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KRIEG/059: Asymmetrische Fronten - ein hoher Blutzoll ...   Interview mit Alfred Grosser (Martin Lejeune)


Am 7. Januar wurde die Öffentlichkeit von der Meldung eines bewaffneten Anschlages auf die Redaktion einer bekannten französischen Satire-Zeitschrift in Paris aufgeschreckt. Nach den letzten Pressebekundungen hinterließ dieser Überfall 12 Tote und 11 Verletzte. Der Journalist Martin Lejeune hatte sehr zeitnah die Gelegenheit, den in diesen Stunden viel gefragten Publizisten Alfred Grosser in einem kurzen Interview zu diesem Vorfall und damit in Verbindung zu bringenden Problemen zu befragen. (Anmerkung der Schattenblick-Redaktion)




Interview mit Alfred Grosser am 8.1.2015

Martin Lejeune (ML): Herr Grosser, wie erklären Sie sich dieses Attentat? Wie konnte es gesellschaftlich betrachtet zu einem so gezielten Angriff auf die Meinungsfreiheit kommen?

Alfred Grosser (AG): Es ist nicht nur ein Angriff auf die Meinungsfreiheit, sondern es geht auch um die interessante Zeitung, die immer unter anderem den Islam veräppelt und auch Texte über Mohammed gebracht hat. Die Flucht der Attentäter wurde aufgenommen, und der eine sagt: "Mohammed ist jetzt gerächt" - gerächt im wörtlichen Sinn der Rache, und das ist besonders skandalös. Wer es war, weiß man noch nicht genau, es gibt einige Vermutungen. Man kann jedoch, wie der Innenminister meinte, nicht alle unter Aufsicht stellen, die man dann auf Schritt und Tritt verfolgt. Wir haben nicht genügend Polizei, um allen Fällen nachzugehen, von denen man glaubt, daß sie eventuell eines Tages ein Attentat verüben könnten. Und der Präsident der Republik hat gesagt, daß in der letzten Zeit schon eine ganze Menge Attentate verhindert wurden. Also die französische Gesellschaft hat damit wenig zu tun, außer wenn es junge Leute sein sollten, die aus Syrien zurückkommen. Aber das glaube ich kaum.

ML: Denken Sie, daß es in der französischen Gesellschaft einen Nährboden gibt, der solche schrecklichen Angriffe möglich macht?

AG: Nein, nein. Zunächst einmal ist es erstaunlich, wie groß die Einstimmigkeit heute ist. Unsere Sportzeitung hat zum Beispiel die ganze erste Seite als Trauerseite mit dem großen Titel "Freiheit 0, Barbarei 12" aufgemacht. Und der Figaro, der sonst gegenüber Ausländern nicht sehr freundlich ist, sagt, ganz in Schwarz, und es ist ein großer Artikel: 'Bitte keine Verallgemeinerungen'. Und das ist etwas, das PEGIDA bei euch anscheinend nicht verstanden hat: Auch wenn es bei euch zahlreiche Attentate gäbe, würde nichts PEGIDA Recht geben, nichts würde den AfD-Leuten Recht geben, die ja auf PEGIDA schielen. Sie sind vereinzelt. Die meisten Opfer dieser Attentate auf der ganzen Welt sind Moslems. Bei uns in Frankreich arbeiten alle, zum Beispiel auch die Kirchen, auch die jüdische Religion und Moslems, Katholiken und Protestanten wunderbar zusammen. Bei den großen Demonstrationen gestern abend waren viele Moslems. Diese Verallgemeinerungen sind total absurd.

ML: Sie haben gerade PEGIDA angesprochen. In Deutschland werden die christlichen und die jüdischen Gemeinschaften vom Staat unterstützt, die islamischen Gemeinschaften hingegen nicht. Es gibt keine islamischen Feiertage in Deutschland, von einer Islamisierung Deutschlands kann also überhaupt keine Rede sein. Wie kommt es, daß sich plötzlich 18.000 Menschen in einer Stadt wie Dresden, in der es auch einen relativ niedrigen Ausländeranteil gibt, versammeln? Haben Sie dafür eine Erklärung?

AG: Kaum. Ich werde Ende dieses Monats vier Tage in Dresden sein und dort zweimal reden und auch in Leipzig. Ich verstehe das nicht ganz, vor allen Dingen, weil es sich auf Dresden konzentriert. Aber die Tatsache, daß es dort wenige Ausländer, wenige Moslems gibt, bedeutet gar nichts. Bei uns im Elsaß zum Beispiel, in den durch Wein stinkreich gewordenen Dörfern dort, gibt es nicht einen Ausländer, nicht einen Arbeitslosen, und die wählen Marine Le Pen. Weil sie meinen: Es könnte doch eines Tages passieren... Und bei Ihnen sind ja im östlichen Teil Deutschlands im großen und ganzem viel weniger Emigranten. Und vor allen Dingen gibt es bei Ihnen momentan - und das nehme ich als Beispiel - einen großen Widerspruch: Einerseits sind da PEGIDA und die AfD, die sich immer mehr PEGIDA annähert, und auf der anderen Seite ist es wunderbar, wie die Kanzlerin, wie die Länder, wie die Städte - mit Ausnahme der CSU - bereit sind, aufzunehmen. Ich war neulich in Ludwigsburg, einer relativ kleinen Stadt. Die lokale Zeitung bringt drei Seiten über: Wo und wie machen wir das? Wie nehmen wir Ausländer auf? Wo schaffen wir Institutionen, die ihnen helfen? Und so weiter und so weiter. Also da ist Deutschland verglichen mit Frankreich sehr vorbildlich, wenn Sie von der Art von Demonstrationen wie in Dresden und wenn Sie von der CSU absehen. Und noch etwas: Die Kanzlerin hat bis auf eine Ausnahme sehr gut gesprochen. Sie hätte sagen sollen: Wir sind eine christliche Partei und wir können nicht verantworten, daß die Asylsuchenden im Namen unseres Christentums abgelehnt werden. Sonst gäbe es ja keine CDU, und die CSU hat das völlig vergessen.

ML: Ist die CSU nicht im Grunde eine ebenso rechtsradikale Partei wie auch die AfD? Gibt es da überhaupt einen Unterschied?

AG: Das ist schwer zu sagen, da Seehofer jeden Tag etwas anderes sagt als am Tag zuvor. Das ist schwer zu beurteilen. Aber die Stadt München ist da besser als das Land Bayern. Von dem Land Bayern mit seiner CSU-Mehrheit könnte man eigentlich etwas anderes erwarten. Das habe ich auch den Bischöfen ein wenig zum Vorwurf gemacht, die sich jetzt aber tadellos verhalten. Bei uns wird die Trauerglocke von Notre Dame de Paris heute den ganzen Tag läuten. Es ist ein Trauertag, den der Präsident verkündet hat. Überall sind die Flaggen heute auf Halbmast. Meine einzige Befürchtung ist, daß sich, wenn es mehr Attentate geben sollte, was durchaus möglich ist, dieses ganze Mitempfinden ein bißchen abschwächt.

ML: Finden Sie die Reaktionen der französischen Politiker überzeugend? Glauben Sie, daß sie ihre Verurteilungen und ihre Mahnungen zur Toleranz ernst meinen?

AG: Ja, vor allen Dingen warte ich schon mit Angst auf die furchtbaren politischen Reaktionen von Marine Le Pen und Sarkozy, die sagen werden: Wären wir an der Macht, dann wäre so etwas nie passiert. Das erwarte ich für morgen oder übermorgen. Und das wäre skandalös, aber es wird wahrscheinlich so kommen.

Alfred Grosser am Rednerpult im Bundestag - Foto: © 2014 by Martin Lejeune

BERLIN, 2014-07-03: Zum Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs hat der französische Politikwissenschaftler Alfred Grosser die Überwindung des Militarismus in Deutschland gewürdigt. Die Besonderheit Deutschlands vor 100 Jahren sei im Vergleich zu anderen Ländern der große Platz des Militärs in der Gesellschaft gewesen, sagte Grosser in einer Gedenkstunde im Deutschen Bundestag in Berlin. Erst der Ausgang des Zweiten Weltkriegs habe das Land dann grundlegend verändert. Ein zentraler Unterschied zum Krieg von 1914 bis 1918 sei gewesen, «dass die totale Niederlage ein total anderes Deutschland vorgebracht hat», sagte der 89-Jährige.
Foto: © 2014 by Martin Lejeune

ML: In Deutschland, hatten wir gerade festgestellt, gibt es Anzeichen für eine antiislamische Stimmung. Ist so etwas auch in Frankreich zu beobachten?

AG: Ein bißchen, denn es wird immer verschwiegen, wieviele Moscheen, wieviele islamische Institutionen Opfer von Angriffen werden. Ich nehme nur ein Beispiel: Im vorigen Jahr sind in Toulouse drei Juden - ein Erwachsener und zwei junge Leute - von einem Islamisten furchtbar ermordet worden, der am Vortag aber auch zwei islamische Unteroffiziere getötet hat. Diese Information ist verschwunden, man spricht nur vom Antisemitismus und nicht vom Antiislamismus, der auch eine ganze Menge von Attentaten mit sich bringt. In Deutschland gab es einmal einen wunderbaren Vorsitzenden des jüdischen Zentralrats, er hieß Ignatz Bubis. Wenn irgendwo ein Flüchtlingslager brannte, war er sofort da, um zu zeigen, wie solidarisch die Juden mit den Moslems sind. Das ist heute nicht mehr so der Fall.

ML: Hat diese ganze Problematik etwas mit dem Säkularismus zu tun?

AG: Aber klar. Wir sind 'un état laïque' [ein laizistischer Staat, Anm. d. SB-Red.] und die Kirchen freuen sich furchtbar darüber, im Gegensatz zu den deutschen. Das heißt, der Staat ist neutral, nicht wertneutral, wir haben Grundwerte wie in Deutschland, sind im allgemeinen den Juden gegenüber tolerant und es gibt an sich keine Bevorzugung, außer im Elsaß, wo das alte Konkordat noch gültig ist. Ansonsten gibt es keine finanzielle Unterstützung des Staates für die Kirchen. Sie sagten vorhin, daß man bei Ihnen die Tatsache, daß es keine offizielle Vertretung des Islam gibt, als guten Grund vorschiebt, damit sie kein Geld bekommen. Das finde ich etwas heuchlerisch.

ML: Wann werden Sie denn ganz genau in Dresden und in Leipzig sein?

AG: Ich rede am 26. Januar in Dresden bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung und am Dienstagabend spreche ich an der Uni Leipzig. Ich habe natürlich einiges zu sagen in Dresden. Ab morgen, übermorgen bin ich eventuell in Frankfurt, das steht noch nicht ganz fest, und am Mittwoch in Heidelberg. Ich versuche mich einzumischen, so gut ich kann - wie ich das schon seit Jahrzehnten getan habe.

ML: Ist die Tatsache, daß Sie in Dresden sprechen, dem Umstand geschuldet, daß PEGIDA dort so viele Anhänger hat?

AG: Nein, nein, nein, nein. Das war schon lange vorher geplant und ist seit vielen Monaten festgelegt. Aber es freut mich, in der Stadt zu sprechen, in der PEGIDA stark gewesen ist, um dagegen zu halten. Ich habe keine Furcht vor lauten Angriffen im Saal. Das ist mir völlig egal. Daran bin ich ziemlich gewöhnt, wenn ich Palästinenser verteidige zum Beispiel.

ML: Halten Sie es für eine wirkliche Möglichkeit, endlich Gerechtigkeit walten zu lassen und für einen Schritt gegen die Straffreiheit, daß die Palästinenser im April dem Weltstrafgerichtshof in Den Haag beitreten werden?

AG: Ja, ich hoffe, es gelingt ihnen. Ich hoffe, daß Israel für das, was in Gaza geschehen ist, verurteilt wird.

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Quelle:
Martin Lejeune, 08.01.2015
Freier Journalist, Berlin
Transkription und Überarbeitung: Redaktion Schattenblick
E-Mail: info@martinlejeune.com
Homepage: www.martinlejeune.com
Facebook: www.facebook.com/lejeune.berlin
Blog: martin-lejeune.tumblr.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2015


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