das Ende der Apartheid in Südafrika wünschte, die Besetzung ihres Landes durch Israel zu überwinden, sei in der historischen Rückschau einfach nur traurig, da sich seitdem nichts zum Positiven verändert habe, meint Stein.

Am Stand der Assoziation Linker Verlage (aLiVe) - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Ihr schreckt auch vor Tierbefreiung nicht zurück?" "Wir befreien alles, was eingesperrt ist und was sich lohnt zu befreien. Nur die Rechten wollen wir nicht befreien." - Paul Sandner (Schmetterling Verlag) und Jürgen Malcher (Trotzdem Verlag)
Foto: © 2014 by Schattenblick

Am Stand der Assoziation Linker Verlage (aLiVe) [9] erklärt Paul Sandner vom Stuttgarter Schmetterling-Verlag Sinn und Zweck dieses Bündnisses. Neun Kleinverlage, so der letzte Stand auf der aLiVe-Webseite, haben sich zusammengeschlossen, um in unterschiedlicher Intensität zugunsten der Freisetzung von mehr Zeit für die eigentliche Verlagsarbeit zu kooperieren. Gemeinsame Büchertische wie auf der Linken Literaturmesse, gemeinsame Auftritte auf der Frankfurter Buchmesse und ein in unregelmäßigen Abständen erscheinender Gemeinschaftskatalog bestimmen die Zusammenarbeit aller an aLiVe beteiligten Verlage. Ein kleinerer Teil betreibt eine gemeinsame Verlagsauslieferung, die beim Schmetterling Verlag angesiedelt ist. Zudem werden die Verlage von gemeinsamen Buchhandelsvertreterinnen und -vertretern unterstützt. Auf diese Weise bilden sie eine größere ökonomische Einheit, bewahren dabei jedoch ihre inhaltliche Autonomie und ihr individuelles Profil. So gestalten die Verlage ihre jeweiligen Programme, wie es auch ohne diese Kooperation der Fall gewesen wäre. Durch diese Form der Zusammenarbeit können sie sich auf dem kapitalistischen Markt, der viele an die Seite drängt, besser behaupten, so Sandner.

Dabei funktioniere die Zusammenarbeit vor allem deswegen so gut, weil sich die einzelnen Verlagsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter auf weltanschaulicher Ebene gut verstehen. Ihr politisches Spektrum reiche zwar vom Marxismus bis zum Anarchismus, was jedoch nicht zu ideologischen Auseinandersetzungen führe, weil man sich zusammengetan habe, um das Gemeinsame zu finden und hervorzuheben, während Differenzen inhaltlich solidarisch diskutiert würden.

Die aLiVe-Verlagsgesellschaft besteht etwa so lange wie die Linke Literaturmesse, auf der sie seit jeher mit einem Stand vertreten ist. Nürnberg sei zwar eine kleine und überschaubare Buchmesse, aber das Veranstaltungsprogramm schaffe eine intensive Atmosphäre, was man auch am Verkauf der Bücher merke. Das sei viel besser als die große anonyme Frankfurter Buchmesse, wo auch ein solches Verlagsbündnis im Meer der Großverlage unterzugehen droht. Zwar sei dieses Jahr in Nürnberg weniger Publikum gekommen, bestätigte Sandner die Einschätzung der anderen Interviewpartner des Schattenblick, aber das sei keine Katastrophe, sondern immer noch eine gute Messe.

Zum Interesse an linker Literatur meint der Verleger, daß es auf keinen Fall zurückgehe, man heute aber genauer als früher überlegen müsse, was man herausgeben möchte. Zu anderen Zeiten habe angesichts des großen Publikums das Gefühl vorgeherrscht, irgend etwas verlegen zu können, weil es immer seine Abnehmer finde. Heute müssen Bücher einem spezifischen Zweck entsprechen, einen konkreten Gebrauchswert haben und gut gemacht sein, dann gebe es auch viel Interesse an ihnen. Das sei kein Zuckerschlecken und kein Selbstläufer, gibt Sandner zu bedenken. Dennoch treibe die Begeisterung für die Sache voran, und es bereite jedesmal Freude, wenn ein gutes Buch dabei herauskommt.

Am Stand des Online-Buchvertriebs - Foto: © 2014 by Schattenblick

Breites Angebot verschiedener Verlage bei Che und Chandler
Foto: © 2014 by Schattenblick

Der Online-Buchvertrieb Che und Chandler [10] hat wohl den größten Stand auf der Messe, was in der Natur der Sache liegt, weil sein Angebot praktisch alles umfaßt, was an linker Literatur in der Bundesrepublik verfügbar ist. Der Vertrieb ging aus dem früher in Bonn ansässigen Buchladen Che & Chandler hervor und hat heute Standorte in Berlin und Brandenburg. Sein Mitarbeiter Sven George meint auf Nachfrage, daß der Buchmarkt generell stagniere, was man auch an der linken Literatur merke, deren Umsatz etwa gleichbleibend sei. Es gebe auch ein paar Verlage, die ernste wirtschaftliche Probleme haben.

Stände der Arbeiterstimme, der FAU und der Freundinnen und Freunde des Baskenlandes - Fotos: © 2014 by Schattenblick Stände der Arbeiterstimme, der FAU und der Freundinnen und Freunde des Baskenlandes - Fotos: © 2014 by Schattenblick Stände der Arbeiterstimme, der FAU und der Freundinnen und Freunde des Baskenlandes - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Die Namen sind Programm ...
Fotos: © 2014 by Schattenblick

So war in Nürnberg eine kleine, aber engagierte Gegenöffentlichkeit versammelt, die fließende Übergänge zwischen Buchverlagen, sozialen Bewegungen und politischen Organisationen aufweist. Viele Aktivistinnen und Aktivisten boten auf ihren Ständen Texte und Schriften an, die mehr Instrument der Mobilisierung sind als Lektüren zur umfassenden Reflektion gesellschaftlicher Widerspruchslagen. In beiden Fällen handelt es sich im besten Fall um Waffen der Kritik, die dazu befähigen, den gesellschaftlichen Herausforderungen nicht nur auf der Höhe der Zeit entgegenzutreten, sondern ihre weitere Entwicklung zu antizipieren und dementsprechende Gegenbewegungen zu initiieren. Der Bedarf an profunder Erkenntnis darüber, wie die kapitalgetriebene Produktivkraftentwicklung Mensch und Natur zerstörende Wirkungen freisetzt, wie die krisenhafte Entwicklung der Kapitalakkumulation über Aufstieg und Niedergang ganzer Bevölkerungen befindet, wie die sozialdarwinistische Zurichtung auf allseitige Verfügbarkeit und vorauseilende Unterwerfung Menschen isoliert und entsolidarisiert, könnte nicht größer sein angesichts der systematischen Überforderung, mit der ungezügelte Schaffenskraft und unbezwingbare Widerständigkeit erstickt werden sollen. Daher bleibt die Arbeit der in Nürnberg vertretenen linken Verlage und politischen Organisationen unverzichtbar, auch und gerade weil sie häufig ohne Erwerbsinteresse verrichtet wird oder viel zusätzlichen Einsatz erfordert.



Die Stände bereits im SB veröffentlichter Gesprächspartner - Foto: © 2014 by Schattenblick.   Die Stände bereits im SB veröffentlichter Gesprächspartner - Foto: © 2014 by Schattenblick.   Die Stände bereits im SB veröffentlichter Gesprächspartner - Foto: © 2014 by Schattenblick

An den Ständen der Arbeiterfotografie, des Kulturmaschinen Verlages und des Dagyeli Verlages
Fotos: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_066.htm

[2] http://www.papyrossa.de/

[3] http://z-a-m-b-o-n.de/de/index.php

[4] Marxistische Blätter im Schattenblick:
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/ip_medien_altern_marxistische_blaetter.shtml

[5] http://www.neue-impulse-verlag.de/veroeffentlichungen.html

[6] http://www.graswurzel.net/verlag/

[7] Die Graswurzelrevolution im Schattenblick:
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/ip_medien_altern_graswurzelrevolution.shtml

[8] http://www.palmyra-verlag.de/

[9] http://www.alive-verlage.de/

[10] http://www.che-chandler.de/default.aspx


Zur "19. Linken Literaturmesse in Nürnberg" sind bisher im Pool
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unter dem kategorischen Titel "Linksliteraten" erschienen:

BERICHT/017: Linksliteraten - Aufgefächert, diskutiert und präsentiert ... (SB)
BERICHT/018: Linksliteraten - Sunnitische Ränke ... (SB)
BERICHT/019: Linksliteraten - Arbeit, Umwelt, Klassenkampf ... (SB)

INTERVIEW/009: Linksliteraten - Ukraine und das unfreie Spiel der Kräfte ...    Reinhard Lauterbach im Gespräch (SB)
INTERVIEW/010: Linksliteraten - Schienenband in Bürgerhand ...    Dr. Winfried Wolf im Gespräch (SB)
INTERVIEW/011: Linksliteraten - Spuren des Befreiungskampfes ...    Prof. Dr. Herbert Meißner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/012: Linksliteraten - kapital- und umweltschadenfrei ...    Emil Bauer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/013: Linksliteraten - Der aufrechte Gang ...    Victor Grossman im Gespräch (SB)
INTERVIEW/014: Linksliteraten - Übersetzung, Brückenbau, linke Kulturen ...    Mario Pschera vom Dagyeli-Verlag im Gespräch (SB)
INTERVIEW/015: Linksliteraten - Vermächtnisse und Perspektiven ...    Simone Barrientos vom Kulturmaschinen-Verlag im Gespräch (SB)
INTERVIEW/016: Linksliteraten - Die linke Optik ...    Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann vom Verband Arbeiterfotografie im Gespräch (SB)
INTERVIEW/017: Linksliteraten - Der rote Faden ...    Wiljo Heinen vom Verlag Wiljo Heinen im Gespräch (SB)

26. Dezember 2014


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