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KRIEG/002: Brandsatz Nahost - entsetzt, empört und aufgebäumt ... (Reuven Moskovitz)


Anti-Kriegsbrief

von Reuven Moskovitz, vom 8. Juli aus Jerusalem



Liebe Anti-Kriegs-Freundinnen und Freunde in Aachen und Umgebung,

Liebe Freundinnen und Freunde überall in Deutschland,

ich versuche, meinen kürzesten Brief und Appell an Euch zu richten. Mein Versuch vor zwei Jahren, die beiden Anti-Kriegs-Gruppen in Aachen zu versöhnen, scheint gescheitert zu sein. Während Günther Grass mit seiner letzten Tinte seinen dramatischen Aufruf schrieb, wende ich mich jetzt an euch mit meinen letzten Atemzügen.

Noch bin ich gesund und gehe auf mein 86. Lebensjahr zu. Manche meiner Träume haben mich blind gemacht, andere Träume lebe ich mit meinen Freunden, die verstehen, dass das gefährlichste Konzept, Krieg zu vermeiden, das israelische ist, das davon ausgeht, dass Terror nur mit immer weiterer Gewalt besiegt werden kann.

Für mich stellt sich heute die Frage, die sich Hamlet in Shakespeares berühmtem Drama schon vor mehr als 400 Jahren stellte:

Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben - schlafen -
Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf
Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
Die unsers Fleisches Erbteil, 's ist ein Ziel,
Aufs innigste zu wünschen. Sterben - schlafen -
Schlafen! Vielleicht auch träumen!

Trotz einer erfolgreichen "Tournee" durch Deutschland, trotz ermutigender Reaktionen auf meinen Pfingstbrief, in dem ich an das wichtigste Gebot "Du sollst nicht töten" erinnere, das für mich auch bedeutet, selbst dann nicht zu morden, wenn andere morden, schaut die Regierung in Deutschland weiterhin nur zu, wie die Gewalt im Nahen Osten eskaliert.

Zu morden ist aber schon immer das wichtigste Konzept sowohl der israelischen Politiker als auch eines Teils des palästinensischen Widerstands gewesen. Jedoch wurden durch das israelische Morden in den vergangen 70 Jahren ungefähr zehnmal mehr Menschen umgebracht als durch den palästinensischen Terror. Das bedeutet aber nicht, dass der von manchen palästinensischen Kreisen vertretene Gedanke richtig ist, dass das Geschehene ungeschehen gemacht werden und Israel von der Landkarte verschwinden könnte.

Der einzige Weg, Kriege, insbesondere ABC-Kriege, zu vermeiden, ist Konzepte zu entwickeln, die versuchen die Schmerzen und Verletzungen durch die schrecklichen Geschehnisse der Vergangenheit als Folge zahlloser Kriege und Zerstörungen zu lindern und eine Aussöhnung der Gegner zu erreichen.

Mit meinen letzen Atemzügen appelliere ich an die Bundesrepublik Deutschland, aus der einseitigen, pro-israelischen Politik in dem Konflikt zwischen Israel und Palästina auszusteigen.

Schon lange handelt man in Israel/Palästina nach dem Motto "Auge um Auge, Zahn um Zahn". Zu Recht hat Jimmy Carter seinerzeit darauf hingewiesen, dass eine solche Verhaltensweise zu völliger Blindheit führt, und ich möchte hinzufügen, nicht nur zu Blindheit, sondern auch zu Zahnlosigkeit und schließlich zum Untergang.

Kurz nachdem ich diese Zeilen schrieb, erschüttern mich die Ermordung der drei jüdischen Jugendlichen und die Entführung und die Verbrennung bei lebendigem Leibe eines 14-jährigen Palästinenser, wie auch die gescheiterte Entführung eines 9-jährigen palästinensischen Kindes. Inzwischen wird der Gaza-Streifen heftig bombardiert und mit gezielten Tötungen von Hamas Anführern und einem militärischen Einmarsch in Gaza gedroht.

Wird die Bundesregierung weiter schweigen angesichts dieser schrecklichen eskalierenden Geschehnisse?

Ich denke darüber nach, am 1. September 2014 in Aachen in den Hungerstreik zu treten unter dem Motto "Lasset uns als Kriegsgegner gemeinsam den Anti-Kriegstag begehen".
Ich bitte um organisatorische Hilfe von Menschen in und aus der Umgebung von Aachen.

Herzlichst

Reuven

Jerusalem, 8. Juli 2014

*
Quelle:
Reuven Moskovitz, Jerusalem


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2014