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INTERVIEW/189: Ilisu-Staudamm - Bruchlinie Verkehrsbewältigung ...    Heike Drillisch im Gespräch (SB)


Die Ethnologin und Soziologin Heike Drillisch ist bei der Initiative GegenStrömung aktiv, die sich im Rahmen des Institutes für Ökologie und Aktions-Ethnologie e.V. (INFOE) gebildet hat. Sie setzt sich mit den ökologischen und menschenrechtlichen Folgen von Staudämmen und Wasserkraft auseinander. Am Rande einer Mahnwache der Initiative zur Rettung von Hasankeyf (HYG), eines 12.000 Jahre alten Ortes im Südosten der Türkei, dessen Existenz durch den Bau des Ilisu-Staudammes akut bedroht ist [1], in der Nähe der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel Berlin beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen zu den Problemen, die diese Großprojekte in ökologischer und sozialer Hinsicht zur Folge haben.


Auf der Museumsinsel in Berlin - Foto: © 2019 by Schattenblick

Heike Drillisch
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Heute wird hier gegen den Bau des Ilisu-Staudammes und die Zerstörung der Stadt Hasankeyf protestiert. Könntest du etwas zu den ökologischen Folgen des Projektes sagen?

Heike Drillisch (HD): Der Ilisu-Staudamm gefährdet den Artenreichtum in der Region, insbesondere was die Euphrat-Weichschildkröte betrifft. Weichschildkröten sind weitweit etwas ganz Besonderes, es gibt nur noch wenige von ihnen. Die Euphrat-Weichschildkröte kommt am Euphrat schon nicht mehr vor, weil es da kaum noch Fließgewässer gibt und der größte Teil des Flusses aufgestaut ist. Am Tigris leben noch einige, aber wenn dort jetzt auch aufgestaut wird, besteht die Gefahr, daß damit ihr letzter Lebensraum verschwindet. Es lebt noch eine ganze Reihe anderer Tierarten am Tigris, die jetzt unmittelbar bedroht sind, weil sich das gesamte Ökosystem dort verändern wird. So verschwindet der frei fließende Fluß mit Auen und wechselweisen Überflutungen - wenn der Wasserspiegel steigt und wieder sinkt - und die dort lebenden Arten wie etwa die Fischpopulationen sind ganz andere als diejenigen, die hinterher in einem stehenden Gewässer zu finden sein werden. Die meisten Stauseen verfügen auch noch über eine sehr schlechte Wasserqualität.

Durch die Staudämme wird der Flußlauf unterbrochen, in dem fast alle Fischarten auf und ab wandern. Diese Wanderungen werden unterbunden, und dies bedroht die Ernährungssouveränität Hunderttausender Menschen bis zu den Küstengebieten. Dazu kommen die Sedimente, die an den Staumauern aufgehalten werden und infolgedessen an den Küsten fehlen, was dort die Erosion verstärkt. Bleibt der stetige Nachschub an Sedimenten aus, und nehmen dann auch noch Stürme zu, sind die Menschen dort noch mehr bedroht, als sie es sowieso schon dadurch sind, daß die Küste abbröckelt und weiter zurückwandert. Ökologisch sehr bedeutsam im Fall des Ilisu-Staudammes sind zudem die Auswirkungen auf die dammabwärts noch vorhandenen mesopotamischen Sümpfe, die austrocknen werden.

SB: Dennoch wird die Stromerzeugung aus Wasserkraft häufig mit grüner Technologie, mit erneuerbarer und nachhaltiger Energie assoziiert. Was ist dazu zu sagen?

HD: Die Wasserkraftindustrie propagiert das Image einer grünen, nachhaltigen und regenerativen Energieform und empfiehlt sich so als Problemlösung in Zeiten des Klimawandels. Selbstverständlich ist erforderlich, aus den fossilen Energieträgern auszusteigen. Das große Problem mit der Wasserkraft ist aber, daß sie nicht ökologisch ist, und zwar in verschiedener Hinsicht. So ist weitgehend unbekannt, daß Staudämme gravierende Auswirkungen auf das Klima haben. Zwar stoßen sie nicht CO2 aus, jedoch Methangas, und dies am meisten in heißen Gegenden mit viel Vegetation in Flußtälern. Bevor diese überflutet werden, wird häufig nicht gerodet, um die Vegetation zu entfernen. Zudem wird, wenn an den Ufern eines Staudamms noch viel Wald vorhanden ist, immer neue Biomasse in den Stausee eingetragen, die dort verrottet. Dabei entsteht Methan, ein Gas, dessen Treibhauspotential, bezogen auf einen Zeitraum von 20 Jahren, über 80mal so groß wie CO2 ist. Da gerade die nächsten 20 Jahre das zentrale Zeitfenster sind, in dem wirklich etwas gegen den Klimawandel getan werden muß, können manche Staudämme gravierendere Klimaauswirkungen haben als fossile Kraftwerke.

Deshalb sagen wir, daß Wasserkraft in der Regel keine Antwort auf den Klimawandel ist. Dazu kommen noch weitere Kritikpunkte. So sind die Planungen für Staudammbauten meistens schon sehr alt, bevor diese realisiert werden. Und in den wenigsten Fällen wurde eingeplant, daß sich das Klima bereits ändert. Im letzten Jahr kam es zu diversen Unfällen an Staudämmen. Als diese überflutet wurden, waren teilweise Hunderttausende Menschen bedroht und teilweise betroffen, wenn solch ein Staudamm bricht, weil Starkregenereignisse natürlich ganz andere Belastungen für Staumauern darstellen, was in den meisten Fällen nicht in die Planung einkalkuliert wurde. Zudem ist Wasserkraft extrem teuer. Je mehr die Trockenheit zunimmt, desto häufiger sind die Phasen, in denen die Energiegewinnung, die zuvor prognostiziert wurde, überhaupt nicht erreicht wird. Das bedeutet, daß Staaten, die sich massiv verschuldet haben, um Staudämme zu bauen, nicht einmal die zuvor prognostizierten Einahmen erzielen.

SB: Laufen die Kosten beim Bau eines Staudamms auf?

HD: Ja, bei Staudämmen handelt es sich um typische Großprojekte, bei denen es zu massiven Kostenüberschreitungen kommt. Zudem sind in den meisten Fällen Menschen betroffen, wenn große Gebiete überschwemmt werden. Die brauchen Ersatzland, neue Einkommensmöglichkeiten und neue Orte mit Häusern und so weiter. Bedauerlicherweise werden solche Kosten oft nicht einberechnet oder zu niedrig angesetzt. So erhalten die vertriebenen Leute keine Entschädigung und stranden in Slums. Aber auch wenn es eine korrekte Planung gäbe und die Menschen entsprechend entschädigt würden, entstünden dadurch natürlich sehr hohe Kosten, die bei anderen Energieträgern nicht anfallen. Und deswegen sind Staudämme eine sehr teure Energieform.

Ein ganz wichtiger Punkt, für den wir uns immer wieder einsetzen, der aber im Grunde überhaupt nicht berücksichtigt wird, ist, daß viel umfassender hingeguckt werden müßte, sofern man überhaupt Staudämme plant. Man müßte sich das gesamte Flußbassin anschauen und vielleicht sogar zu dem Ergebnis kommen, daß am besten überhaupt kein Staudamm gebaut werden sollte. Wenn tatsächlich großer Energiebedarf vorhanden ist, dann sollte zumindest darauf geachtet werden, daß genügend freifließende Flüsse bestehen bleiben, so daß die Arten überleben können.

Das ist auch bei kleinen Staudämmen ein zentraler Punkt. Weil durch große Staudämme viele Menschen ihre Lebensgrundlagen verlieren, werden kleine Staudämme als Alternative betrachtet. Leider sind sie das in der Regel nicht, weil es bei einem einzigen kleinen Staudamm normalerweise nicht bleibt. Die Türkei zum Beispiel will zahlreiche Staudämme bauen. Im Amazonasgebiet Brasiliens sind etliche Großstaudämme geplant, es gibt aber auch Regionen, in denen eine ganze Kaskade von kleinen Staudämmen, die das Leben in den Flüssen ebenso vernichten, in Planung ist.

SB: Unterstützt die Bundesregierung nach wie vor Staudammprojekte, weil es sich angeblich um eine ökologisch nachhaltige Form der Energieerzeugung handelt?

HD: Im Moment prüft die Bundesregierung bei Staudammprojekten in Angola, ob sie dafür staatliche Hermes-Bürgschaften gibt. Die KfW-IPEX-Bank ist an einigen Staudammprojekten beteiligt, zum Beispiel Hidroituango in Kolumbien, wo es im vergangenen Jahr zu einem gravierenden Unfall kam, kurz bevor er geflutet werden sollte! Auch in Guatemala ist die Bundesregierung an einem solchen Projekt beteiligt. Und natürlich sind aus Deutschland der Turbinenhersteller Voith Hydro und die Versicherungen Allianz, Munich Re und Hannover Re dabei. Indem sie die großen Staudammprojekte versichern sowie rückversichern, machen sie ihren Bau erst möglich.

SB: Welche Position bezieht die zur Zeit so erfolgreiche Partei Die Grünen zu Staudammprojekten?

HD: Ich kennen keine Grundsatzdiskussionen der Grünen zu Wasserkraft. Ich kenne einzelne Abgeordnete, denen die Auswirkungen sehr bewußt sind und die eine sehr kritische Haltung dazu haben. Ich weiß aber nicht, ob die Partei insgesamt eine Position zu Wasserkraft hat. Ich glaube, keine Partei hat eine grundsätzliche Position zu Wasserkraft.

Aber im Moment unternehmen die großen Entwicklungsbanken etwas. Die Weltbankgruppe, aber auch die regionalen Entwicklungsbanken haben sich zusammengeschlossen und letztes Jahr bei den Klimaverhandlungen angekündigt, daß sie ihre Politik an das Pariser Abkommen anpassen wollen. Das ist natürlich total begrüßenswert, weil das auch heißt, aus den fossilen Energieträgern auszusteigen. Aber wir sind sehr besorgt, ob da nicht ein unkritischer Blick vorherrschen könnte und man dann sagt, okay, dann gehen wir jetzt halt in die Wasserkraft. Das wäre einfach fatal. Daher sind wir auch dabei, die Bundesregierung zu fragen, wie sie sich dazu positioniert. Sie hat in vielen Entwicklungsbanken Sitz und Stimme, und es wäre gut, wenn sie sich entsprechend positionierte.


Transparent 'Stopp Ilisu-Damm!' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnote:

[1] INTERVIEW/188: Ilisu-Staudamm - nicht nur kulturhistorischer Schaden ...    Nick Brauns im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0188.html


5. Juli 2019


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