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LÄNDERBERICHT/118: Das chinesische Ehegesetz


Menschenrechte für die Frau 2/2007
Die Zeitschrift von Terre des Femmes

Das chinesische Ehegesetz

Von Astrid Lipinsky


Es war eine Revolution und wurde im In- und Ausland als solche gewürdigt: Das allererste nationale Gesetz der frisch gegründeten Volksrepublik China, das Ehegesetz, schaffte im Jahre 1950 mit einer Handvoll Paragraphen das Konkubinat, die Zwangsverheiratung und die lebenslange Witwenschaft ab. Die Vorgängerregierung hatte zwar das westlich-europäische Modell des Familienbuches im Zivilrecht übernommen, hielt den Konkubinen und ihren Eigentümern aber eine breite Hintertür offen und verlangte keine amtliche Registrierung der Ehe.


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Mao Zedongs Revolution zielte vor allem auf die Frauen. Er hatte das Schicksal der jungen Selbstmörderinnen dokumentiert, die nur ihr Tod vor der Zwangsehe bewahren konnte. Deshalb gab das Ehegesetz den Frauen die vor der Zwangsehe bewahren. gleichen Rechte, die die Männer genossen:

Ein Mann konnte nicht mehr mehrere Frauen gleichzeitig haben. Damit war in China die Monogamie eingeführt, das Konkubinat verboten.
Die Braut musste persönlich der Eheschließung zustimmen; Einflussnahme von Eltern und Großfamilie auf die Partnerwahl waren verboten.
Der Familie des Bräutigams wurde verboten, von der Seite der Braut eine Mitgift zu verlangen.
Die Festlegung eines Mindestalters für die Heirat beendete in der Volksrepublik die Tradition der häufig als Dienersklavinnen missbrauchten Kinderbräute.
An die Stelle der nur dem Ehemann erlaubten Verstoßung seiner Frau trat das Scheidungsrecht für beide Eheleute.
Im Scheidungsfall wurde das Eigentum gleichberechtigt geteilt. Kinder standen nicht länger in jedem Fall dem Mann zu; je jünger das Kind, desto eher erhielt die Frau das Sorgerecht.

Heute baut China seit gut zwanzig Jahren mit der Schaffung einer endlosen Reihe von Gesetzen für alle Lebensbereiche am so genannten "chinesischen Rechtsstaat". Da ist die gesetzliche Regelung von Ehe und Familie längst nicht mehr revolutionär. Das Ehegesetz muss sich wie andere Bestimmungen auch am Rechtsalltag messen lassen. Denn gleichgültig, ob in der Fassung von 1950, von 1981 oder von 2001: Das Ehegesetz wird immer als Gesetz für Frauen wahrgenommen. Deren grundlegende Rechte von 1950 sind im Ehegesetz von heute geblieben. Die Frage ist, inwieweit das Ehegesetz den Status von Frauen in China tatsächlich verändert hat, und ob sie selbst es kennen und nutzen.


Nicht alle Frauen kennen das Gesetz

Töchter der Volksrepublik sind mit dem Ehegesetz erwachsen und alt geworden. Selbst im abgelegensten Dorf dürften die eine oder andere Comic-Wandzeitung oder der Vortrag einer Frauenverbandsvertreterin das Gesetz vorgestellt haben. Die Welle von scheidungswilligen Dorffrauen ist für die ersten Jahre des Gesetzes dokumentiert. Viele mussten allerdings erfahren, dass weder ihr gewalttätiger Ehemann noch die Schwiegerfamilie oder die dörflichen Regierungsvertreter das Gesetz auch praktizierten. Die Frauenbefreiung blieb bloßes Papier. Unzureichend erforscht ist, wie solche frühen Negativerlebnisse die Rezeption des Ehegesetzes unter den Frauen bis heute (Frauenverbandsvorträge gibt es immer noch) geprägt haben.

Der Stellenwert des Ehegesetzes ist so zentral, weil in China die Heirat von Mann und Frau "die wichtigste Angelegenheit in einem ganzen Leben" ist. Die Ehe ist im Übrigen auch die nach wie vor so gut wie einzige gesellschaftlich akzeptierte Existenzform: Erst mit der Eheschließung gelten Sohn und Tochter als erwachsen und ziehen weg von den Eltern. Singles haben im Bestfall Anrecht auf ein Bett im Mehrpersonenzimmer des Wohnheimes für Unverheiratete ihres Arbeitgebers. Die Heiratsurkunde berechtigt zum Antrag auf eine eigene Wohnung für die Familie. Das von den Dorfeltern mühsam zusammengesparte Häuschen geht mit der Heirat in den Besitz des Sohnes über.

Die Eheschließung dient der Familiengründung und ist deshalb immer heterosexuell. Männliche Homosexuelle, von denen es in China zwischen 500.000 und 50 Millionen geben soll (zu den Frauen fehlt jede Schätzung) beugen sich in der Mehrzahl der Erwartung von Familie, Arbeitskollegen und Gesellschaft, heiraten Frauen und leben bisexuell.


Wie gut kennen Frauen das Ehegesetz?

Wenn es um das Ehegesetz und das Heiraten geht, dann ist jede Frau Expertin. Nicht nur FachjuristInnen diskutieren das Gesetz. Die Bücher mit Beispielfällen aus dem Eherecht für Laien stapeln sich in den Buchläden zu Metertürmen. Oft haben Frauen aber falsche Vorstellungen von dem, was im Ehegesetz vorgeschrieben und vor Gericht einklagbar ist. Beispielsweise wandte sich Frau Zhu, ehrenamtliche Straßenabschnittsbeauftragte in einer Landgemeinde, an eine Anwaltskanzlei, um die Eheschließung zweier StraßenhändlerInnen zu verhindern. Als "mit Sicherheit illegal" bewertete sie nicht das Alter der Heiratswilligen - die Braut Anfang 50, der Ehemann in spe gerade 30. Sie kritisierte vielmehr die Tatsache, dass die Braut älter war als ihr Mann und nicht das fortgeschrittene Alter der Frau generell. Beim Anwalt erfuhr Frau Zhu, dass das Ehegesetz die Heirat von Minderjährigen, von Männern unter 22 Jahren und von Frauen unter 20 Jahren, verbietet. Ansonsten gibt es keine Einschränkungen hinsichtlich des Alters der Brautleute.

Frau Zhu war vermutlich vom "Gesetz" enttäuscht, aber das war nichts gegen die Wut und die Tränen von Lanjie. Als gesetzesbewusste Bürgerin wurde Lanjie direkt bei der Staatsanwaltschaft vorstellig und verlangte die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen ihren untreuen Ehemann wegen Bigamie. Die Staatsanwältin versuchte Lanjie vorsichtig darauf hinzuweisen, dass sie die bigamische Ehe beweisen müsse. Zum Beweis legte Lanjie Fotos von der Geliebten des Mannes vor und verwies auf seine gemeinsame Wohnung mit der Geliebten. Lanjies Klage wurde abgewiesen. Lanjie versteht das bis heute nicht: Hat ihr Mann etwa keine zweite Frau? Immerhin lebt er mit ihr zusammen. Was bedeutet da schon der Fetzen Papier einer Heiratsurkunde? Lanjie will sich nicht scheiden lassen und von ihrem Mann Unterhalt verlangen. Sie will, dass ihr Mann ins Gefängnis muss, weil er zwei Frauen hat, vielleicht nicht offiziell verheiratet, aber doch öffentlich vor aller Augen...


Umsetzung in der Rechtsprechung

Mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem Inkrafttreten ist das Ehegesetz also bei seiner primären Zielgruppe, den Frauen, nur mangelhaft bekannt. Wie verhält sich nun die Rechtsprechung zur Gleichberechtigung der Frauen? Neuere Urteilssammlungen und die Erläuterungen des Obersten Gerichtshofes zum Ehegesetz zeigen, dass eine geänderte Prioritätensetzung die Geltung des Ehegesetzes untergräbt. Ein Beispiel ist die in den Fassungen des Ehegesetzes und zugehörigen Eheregisterbestimmungen sukzessive verschärfte Notwendigkeit der behördlichen Registrierung der Ehe. Während die Fassung von 1950 noch die privat geschlossene sogenannte De-Facto-Ehe anerkannte, schreibt das Ehegesetz von 2001 sowohl für jede Eheschließung als auch für jede Scheidung die behördliche Eintragung zwingend vor. Im Widerspruch zum Gesetz urteilen aber die Gerichte, dass "quasi eheliches Zusammenleben" (tongju) genauso zu behandeln sei wie eine Ehe, beispielsweise im Fall der Trennung, die rechtlich als Scheidung zu würdigen sei. Diese Auffassung führt natürlich dazu, dass die behördliche Eintragung der Ehe in der Bevölkerung vor allem auf dem Land nach wie vor als nicht notwendig begriffen wird.

Wie kommen die Gerichte zu ihrer Meinung? Eine Detailanalyse der jeweiligen Fallumstände zeigt, dass sich seit 1950 nichts geändert hat: Immer dann, wenn es um Vermögenswerte geht, haben Frauen das Nachsehen. 1950 erhielten deshalb Dorffrauen bei Scheidung entgegen der Vorschrift der hälftigen Vermögensteilung vom landwirtschaftlichen Maschinenpark nichts, denn die Maschinen könne ja ausschließlich der Mann bedienen. Im Besitz der Frau würden sie einen Einkommensverlust bedeuten. 2003 schaffte es der Richter, die auf den Namen der Frau eingetragene (!) Immobilie eines außerehelich zusammenlebenden Paares zum Eigentum des Mannes zu definieren, damit der aus dem Besitz seine exorbitanten Schulden bedienen konnte. So gesehen, haben Frauen keine Möglichkeit, eigenes Vermögen wirksam vor dem Zugriff auf das "gemeinsame eheliche Vermögen" zu schützen.

Ist das chinesische Ehegesetz frauenfreundlich? Sollten wir uns den jährlichen Feiern für DAS Emanzipationsgesetz in China anschließen? Oder wollen wir nicht lieber fragen - und für Chinas Frauen zu der Frage anregen -, welchen Stellenwert das Ehegesetz eigentlich in Chinas Recht und Gesellschaft hat, gerne auch in Konkurrenz zum gerade eben beschlossenen gesetzlichen Schutz des Privateigentums?

P. S. Übrigens gibt es im China von heute wieder Konkubinen. Nur wohnen sie nicht mit der Ehefrau unter einem Dach und ihre Zweitfamilie mit eigenen Kindern heißt anders...

Zur Autorin:
Dr. Astrid Lipinsky ist Asienexpertin und langjährige Mitfrau von TERRE DES FEMMES.


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Quelle:
Menschenrechte für die Frau 2/2007, Seite 22-23
Herausgeberin: Bundesverband TERRE DES FEMMES e.V. -
Menschenrechte für die Frau
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2007