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INTERVIEW/159: Klimagegengipfel - zwei Beine für jeden Schritt ...     Lydinyda Nacpil im Gespräch (SB)



Lydinyda Nacpil war nicht nur eine der umlagertsten Aktivistinnen auf dem diesjährigen People Climate Summit in Bonn, sie hat auch die Organisation der philippinischen Aktivistinnen und Aktivisten strategisch im Griff. Neben ihrer Arbeit als aktives Mitglied der philippinischen Freedom from Debt Coalition (FDC), die sich aus 30 nationalen Organisationen und über hundert lokalen und regionalen Bewegungen zusammensetzt, wie auch als Koordinatorin der Asian Peoples' Movement on Debt and Development (APMDD) [1] setzt sie sich auch in einer Vielzahl anderer offizieller und inoffizieller Funktionen in verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs) für Klimagerechtigkeit und Menschenrechte ein.

Weshalb gerade junge Aktivistinnen und Aktivisten ihren Rat suchen, liegt wohl auch an der sprichwörtlichen Unaufgeregtheit und unerschütterlichen Entschlossenheit, die eine Person umgibt, die bereits eine sehr reale politische Hölle durchlebt hat. Denn ihre Erfahrungen im Widerstand auf den Philippinen hat "Lidy" unter der Diktatur von Ferdinand Marcos gesammelt, einer Zeit und einem Ort, wo Aktivisten fast täglich auf den Straßen ihr Leben aufs Spiel setzten.

Im Rahmen des People's Climate Summit in Bonn stand die dritte Podiumsdiskussion am 5. November, zu der Frau Nacpil eingeladen worden war, unter dem Thema "Vom CO2 Zählen zum gesellschaftlichen Wandel: wie funktioniert die Transformation?" Am 6. November leitete sie den Workshop der APMDD zum Thema "Wir fordern unsere Rechte auf Nahrungsmittel, Boden und Wasser zurück."

Nach der Veranstaltung im Wissenschaftszentrum Bonn, sprach sie mit dem Schattenblick über die aktuellen Verhältnisse in den Philippinen und warum der Kampf für Klimagerechtigkeit auch ein Kampf gegen herrschende Verhältnisse ist.


Foto: © 2017 by Schattenblick

'Wir kämpfen nicht gegen die Demokratie, sondern für eine, im Sinne des Wortes.'
Lydinyda Nacpil auf der Diskussionsveranstaltung in der Gesamtschule Bonn-Beuel.
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie haben gegen die Diktatur von Ferdinand Marcos gekämpft und kämpfen immer noch für eine System-Transformation in Ihrem Land. Nun, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sagten Sie gestern auf dem Abendpodium "Vom CO2 Zählen zum gesellschaftlichen Wandel: wie funktioniert die Transformation?": Veränderungen müßten sehr grundlegend und umfassend bei jedem einzelnen beginnen. Wie verstehen Sie das?

Lydinyda Nacpil (LN): Die Art und Weise, wie wir eine Transformation umsetzen wollen, verstehen wir nicht als einen Kampf gegen die Demokratie, sondern als den Kampf für den Aufbau einer wirklichen Demokratie, die im Sinne des Wortes die Interessen unseres Volkes wahrnimmt. Wir haben gegen die korrupte Diktatur gekämpft und sie abgeschafft, aber was wir stattdessen bekommen haben, diese Renaissance der "formell-demokratischen" Staatsinstitutionen, reicht uns nicht. In unseren Augen ist das eine Pseudodemokratie, die nicht die Mehrheit der Bevölkerung in ihren Communities vertritt und die darüber hinaus weder andere Meinungen noch eine Partizipation der Zivilgesellschaft an politischen Prozessen und der Regierungsführung zuläßt.

Natürlich spielt dabei auch die Wirtschaft eine Rolle. Wenn man sich die politischen Strukturen auf den Philippinen anschaut, dann haben diejenigen, welche die Wirtschaft kontrollieren, auch die Regierung im Griff. Damit verhält es sich ein bißchen so wie mit dem Problem, was zuerst da war, das Huhn oder das Ei: Solange die Mehrheit der Bevölkerung arm ist und der Reichtum nur von wenigen extrem Reichen kontrolliert wird, welche die politischen Prozesse ausschließlich für die eigenen Interessen nutzen wollen, muß - damit die Machtverhältnisse gewahrt bleiben - diese Mehrheit von einigen wenigen unterdrückt werden.

Wie können wir das ändern? Wir müssen die Menschen mit Hilfe unserer Organisationen so in Stellung bringen, daß sie zunächst einmal erkennen, daß sie tatsächlich ermächtigt sind und auch die Stärke haben, politische Entscheidungen treffen und verwirklichen zu können.

Macht und Kontrolle findet immer auf zwei Wegen statt: der eine ist Kohäsion, das heißt sozialer Zusammenhalt, und der andere Täuschung. Solange man die armen Bevölkerungsgruppen in dem Irrtum bestärkt, daß sie ohnehin keine Macht haben, daß sie die Dinge nicht ändern können, daß die Dinge immer so bleiben müssen, wie es die Herrschenden vorgeben, werden sie an den bestehenden Machtstrukturen weiter festhalten.

Natürlich gibt es auch immer das Argument, daß Wahlen an Orten wie den Philippinen keine richtigen Wahlen sind, weil die Armen ihre Stimmen verkaufen. Und die Armen werden angeprangert, daß sie ihre Stimmen verkauft haben. Aber kann man ihnen das wirklich verübeln, wenn Wahlen jahrhundertelang nur eine Farce waren? Wenn der Verzicht auf etwas so Nutzloses, wie die eigene Stimme, das Essen der ganzen Familie für eine Woche sichern kann, dann liegt doch nahe, sich für diesen Handel zu entscheiden. Der ärmeren Mehrheit muß erst noch bewußt werden, daß sie politisch Einfluß nehmen kann, und zwar nicht nur bei Wahlen, sondern vor allem bei Aktionen, welche die vorherrschenden Machtverhältnisse in Frage stellen. Das würde vieles ändern. Denn sie wären durchaus in der Lage, einen Umschwung in der Politik zu erwirken. Wir haben das schon getan.

Jetzt stehen wir vor der nächsten großen Herausforderung, nämlich vor dem Klimawandel. Wie ich gestern schon auf dem Abendpodium sagte, sind wir zumeist Aktivisten, die ihre Erfahrungen vor allem in den vielen Jahren des Widerstands gegen die Diktatur gesammelt haben. Jetzt geht es aber darum, die Gesellschaft komplett umzustrukturieren. Wir müssen die Wirtschaftssysteme so grundlegend umgestalten, daß sie den neuen Anforderungen, die durch die Erderwärmung auf uns zukommen, gerecht werden. Neben den Kämpfen gegen Armut und Ungleichheit, die wir immer noch führen, gibt es sehr viel zu tun. Es geht allerdings immer noch um das gleiche System, das wir bekämpfen, das sowohl für die Armut und Ungleichheit als auch für die Umweltkrisen verantwortlich ist. Denn dieses System ist letztlich auch an der Weltklimakrise schuld.

Durch den Klimawandel kommt aber noch das Gefühl höchster Dringlichkeit als weiterer Aspekt dazu. Damit will ich nicht sagen, daß unsere anderen Kämpfe weniger dringlich wären. Doch hierbei geht es um das existentielle Überleben unserer Leute und Gemeinschaften und es gibt nur einen sehr kurzen Zeitraum, in dem wir überhaupt noch etwas tun können.

Als junge Aktivistinnen und Aktivisten waren wir darauf vorbereitet, daß unser Kampf gegen die Marcos-Diktatur Jahrzehnte dauern könnte. Wir waren bereit, so lange wie erforderlich dafür zu kämpfen, bis wir unsere Ziele erreicht hätten. Doch jetzt haben wir nicht einmal mehr 50 Jahre Zeit.

SB: Was wären die drängendsten Aufgaben in der nächsten Zeit?

LN: Wir müssen die staatlichen und politischen Institutionen so umstrukturieren, daß sie auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen. Es darf einfach nicht sein, daß nur ein, zwei Personen oder auch eine kleine Gruppe innerhalb der Regierung alle Entscheidungen treffen. Es darf aber auch nicht sein, daß Widerstandsbewegungen vollständig in den Regierungen aufgehen. Unabhängig davon, wer die Regierungsaufgaben übernommen hat, brauchen wir autarke, durchsetzungsfähige zivilgesellschaftliche Bewegungen. Natürlich kann ich mir auch eine Regierung vorstellen, die ohne elitäre Mitglieder auskommt. Ich habe wirklich schon große Führungspersönlichkeiten kennengelernt, kompetente Regierungschefs, die aus der Widerstandsbewegung gekommen sind. Aber das umgekehrte Beispiel findet man auch. Sehen Sie sich nur einmal unseren philippinischen Kongress an. Fast alle Repräsentanten entstammen den reichen Clans und Familien. Die wenigsten davon haben genug Kompetenz, ihre Aufgaben überhaupt wahrzunehmen.

Okay, es gibt ein paar löbliche Ausnahmen. Ansonsten ist es eine Schande, was sich in unserem Parlament abspielt. Aber das kommt auch in anderen Demokratien vor. Sehen Sie sich die Vereinigten Staaten von Amerika an. Ich könnte mir 100.000 Menschen vorstellen, die besser für das Amt geeignet wären als der augenblickliche Präsident.

SB: 2015 kritisierten Sie öffentlich die Organisatoren der COP 21, weil den zur Beobachtung des Gipfels zugelassenen zivilgesellschaftlichen Organisationen der Zutritt zu den Räumen verweigert wurde, in denen die eigentliche Entscheidungsfindung stattfand. Erwarten Sie, daß die Organisation der laufenden Verhandlungen anders sein wird? Haben die Möglichkeiten der NGOs seither zugenommen? [2]

LN: Kein Klimagipfel ist wie der andere. Es gibt jedes Mal neue Regelungen und diverse kleine Änderungen, wie und wo Nicht-Regierungsorganisationen oder zivilgesellschaftliche Organisationen, also NGOs und CSOs, sich in die Verhandlungen einbringen oder daran teilnehmen dürfen. Doch im Großen und Ganzen ist die sehr begrenzte Beteiligung der Zivilgesellschaft an solchen Fragen natürlich immer sehr unbefriedigend gewesen. Einige der offiziellen Regeln, nach denen hier gehandelt wird, sind geradezu lächerlich. Eine ähnliche Regelung hätte in unseren eigenen Ländern sofort energischen Protest hervorgerufen. Denn man fragt sich doch beispielsweise: Warum darf bei Aktionen niemand namentlich genannt werden? Ich meine, das ist doch verrückt, oder? Ist das hier ein so heiliger Boden, daß man nicht einmal die Länder und Gruppen oder auch Regierungen, die sich nicht an die Klimakonvention halten, auch aufzählen kann? Nein, die Regeln erlauben es dir nicht.

Ansonsten weiß ich nicht, ob es bedeutende Veränderungen im Reglement geben wird. Ich habe gehört, daß die Fidschi-Präsidentschaft am 8. November einen Dialog führen will, in dem es darum geht, wie sich die Zivilgesellschaft an diesem COP 23 beteiligen wird und ob der Rahmen, in dem dies stattfindet, vergrößert werden kann. Aber ich glaube nicht, daß sich dadurch insgesamt etwas ändert. Denn selbst wenn wir den uns zugestandenen engen Raum kritisieren, brauchen wir doch diesen wie auch immer gearteten Raum, um die Probleme zur Sprache zu bringen.

SB: Im letzten Workshop der APMDD wurde angesprochen, wie die Klimakrise in vielen Völkern, die ohnehin von Hunger und Armut geplagt sind, die Situation noch zusätzlich verschärft. Spüren Sie hier, auch nach dem politischen Umbruch auf den Philippinen bereits Veränderungen?

LN: Wir haben immer noch ein von Eliten dominiertes Wirtschaftssystem. Wenn sich überhaupt etwas verändert hat, dann konzentriert sich der Ressourcenbesitz inzwischen noch extremer auf einige wenige Reiche. Beispielsweise gab es zwar eine begrenzte Anzahl von Landreformen, bei denen tatsächlich auch schon Boden umverteilt wurde. Aber wir beobachten leider auch, daß die Bauern und Landarbeiter das erhaltene Land wieder verkaufen müssen, und zumeist an die Vorbesitzer, die damit das Monopol auf den Boden zurückgewinnen. Den Kleinbauern fehlen dagegen einfach die Mittel, auf diesem Land eine ertragsfähige Landwirtschaft aufzubauen. Ihnen wird zwar Land gegeben, aber jede weitere Unterstützung, um an die ebenso notwendigen Mittel zu kommen, unterbleibt. Statt dessen werden immer wieder die Preise für ihre Produkte gedrückt, denn nur die großen Händler kontrollieren den Markt für Agrarerzeugnisse. Das sind die genau die Ursachen, die zu immer größerer sozialer Ungleichheit führen und die Kluft zwischen Arm und Reich extrem vertiefen.

SB: Welche Priorität hat die Diskussion der Eigentumsfrage in Ihrer Organisation?

LN: Ja, wir haben diese Frage in der Tat ganz oben auf unserer Agenda, weil sie die Wurzel der sozialen Ungleichheit ist. Wir können nicht von Armut als Ausdruck von geringem Einkommen oder ungenügender Gewinnverteilung sprechen. Wir müssen sie auch in Zusammenhang mit Besitzverhältnissen, mit Macht und Kontrolle bringen, denn das sind die eigentlichen Gründe für die Ungleichheit. Und wir müssen uns damit grundlegend befassen. Wir brauchen keine schnellen Lösungen wie Geldtransfers oder bessere Löhne, um die Armut zu lindern. Denn solange die Vermögensrechte und Produktionsrechte in den Händen von wenigen liegen, deren Interesse es ist, möglichst große Profite zu erzielen, werden wir die Armut nur geringfügig minimieren. Aber wir wollen tatsächlich die vorherrschende Ungleichheit angehen.

SB: Können Sie sich vorstellen, daß diese Problematik auch auf dem aktuellen Klimagipfel thematisiert und diskutiert werden wird?

LN: Ich glaube nicht, daß es eine der zentralen Fragen sein wird. Weil die Mehrheit der am Klimagipfel beteiligten Verhandlungsstaaten nicht einmal über Gleichheit oder Ungleichheit bei den Klimamaßnahmen sprechen wollen. Wir haben die Frage aufgeworfen, daß es eine gerechtere Verteilung der Klimaschutzmaßnahmen zwischen den Ländern und auch innerhalb der Länder geben sollte. Hierbei geht es noch nicht einmal um die Besitzverhältnisse. Ich glaube auch nicht, daß die Eigentumsfrage längere Zeit ein Verhandlungsthema werden könnte. Natürlich werden wir sie aufbringen. Wir werden auch ihre Rolle am Problem des Klimawandels thematisieren, weil sie einer Wirtschaftsform entspringt, in der es immer nur um Profite geht, ohne Rücksicht auf den Planeten. Privateigentum und Gewinnmaximierung sind die logische Konsequenz der herrschenden Besitzverhältnisse. Wir sind noch weit davon entfernt, das in Angriff zu nehmen. Auf den Demonstrationen und Protestmärschen wird das immer wieder angesprochen. Aber innerhalb der Verhandlungen ist es noch kein zentrales Thema. Wir sollten es zu einem machen!


Schriftzug des Banners: Stop Corporate Capture of the Climate - Foto: © 2017 by Schattenblick

Auf dem Workshop ...

Foto: © 2017 by Schattenblick





Schriftzug des Banners: 'Es geht um die Menschheit, nicht um die Macht der Wirtschaft.' - Foto: © 2017 by Schattenblick

... und auf der Demonstration.
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Die Philippinen haben mit ihrer Unabhängigkeit quasi als Erbe der Marcos-Diktatur auch eine starke Schuldenlast übernommen. Welche sozialen und ökologischen Folgen haben sich dadurch für das Land ergeben?

LN: Das hatte enorme Konsequenzen. Da nach philippinischem Recht der öffentliche Schuldendienst vor allen anderen öffentlichen Ausgaben priorisiert wird, hat es in den Philippinen jahrelang eine Vernachlässigung des Gesundheitssystems, der Infrastruktur und anderer Versorgungsleistungen gegeben. Und dieser Mangel wurde gleichzeitig als Rechtfertigung für die Privatisierungen instrumentalisiert. Es hieß kurz gesagt: Die Regierung könne sich das nicht leisten, sie hätte dafür nicht genug Geld. Auf diese Weise hat das Problem der Verschuldung ein noch größeres Problem der Privatisierung heraufbeschworen.

Aufgrund dieser Verschuldung werden wir nahezu genötigt, immer wieder wirtschaftsliberale Lösungen zu akzeptieren, denn es sollen ständig noch mehr Kredite, mehr Darlehen oder Fremdkapital aufgenommen werden. Die Philippinen gehören somit zu den Ländern, die ihre Existenz auf einem Teufelskreis der Verschuldung gründen. Unser Staatshaushalt ist nur deshalb noch nicht völlig zusammengebrochen, weil uns immer wieder neue Darlehen gegeben werden.

Daß wir als kreditwürdig gelten, liegt an dem philippinischen Gesetz, dem Automatic Appropriation Law, mit dem sich die Philippinen die Rückzahlung von Schulden als vordringlichste Pflicht auferlegen. Wir stehen also ständig vor dem Dilemma, Geld leihen zu müssen, doch es reicht nie aus, um die elementarste Grundversorgung zu gewährleisten. Eine Folge dieser Politik ist zum einen die bereits etablierte Privatisierung von Wasser und Strom. Zum anderen sollen demnächst Krankenhäuser, das Gesundheitswesen und auch Schulen privatisiert werden. Im Grunde ist es die gleiche Geschichte wie in anderen Ländern. Alle gehen von der Annahme aus, daß der Privatsektor diese Dinge effektiver managen kann, weil er über ausreichend Kapital verfügt. Und schon verkauft man immer mehr öffentlichen Raum und öffentliche Einrichtungen. Im Grunde machen die Kleinbauern genau das gleiche. Der Staat hat nicht die Mittel, finanzielle Unterstützung für die Agrarreform zu leisten, also verteilen sie nur das Land. Aber ohne finanzielle Hilfe können die Bauern das Land auch nicht halten. Also verkaufen sie es weiter, um zu überleben. Die Konzentration von Privateigentum auf einige wenige ist somit ebenfalls eine Konsequenz dieser Verschuldung. Unsere Entschuldungsbewegungen fordern schon seit langem eine Politik, die die Legitimität dieser Schulden kritisch prüft und auch, von welchen Darlehen unser Land überhaupt profitiert hat. Das sind unserer Ansicht nach die einzigen Verbindlichkeiten, für die wir weiterhin aufkommen sollten. Andernfalls sollten wir einfach damit aufhören, Schulden zu bezahlen. Doch weil die Philippinen inzwischen als aufstrebende Marktwirtschaft betrachtet werden, wurde ein großer Teil unserer Verbindlichkeiten von den Finanzmärkten aufgekauft. Man kann inzwischen nicht einmal genau nachvollziehen, wem wir dieses Geld schulden, denn es sind Anleihen, Papiere, die beliebig gekauft und weiterverkauft oder übertragen werden können. So ist das Schuldenproblem sogar noch komplizierter geworden, als vor dreißig Jahren, als wir unsere Kampagne dagegen starteten.

SB: Die Philippinen gehören beileibe nicht zu den großen Umweltverschmutzern unseres Planeten. Seit dem Pariser Abkommen sind aber gleichermaßen alle Verhandlungsländer zur Reduktion ihrer CO2-Emissionen aufgrund freiwilliger Selbstverpflichtung gefragt. Gibt es etwas, von dem Sie glauben, daß es ein unverzichtbarer Beitrag ist, den die Philippinen dafür leisten sollten?

LN: Ich hoffe sehr, daß es uns gelingen wird, die Philippinen zum Vorreiter für erneuerbare Energiesysteme zu machen. Denn unser Land ist zwar nicht einer der ganz großen Fresser von fossilen Brennstoffen, aber doch ein nicht unbedeutender Verbraucher von Kohle, Öl und Gas. Wir hoffen also, daß unsere Initiativen erfolgreich sein werden und wir bald zu den Ländern gehören, die bei der Umgestaltung der Energiesysteme führend sind. Das wünsche ich uns auch für die Umsetzung wirklich guter Anpassungsstrategien mit Programmen zur Verlust- und Schadensbegrenzung, denn wir gehören zu den am stärksten gefährdeten Ländern. Das hieße aber auch, daß wir eine der ersten sein sollten, die von den reichen Ländern eine entsprechende Klimafinanzierung fordern. Leider entspricht das nicht ganz dem Tempo oder dem Stil, in dem unsere jetzige Regierung arbeitet. Wir müssen also noch sehr viel tun, um das zu realisieren.

SB: Sie sagten am 5. November auf dem Panel: Wut sei wichtig, aber sie allein reiche nicht aus. Die Menschen müßten sich auch genau darüber im Klaren sein, wohin sie gehen sollten. Was heißt das für Sie und wohin sollte Ihrer Meinung nach der Widerstand gehen, damit tatsächlich eine Veränderung stattfinden kann?

LN: Nun, in der Diskussion hatte jemand behauptet, es würde genügen, wenn die Menschen sich darüber klar sind, was sie bekämpfen oder wogegen sie demonstrieren. Ich meine aber, das reicht nur für den Anfang. Wenn man für etwas jahrelang auf die Straße gehen muß, reicht es nicht aus, einfach nur zu behaupten: "Das gefällt uns nicht" oder "das wollen wir aufhalten." Wenn man immer mehr Menschen von der eigenen Ansicht überzeugen will, sollte man ziemlich bald schon die eigenen Vorstellungen über das, was man stattdessen aufbauen will, beschreiben können. Ohne Zielvorgabe, wo man hin will oder wie der Veränderung aussehen könnte, werden die Menschen leicht müde, denn ihnen stehen möglicherweise große Entscheidungen bevor: Eine Person, die der wohlhabenden Mittelschicht angehört, muß ihr ganzes bequemes Leben auf eine Karte setzen, um die Welt in eine bessere zu transformieren, oder sie läßt alles wie es ist, um mit ihrem immerhin einigermaßen passablen Leben vorlieb zu nehmen. Die ärmere Bevölkerung muß sich hingegen entscheiden, ob sie mit ihrem Protest riskieren soll, das wenige, was sie hat, auch noch zu verlieren, oder ob sie weiterhin Tag für Tag weiterkrebst, um das bloße Überleben zu sichern. Beide Entscheidungen fallen schwer, wenn es kein konkretes Ziel gibt, für das sich zu kämpfen lohnt. Deshalb muß man die Hoffnung nähren. Das geht aber nicht mit allgemeinen Worten. Dazu müssen Sie in der Lage sein, genau zu definieren, wie die Veränderung aussehen soll und Sie müssen davon überzeugt sein, daß sie auch durchgesetzt werden wird.

Ich bin früher manchmal gefragt worden, woher ich die Sicherheit nehmen würde, daß wir unseren Kampf gewinnen können. Auf diese Frage würde ich damals wie heute antworten: Wissen Sie, nach den Erfahrungen, die wir bereits hinter uns haben, ist das für uns gar keine Frage. Wir haben keine andere Wahl, als zu kämpfen. Wir brauchen keine Garantie dafür, daß wir gewinnen. Und diese Gewißheit brauchen die wenigsten Menschen, die unter unseren Bedingungen leben müssen. Aber was sie mit Sicherheit brauchen, ist Hoffnung!

SB: Vermissen Sie diese Einstellung, sich klare Ziele zu setzen und mit vollen Segeln darauf loszufahren, bei der jungen Generation von Widerstandskämpfern? Gibt es diese Entschlossenheit überhaupt noch?

LN: Du liebe Güte, die junge Generation. Sie muß sich so unglaublich vielen Anforderungen und Herausforderungen stellen, die sie vom Thema ablenken. Ich denke dabei an jenen Teil der jungen Generation, der das Privileg genießt, zur Schule zu gehen, eine gute Erziehung und Ausbildung zu erhalten, und daher in der Lage ist, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Ich spreche nicht von den jungen Arbeitern oder Kleinbauern auf den Philippinen, die nicht einmal die Chance haben, aufs College zu gehen, geschweige denn die High School zu beenden, weil sie aus dem Haus gehen müssen, um für die Familie zu arbeiten.

Für die privilegierten jungen Leute gibt es derzeit so viel Zerstreuung, daß sie sich gar nicht wirklich mit den Ungerechtigkeiten der Gesellschaft, mit der Ungleichheit, die ich meine, auseinandersetzen können. Zudem hat der Überschuß an Informationen, der sicher eine Menge Vorteile mit sich bringt, um Menschen schnell über soziale Medien zu erreichen, in gewisser Weise für sie eine virtuelle Realität in der Welt geschaffen, auf die sie alle ihre Handlungen, Proteste und Engagements bequemerweise verlagern. Wie kann man sie noch davon überzeugen, auf die Straße zu gehen und zu protestieren? Denn das hat nicht das gleiche Echo wie ein Protest in den sozialen Medien. Aber ich frage auch: Hat man je davon gehört, daß eine Millionen Tweets oder eine Millionen Hits auf dem Facebook-Account eine Regierung gestürzt hätten? Eine Millionen Menschen, die auf der Straße demonstrieren, sprechen da schon eine andere Sprache.

Aber ich will nicht den enormen Vorteil, dieser neuen Medien untergraben, in kürzester Zeit so viele Menschen zu erreichen. Ich will auch nicht den Einfluß auf Politiker unterschätzen, wenn bestimmte politische Vorstellungen, die verbreitet werden, plötzlich einen unübersehbaren Trend darstellen. Aber das reicht für eine grundlegende Transformation der Gesellschaft nicht aus. Und das macht mir Sorgen, weil immer mehr Leute damit zufrieden zu sein scheinen.

Nur um das noch einmal zu unterstreichen: Natürlich wollen wir auch, daß die jungen Menschen die neuen Medien nutzen, um ihre Ansichten mitzu"teilen" und zu verbreiten. Aber wir wollen auch, daß sie die Grenzen dieser Medien sehen und sich mit der Notwendigkeit, etwas zu schaffen, was darüber hinausgeht, auseinandersetzen. Wir müssen, wenn wir über die Transformation des Gesellschaftssystems sprechen, sehr viel grundsätzlicher und radikaler werden. Ich war ehrlich gesagt doch ein wenig irritiert, daß manche Protest-Netzwerke, die radikale Thesen wie eine Systemveränderung, auf ihrem Banner tragen, sich dann doch mit keinem ehrgeizigeren Projekt, als einem "autofreien Tag" begnügen. Das hat mir allerdings sehr zu denken gegeben. Und, ja, es mag wohl immer noch ein Ausdruck des Mangels an Verständnis dafür sein, wie Macht funktioniert und wie groß die Aufgabe einer Transformation wirklich ist.

SB: Lydinyda Nacpil, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.


Foto: © 2017 by Schattenblick

Lydinyda Nacpil im Wissenschaftzentrum Bonn.
Foto: © 2017 by Schattenblick


Anmerkungen:


[1] Mehr zu den Entschuldungsbewegungen, denen Lydinyda Nacpil angehört finden Sie hier:
http://fdc.ph/
und http://www.apmdd.org/

[2] Die Verhandlungen werden von Vertretern der 197 UNFCCC-Vertragsparteien (196 Staaten plus die EU) geführt. Den Verhandlungen beiwohnen dürfen außerdem sogenannte "Beobachter". Dabei handelt es sich um Organisationen, die beim UNFCCC zugelassen sind und verschiedene Interessengruppen vertreten. Außerdem sind zu Pressekonferenzen und ausgewählten Ereignissen auch die Medien geladen. Parallel zu den Verhandlungen trafen sich in der "Bonn Zone" auf dem Peoples Climate Summit (PCS) vom 3. bis 7. November Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft, die nicht offiziell beim Klimasekretariat akkreditiert sind.


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
BERICHT/101: Klimagegengipfel - Kernenergie schon gar nicht ... (SB)
BERICHT/102: Klimagegengipfel - Erdgas, keine Option ... (SB)
BERICHT/103: Klimagegengipfel - gemeinsam marschieren, getrennt schlagen ... (SB)

INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)
INTERVIEW/139: Klimagegengipfel - nur noch wenig Zeit ...     Franziska Buch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: Klimagegengipfel - agrarindustrielle Fleischproduktion abschaffen ...     Matthias Ebner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/142: Klimagegengipfel - Eskalation und Gegenwehr ...     Jonas Baliani (Ende Gelände) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/143: Klimagegengipfel - wider besseren Wissens ...     Makereta Waqavonovono im Gespräch (SB)
INTERVIEW/144: Klimagegengipfel - die auf der Strecke bleiben ...     Barbara Unmüßig im Gespräch (SB)
INTERVIEW/145: Klimagegengipfel - integrative Linksdiskussion ...     Dagmar Enkelmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/146: Klimagegengipfel - Antikernkraft und der lange Marsch ...     Don't-Nuke-the-Climate!-Aktive im Gespräch (SB)
INTERVIEW/147: Klimagegengipfel - umgelastet ...     Titi Soentoro im Gespräch (SB)
INTERVIEW/148: Klimagegengipfel - Flucht, Gewalt und Frauenelend ...     Samantha Hargreaves im Gespräch (SB)
INTERVIEW/149: Klimagegengipfel - demokratische Ergebnisnot ...     Sean Sweeney im Gespräch (SB)
INTERVIEW/150: Klimagegengipfel - Gas geordert, Stopp gefordert ...     Frida Kieninger und Andy Gheorghiu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/151: Klimagegengipfel - Front aller Orten ...     Nataanii Means und Rafael Gonzales im Gespräch (SB)
INTERVIEW/152: Klimagegengipfel - Demokratie nur von unten ...     Magdalena Heuwieser im Gespräch (SB)
INTERVIEW/153: Klimagegengipfel - Laßt euch nicht täuschen ...     Doris Linzmeier im Gespräch (SB)
INTERVIEW/154: Klimagegengipfel - Selbstverteidigung ...     Tetet Lauron im Gespräch (SB)
INTERVIEW/155: Klimagegengipfel - gestutzte Sozial- und Umweltrechte ...     Dr. Roberto Ferdinand im Gespräch (SB)
INTERVIEW/156: Klimagegengipfel - milch- und fleischemittierte Heimlichkeit ...     Shefali Sharma im Gespräch (SB)
INTERVIEW/157: Klimagegengipfel - Kolonie der Finalstrategien ...     Jesús Vásquez im Gespräch (SB)
INTERVIEW/158: Klimagegengipfel - auf der eigenen Scholle stehen ...     Aktivist Flip im Gespräch (SB)
INTERVIEW/160: Klimagegengipfel - Fraß und Öde vor die Tür gekehrt ...     Peter Donatus im Gespräch (SB)
INTERVIEW/161: Klimagegengipfel - schöpfen mit Bedacht ...     Tom Goldtooth im Gespräch (SB)


11. Dezember 2017


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