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INTERVIEW/172: Stimmen der Kultur - unsere Welt, unsere Erzählung ...    Matthias Schulze-Kraft im Gespräch (SB)


Interview am 9. November 2018 auf Kampnagel in Hamburg-Barmbek


Matthias Schulze-Kraft ist Künstlerischer Leiter des Lichthof Theaters, einer der größten Bühnen der freien Theaterszene Hamburgs. Am Rande der Präsentation der Hamburger Erklärung der Vielen im Rahmen der bundesweiten Kampagne des in Berlin gegründeten Vereins Die Vielen e.V. am Freitag auf Kampnagel beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu den Zwecken und Zielen dieses Bündnisses kulturschaffender Menschen gegen die Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik.


Im Gespräch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Matthias Schulze-Kraft
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Lux vom Thalia-Theater sprach eine Schändung der Sprache durch die Neue Rechte an. Wie erleben Sie die durch die rechte Offensive ausgelöste Veränderung im Gebrauch der Sprache?

Matthias Schulze-Kraft (MSK): Ich würde nicht von Schändung sprechen, das ist für mich ein von der anderen Seite besetzter Begriff. Es gibt eine Umdeutung von Werten und Begriffen, eine Verharmlosung von ideologisch durchsetzten Begriffen, und das, finde ich, ist das Gefährliche an der Bewegung, die zur Zeit stattfindet. Man nimmt etwas, was sich relativ harmlos anhört, und dahinter verbirgt sich aber eine ganz bestialische, ausgrenzenden Ideologie. An der Oberfläche jedoch tut man so, als sei gar nichts gewesen. Daraus hat sich tatsächlich eine Veränderung von Sprachkultur ergeben, von der Art und Weise, sich im politischen Raum sprachlich zu verständigen und auszudrücken. Das halte ich für die eigentlich gefährliche Entwicklung.

SB: Es geht nicht nur um klassischen Rechtsextremismus, sondern es findet auch ein Kulturkampf statt, wie die starke Orientierung auf traditionelle Geschlechterrollen und der Antifeminismus der Neuen Rechten zeigt. Wie läßt sich Ihrer Ansicht nach demgegenüber Diversität verteidigen?

MSK: Ich glaube, wir sollten uns nicht die Hoheit über die Erzählung einer pluralen und offenen Gesellschaft aus der Hand nehmen lassen. Wie ich vorhin schon in meinem Statement erklärte, wird versucht, über narrative Konstruktionen eine neue Erzählung von Gesellschaft zu plazieren. Als Kulturinstitutionen haben wir eigentlich die Aufgabe, solche Erzählungen, die auch eine nationale und gesellschaftliche Bindungskraft entfalten, zu erfinden, zu gestalten und zu verbreiten. Wir sollten unsere Arbeit mit einem deutlicheren Blick darauf verrichten, daß wir uns nicht nur auf das Individuelle verlassen können, sondern auch immer schauen müssen, wo das Individuelle politisch ist, und vielleicht stärker als in den letzten Jahren und Jahrzehnten auf dieses Politische setzen.

SB: Könnte aus dieser Entwicklung nicht sogar der paradoxe Effekt resultieren, daß die politische Seite des Theaters unter diesen Umständen neu belebt, daß wieder stärker Position bezogen wird?

MSK: Für das Freie Theater, das ich repräsentiere, würde ich das nicht sehen, weil das Freie Theater immer politisch ist, daraus eine starke Motivation bezieht und sich auch immer positioniert hat. Für das andere Theater kann ich eigentlich nicht sprechen.

SB: Auch die Freie Theaterszene ist in gewisser Weise auf öffentliche Förderung angewiesen. Haben Sie die Befürchtung, daß durch den Einfluß der AfD Kürzungen ins Haus stehen?

MSK: Dafür ist die AfD in Hamburg zum Glück zu schwach, zudem widersetzt sich eine starke bürgerliche Allianz gegen diese Anfeindungen der AfD. Wo ich ein bißchen besorgt bin, das sind diese kleinen schleichenden Prozesse, die Step by Step verlaufen, was ja auch eine formulierte Strategie der Rechten ist. Sie machen nicht den großen Schlag, sondern wenden kleine Nadelstiche an, die die Gesellschaft nach und nach in ihre Richtung rücken. Die Gefahr, daß über eine hohe Anzahl von Kleinen Anfragen usw. solche kleinen Steps in Richtung auf eine rückwärtsgewandte Ideologie vollzogen werden, die scheint mir schon ziemlich groß zu sein. So etwa, wenn eine Verwaltung sich zu fragen beginnt, ob sie noch die Gelder für dieses oder jenes Projekt bewilligen kann oder ansonsten befürchten muß, daß zahlreiche Kleine Anfragen kommen. Ich glaube, diese Prozesse sind die eigentlich gefährlichen. Ich kann aber im Moment noch nichts derartiges feststellen.

MSK: Das Motto "Wir sind viele" ist im Grunde genommen ein unbegrenztes Statement. Könnten aus diesem Bündnis kulturell bewegter Menschen auch Impulse für eine neue linke Massenbewegung ausgehen, die neulich in Berlin über 200.000 Menschen gegen rechts auf die Straße gebracht hat?

MSK: Das glaube ich ganz sicher. Die Berliner "Vielen" waren ja auch schon ein geschlossener Block innerhalb dieser Demonstration. Sie haben das Signum der Rettungsdecke verwendet, was wir für Hamburg aus ökologischen Gründen ausgeschlossen haben, aber wir nutzen natürlich auch den Gold-Hintergrund. Auf jeden Fall waren sie als Block auf dieser Demo sichtbar. Die nächste große Aktion der Vielen wird eine große Demonstration am 13. Mai in Berlin sein, und es wäre jetzt auch unsere Aufgabe als Hamburger, und ich glaube das wird auch gelingen, daß wir mit einer breiten Gruppe dorthin reisen, die von uns mobilisiert wird, so daß wir auch stärker nach außen mit einem politischen Statement zeigen, daß wir eine Kraft sind.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Kampagnenplakat im Hof auf Kampnagel - Foto: © 2018 by Schattenblick

Foto: © 2018 by Schattenblick


11. November 2018


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