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INTERVIEW/173: Stimmen der Kultur - frei zu denken ...    Bettina Steinbrügge im Gespräch (SB)


Interview am 9. November 2018 auf Kampnagel in Hamburg-Barmbek


Bettina Steinbrügge ist Direktorin des Kunstvereins in Hamburg, der ältesten Kunstinstitution der Hansestadt. Wie alle anderen Einrichtungen der Bildenden Kunst in Hamburg hat sich auch der Kunstverein der Hamburger Erklärung der Vielen angeschlossen, die in einer Pressekonferenz am 9. Oktober auf Kampnagel unter Beteiligung zahlreicher Kulturschaffender der Stadt vorgestellt wurde. Anschließend beantwortete Bettina Steinbrügge dem Schattenblick einige Fragen zu den Versuchen der extremen Rechten, restriktiven Einfluß auf Kunst und Kultur zu nehmen.


Im Gespräch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Bettina Steinbrügge
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Als Leiterin des Kunstvereins in Hamburg vertreten Sie die Bildende Kunst. Könnten Sie Beispiele für Angriffe aus den Reihen der extremen Rechten auf die künstlerische Freiheit nennen?

Bettina Steinbrügge (BS): In Hamburg sind wir davon noch ein bißchen verschont geblieben. Wir haben es eher mit kleinen Anfragen zu tun, die von seiten der Kulturpolitik kommen und die man innerhalb von ein paar Tagen beantworten muß. Mit diesen wird vermutlich vorbereitet, wie man in die Kulturpolitik eingreifen kann. In Deutschland taucht das im Moment immer stärker auf. So war in Kassel zum Obelisk von Olu Oguibe eine wirklich unsägliche und schlimme Diskussion im Gange. Plötzlich wird ein Vokabular wie etwa "kulturversifft" wieder hoffähig, in Dresden können Kulturinstitutionen nicht mehr arbeiten, weil sogar Haßmails an Privatadressen geschickt werden. Durch diese politische Polarisierung wird die Bevölkerung aufgepeitscht. Da brechen sich Dinge und Worte Bahn, die man nur als warnendes Beispiel nehmen kann. Wir schauen da sehr aufmerksam hin, denn in Deutschland wissen wir, daß das schon einmal ausgeartet ist und möchten nicht, daß das noch einmal passiert. Damals standen viele schweigend und auch in Schockstarre daneben, und wir versuchen, das heute nicht mehr zu tun.

SB: Haben Sie auch Befürchtungen hinsichtlich der Finanzierung von Kultur angesichts der AfD im Hamburger Senat?

BS: Im Moment haben sie noch nicht genug Stimmen im Senat, aber darum geht es bei den Anfragen. Sie wollen wissen, was mit den Steuergeldern getan wird und versuchen Einfluß zu nehmen, indem sie die Frage aufwerfen, ob nicht zu viel Geld für Kunst und Kultur ausgegeben wird. Kunst und Kultur sind einfach unbequem. Sie sind unbequem und nerven insbesondere Politiker, weil sie einfach den Finger in die Wunde von vielem halten, wo man eigentlich nicht hinschauen möchte. Deswegen ist Kulturpolitik für rechtsnationale Kreise unglaublich wichtig. Es wird auch offen formuliert, man kann alles nachlesen, was sie wollen.

SB: Ulrich Waller vom St. Pauli Theater meinte, Theater und Kabarett seien eigentlich stets gegen rechte Inhalte immun gewesen. Wie verhält es sich mit der Bildenden Kunst, in der es zum Beispiel die Glorifizierung der Stärke und des Heldentums in der NS-Kunst gab?

BS: Ich sehe da im Moment wenig Probleme, weil es sie einfach nicht gibt. In der NS-Zeit hat das funktioniert, weil es noch eine andere Form von klassischer Kunst gab. Gerade die Bildende Kunst hat sich jedoch seit den 50er Jahren stark weiterentwickelt. Im Moment gibt es überhaupt keine derartigen Tendenzen. Was befördert werden kann, ist daß die Kunst eingehegt wird, aber ich glaube nicht, daß wir jetzt bald eine rechtsnationale Kunst haben. Ich wüßte nicht, woher sie kommen sollte, ehrlich gesagt.

SB: Sehen Sie Tendenzen in der Bildenden Kunst, Gegenpositionen gegen die rechte Offensive aufzubauen, die ja inzwischen weltweit stattfindet?

BS: Es findet durchaus eine Politisierung statt, aber das heißt nicht unbedingt, daß eine politische Kunst aufgebaut wird. Auch im Kunstverein machen wir immer wieder politische Projekte, wie zum Beispiel die Ausstellung "Klassenverhältnisse" [1], oder wenn wir mit Geflüchteten arbeiten wie vor zwei Jahren. Aber darum geht es nicht. Ob ein Programm politisch ist oder nicht, ist nicht entscheidend, weil die Kunst ihre Freiheit braucht. So wird zum Beispiel Abstraktion von vielen Rechten als Krimskrams, als Unsinn dargestellt. Es geht darum, daß die Institutionen in Freiheit arbeiten können, ob politisch oder nicht. Und daß sie etwas vorstellen können, worüber das Publikum diskutieren kann. Es kann zustimmend oder ablehnend reagieren, die Kunst kann gut oder schlecht gemacht sein, aber sie braucht die Möglichkeit, sich wirklich auszudrücken, ohne daß wir im Denken eingegrenzt werden. Das Denken einzugrenzen ist ja die Absicht, und das geht gar nicht. Das ist für eine Gesellschaft fatal. Aber nur noch politische Programme zu machen, halte ich auch für Unsinn.

SB: Sie hatten in Ihrer Stellungnahme erwähnt, daß Sie häufiger in Österreich sind. Wie erleben Sie den Kontrast politischen Verhältnisse hier und dort?

BS: Einleitend möchte ich noch von einem Fall berichten, der uns persönlich betroffen hat. Gestern haben wir eine E-Mail von einem brasilianischen Künstler erhalten, in der er beschreibt, wie sehr sich das Leben auf den Straßen Brasiliens seit der Wahl des Rechtspopulisten Bolsonaro zum Präsidenten radikalisiert hat. Es ist unglaublich aggressiv geworden und die Künstler werden direkt körperlich angegriffen. Nun überlegt er, ob er nicht in Deutschland um Asyl bittet.

Diese Entwicklung hat sich in Brasilien, aber auch in Österreich seit langem angekündigt. Wien ist immer noch eine sozialistische Stadt, und auch die Kulturpolitik ist dort immer noch sozialistisch. Aber ansonsten wird in Österreich mit einem deutschnationalen Denken versucht, massiv in die Kulturpolitik einzugreifen. Das läuft alles eher nebenbei - man bekommt keine Erlaubnis mehr, die Gelder werden gekürzt. Das ist auch in den Niederlanden so gelaufen. Sie haben einfach die ganzen Institutionen plattgemacht, indem sie ihnen 50 Prozent der Subventionen gekürzt und gesagt haben, macht was ihr wollt. Plötzlich gibt es das alles nicht mehr.

Das geschieht in Österreich auch gerade. Man versucht, alles sukzessive mundtot zu machen. Schockierend ist, wie schnell das geht, wie die Dinge, auf die wir gebaut haben, daß wir in einem freien Europa leben, daß wir unsere Meinung sagen können, daß wir Pressefreiheit haben, daß etwas auf Wahrheit und Objektivität basiert, plötzlich verschwinden. Gestern wurde eine Umfrage zu der Frage veröffentlicht, inwiefern sich Deutsche eine autoritäre Regierung vorstellen können - für 40 Prozent der Befragten lag das durchaus im Bereich des Wünschenswerten. Also wenn wir jetzt nicht gewarnt sind, dann weiß ich es auch nicht. Zu glauben, das alles nicht so schlimm wird, funktioniert nicht mehr, dafür haben wir einmal Geschichte durch (lacht).

SB: Frau Steinbrügge, vielen Dank für das Gespräch.


Mehrsprachiges Mobimaterial - Foto: © 2018 by Schattenblick

Liberté, Egalité, Diversité
Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnote:


[1] https://www.kunstverein.de/ausstellungen/aktuell/class-relations-klassenverhaeltnisse


12. November 2018


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