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INTERVIEW/184: Frauenstreik - Geschlechtliche Selbstbestimmung und Wege dahin ...    Bene Gauland im Gespräch (SB)



Gespräch am 8. März 2019 in Hamburg

Mit einer kämpferischen und emotionalen Rede wandte sich der Trans-Aktivist Bene Gauland vom Bündnis Won't Be Erased beim Internationalen Frauenkampftag auf dem Hamburger Rathausmarkt an ein Publikum, das er wahrscheinlich kaum davon überzeugen mußte, Trans- und Inter-Menschen die Freiheit zuzugestehen, ohne äußeren Druck ganz für sich über das eigene Geschlecht zu befinden und sich keiner der üblichen wie weniger bekannten Kategorisierungen unterwerfen zu müssen. Dennoch blieb wohl niemand davon unberührt, was er über seine Kindheit ab dem Alter von fünf Jahren berichtete, als er nicht mehr derjenige sein durfte, als der er sich stets gefühlt habe. Mit Beginn der Grundschule hätten für Bene, der sich als trans-männlich und nonbinär bezeichnet, Jahre einer Entfremdung begonnen, in denen er nicht mehr er selbst sein konnte, woran er fast gestorben wäre.

So erwähnte Bene die bei Trans-Menschen bis zu 50 Prozent betragende Rate von Suizidversuchen wie Selbsttötungen, die weit höher ist als unter der heterosexuellen Mehrheitsbevölkerung. Diese Welt versuche, Trans-Menschen entweder aktiv oder passiv zu töten, so das Resümee seiner persönlichen Geschichte wie seiner Erfahrungen als Aktivist. Demgegenüber gelte es, um grundlegende Menschenrechte zu kämpfen, das Recht zu leben und nicht wegen welcher Normabweichung auch immer marginalisiert zu werden. Es sei an der Zeit, dieses System, das niemals funktioniert habe und niemals funktionieren werde, neu zu definieren und alle sozialen Konstrukte zu zerstören, die Menschen auf etwas festlegen und als etwas identifizieren, was sie nicht sein wollen.

Er sei froh, die Gelegenheit zu dieser Rede zu haben, denn in vielen anderen Ländern könnten Trans-Menschen sich nicht einmal öffentlich zu erkennen geben, ohne Gefahr zu laufen, umgebracht zu werden. Bene beschloß seine Kampfansage mit den Worten: Egal, wie viele von uns sie jagen, zusammenschlagen und umbringen, wir werden nicht aufgeben und werden nicht ausgelöscht werden. We won't be erased, so die Worte seiner auf englisch gehaltenen Rede, knüpft an eine Kampagne von Trans-Menschen gegen die US-Regierung unter Donald Trump an, der versucht, nonbinäre Rechte zurückzufahren und eine unveränderbare heteronormative Geschlechterordnung durchzusetzen, der sich die Menschen bei Geburt zu unterwerfen hätten [2].

Nach seiner Rede beantwortete Bene dem Schattenblick einige ergänzende Fragen.


Im Interview - Foto: © 2019 by Schattenblick

Bene Gauland
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Bene, verstehst du dich als Trans-Mann oder als Trans-Frau?

Bene: Ich bin nonbinär trans-männlich, ordne mich also nicht ins binäre Geschlechtersystem ein. Bei der Geburt wurde ich falsch als weiblich zugeordnet, identifiziere mich aber als männlich.

SB: Wie hast du es geschafft, dich von der Geschlechteridentität, die dir aufgedrückt wurde, freizumachen?

Bene: Es war ein sehr langwieriger Prozeß. Für mich wie für die meisten Trans-Menschen heißt das, sich regelrecht freikämpfen zu müssen. Ich habe erst vor vier Jahren realisiert, daß ich trans bin. Seit mir das langsam klargeworden ist, lebe ich das sehr offen, seitdem bin ich wirklich ich.

SB: Handelt es sich bei der Repression gegen Trans-Menschen eher um staatliche Gewalt oder geht sie von individueller sexistischer Aggression aus?

Bene: Die Repression staatlicherseits gegenüber Trans-Menschen ist auf jeden Fall eindeutig vorhanden. Allerdings ist hier in Deutschland und in der westlichen Welt die Realität, mit der Trans-Menschen konfrontiert werden, im Vergleich zum Rest der Welt tatsächlich nicht mehr so schlecht, aber dennoch schwierig genug. Fakt ist, um Behandlungen wie eine Hormonersatztherapie genehmigt zu bekommen, Dinge, die für Trans-Menschen lebenswichtig sind, muß man sich einer zweijährigen Psychotherapie unterziehen und dem Staat wie der Krankenkasse im Endeffekt beweisen, daß man trans genug ist, um eine solche medizinische Behandlung zu erhalten. Aber die Repression weltweit ist viel größer, insbesondere in Südamerika. 70 Prozent aller Todesopfer transphober Gewalt weltweit kommen von dort. So wie ich heute vor Hunderten Menschen eine Rede zu halten wäre dort gar nicht möglich.

SB: Hat das mit einer spezifischen Machokultur zu tun, oder woran liegt das, daß Transphobie gerade dort so verbreitet ist?

Bene: Das liegt ganz klar an der Regierung, an der Kultur, das liegt daran, daß die Polizeigewalt dort noch um einiges schlimmer ist als hier. Und weil die Anfänge einer schwul-lesbischen Kultur, die hier in Deutschland vor 20 Jahren stattfanden, dort weiterhin nicht vorhanden sind. In Südamerika könnte man von einer inoffiziellen Todesstrafe sprechen: Menschen werden umgebracht, nur weil sie homosexuell oder trans sind.


Transparent 'The Future Isn't Female - The Future Isn't Aszigned @ Birth' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Trans-Block auf der Demonstration zum Internationalen Frauenkampftag am 8. März in Hamburg
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: In der Bundesrepublik haben wir mit Jens Spahn einen schwulen rechtskonservativen Gesundheitsminister. Inwiefern gibt es überhaupt noch einen Zusammenhang zwischen geschlechtlicher Orientierung und einer emanzipatorischen politischen Position?

Bene: Ich glaube, was viele Leute nicht verstehen, ist, nur weil jemand schwul oder lesbisch ist, heißt das nicht, daß diese Menschen politisiert oder aktivistisch vom Denken her sind. Es handelt sich meistens um 08/15-Bürger, die einfach nur an ihre eigenen Belange denken. Jens Spahn setzt sich bestimmt für schwule Menschen ein, nicht aber für Trans-Menschen oder für linke Belange. Ich finde, das hängt ganz klar zusammen, und wir brauchen einfach Menschen in der Politik, die mehr als nur Mann/Frau, mehr als nur hetero, schwul oder lesbisch repräsentieren, sondern alle Geschlechter.

SB: Die neue gesetzliche Möglichkeit, beim zwingenden Eintrag des Geschlechtes ins Personenstandsregister eine dritte Option anzugeben [3], wird nur aufgrund eines medizinischen Attestes gewährt. Was sagst du dazu, daß andere darüber befinden, mit welchem Geschlecht sich der Mensch wohlfühlt?

Bene: Ich finde, der Schritt ist unglaublich wichtig und richtig, weil dadurch überhaupt Inter-Menschen offiziell existieren. Davor wurden sie immer ins binäre Geschlechtersystem eingeordnet. Daß es diese Option jetzt gibt, ist absolut wichtig und absolut richtig. Natürlich ist es nicht richtig umgesetzt, wenn man wieder eine staatliche Autorität aufsuchen muß, um sich das bescheinigen zu lassen. Aber das ist der erste Schritt meiner Meinung nach, der erste Stein, der die Lawine in die richtige Richtung ins Rollen bringt, und ich bin sehr froh, daß das jetzt eine Option ist. Wir müssen einfach weitermachen, bis eben geschlechtsfrei eigenständig wählbar ist.

SB: Heute am 8. März geht es auch und gerade um den Kampf gegen das Patriarchat. Ist der Begriff für dich eine Kategorie, mit der du als Trans-Mensch umgehst oder ist das zu sehr Oldschool-Feminismus?

Bene: Natürlich, das ist ganz klar mein Kampf. Patriarchale Strukturen nutzen niemandem, nicht mal den Männern, wenn man wirklich darüber nachdenkt, weil es repressive Strukturen sind, Strukturen, die auf Ansichten basieren, über die wir uns eigentlich als Menschen längst hinausentwickelt haben müßten. Aber wir bauen immer noch unsere Gesellschaft nach diesen festgefügten Strukturen auf, obwohl die gar nicht mehr relevant sind. Es macht einfach keinen Sinn, die patriarchalen Einteilungen so weiterzuführen. Ich bin ganz klar für ein Aufbrechen der patriarchalen Strukturen.

SB: Hier hängt ein Transparent, das an die TV-Serie Pose anknüpft. Was sagst du zu dieser Art von kultureller Verwertung der Trans-Thematik, die gerade in US-Medien immer sichtbarer wird? Wie empfindest du das, wie die Probleme von Trans-Menschen dort dargestellt werden?

Bene: Im Fall von Pose finde ich das Thema ziemlich gut umgesetzt, weil alle Darstellerinnen tatsächlich Trans-Frauen sind, Trans-Frauen-Schauspielerinnen. Mit ist sehr wichtig, daß Trans-Thematiken in der Popkultur ankommen. Natürlich wird nicht alles gut umgesetzt, aber alleine, daß die Thematik Trans in der Popkultur angekommen ist, sehe ich ganz klar positiv. Natürlich ist es schwierig, wenn wieder eine Trans-Person von einem cis-Schauspieler gespielt wird, das ist scheiße. Aber ich bin froh, wenn Trans in den Köpfen der Menschen überhaupt in Erscheinung tritt, weil immer noch die wenigsten Menschen wissen, was Trans ist. Ich finde es sehr gut, daß die Popkultur anfängt, das zu repräsentieren.

SB: Bene, vielen Dank für das Gespräch.


Transparent 'The Category Is: Slay The Patriarchy' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Live! - Work! - Pose! ... Fight!
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] BERICHT/119: Frauenstreik - der gleiche Kampf ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0119.html

[2] https://www.thecut.com/2018/10/trump-administration-policy-to-eliminate-transgender-rights.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1024.html


20. März 2019


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