Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → TERRE DES FEMMES

LÄNDERBERICHT/120: Frauenhandel in Nigeria


Menschenrechte für die Frau 3/2007
Die Zeitschrift von Terre des Femmes

Frauenhandel in Nigeria
Tausende Frauen werden jährlich nach Europa verschleppt

Von Anita Gohdes


Frauenhandel bringen wir in Europa häufig mit osteuropäischen Senderländern in Verbindung. Dabei wird oft vergessen, dass jedes Jahr auch tausende Frauen aus Afrika nach Europa verschleppt werden. Gerade der von Armut, Korruption, Bürgerkriegen und Flüchtlingsbewegungen geprägte Westen des Kontinents ist Ursprungsgebiet unzähliger Opfer.


*


Nigeria ist mit seinen knapp 140 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land des afrikanischen Kontinents und vereint in sich hunderte von Kulturen und Ethnien. Die Bevölkerung teilt sich in den muslimischen Norden und den christlichen Süden, einige hängen animistischen Religionen an. Nicht nur seine enorme Größe und wirtschaftliche Stärke, sondern auch ständige interne Konflikte um Ressourcen, Religion und die Korruption sind kennzeichnend für Nigeria. Es gehört zu den Ländern, die gehandelte Menschen senden, empfangen und gleichzeitig als Umschlagspunkt genutzt werden. Der südlich gelegene Staat Edo kann als Zentrum des Frauenhandels in Nigeria bezeichnet werden. Schätzungen gehen davon aus, dass über zehntausend Frauen bislang von hier aus allein nach Italien gehandelt worden sind. Dazu sind Holland, Spanien, Schweden, die Schweiz, Deutschland und Großbritannien Empfängerländer für Zwangsprostituierte aus Nigeria. Auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zählen dazu.


Die Ausmaße des Geschäfts

Wer einmal im Südwesten des Landes gewesen ist, wird sich vielleicht über das eine oder andere große Haus mit nagelneuem Auto davor gewundert haben, das sich ganz deutlich von den anderen in seiner Umgebung unterscheidet. Fragt man nach der Quelle des Reichtums, hört man oft: "Ach, die Tochter arbeitet in Italien," und alle wissen, was damit gemeint ist. Die Geldüberweisungen von diesen Opfern aus dem Ausland sind zu einer festen Einnahmequelle im Land geworden.

Treibende Kraft für einen Weggang der Frauen und Mädchen ist oft die ausweglose Situation im eigenen Land: zunehmende Armut, sich verschlechternde Lebensumstände, hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Bildungsmöglichkeiten, ethnische oder religiöse Konflikte und daraus folgende unfreiwillige Umsiedlungen, soziale und wirtschaftliche Diskriminierungen von Frauen und die bis heute verbreitete Polygamie. Manche sind bereits in ihrer Heimat gezwungen, sich zu prostituieren. Da ist der Gedanke, nach Europa zu gehen, für viele gar nicht so abwegig. Manche wissen, welche Art Beschäftigung sie erwartet, andere hoffen auf eine bessere Arbeit. Oft wird die Vorstellung von Europa geradezu verherrlicht - die Erfolgsgeschichten zurückkehrender Frauen, die nicht die ganze Wahrheit erzählen, bestärken sie oft in ihrer Illusion. Die unwürdigen, ausbeuterischen und oft lebensgefährlichen Arbeitsverhältnisse, Gefahren wie HIV/AIDS und andere Geschlechtskrankheiten sowie die überwältigende Zahl der Misserfolge werden vernachlässigt und verdrängt.


Die Macht der Tradition

Nigerias internationaler Handel mit Menschen und vor allem Frauen hat Parallelen in der Tradition. Schon früher wurden Kinder armer Familien zur Hausarbeit in reiche Häuser geschickt. Ursprünglich sollte dies ein gegenseitiges Geben und Nehmen sein - im Gegenzug für die Hilfe bei der täglich anfallenden Hausarbeit erhielten die Zöglinge Verpflegung und die Hoffnung auf bessere Ausbildungsmöglichkeiten. Traurige Wahrheit ist, dass diese "Abkommen" oft in versteckter Sklaverei endeten.

In einer Kultur mit einer solchen Tradition ist es nicht allzu weit zu dem Schritt, die Tochter nach Europa zu schicken, auch wenn es sich bei dem Angebot um Sexarbeit handelt. Wenn in einer Familie mit vielen Kindern nicht alle versorgt werden können, scheint es eine plausible Lösung, ein Kind fortzuschicken, wenn dadurch die Situation der anderen verbessert wird. Die Gefahren sind dabei nicht allen bewusst. Innerhalb des Landes werden Kinder und Jugendliche vor allem aus den östlichen und südlichen Staaten in die großen Städte, aber auch in andere westafrikanische Länder verschleppt. Man schätzt, dass allein innerhalb Nigerias etwa 12 Millionen Kinder und Jugendliche unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten. Dabei sind die Grenzen zwischen Menschenhandel und freiwilliger Prostitution fließend. Fast immer ist eine dritte Partei involviert, die an die Familien herantritt und die Frauen auffordert, sich auf die "Reise" einzulassen. Dies können Freunde, Bekannte, aber auch die eigene Familie sein, die entweder wissentlich die Mädchen in die Zwangsprostitution schicken oder selbst noch an die Vorstellung vom besseren Leben in Europa glauben.

Vor der Abreise wird dann ein Ritual abgehalten, das die jungen Frauen und Mädchen an ihren Händler binden soll. Dieses Ritual wird von so genannten "Witch Doctors" oder "Juju Priests" durchgeführt. Sie lassen die Mädchen schwören, dass sie sich den Anweisungen des Händlers nicht widersetzen und erst wieder zurückkehren, wenn sie genug Geld verdient haben. Im Gegenzug schwört der Händler, das Mädchen wohlbehalten in sein neues Land zu begleiten. Es ist üblich, dass der Witch Doctor dazu eine Haarsträhne, einen Fingernagel oder auch ein wenig Blut des Mädchens aufbewahrt und damit den Bann besiegelt. Bei Nichteinhaltung des Paktes drohen beängstigende Strafen: Wahnsinn, Krankheit oder Tod von Familienmitgliedern sind nur einige Beispiele. Schon im Verlauf der Reise werden die Frauen Opfer von sexueller Gewalt, Vergewaltigung, Folter und anderem Missbrauch. Bei der Ankunft im Zielland werden den Opfern alle Papiere abgenommen, sie werden eingesperrt und müssen für die nächsten zwei bis drei Jahre unbezahlt arbeiten, um ihre angeblichen Schulden bei ihrer "Madame" zu begleichen. Diese "Madames" sind meist selbst noch sehr jung und kamen auf dem gleichen Weg nach Europa. Der Einsatz von Schwüren und Hexerei macht den Menschenhändlern den Umgang mit nigerianischen Frauen besonders leicht. Die Frauen sind eingeschüchtert durch die traditionelle Macht der Juju Priests und die Schreckensgeschichten anderer Frauen, und so haben die Madames leichtes Spiel mit ihnen. Die italienische Polizei berichtet von Razzien, bei denen Zwangsprostituierte aus Nigeria sich weigerten, ihre Unterkunft zu verlassen oder von Polizeirevieren wegliefen, aus Angst, den Pakt mit ihren Peinigern zu verletzen.


Frauenhandel - ein lukratives Geschäft

Neben den Zuständen im eigenen Land spielen auch die Empfängerländer eine große Rolle. Die Menschenhändler befriedigen mit der konstanten Zufuhr an Frauen eine steigende Nachfrage nach billigem und schnellen Sex mit immer jüngeren Prostituierten in europäischen Ländern.

Studien haben ergeben, dass der Profit aus einer Frau mindestens 20-mal soviel Gewinn einbringt wie der Preis, zu dem sie gekauft wurde. Im Gegensatz zu Drogen können Frauen wiederverkauft werden, und die Gefahr in dabei entdeckt zu werden, ist um ein Vielfaches geringer als im Waffen- und Drogengeschäft. Für den Bereich des Menschenhandels ist in Westafrika die Datenlage mehr als dürftig, und auch in den Staaten, die internationale Konventionen gegen Menschenhandel ratifiziert haben, ist die Umsetzung aus Kapazitätsgründen bei Polizei und Gerichtsbarkeit meist so mangelhaft, dass die organisierten Händler ungehindert arbeiten können. In Nigeria kommt erschwerend die weit verbreitete Korruption hinzu. Migrationsbehörden und die Polizei in Europa und Afrika stehen vor großen Herausforderungen, wenn es um Beweise für diese Verbrechen geht.


Umsetzung internationaler Konventionen

Nigeria hat sich mit der Unterzeichnung und Ratifizierung internationaler Konventionen verpflichtet, den Menschenhandel durch nationale rechtliche Reformen zu bekämpfen. 2003 wurde der Trafficking in Persons (Prohibition) Law Enforcement and Administration Act vom damaligen Präsidenten Chief Olusegun Obasanjo unterzeichnet. Es wurde ein Ministerium für die Bekämpfung von Menschenhandel eingerichtet, welches dieses Gesetz umsetzen soll, zugleich aber auch für die gerichtliche Verfolgung der Menschenhändler und die Rehabilitation der Opfer verantwortlich ist. Das Ministerium hat bislang zaghafte Erfolge vorzuweisen und wird von vielen Nachbarstaaten als positives Bespiel gesehen. Insgesamt elf Menschenhändler sind bis dato gerichtlich verurteilt worden, ein Zeichen für die Region, dass Strafverfolgung auf diesem Gebiet tatsächlich erfolgreich sein kann.


Zur Autorin:
Anita Gohdes macht ein Praktikum bei UNIFEM in Abuja (Nigeria) und arbeitet an einem Projekt zur die Stärkung von Frauen in Migrationsprozess in Westafrika.


*


Quelle:
Menschenrechte für die Frau 3/2007, S. 14-15
Herausgeberin: Bundesverband TERRE DES FEMMES e.V. -
Menschenrechte für die Frau
Postfach 2565, 72015 Tübingen
Tel.: 07071/79 73-0, Fax: 07071/79 73-22
E-Mail: TDF@frauenrechte.de
Internet: www.frauenrechte.de

Die Zeitschrift Menschenrechte für die Frau
erscheint dreimal jährlich und kann zum Förderpreis
von 15,40 Euro (im Ausland 18 Euro) abonniert werden.
Das Einzelheft kostet 3,90 Euro + Versandkosten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2007