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LÄNDERBERICHT/077: In Peru boomt der Bergbau - auf Kosten von Mensch und Natur


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2011

Ein Land im Ausverkauf
In Peru boomt der Bergbau - auf Kosten von Mensch und Natur

von Athanasios Melissis


Langsam schiebt sich der Geländewagen die steilen Serpentinen hinauf. Im Morgengrauen sind die Lama-Herden in den weitläufigen Koppeln nur als Schemen zu erahnen. Es ist kalt, auch nachdem die Sonne den Frühnebel vertrieben und den Blick auf die Hochebene freigegeben hat. Karges Weideland auf 4.000 Metern Höhe, eingerahmt von verschneiten Berggipfeln, die so nah wirken, als könnte man sie in einem kurzen Spaziergang erwandern. Während wir auf dem Weg von Ayaviri nach Ananea kleine Siedlungen durchqueren, treiben die Lama-Hirten schon ihre Herden zu den Wasserstellen. Man ahnt, wie entbehrungsreich das Leben der Menschen in der zwischen Cuzco und Puno gelegenen peruanischen Hochebene sein muss. Doch wer aus dem Beton-Dschungel von Lima in die Anden kommt, kann sich kaum dagegen wehren, das Szenario als idyllisch zu empfinden.


Die Hoffnung auf das große Glück

Umso surrealer wirkt es, als das Weideland unvermittelt von einer Mondlandschaft abgelöst wird, die nach allen Seiten bis zum Horizont reicht. Schwere Bagger schaufeln Gestein aus tiefen Kratern, in denen das schlammige Wasser hüfthoch steht. Schwer beladene Lastwagen verschwinden zielstrebig über eine Schotterpiste hinter einem Hügel. Die Region von Ananea ist ein modernes El Dorado: Vor einiger Zeit wurden Goldvorkommen entdeckt. Seither wird die Region überrannt von Bergbauunternehmen und Glücksrittern, die schnellen Reichtum suchen. Auch die Bevölkerung sieht nicht tatenlos zu: Kleinbauern greifen statt zum Spaten zur Schaufel und graben ihr Land um, in der Hoffnung auf den einen großen Fund.

Der Ort Rinconero liegt inmitten des Schürfgebietes. Die Straßen sind gesäumt von Bars, in denen die Minenarbeiter ihr hart verdientes Geld loswerden sollen. Die Prostitution boomt, die Kriminalität hat rapide zugenommen. Fotografieren solle man besser nicht, wird der Besucher gewarnt, es sei schon zu Anfeindungen gekommen. In einem provisorischen Container unterhält die staatliche Bergbaubehörde ihr Büro. Der Vertreter der Behörde scheint nur mäßig erfreut über den Besuch. »Knapp 80 Prozent der Minen sind illegal. Und täglich entstehen neue«, erklärt er. »Eine Schließung können wir nicht durchsetzen, dafür fehlen uns die Leute. Selbst wenn wir eine davon schließen, sind in einer Woche drei neue entstanden. Uns bleibt nur, die Minen nach und nach zu legalisieren, um ein Minimum an Kontrolle über das Schürfgebiet zu erhalten.« Im Gegenzug für die formale Konzession verpflichtet sich der Minenbetreiber, das Erdreich nach Ende der Schürfung wieder instand zu setzen, und das Waschwasser nicht direkt in den Fluss zu leiten. Doch ob das funktioniert, ist fraglich. Zu verbreitet ist die Korruption im Land, zu schwach die staatlichen Institutionen, wenn es gegen die Interessen derjenigen geht, die in Peru das Sagen haben.


Verheerende Folgen für Mensch und Natur

Durch das Gebiet fließt der Fluss Ramis. Die Minenbetreiber und illegalen Schürfer nutzen sein Wasser zum Goldwaschen. Als grüngelbe Schlammbrühe, mit Blei und anderen Schadstoffen angereichert, durchquert der Fluss viele Gemeinden, bevor er irgendwann in den Titicaca-See mündet. Die Folgen für Mensch und Natur sind verheerend. Etwas flussabwärts treffen wir den 15-jährigen Braulio, der drei Dutzend Lamas hütet. »Wir lernen schon als Kinder, nicht aus dem Fluss zu trinken«, erzählt er. »Bei den Lamas lässt sich das aber nicht immer verhindern. Vor allem in der Trockenzeit bleibt uns kaum eine Wahl. Im Jahr sterben uns etwa fünf bis zehn Tiere weg, nachdem sie aus dem Fluss getrunken haben.« Längst haben Gifte wie Blei Eingang in die Nahrungskette gefunden. Über das Lama-Fleisch, über das Grundwasser, und wenn im trockenen peruanischen Sommer das Flussbett teilweise austrocknet, weht der Wind die trockene, giftige Schlacke weit über die Felder der Hochebene.

Zenon Gomes ist der Leiter des von terre des hommes finanzierten Projektes ASAP. Die kleine Organisation führt mit Kindern der Landgemeinden von Ayaviri Umweltbildung durch. Der Ort liegt zwar mehrere Fahrstunden von der Minenregion entfernt, doch der vergiftete Fluss richtet auch dort massive Schäden an. »Kinder haben das Recht, in einer intakten Umwelt aufzuwachsen. Nur haben die flussabwärts lebenden Menschen kaum eine Chance, sich gegen die Minen zu wehren«, erklärt Zenon Gomes. »Aber wir müssen etwas dagegen unternehmen.« Das könne nur auf politischer Ebene gelingen, und es müsse sich eine starke Allianz bilden. Inzwischen ist ASAP dabei, sich andere nationale und internationale Partner mit ins Boot zu holen, um gegen die Minenbetreiber vorzugehen. »Letzten Endes muss das über Lima laufen: Nur auf Regierungsebene kann so viel Druck erzeugt werden, dass sich hier etwas ändert. Und dafür wollen wir sorgen - wenn es sein muss, marschieren wir vor der Bergbaubehörde auf.«

Rasches und konsequentes Handeln ist notwendig, denn die peruanische Regierung hat in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, um die gewaltigen Bodenschätze des Landes auszubeuten. Schürfrechte werden an transnationale Minen-Konzerne verscherbelt. Von den großen Gewinnen bleibt nur wenig im Land. Wie so oft profitieren vor allem die politischen und wirtschaftlichen Eliten - die Menschen vor Ort gehen meistens leer aus und müssen mit den sozialen und gesundheitlichen Folgen des Raubbaus an der Natur leben. Umweltschutzaspekte spielen bei der Vergabe von Minenkonzessionen praktisch keine Rolle.


Atemwegserkrankungen bei Kindern

Doch auch in einem Land mit wirtschaftsliberaler Gesetzgebung wie Peru lässt sich mit geschlossenem und beharrlichem Widerstand viel erreichen. Dies zeigt sich am Beispiel der Pazifik-Hafenstadt Ilo, eine Tagesreise von Puno. Ilo empfängt die Besucher mit viel Sonne, mediterranem Flair und einer kilometerlangen Ufer-Promenade mit Spielplätzen und Pavillons. Doch der Schein trügt: Die Bewohner von Ilo leiden seit fünf Jahrzehnten unter den Umweltverbrechen des Unternehmens Southern Peru, das in einer Mine in den Bergen oberhalb Ilos Kupfer abbaut. Die Weiterverarbeitung des Erzes erfolgt in einer Raffinerie nördlich der Stadt. »Früher, wenn der Wind aus Norden kam, lag die Stadt unter einer Dunstglocke mit Schwefeldioxid. Atemwegserkrankungen wie Asthma waren häufig, besonders bei Kindern«, erklärt Roxana Estrada von der terre des hommes-Partnerorganisation Labor. Ein breites Bündnis unterschiedlichster Initiativen kämpfte mehr als 15 Jahre lang darum, dass die Schlote einen Filter bekommen. 2007 war es dann soweit: Southern Peru gab nach, die ganze Anlage wurde modernisiert, und es wurden Filter eingesetzt. »Das war ein großer Erfolg für die Menschen von Ilo«, ergänzt Roxana. Die Anlage ist mit hohen Mauern umgeben, bewaffnete Wärter patrouillieren auf den Hügeln. Aus den hohen Schornsteinen steigt nur wenig Rauch. Nach Angaben des Unternehmens werden nun 92 Prozent des Schwefeldioxids herausgefiltert. Doch die alten Öfen stehen noch. Roxana Estrada berichtet, dass die alte Anlage nachts ab und zu betrieben werde. »Tagsüber trauen sie sich das nicht mehr«, meint sie. »Nachts können wir keine Fotos machen, aber man riecht es in der ganzen Stadt.«


Immense Umweltzerstörung

Wir verlassen die Stadt und folgen der Küstenschnellstraße nach Süden. Gewaltige Sanddünen begleiten uns, die nördlichen Ausläufer der Atacama-Wüste. Sie werden nach und nach von grünen Wiesen abgelöst, die von Wasseradern durchzogen sind: Das Delta eines Flusses, der von den Bergen ins Meer fließt. Stichstraßen führen hinunter ans Wasser. Wer einer von ihnen folgt, sieht das Ausmaß der Umweltzerstörung: Der Boden schimmert in den Farben des Regenbogens, die Pflanzen, die wachsen, sind nur widerstandsfähige Büsche und Gras.

Roxana Estrada weiß zu berichten, dass das Flussdelta früher ein wichtiges Vogelnistgebiet war. »Doch als Southern Peru mit dem Kupferabbau begann, verwendeten sie das Wasser aus dem Fluss und schickten es ungereinigt ins Tal. Über Jahrzehnte hat sich im ganzen Delta eine dicke Schicht giftiger Schlacke abgesetzt.« Vögel kämen längst keine mehr, und auch kaum Fische vor der Küste; das wenige, das die Fischer in ihren Netzen fänden, sei mit Schadstoffen belastet. Dazu kommt, dass der Wasserbedarf der Mine enorm ist. Der Grundwasserspiegel ist gesunken, viele Brunnen ausgetrocknet. In der ganzen Gegend herrscht seit vielen Jahren Wasserknappheit. »Unser nächstes Ziel ist es, dass Southern Peru endlich zur Verantwortung gezogen wird: Die Umweltschäden müssen als direkte Folge des Erzabbaus anerkannt, die giftige Schicht abgetragen und das Biotop wieder hergestellt werden«, sagt Roxana Estrada. Dafür setzt sich Labor gemeinsam mit zahlreichen anderen Initiativen ein. Es gibt also noch viel zu tun. Und die Erfolge im Ringen mit Southern Peru zeigen, dass die Menschen etwas erreichen können, wenn sie beharrlich sind.


Athanasios Melissis
(a.melissis@tdh.de)


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Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2011, S. 3
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2012