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INTERVIEW/139: Klimagegengipfel - nur noch wenig Zeit ...     Franziska Buch im Gespräch (SB)



Unmittelbar nach der Explosion des Blocks vier des Atomkraftwerks Tschernobyl am 26. April 1986, durch die große Teile Europas radioaktiv verstrahlt wurden, gründeten "engagierte BürgerInnen und WissenschaftlerInnen" das Umweltinstitut München. "Sie waren entsetzt von der verantwortungslosen Informationspolitik der deutschen Behörden", schreibt der eingetragene Verein in seiner Selbstdarstellung.

Zur Radioaktivität sind inzwischen weitere Themenfelder hinzugekommen, denen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter widmen: Klima und Energie, Verbraucherschutz, Mobilfunkstrahlung, Landwirtschaft, Gentechnik. Offensichtlich gibt es weiterhin genügend Gründe, sich zu entsetzen und eine interessierte Gegenöffentlichkeit darüber aufzuklären. Zumal "Fake News" keine Erfindung der Moderne sind - früher nannte man sie Regierungspropaganda.

Zu den Fake News fundamentaler Art von heute gehört, daß die Regierungen alles im Griff haben und genügend tun, um die globale Erwärmung, die von den Kohlenstoffdioxidemissionen aus Myriaden kleinerer und größerer Feuer von fossilen Energieträgern forciert wird, noch rechtzeitig aufzuhalten, bevor Menschen zu Schaden kommen. Indes zeigen wissenschaftliche Messungen ebenso wie Erfahrungsberichte Betroffener: Der Klimawandel steht nicht bevor, er findet längst statt.

Am 4. November 2017 demonstrierten nach Veranstalterangaben rund 25.000 Menschen in Bonn gegen den fortgesetzten Kohleabbau in Deutschland und für mehr Klimaschutzanstrengungen auch der Bundesregierung. Zu den Rednerinnen, die zum Auftakt der Demonstration auf dem Bonner Münsterplatz eine Ansprache gehalten haben, gehört Franziska Buch. Sie ist beim Umweltinstitut München Referentin für Klima und Energie.

Im Anschluß an ihre Rede war Franziska Buch freundlicherweise bereit, gegenüber dem Schattenblick zu einigen der angesprochenen Streitthemen Stellung zu nehmen.


Beim Interview - Foto: © 2017 by Schattenblick

Franziska Buch
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie haben vorhin zum Auftakt der Demonstration "Kohle stoppen - Klima schützen!" eine Ansprache gehalten. Inwiefern befaßt sich Ihr Institut, das Umweltinstitut München, mit dem Thema Kohle?

Franziska Buch (FB): Wir arbeiten zum Kohleausstieg und fordern deutschlandweit den Kohleausstieg 2025 im Einklang mit den Pariser Klimazielen.

SB: Was hat man sich unter dem Umweltinstitut vorzustellen? Beraten Sie mitunter auch die Behörden oder ist das Umweltinstitut eher eine Nichtregierungsorganisation?

FB: Wir sind eine Nichtregierungsorganisation. Das heißt, wir machen Online-Kampagnen und versuchen, Öffentlichkeit für unsere Ziele zu schaffen und zu protestieren. Beispielsweise haben wir gemeinsam mit anderen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen ein Positionspapier zum Kohleausstieg 2025 herausgegeben.

SB: Das heißt, Sie teilen nicht die zeitlichen Vorstellungen der Bundesregierung zum allmählichen Ausstieg aus der Kohleverbrennung, sondern glauben, daß dieser in den nächsten acht Jahre machbar ist? Woran liegt es dann, daß die Regierung dem nicht nachkommt?

FB: Ja, der Kohleausstieg bis 2025 ist möglich, und es ist einfach eine Frage des politischen Willens, den auch umzusetzen. Es ist ganz klar, wenn wir das Pariser Klimaabkommen umsetzen wollen, dann müssen wir bis 2025 aus der Kohle ausgestiegen sein und bis 2020 schon mehr als die Hälfte aller Kohlekraftwerke abschalten.

SB: Was würde passieren, wenn das nicht gemacht wird?

FB: Nun ja, dann werden wir es nicht schaffen, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad oder deutlich unter zwei Grad zu begrenzen.

SB: Was halten Sie von dem Argument der Bundesregierung und auch der Landesregierungen in NRW und Brandenburg, daß es ihnen auch um den Erhalt der Arbeitsplätze in der Braunkohlewirtschaft geht?

FB: Natürlich ist es immer wichtig, daß man auch eine soziale Transformation schafft. Wir sehen das aber so, daß es schon lange klar ist, daß wir aus der Kohle aussteigen müssen und daß es nicht im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist, den Strukturwandel so lange hinauszuzögern. Es ist wichtig, ihn rechtzeitig anzugehen und zu gestalten, damit die Leute auch eine Perspektive haben. Gleichzeitig sehen wir es aber auch so, daß im Bereich der erneuerbaren Energien zum Beispiel sehr viel mehr Arbeitsplätze geschaffen werden als die 20.000 Arbeitsplätze, die es jetzt noch in der Kohlewirtschaft gibt. Deshalb sehen wir das so, daß es grundsätzlich, auch vor dem Hintergrund, Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern, ein wichtiger Strukturwandel ist.

SB: Steht da eine Lobby gegen die andere - die Lobby der fossilen Energiewirtschaft gegen die Lobby der Wind- und Solarenergie?

FB: Das kann man so sagen. Natürlich haben sie unterschiedliche Interessen, und es ist ganz klar, daß sich die Lobby der Kohleindustrie gegen den Kohleausstieg wehrt und da auch großen Einfluß auf die Politik, sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene, ausübt. Natürlich hat die Erneuerbare-Energien-Branche ein Interesse daran, daß wir aus den fossilen Energien aussteigen.

SB: Wie sehen Sie das als jemand, der aus einem Institut aus München kommt, mit der tendenziellen Rechtsbewegung der CSU und der Partei rechts von der CSU - könnte dieser Schwenk zu noch größeren Beharrungskräften in bezug auf die traditionelle deutsche Energieform Kohle führen?

FB: Das ist eine schwierige Frage. Ich weiß nicht, ob es da einen direkten Zusammenhang gibt. Wir sehen das natürlich kritisch, aber das ist in Bayern jetzt kein so großes Thema. Trotzdem kann man sagen, daß auf Bundesebene auf jeden Fall auch die CDU, zum Beispiel bei den Jamaika-Koalitionsverhandlungen, beim Klimaschutz bremst.

SB: Vor kurzem kam eine Studie heraus, wonach es bei den derzeitigen nationalen Klimaschutzbemühungen zu einer globalen Erwärmung von mindestens drei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit kommen wird. Wie lautet Ihre Einschätzung zu dieser Frage?

FB: Das schätzt unser Institut genauso ein. Es ist auch nicht das erste Mal, daß eine solche Publikation herausgegeben wird. Immer wieder wird davor gewarnt, daß, wenn wir so weitermachen wie bisher, wir dann auf jeden Fall eine globale Erwärmung um drei oder sogar vier Grad erreichen werden und daß, wenn wir wirklich umsetzen wollen, was im Pariser Klimaabkommen steht, nämlich deutlich unter zwei Grad zu bleiben und zudem Anstrengungen zu unternehmen, um unter 1,5 Grad zu bleiben, wir ab sofort sehr, sehr drastische Maßnahmen ergreifen müssen. Das passiert nicht von alleine! Dazu ist der Kohleausstieg 2025 ein Beispiel. Es müssen spürbare Maßnahmen umgesetzt werden, damit wir das Klimaziel noch schaffen. Ansonsten wird die globale Erwärmung wesentlich schlimmer ausfallen.

SB: Wäre der Kohleausstieg dann auch nur ein Teil dessen, was diese drei oder vier Grad Temperaturanstieg noch verhindern könnte?

FB: Der Kohleausstieg wäre schon sehr wichtig, er müßte natürlich flankiert werden von einer Verkehrswende, von einer Reduktion an Treibhausgasemissionen auch im Landwirtschaftssektor und von Maßnahmen in anderen Bereichen. Da ist noch ganz viel zu tun.

SB: Bei der Kohleverbrennung werden Schademissionen freigesetzt, zu denen unter anderem radioaktive Partikel gehören. Arbeitet das Umweltinstitut auch zu gesundheitlichen Fragen in Verbindung mit Kohle?

FB: Ja, auf jeden Fall. Die gesundheitlichen Aspekte sind für uns ebenfalls ein Grund, warum wir den Ausstieg aus der Kohlekraft fordern.

SB: Frau Buch, vielen Dank für das Gespräch.


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: Klimagegengipfel - agrarindustrielle Fleischproduktion abschaffen ...     Matthias Ebner im Gespräch (SB)

14. November 2017


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