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INTERVIEW/152: Klimagegengipfel - Demokratie nur von unten ...     Magdalena Heuwieser im Gespräch (SB)


Magdalena Heuwieser hat Internationale Entwicklung in Wien studiert und setzt sich wissenschaftlich wie auch aktivistisch mit den Themen Klimapolitik, Green Economy und "Finanzialisierung der Natur" auseinander. Sie engagiert sich in Österreich und Deutschland in der Nyéléni-Bewegung für Ernährungssouveränität und ist in der Solidarität mit sozialen und indigenen Bewegungen in Honduras aktiv. In ihrem Buch "Grüner Kolonialismus in Honduras - Land Grabbing im Namen des Klimaschutzes und die Verteidigung der Commons" [1] untersucht sie den Charakter mehrerer "grüner" Projekte. Im Netzwerk System Change not Climate Change [2] kämpft sie unter anderem gegen die geplante dritte Startbahn des Wiener Flughafens. [3]

Im Rahmen des People's Climate Summit in Bonn stand die dritte Podiumsdiskussion am 5. November unter dem Thema "Vom CO2 Zählen zum gesellschaftlichen Wandel: wie funktioniert die Transformation?" Magdalena Heuwieser referierte und diskutierte auf dem Podium und leitete zudem gemeinsam mit Mira Kapfinger am 6. und 7. November das Netzwerk-Treffen "Wie kann man gegen die Zunahme des Luftverkehrs vorgehen?" Im Anschluß an die Diskussionsveranstaltung in der Gesamtschule Bonn-Beuel beantwortete sie dem Schattenblick einige vertiefende Fragen.



Stehend auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Magdalena Heuwieser
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Du hast in deinem Diskussionsbeitrag auf dem Podium den relativ unscharfen Begriff "Transformation" einerseits im Sinne von Revolution, andererseits im Sinne von Reform ausgelegt.

Magdalena Heuwieser (MH): Oder weder - noch!

SB: Warum nicht ausschließlich Revolution?

MH: Ich glaube, Revolution ist unrealistisch in der Welt, in der wir leben. Es gibt vielleicht in manchen Weltregionen mitunter die Möglichkeit eines kompletten Umsturzes, aber hier in Europa sehe ich das gar nicht. Und vor allem habe ich auch keine Lust auf eine Machtergreifung, bei der sich dann sehr oft ähnliche Machtstrukturen wie zuvor reproduzieren und der Rest der Bevölkerung nicht mitgenommen wird. Dabei wechselt lediglich das Regime, aber das heißt nicht, daß sich die Verhältnisse grundsätzlich geändert hätten. Ich habe keine Lust auf eine grüne Diktatur von oben, die durch eine Revolution herbeigeführt wird, sondern strebe eine grundsätzlich ermächtigende Transformation an. Deswegen habe ich auch am Schluß von den Räten und einer wirklich demokratischen Organisationsform gesprochen, bei der die Menschen mitbestimmen. Das muß natürlich von unten und von oben gleichzeitig passieren. Transformation ist ein Wechselspiel mit verschiedenen Strategien und Schritten, das aber dieses radikale Ziel der Überwindung des Kapitalismus und des Patriarchats und des Kolonialismus vor Augen haben muß.

SB: Wie ließe sich in diesem Prozeß der Rückfall in bloße Reformen verhindern, daß nämlich die alte Gesellschaft doch nicht überschritten wird?

MH: Ein Beispiel: Jetzt gerade wird dafür gestritten, daß Glyphosat abgeschafft wird. Ich finde, das ist eine Reform. Würde Glyphosat tatsächlich abgeschafft, käme daraufhin ein anderes Ackergift zur Anwendung. Meines Erachtens sollte dafür gekämpft werden, daß die industrielle Landwirtschaft abgeschafft wird und dabei natürlich auch das Glyphosat. Aber es sollte immer auch kommuniziert und dafür gestritten werden, daß das große Ziel erreicht wird. Das ist ein entscheidender Unterschied.

SB: Ich vermisse in der Transformationsdebatte zumeist die Frage der staatlichen Macht samt ihren Instrumenten, all jenen gewaltsam den Weg zu verstellen, die etwas grundsätzlich verändern wollen. Wird dieser wesentliche Aspekt in der Diskussion tatsächlich ausgeblendet?

MH: Es stimmt, das wurde überhaupt nicht erwähnt. Ich glaube auch, daß es oft ausgeblendet wird, obgleich es essentiell ist. Meine Perspektive darauf ist, daß es den Staat aktuell gibt und wir ihn nicht wegignorieren können, er ist da. Wir müssen ihn sozusagen an den Zaum nehmen. Wir sind selbst ein Teil des Staates, die Zivilgesellschaft ist ja auch Akteur im Staat. Aber das heißt nicht, daß ich in meiner Vision der Zukunft einen Staat mit den aktuellen nationalen Grenzen und allem übrigen, was ihn ausmacht, brauche. Es handelt sich vielmehr um einen Transformationsprozeß, in dem immer mehr Macht lokalisiert, immer mehr demokratisiert wird, bis wir irgendwann diesen Staat nicht mehr brauchen.

SB: Aber wird nicht auf dem Weg dahin der Kulminationspunkt erreicht, an dem sich der alte Staat mit Händen und Füßen gegen seine Abschaffung wehrt?

MH: Auf jeden Fall, deswegen braucht es auch Konflikte. Es geht nicht nur mit schönen Visionen, sondern es braucht auf jeden Fall auch harte Konflikte und Auseinandersetzungen.

SB: Wie könnten diese Auseinandersetzungen beschaffen sein, ohne daß wir an dieser Stelle zu weit greifen und sofort über Lösungen sprechen?

MH: Na, zum Beispiel auch mal mit zivilem Ungehorsam ein Kohlekraftwerk abschalten. Es könnte natürlich auch noch stärker sein, das Kraftwerk könnte einen Monat lang abgeschaltet werden, so daß der Konzern dann wirklich dagegen vorgehen oder aber den Betrieb einstellen muß. Es handelt sich eben um eine Mischung aus tatsächlicher direkter Aktion, die ökonomische Auswirkungen hat, und der symbolischen Wirkung, die auch diese Transformation im Kopf und den Druck auf die Politik bewirkt.

SB: Meines Erachtens war der Grad der Eskalation bei den Aktionen von Ende Gelände während des Klimacamps verglichen etwa mit jenen bei G20 in Hamburg eher moderat. Es gab zwar Übergriffe seitens der Polizei, aber im wesentlichen wurden beiderseits bestimmte Linien nicht überschritten. Würde eine Strategie des zivilen Ungehorsams dann an ihre Grenzen stoßen, wenn der Konflikt eskaliert, weil weitreichendere Forderungen durchgesetzt werden sollen?

MH: Ja, das könnte sein. Aber ich glaube, daß sich die Eskalation gegenseitig bedingt. Die Auseinandersetzungen bei den G20-Protesten hätten nicht so eskalieren müssen. Wenngleich die Polizei schon richtig aggressiv drauf war, gab es andererseits einfach auch Leute, die teilweise nicht einmal aus der Bewegung kamen und halt Lust auf Randale hatten. Sie haben dadurch der Polizei die Legitimation verschafft, hart durchzugreifen. Da finde ich schon die strategische Frage total sinnvoll. Und meistens ist gewaltfreier Widerstand das strategisch Sinnvollste.

SB: Bei der Diskussion über Dekolonisierung monierte eine Stimme aus dem globalen Süden: Ihr habt eure Probleme, wir haben jedoch ganz andere, vor allem grundlegende materielle Probleme, wie etwa Arbeit und etwas zu essen zu bekommen. Inwieweit ist die Idee der Dekolonisierung im Kopf mit der Dekolonisierung in konkreten Lebensverhältnissen verbunden?

MH: Eines bedingt das andere. Wenn sich hier bei uns bestimmte Verhältnisse verändern, wenn wir nicht fortgesetzt Reichtum aus dem globalen Süden extrahieren, dann ändern sich automatisch auch dort die Lebensbedingungen. In diesem Zusammenhang ist das Konzept der Abwicklung des globalen Nordens sehr spannend, bei dem es darum geht, den globalen Süden einfach mal in Ruhe zu lassen und ihm nicht ständig mit Entwicklungshilfe das eigene Konzept von Entwicklung aufzuoktroyieren, sondern einen Schuldenschnitt vorzunehmen und nicht länger zu dominieren. Das wäre wirklich radikal dekolonial.

SB: Magdalena, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:

[1] REZENSION/646: Magdalena Heuwieser - Grüner Kolonialismus in Honduras (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar646.html

[2] http://systemchange-not-climatechange.at/de

[3] http://www.ftwatch.at/wp-content/uploads/2017/10/FT-Watch_Gruenes-Fliegen_2017.pdf


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
BERICHT/101: Klimagegengipfel - Kernenergie schon gar nicht ... (SB)
BERICHT/102: Klimagegengipfel - Erdgas, keine Option ... (SB)
BERICHT/103: Klimagegengipfel - gemeinsam marschieren, getrennt schlagen ... (SB)

INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)
INTERVIEW/139: Klimagegengipfel - nur noch wenig Zeit ...     Franziska Buch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: Klimagegengipfel - agrarindustrielle Fleischproduktion abschaffen ...     Matthias Ebner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/142: Klimagegengipfel - Eskalation und Gegenwehr ...     Jonas Baliani (Ende Gelände) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/143: Klimagegengipfel - wider besseren Wissens ...     Makereta Waqavonovono im Gespräch (SB)
INTERVIEW/144: Klimagegengipfel - die auf der Strecke bleiben ...     Barbara Unmüßig im Gespräch (SB)
INTERVIEW/145: Klimagegengipfel - integrative Linksdiskussion ...     Dagmar Enkelmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/146: Klimagegengipfel - Antikernkraft und der lange Marsch ...     Don't-Nuke-the-Climate!-Aktive im Gespräch (SB)
INTERVIEW/147: Klimagegengipfel - umgelastet ...     Titi Soentoro im Gespräch (SB)
INTERVIEW/148: Klimagegengipfel - Flucht, Gewalt und Frauenelend ...     Samantha Hargreaves im Gespräch (SB)
INTERVIEW/149: Klimagegengipfel - demokratische Ergebnisnot ...     Sean Sweeney im Gespräch (SB)
INTERVIEW/150: Klimagegengipfel - Gas geordert, Stopp gefordert ...     Frida Kieninger und Andy Gheorghiu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/151: Klimagegengipfel - Front aller Orten ...     Nataanii Means und Rafael Gonzales im Gespräch (SB)

4. Dezember 2017


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