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HINTERGRUND/125: Interview mit terre des hommes-Gründer Lutz Beisel


die zeitung - terre des hommes, 1. Quartal 2007

Sternstunden menschlicher Begegnung

Interview mit dem terre des hommes-Gründer Lutz Beisel


Am 8. Januar 1967 gründete der gelernte Schriftsetzer Lutz Beisel das entwicklungspolitische Kinderhilfswerk terre des hommes Deutschland. Im Interview schildert er seine Motive und die ersten Jahre nach der Gründung.

Frage: Wie kam es zu Ihrer Entscheidung, eine Hilfsorganisation zu gründen?

Lutz Beisel: Ich war Ende 20 und war eingebettet in das bürgerliche Glück einer jungen Familie. In den Medien gab es damals ständig Berichte über den Krieg in Vietnam. Ein paar kleine Auslöser, so das erschütternde Foto einer Frau in einer Situation völligen Ausgeliefertseins, genügten dann, um meiner bürgerlichen Idylle einen schmerzhaften Riss zu verpassen. Zu einem "zufälligen" Rettungsanker wurde ein kleiner Zeitungsbericht über eine Hand voll Schweizer, die unter dem Namen "terre des hommes" Kindern in aussichtslosen Situationen zu Hilfe kamen. Mir war sofort klar, dass ich dabei sein wollte.

Frage: Was waren dann ihre ersten Schritte?

Lutz Beisel: Ich traf mich mit dem Journalisten Edmond Kaiser, der die erwähnte Initiative in der Schweiz begründet hatte. Von diesem Treffen kehrte ich nicht nur mit meiner festen Absicht, sondern auch mit seiner ausdrücklichen Bitte zurück, auch in Deutschland mit der terre des hommes-Arbeit zu beginnen. Das tat ich, indem ich zunächst Freunde und Bekannte davon überzeugte mitzumachen.

Frage: Wie ging es nach der Gründung weiter?

Lutz Beisel: Die Schweizer Freunde suchten dringend kostenlose Krankenhausplätze mit fähigen Ärzten für die Rettung und Behandlung kriegsverletzter und kranker Kinder aus Vietnam. Bis zu unserem Einsatz für die Opfer des Biafrakrieges haben wir fast ausschließlich und unter Anspannung aller Kräfte für das qualifizierte Auffangen ganzer Flugzeuge voller Kinder aus Vietnam und ihre Weiterversorgung gearbeitet.

Frage: Waren Sie überrascht von der Resonanz, die Ihre Initiative fand?

Lutz Beisel: Ja und nein. Irgendwie hatten wir mitten in den brodelnden Achtundsechzigern einen zukunftsweisenden Zipfel des Zeitgeistes erwischt. Und wir haben nicht theoretisiert, sondern gehandelt. Das wurde erkannt und anerkannt. Viele hatten auf "so etwas" längst innerlich gewartet.

Frage: Sie mussten die Arbeit bald auf eine hauptamtliche Basis stellen. Wie kam es dazu?

Lutz Beisel: Dieser Abschied von der reinen Ehrenamtlichkeit war nach anderthalb Jahren eine unausweichliche Folge unseres Erfolges. Wir hatten Verantwortung für Menschen übernommen. Ohne zu jeder Tageszeit erreichbare Mitarbeiter und ohne eine feste Adresse und Telefonnummer wäre die Arbeit wie ein Kartenhaus zusammengefallen.

Frage: Was ist Ihnen aus diesen Jahren besonders in Erinnerung geblieben? Unauslöschlich sind die Erinnerungen an einige besondere Sternstunden menschlicher Begegnung, wo Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit unmittelbar greifbar waren und tiefe innere Wärme und tiefes gegenseitiges Einverständnis die Anwesenheit von Engeln spüren ließen.

Frage: Wenn Sie terre des hommes heute betrachten: Haben Sie 1967 mit solch einer Entwicklung gerechnet?

Lutz Beisel: Ich war 1967 unbescheidenerweise vollkommen davon überzeugt, das Richtige zu tun. Am Erfolg zweifelt man da nicht. Ist der Erfolg dann eingetreten, kommen dann eher Zweifel, wie weit man noch auf dem richtigen Weg ist.

Frage: Welches waren und sind aus Ihrer Sicht die besonderen Eigenschaften von terre des hommes?

Lutz Beisel: Als Anwalt der Kinder und ihres Umfeldes mit den Grundhaltungen Liebe, Sachkunde und Nachhaltigkeit mutig einzuschreiten, wo immer es geht. Und dabei keine Angst zu haben vor Bedenkenträgern, Anstoßnehmern, Neunmalklugen, Bürokraten und Menschen, die Hoffnungslosigkeit verbreiten. Ja, und alle Elemente der Organisation, die das Etikett Bürgerinitiative verdienen.

Interview: Stephan Stolze


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Quelle:
die zeitung, 1. Quartal 2007, Seite 4
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
Internet: www.tdh.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2007