Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT


INTERVIEW/168: Naturbegriffe - Fundamentaler Widerstand ...     Kandi Mossett im Gespräch (SB)


Die indigene Aktivistin Kandi Mossett wuchs in der Reservation Fort Berthold in North Dakota auf und war an den Protesten gegen den Bau der Dakota Access Pipeline beteiligt. Vor dem International Rights of Nature Tribunal in Bonn stand sie als von Repression Betroffene am 7. November Rede und Antwort [1]. Sie gehörte der Delegation It Takes Roots [2] an, einem Zusammenschluß vorrangig indigener AktivistInnen und Gruppen aus den USA, die die Stimme sozialökologisch verletzlicher Minderheiten auf dem Weltklimagipfel COP23 zu Gehör brachten. Neben dem Indigenous Environmental Network (IEN), dem Kandi Mossett angehört, sorgten die Organisationen Idle No More SF Bay, Cooperation Jackson, Climate Justice Alliance Organización Boricuá de Agricultura Ecológica de Puerto Rico und Grassroots Global Justice Alliance in Bonn dafür, daß auch die Position derjenigen Menschen vertreten wurde, die sich nicht durch die amtierende US-Regierung und die weiße Mehrheitsgesellschaft vertreten fühlen. Am Rande des Tribunals beantwortete Kandi Mossett dem Schattenblick einige Fragen zu den sozialen und politischen Hintergründen ihres Engagements.



Am Rednerpult - Foto: © 2017 by Schattenblick

Kandi Mossett
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Mossett, begreifen Sie sich eher als Native American oder als Bürgerin der Vereinigten Staaten?

Kandi Mossett (KM): (lacht) Auf jeden Fall ersteres. Ich gehöre den Mandan-Hidatsa-Arikara Nations an. Wir waren vor ihnen hier. Wenn ich mich in anderen Ländern aufhalte, weiß ich allerdings nicht, in welchen Kontext ich das stellen soll. Aber es stimmt, ich betrachte mich als Ureinwohnerin. Wir verfügen über unsere eigene Souveränität und über unsere eigene Stammesregierung. Daher bin ich Bürgerin der Mandan-Hidatsa-Arikara Nations und keine Bürgerin der Vereinigten Staaten.

SB: Speist sich die in dem Kampf um Wasser und Land gegen die indigene Bevölkerung gerichtete Aggression eher aus rassistischen Motiven oder hat sie mehr mit staatlicher Repression allgemeiner Art zu tun?

KM: Das ist ganz unterschiedlich. North Dakota ist immer noch ein sehr rassistischer Staat, aber wenn ich in andere Regionen der Welt reise, erfahre ich viel Unterstützung von weißen Menschen, die auf unserer Seite stehen. Tatsächlich kamen viele weiße UnterstützerInnen in unsere Protestcamps und demonstrierten ihre Solidarität. Man kann sagen, daß beides vorkommt. Aber in Bismarck, der Hauptstadt von North Dakota, haben sie uns gegenüber sehr rassistisch agiert. Sie haben sich durch uns belästigt gefühlt als seien wir ein Stachel in ihrem Fleisch.

Zur Geschichte der Vereinigten Staaten herrscht dort völliges Unverständnis, und das ist das Ergebnis einer von Generation an Generation weitergereichten Gehirnwäsche. Sie glauben, was ihre Eltern ihnen erzählt haben, und halten alle Indigenen für betrunkene Krawallmacher. Sie glauben, das sei allein unser Problem und wir hätten uns all das selbst angetan, ohne den historischen Kontext zu kennen, in dem die Vereinigten Staaten errichtet wurden. Es gibt einen großen Mangel an Bildung unter der Bevölkerung North Dakotas, aber das betrifft nicht unbedingt andere Weltregionen. Ich glaube, die Menschen wachen allmählich auf und verstehen unsere Lage. Es hängt davon ab, wo man sich gerade befindet.

SB: Selbst in einigen modernen Hollywoodproduktionen wird mit dem kolonialistischen Blick auf "die Indianer" gebrochen und ein positives Bild der US-amerikanischen Ureinwohner gezeichnet. Trägt das nicht zum Abbau von Vorurteilen bei?

KM: Das stimmt, aber es handelt sich auch um eine romantifizierende Sichtweise. Es gibt tatsächlich Schwierigkeiten unter der indigenen Bevölkerung. Wir sind immer noch verloren und versuchen, uns und unsere Kultur, die uns genommen wurde, wiederzufinden. Die Vereinigten Staaten hatten eine "Termination policy" geschaffen, um uns vollständig zu assimilieren und unsere Kultur zu vernichten. Dabei waren viele Indigene bereits gemischter Herkunft. Ich habe einen deutschen Urgroßvater. Ich bin Mandan, Hidatsa, Arikara, Chippewa, Deutsche, Französin, Kanadierin, Norwegerin - alle werden in ihrer DNA wahrscheinlich irgendwo eine derartige Mischung finden. Daher ist es wirklich schwer, sich spirituell und kulturell zu verorten. Diese romantische Idee, daß alle Ureinwohner Hüter des Landes sind, stimmt einfach nicht. Wir wurden so sehr assimiliert und kulturell fremdbestimmt, daß wir uns mit unserer eigenen internalisierten Unterdrückung auseinandersetzen müssen.

Wenn die eigenen Stammesführer den Ausverkauf unserer Sache betreiben, ist das sehr schwierig. Wenn die Regierung erklärt, wir nehmen uns dies oder das, dann tut sie es einfach. Wenn sie vorhat, uns zu quälen, dann tut sie es. Selbst im Fall der Dakota Access Pipeline haben einige im Stammesrat der Mandan-Hidatsa-Arikara eine Vereinbarung zu ihrem Bau unterzeichnet. Ihnen wurde mit den Worten Geld angeboten: Entweder ihr nehmt es, und wir bauen die Pipeline, oder ihr laßt es, und wir bauen sie trotzdem.

SB: Beziehen Sie sich in Ihrem Kampf noch auf das American Indian Movement (AIM), das in den 1960er und 1970er Jahren radikale Positionen der indigenen Selbstbestimmung vertreten hat?

KM: Ja, ich arbeite im Indigenous Environmental Network (IEN). Wir sind aus dem AIM entstanden, das damals sehr militant wurde. Die Menschen begannen, einander im Rahmen der internalisierten Unterdrückung zu bekämpfen, und die Bewegung fiel allmählich auseinander. Wir wollten sicherstellen, daß es immer noch eine Plattform oder Möglichkeit gab, wo Menschen zusammenkommen können, um Informationen zu erhalten und auszutauschen. Die Gründungskonferenz des IEN fand 1990 statt. Seitdem ist das Netzwerk aktiv und arbeitet daran, nicht nur das Land zu beschützen, sondern auch unser kulturelles Überleben sicherzustellen. Wir haben nicht nur das Recht, auf unserem Land zu leben, sondern uns auch als eigenständige Gemeinschaft zu entwickeln. Das IEN ist in direktem Anschluß an das AIM entstanden, und zudem gibt es noch AIM-Gruppen in den Vereinigten Staaten und im Ausland, die den Kampf fortsetzen.

SB: Menschen in aller Welt haben leidvolle Erfahrungen mit der kriegerischen und ökonomischen US-Aggression gemacht. Gibt es im IEN auch eine Art internationalistische Tradition, wird versucht, mit davon betroffenen Menschen und Gruppen zusammenzuarbeiten?

KM: Das trifft insbesondere auf die Americas, also den globalen Süden in Lateinamerika zu. Im Rahmen meiner Arbeit konnte ich erleben, daß wir nicht die einzigen Betroffenen sind. Dieser Kampf wird weltweit geführt, und in anderen Ländern ist es sogar noch schlimmer. Das bringt mich in eine merkwürdige Position, denn ich werde selbst angegriffen und verraten, weil die Regierung der Vereinigten Staaten eine so schreckliche Politik betreibt. Zugleich sehe ich, was in den Kämpfen an anderen Orten der Welt geschieht. Berta Cáceres [3] zum Beispiel wurde ermordet, weil sie nichts anderes getan hat als zu versuchen, das Wasser zu schützen. In anderen Ländern verschwinden Menschen, und zwar sehr viel mehr als in den Vereinigten Staaten.

Ich führe mir immer wieder vor Augen, daß wir, obwohl wir einiges auszuhalten haben, auch über ein gewisses Privileg verfügen, weil wir in den USA leben. Das motiviert mich noch mehr, mich für Menschen in aller Welt einzusetzen. Es hat mich sehr beeindruckt, was Yana Tannagasheva über ihren Kampf in Rußland berichtet hat. Bis heute habe ich nichts davon gewußt. Deshalb möchte ich mehr dafür tun, um die Grausamkeiten, die in aller Welt verübt werden, zu verstehen und zu fragen, wie ich helfen kann, sie zu verhindern. Weil ich früher nicht wußte, daß ich privilegiert bin, nun aber die Unterschiede zwischen meiner Situation und der von Menschen in anderen Ländern kennengelernt habe, möchte ich mehr tun, indem ich meine Stimme erhebe, helfe und Seite an Seite gegen die Macht der Unternehmen aufstehe.

SB: Haben Sie ein besonderes Verhältnis zum Widerstand von Frauen, die meist doppelt, als Mensch und als Frau, unterdrückt sind?

KM: Ja, denn diese Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten, und das betrifft auch das Weibliche und das Männliche. Es gibt zu viele Männer in Machtpositionen. In den Traditionen unserer Stämme waren wir früher für ganz verschiedene Bereiche zuständig. Außenstehende mögen den Eindruck gehabt haben, daß die Männer am häufigsten das Wort ergriffen und die meiste Arbeit verrichtet haben. Nun geht es darum, dies wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Nicht, daß Frauen die Welt beherrschen sollen, das wäre ein weiteres Problem des Ungleichgewichtes. Es geht um Gleichheit, und der Feminismus, den wir vertreten, soll gleiche Rechte herstellen.

In unserer Kultur sind die Frauen die Hüterinnen des Wassers und die Männer die Hüter des Feuers. Wenn Wasser auf ein brennendes Feuer gegossen wird, entsteht dieses zischende Geräusch. Das Geräusch und der Dampf, die aus dieser Kombination entstehen, verkörpern die Heiligkeit des Lebens. Es ist weder männlich noch weiblich, es ist beides. Dieses Wissen wurde uns durch die männliche Dominanz genommen.


Kandi Mossett am Rednerpult vor dem Tribunal - Foto: © 2017 by Schattenblick

Kämpferischer Vortrag ...
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Stimmt es, daß die Mandan-Hidatsa-Arikara Nations, denen Sie angehören, traditionell Ackerbau betreiben?

KM: Ja, das ist die andere Seite dieser romantisierten Darstellung in Filmen. Dort sieht man immer Indigene, die auf Pferden reiten, Büffel jagen und in Tipis leben. Auf viele der Sioux Nations trifft dieses Stereotyp sicherlich zu. Aber meine Stämme waren eher semi-seßhaft. Wir lebten in Dörfern aus Erdhütten und bauten Mais, Kürbis und Bohnen in riesigen Gärten am Rande des Missouri an. Daher hatten wir auch ein gigantisches Netzwerk an Handelsrouten, das quer durch die Americas lief. Man hat in unseren alten Dörfern in North Dakota, wo das geographische Zentrum Nordamerikas liegt, Muscheln aus dem Ozean gefunden, so weit erstreckte sich unser Handelssystem.

Wir haben zum Beispiel Feldfrüchte mit den Sioux gehandelt und von ihnen Fleisch und andere Dinge erhalten. Wir haben Handwerksartikel wie Töpfe und andere Kunstgegenstände getauscht. Es ging nicht um Geld, es war ein Handelssystem. Heute weisen wir dem Geld so viel Macht zu, obwohl es gar keine Macht enthält. Zu guter Letzt können wir gar nichts mit diesem Geld anfangen. Wenn wir in einen Laden gehen und es dort keine Nahrungsmittel gibt, wenn wir den Wasserhahn aufdrehen und kein Wasser herauskommt, nützt es uns gar nichts. Wir könnten es vielleicht verbrennen, aber Geld brennt sehr schnell weg und wird uns nicht lange warmhalten. Wir wollen zur Wirklichkeit unserer Lebensform zurück, dafür gilt es zu verstehen, daß es nicht um den Job von 9 bis 17 Uhr geht, wie man uns glauben macht. Es geht nicht um grüne Jobs oder erneuerbare Energie, es geht darum, unseren Verstand zu dekolonisieren.

Neurodekolonisation und die Rückkehr zu unserer Lebensform bedeutet nichts anderes als zu wissen, wie man die eigenen Kinder und sich selbst ernährt, als zu wissen, wo man Wasser bekommt, und seine Quelle zu bewahren, und die Liebe, die entsteht, wenn man zusammen ist. Es bedeutet nicht, die Kinder zur Schule zu schicken, wo sie Geschichte aus einem Buch lernen, während ich zur Arbeit gehe. All die Kohleminen und das Fracking und Öl verursachen Gesundheitsprobleme, so daß die Menschen denken, sie müßten noch härter arbeiten, um die Arztrechnungen bezahlen zu können. So bildet sich eine Lawine aus schrecklichen Dingen, die aus Kapitalismus und Kolonialismus entstehen. Wir könnten sehr viel gesünder und glücklicher sein, wenn wir wieder in echten Familien und Gemeinschaften lebten, wo Menschen sich umeinander sorgen und kümmern. Das ist es eigentlich, was wir wiederherzustellen versuchen.

Alle Welt redet von "Just Transition", aber im Grunde genommen meint dieses Konzept, zu den Prinzipien der Grundlagen des Lebens (Livelihood) zurückzukehren - kein Job, eine Livelihood.

SB: Kandi Mossett, vielen Dank für das Gespräch.


Kandi Mossett am Rednerpult in verschiedenen Posen - Foto: © 2017 by Schattenblick Kandi Mossett am Rednerpult in verschiedenen Posen - Foto: © 2017 by Schattenblick Kandi Mossett am Rednerpult in verschiedenen Posen - Foto: © 2017 by Schattenblick

... mit der Durchschlagkraft physischer Präsenz und bewegender Empathie
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0107.html

[2] http://ittakesroots.org

[3] Unternehmen und Staat in Honduras verantwortlich für Mord an Berta Cáceres
https://amerika21.de/2017/11/188569/honduras-mord-berta


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum International Rights of Nature Tribunal in Bonn erschienen:

BERICHT/107: Naturbegriffe - die immer gleichen Absichten ... (SB)
BERICHT/106: Naturbegriffe - unzureichend im Blick ... (SB)
BERICHT/105: Naturbegriffe - im Kreisverkehr ... (SB)

INTERVIEW/167: Naturbegriffe - Universalitätsargumente ...     Linda Sheehan im Gespräch (SB)


16. Januar 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang