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INTERVIEW/181: Protestmarsch für die Obdachlosen - praktisch, taktisch und strategisch ...    Vincent Schmidt im Gespräch (SB)


Interview am 9. Februar 2019 in Hamburg

Vincent Schmidt ist im Verein Antikältehilfe e.V. aktiv. Auf der Aktion Wintermove - Demo für die Obdachlosen [1] beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zur Tätigkeit dieser Initiative, die sich der Unterstützung für Obdachlose und Bedürftige verschrieben hat.


Im Interview - Foto: © 2019 by Schattenblick

Vincent Schmidt
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Worum handelt es sich bei der Antikältehilfe?

Vincent Schmidt (VS): Die Antikältehilfe ist eine privat gegründete Organisation. Wir sind erst letzten Sommer zum Verein geworden aufgrund der Spendensituation und ähnlichem. Wir kümmern uns unregelmäßig um Menschen auf der Straße, überwiegend in St. Pauli, aber auch in der City, in Altona, wo eben Hilfe benötigt wird.

SB: Wie viele Menschen sind dabei engagiert?

VS: Das ist unterschiedlich. Auf Facebook haben wir weit über 800 Unterstützter, bei Verteilaktionen waren wir zuletzt zwischen zwei und drei Dutzend. Das richtet sich auch immer ein wenig nach dem Bedarf.

SB: Leistet ihr ehrenamtliche Arbeit oder gibt es auch Festangestellte?

VS: Alles ist rein ehrenamtlich. Daher können wir auch nicht gewährleisten, immer da zu helfen, wo es sinnvoll wäre, aber im Rahmen unserer Möglichkeiten in Zusammenarbeit mit den Foodsavern und dem St. Pauli Museum tun wir was wir können.

SB: Strebt ihr auch Unterstützung von der Stadt an oder seid ihr damit zufrieden, in eigener Regie tätig zu werden?

VS: Wir hoffen eigentlich darauf, daß die Stadt hilft. Uns gibt es seit neun bis zehn Jahren, und wir haben miterlebt, wie viele private Initiativen dazugekommen sind. Wir fänden es sogar sehr gut, wenn es gar keiner privaten Initiativen mehr bedürfte. Wenn alle Unterbringungsmöglichkeiten hätten und diese ohne Angst nutzen könnten und auch ihre Tiere mitnehmen könnten, dann würden wir gar nicht mehr benötigt. Das ist unser Fernziel. Wenn alle privaten Initiativen in diesen Stätten helfen würden, dann hätte die Stadt so viel Unterstützung, dann müßte auch nicht alles über teuer bezahlte Stellen organisiert werden. Viele von uns sind sehr bereit, bei so etwas mitzumachen.

SB: Du sagtest vorhin, daß man manchmal den Eindruck hätte, die Stadt ruhte sich auf der Arbeit der ehrenamtlichen und selbstorganisierten Initiativen aus. Ist es nicht sowieso eine Eigenschaft dieser kapitalistischen Gesellschaft, soziale Arbeit in den Almosenbereich auszulagern?

VS: Das ist generell sicherlich auch ein soziales Problem, und das ist einer der Gründe, warum wir heute auf der Straße sind, um das Problem in die Öffentlichkeit zu tragen. Bei einer unserer letzten Verteilaktionen war in Hamburg zeitgleich der CDU-Parteitag. Es wurden Platten geräumt zum Zwecke einer Stadtkosmetik, weil man diese Bilder einfach nicht mehr will. Das kann die Stadt wahnsinnig gerne machen, wenn Alternativen geboten werden. Aber Platten zu räumen, während die Obdachlosen gerade nicht da sind, das ist menschenverachtend und entwürdigend. Deshalb ist es dringend Zeit, das Thema immer mehr in die Öffentlichkeit zu holen, weil viele gar nicht wissen, was angeboten wird. Es ist ganz wichtig, solche Themen nachrichtentauglich zu machen.

SB: Woran liegt es deiner Ansicht nach, daß in einem Land mit sozialen Sicherungssystemen überhaupt Menschen obdachlos sein müssen?

VS: Es gibt da natürlich auch so ein Hin und Her. Es gibt Menschen, die sagen, wenn wir es den Obdachlosen zu gemütlich machen, dann haben wir zu viel Zuwanderung aus anderen Ländern, die sich dann hier wirklich nur auf die Straße legen. Auch das ist ein Problem, wo die Stadt gefordert ist, wo man etwa osteuropäische Obdachlose durchaus nach Asylrecht behandeln könnte. Es sind Themen, die behandelt werden müssen, aber dadurch, daß man sie ignoriert, lösen sich die Probleme leider nicht automatisch auf. Wenn das ginge, hätte ich wahrscheinlich gar nichts dagegen.

SB: Gibt es in diesem Bereich auch Konkurrenz zwischen MigrantInnen und anderen hier lebenden Menschen?

VS: Das würde ich gar nicht zwischen Zugehörigkeiten ausmachen. Es ist wie so oft im Leben, daß es die Guten und die Arschlöcher gibt. Ein schöner Titel bei Hinz und Kunzt lautete: Es gibt nichts Erbärmlicheres, als Hilfsbedürftige gegeneinander auszuspielen. Das sind häufig Menschen, die aus Angst nicht in die Unterkünfte gehen, weil es da eben auch Menschen gibt, die übergriffig werden. Aber auch weil sie ihre Hunde nicht mitnehmen dürfen, die für viele der letzte soziale Halt sind. Es gibt ganz viele Gründe, warum dieses Angebot nicht wahrgenommen wird. Es ist daher ganz wichtig, daß es nicht nur darum geht, die Notunterkünfte ganztags zu öffnen, sondern auch die dortigen Bedingungen so zu verbessern, daß die Nachbarn ohne Wohnung dort auch hingehen wollen und wissen, wenn es ganz hart auf hart kommt, da kriege ich Hilfe. Die Angst davor muß also genauso genommen werden.

SB: Vincent, vielen Dank für das Gespräch.


Auf dem Rathausmarkt in Hamburg - Foto: © 2019 by Schattenblick

Mehr Aufmerksamkeit für Obdachlose und Bedürftige
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnote:

[1] BERICHT/118: Protestmarsch für die Obdachlosen - geteilte Ungemütlichkeit ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0118.html


25. Februar 2019


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