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PROJEKT/188: Bolivien - Geduld und Lernangebote für Straßenkinder und junge Paare


die zeitung - terre des hommes, 3. Quartal 2008

Mein Kind soll nicht auf der Straße landen
Bolivien: Geduld und Lernangebote für Straßenkinder und junge Paare

Von Peter Strack


"Auf der Straße zu leben heißt, Hunger zu haben, beraubt zu werden", beschreibt der 17-jährige Oscar Ariel sein Leben in der bolivianischen Großstadt Cochabamba. "Es gibt Kämpfe untereinander, man verletzt sich. Manchmal findest du Arbeit, aber ans Stehlen musst du dich gewöhnen, um Essen, Marihuana, meister oder Kokain zu kaufen. Die Polizei greift dich nachts auf, schlägt dich, begießt dich mit kaltem Wasser und lässt dich frühmorgens wieder laufen." Gründe genug, um sich von Streetworker Edgar überzeugen zu lassen, gemeinsam mit Anahi, der Mutter seines Kindes, in ein staatliches Wohnheim für Straßenkinder zu ziehen. Helfer gebe es auf der Straße viele: "Sie suchen uns auf, geben uns Kakao und Brot, sagen dir, wo ein Heimplatz ist, aber viele von uns wollen nicht eingesperrt sein. Und dann vergessen sie dich", klagt Oscar. Edgar von der terre des hommes-Partnerorganisation PAI Tarpuy kam jedoch immer wieder. "Wir teilen mit ihnen das Essen, spielen mit ihnen. Man muss sie erst verstehen lernen, um Alternativen anbieten zu können", erklärt der Sozialarbeiter.


Kleine Erfolgserlebnisse

Alternativen? "Wenn sie deine Narben sehen, bekommst du keine Arbeit", sagt Oscar resigniert. Viele glauben, dass sie ihr Leben auf der Straße beenden werden, räumt Edgar ein. Deshalb fragt er die, die ihr Leben ändern wollen, nach ihren Zukunftswünschen. Er sucht Möglichkeiten, sie aus der Gruppe und dem Drogenkonsum herauszulösen und ihnen irgend etwas beizubringen. Am Anfang vermitteln Handarbeiten, Sport oder künstlerische Aktivitäten kleine Erfolgserlebnisse. Darauf aufbauend vermittelt PAI Tarpuy die Jugendlichen an andere Institutionen, wo sie vielleicht Auto fahren, schreinern oder Brot backen lernen - Tätigkeiten, mit denen sich auch Geld verdienen lässt. So wie im Straßenkinderzirkus, einem früheren terre des hommes-Projekt, in dem Edgar vor 14 Jahren mit dieser Arbeit angefangen hat: "Dort haben sich die Kinder nützlich und glücklich gefühlt. Sie sind dort zu guten Künstlern und Arbeitern geworden. Heute haben sie Familie, Kinder..."

Edgar setzt darauf, dass die, die es geschafft haben, mit ihrem Beispiel verhindern helfen, dass weitere Kinder in Banden oder auf der Straße landen. Dafür müssen die Eltern aber selbst Verdienstmöglichkeiten haben. Eine besondere Problemgruppe sind neuerdings die Kinder, die alleine oder mit überforderten Verwandten zurückgelassen werden, wenn die Mütter nach Spanien gehen, um dort vor allem als Hausangestellte oder in der Kinder- und Altenbetreuung zu arbeiten.


Aufklärung, um das Schlimmste zu verhindern

Schon Zehnjährige verlassen ihre Familie, aber vor allem Jugendliche fühlen sich zu Hause oft erniedrigt. Auf der Straße dagegen werden sie dann gut aufgenommen, aber auch gleich zum Drogenkonsum eingeladen. Sie haben kaum Selbstbewusstsein, um sich dagegen zu wehren. Insbesondere die Mädchen geraten schnell in neue Abhängigkeit von Jungen, die sie zunächst umgarnen, recht bald aber schlagen und unterdrücken. Schwangere Mädchen werden von ihren Partnern bisweilen derart misshandelt, dass es zu Totgeburten kommt. Dabei sind es die Jungen selbst, die manchmal Zwölfjährige dazu zwingen, ihren Körper zu verkaufen, wenn sie nicht schnell genug sind, um mit auf die Diebeszüge zu gehen. Auch Aids breitet sich auf der Straße aus. Die Organisation Tarpuy klärt die Jugendlichen auf und drängt auf die Nutzung von Kondomen. "Viele Jugendliche können ihren Babys keine Zuneigung geben, weil sie selbst keine erfahren haben", sagt Edgar.

"Manchmal geschieht es aber doch, weil Eltern dem Kind das ersparen wollen, was sie selbst erlebt haben." Und dabei ihr eigenes Leben ordnen. So wie bei Anahi. "Die träumt davon, ihr Kind gut zu erziehen", meint Oscar zwar skeptisch. Doch die sonst schweigsame Mutter antwortet bestimmt: "Ja, ich will etwas arbeiten und mein Kind unterhalten. Es soll nicht auf der Straße landen."

terre des hommes unterstützt die Arbeit von PAI Tarpuy mit 8.720 Euro.


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Quelle:
die zeitung, 3. Quartal 2008, S. 7
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
Internet: www.tdh.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2008